Abtei Saint-Maurice
Die Abtei Saint-Maurice (französisch Abbaye de Saint-Maurice d’Agaune; lateinisch Territorialis Abbatia Sancti Mauritii Agaunensis) ist ein Kloster der Augustiner-Chorherren in Saint-Maurice, Kanton Wallis, Schweiz. Sie gilt als ältestes Kloster des Abendlandes, das ohne Unterbrechung besteht. 2014/2015 feierte die Abtei ihr 1500-jähriges Bestehen.[1]
Abtei Saint-Maurice | |
Basisdaten | |
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Staat | Schweiz |
Kirchenprovinz | Immediat |
Abt | Jean César Scarcella CRSA |
Generalvikar | Roland Jaquenoud CRSA |
Gründung | 6. Jahrhundert |
Fläche | 96,85 km² |
Pfarreien | 3 (2019/AP 2020) |
Einwohner | 8075 (2019/AP 2020) |
Katholiken | 5500 (2019/AP 2020) |
Anteil | 68,1 % |
Ordenspriester | 30 (2019/AP 2020) |
Katholiken je Priester | 183 |
Ordensbrüder | 30 (2019/AP 2020) |
Ordensschwestern | 12 (2019/AP 2020) |
Ritus | Römischer Ritus |
Liturgiesprache | Französisch |
Kathedrale | Cathédrale abbatiale de Saint-Maurice |
Anschrift | Avenue d'Agaune 15 C.P. 34 CH-1890 Saint-Maurice Valais, Suisse |
Website | http://www.abbaye-stmaurice.ch/ |
Die Abtei ist über das Kloster hinaus auch eine Territorialabtei mit einem Gebiet von fast 100 Quadratkilometern. Sie umfasst seit 1993 die Pfarreien Finhaut, Vernayaz, Salvan und Saint-Maurice/Mex, von 1933 an waren ihr auch die Pfarreien Choëx und Lavey-Morcles zugehörig, die 1993 dem Bistum Sitten zugeschlagen wurden.[2][3]
Geschichte
Ortsgeschichte
Die Ursprünge der Abtei gehen auf ein Heiligtum zurück, das über dem Grab des Heiligen Mauritius (deutsch St. Moritz) und seiner Gefährten von der Thebäischen Legion, die angeblich zusammen mit ihm gegen Ende des 3. Jahrhunderts nach Christus das Martyrium erlitten hatten, errichtet wurde. Das Heiligtum lag bei dem alten römischen Militärstützpunkt Agaunum.
Der Heilige Theodor, Bischof von Octodurus (Martigny), überführte die Reliquien der Märtyrer um 380 in die grossen Höhlen am Fuss des Felsentors, durch welches die Rhone das Wallis verlässt. Dadurch entwickelte sich Agaunum zum christlichen Wallfahrtsort. Der Heilige Sigismund, Sohn des Burgundenkönigs Gundobad, gründete am 22. September 515 das noch heute bestehende Kloster und der heilige Abt Ambrosius (516–520) errichtete über dem ursprünglichen Heiligtum eine neue Basilika. Im 9. Jahrhundert wurden die Mönche durch Chorherren ersetzt und 1128 übernahmen sie die Augustinusregel.
In den Jahrzehnten nach ihrer Gründung wurde die Abtei Saint-Maurice unter Sigismund zur bedeutendsten Abtei im Königreich Burgund. Die dort praktizierte charakteristische Liturgie des laus perennis, des ewigdauernden Lobgesangs, war für die damalige Zeit für Westeuropa eine Innovation, da sie aus dem Byzantinischen Reich übernommen wurde. Von Saint-Maurice aus verbreitete sich diese Praxis in ganz Westeuropa. Um den ewigdauernden Lobgesang in Gang zu halten, war eine grosse Zahl von Mönchen nötig, weshalb Sigismund das Kloster reich ausstattete und zahlreiche Mönche aus dem übrigen Königreich dorthin abordnete. 961 verlegte der spätere Kaiser Otto I. die Reliquien des heiligen Mauritius in den Magdeburger Dom, was der Attraktivität der Abtei für Pilger einen schweren Schlag versetzte.
Baugeschichte
Die ältesten Fundamente in Martolet datieren aus römischer Zeit. Nicht geklärt ist die Funktion der, im Vergleich zu den jüngeren Bauten, mit einer auffallend schrägen Ausrichtung errichteten Bauten, ebenso der Bezug zu der weiter im Westen liegenden antiken Quellfassung. Am Felsfuss wurde ein kleiner, nach Süden orientierter Bau errichtet, in dem Bestattungen erfolgten. Denkbar wäre ein durch Bischof Theodor gegen Ende des 4. Jahrhunderts veranlasster Bau, um die Gebeine der Märtyrer zu bestatten. Daneben lag ein rechteckiger Bau mit einem Annex auf der einen Kurzseite. Dieses Gebäude wurde zuerst als Behausung einer religiösen Gemeinschaft interpretiert, Untersuchungen von 2001 deuten aber auf einen ersten sakralen Bau. Diesen zwei ersten Bauten folgte eine Reihe von neu erstellten Kirchen und Kapellen, die zunächst parallel zur Felswand errichtet wurden.[4]
Archäologisch erfasst sind die Fundamente der sogenannten Sigismund-Kirche, die vermutlich aus dem frühen 6. Jahrhundert stammt. 575 wurde sie durch einfallende Langobarden zerstört und im Anschluss daran wieder aufgebaut. Die als Gontran-Kirche bezeichnete Bauphase aus dem 7. Jahrhundert lässt eine deutliche Vergrösserung des Gebäudes erkennen; erhalten haben sich die polygonale Apsis und der Zugang, der mit einer monumentalen Treppe zum Westeingang führte. Im 8. Jahrhundert entstand wiederum eine neue Anlage, eine Basilika, die mit den Äbten Willicarius und Altheus in Verbindung gebracht wird. Sie wies an den beiden Schmalseiten je einen Chor auf. Im Gegensatz zu den bisherigen Bauten, die geostet waren, befand sich ihre Krypta unter dem Westchor. In dieser wurden auch die Reliquien des heiligen Mauritius aufbewahrt.
Kaiserin Adelheid, die der Abtei auch einen Besuch abstattete,[5] stiftete Ende des 10. Jahrhunderts den Glockenturm, der an der Stelle des Ostchors errichtet wurde und noch heute das Kloster überragt. Ab dem 11. Jahrhundert fungierte er als Eingang in den neu errichteten romanischen Kirchenbau. Zwischen diesem Eingangsturm und dem Felsen entstanden in gotischer Zeit zwei Kapellen.[4]
1148 weihte Papst Eugen III. die neue Kirche. Der Bau war in den folgenden Jahrhunderten jedoch immer wieder durch Felsstürze gefährdet, so auch im Jahr 1611. Daraufhin wurde vom 1614 bis 1624 ein Neubau der Kirche errichtet, der im Vergleich zu der alten Anlage um 90 ° gedreht war, sodass das neu erstellte Schiff von Norden nach Süden, rechtwinklig zur Klosteranlage verläuft. 1693 verwüstete ein Brand zahlreiche Gebäude der Abtei, die Anfang des 18. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurden. Am 3. März 1942 zerstörte ein Felssturz den Kirchturm und die Vorhalle sowie die Orgel. Der Neuaufbau erfolgte von 1946 bis 1950 unter Leitung des Architekten Claude Jacottet, die bunten Glasfenster fertigte Edmond Bille an. In diesem Rahmen wurde auch der aus romanischer Zeit stammende Kreuzgang wiederhergestellt. Am 30. November 1948 wurde die Kirche durch Papst Pius XII. zur Basilica minor erhoben, die Weihe erfolgte 1949.
Archäologische Erforschung und touristische Präsentation
Ausgrabungen an der Stelle der alten Kirche wurden durch den Prior Pierre Bourban (1896–1920) und den Genfer Professor Louis Blondel (1944–1945) geleitet. Weitere Arbeiten fanden zwischen 1994 und 1996 statt. Sie brachten mehrere Böden, bemalte Gräber und Mauern zum Vorschein, die in der überlieferten Dokumentation nicht verzeichnet waren. Ab 2001 wurden deshalb die bisherigen Erkenntnisse überprüft.[4]
Das Jubiläumsjahr der Abtei wurde am 21. September 2014 mit der Eröffnung eines Rundgangs für die Besichtigung der Kulturerbestätte eingeläutet. Er führt von der Basilika über die archäologische Stätte, die Katakomben und den neuen Saal des Stiftschatzes ins Kloster. «Mithilfe von Leuchttafeln, interaktiven Bildschirmen, Modellen und 3D-Filmen wird die Geschichte einer [....] religiösen Gemeinschaft erzählt, die von einer im christlichen Abendland beispiellosen spirituellen und kulturellen Aktivität zeugt». Den Besuchern wird unter einer 1200 m2 grossen, lichtdurchlässigen Überdachung zum Schutz der Ruinen die Geschichte und die Entwicklung der Abtei veranschaulicht.[6]
Klosterschatz
Saint-Maurice beherbergt einen der reichsten Kirchenschätze Europas,[7] der vor allem durch die Stiftungen von Gläubigen erworben wurde. Zu ihm gehören unter anderem kostbare Gefässe wie etwa ein Stück aus Sardonyx, das auf das 1. Jahrhundert v. Chr. datiert wird, und eine goldene Wasserkanne, die der Abtei durch Karl den Grossen geschenkt wurde. Hinzu kommen eine goldene Monstranz und verschiedene weitere Objekte für den kultischen Gebrauch.
Einen grossen Teil des Klosterschatzes bilden die Reliquiare und Schreine zur Aufbewahrung der Reliquien wie etwa das Kopfreliquiar des Heiligen Candidus, das etwa um 1165 angefertigt wurde. An Schreinen sind zu nennen:
- Sogenannter Theuderich-Schrein aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts
- Schrein des Heiligen Mauritius aus dem 12. Jahrhundert
- Schrein der Söhne des Heiligen Sigismund, ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert
- Schrein des Abtes Nantelmus, der durch eine darauf angebrachte Inschrift in das Jahr 1225 datiert werden kann.
Fast alle Stücke sind trotz der wiederholten Zerstörungen der Kirchenbauten unversehrt geblieben und teilweise immer noch im liturgischen Gebrauch. Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten wurde der Klosterschatz im Februar 2014 im Louvre ausgestellt.[8]
- Antiker Sardonyxbecher
- Kanne Karls des Grossen
- Kopfreliquiar des Candidus
- Theuderich-Schrein
- Sigismundschrein
- Nantelmusschrein
Status
Die Abtei gehört keiner Diözese an und geniesst den Status einer Territorialabtei: Der Abt übt eine eigene Jurisdiktion über die 68 mit dem Kloster verbundenen Kleriker und die ungefähr 6574 Gläubigen auf einem Territorium von 96,85 km2 aus. Der Abt von Saint-Maurice ist zugleich das Haupt der gleichnamigen Augustiner-Chorherren-Kongregation und Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.
Persönlichkeiten
- Otto Bayard war 1898/99 Student in Saint-Maurice.[9] Er ist der Vater der Jodprophylaxe.
- Maurice Tornay studierte von 1925 bis 1931 am Kollegium der Abtei Saint-Maurice. Tornay wurde später Augustiner-Chorherr, starb als Missionar in Tibet den Märtyrertod und wurde am 16. Mai 1993 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
Siehe auch
Weblinks
- Website der Abtei Saint-Maurice (deutsch)
- Eintrag zu Territorial Abbey of Saint-Maurice auf catholic-hierarchy.org (englisch)
- Eintrag zu Abtei Saint-Maurice auf gcatholic.org (englisch)
- Germain Hausmann: Saint-Maurice (Kloster). In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Abbaye territoriale de Saint-Maurice d’Agaune auf der ETHorama-Plattform
- Werner Bloch: Älteste Abtei des Abendlandes: Das Wunder von Saint-Maurice. Beitrag in der Reihe Aus Religion und Gesellschaft des Deutschlandfunks, 9. März 2016.
Literatur
- Lothar Emanuel Kaiser (Hrsg.): Die Basilika der Abtei Saint-Maurice. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 1998, ISBN 3-931820-71-8.
- Albrecht Diem: Who is Allowed to Pray for the King? Saint-Maurice d’Agaune and the Creation of a Burgundian Identity. In: Gerda Heydemann, Walter Pohl (Hrsg.): Post-Roman Transitions. Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West. Brepols, Turnhout 2013 (= Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages. Bd. 14). S. 47–88.
Einzelnachweise
- Christophe Büchi: 1500 Jahre Gotteslob nonstop. In: Neue Zürcher Zeitung. 23. Mai 2015, abgerufen am 14. September 2016.
- Germain Hausmann: Saint-Maurice (Kloster). In: Historisches Lexikon der Schweiz. 30. Juli 2015, abgerufen am 13. Oktober 2020.
- Olivier Roduit: Chronique. In: Les Echos de Saint-Maurice. 89 (1994), S. 4.
- Medienorientierung «Vorstellung der archäologischen Stätte “Cour du Martolet” in der Abtei St-Maurice». Kanton Wallis. 23. Mai 2002. Archiviert vom Original am 9. November 2014. Abgerufen am 22. September 2014.
- Ernst Tremp: Adelheid. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 15. Mai 2001, abgerufen am 16. Februar 2018.
- Medienorientierung «Basilika – Archäologische Stätte – Stiftschatz: Neuer Besucherrundgang in der Abtei von Saint-Maurice». Abbaye de Saint-Maurice. 18. September 2014. Archiviert vom Original am 9. November 2014. Abgerufen am 22. September 2014.
- Zum Kirchenschatz: Le trésor de l'Abbaye. Abbaye de Saint-Maurice. Abgerufen am 22. September 2014.
- le tresor de l abbaye de saint maurice expose au louvre auf rts.ch, abgerufen am 24. August 2017.
- Georges Revaz: Nos morts: le docteur Otto Bayard. In: Les Echos de Saint-Maurice. Band 55. Abtei Saint-Maurice, 1957, S. 401–403 (PDF)