United States Naval Computing Machine Laboratory
Das United States Naval Computing Machine Laboratory (kurz: NCML, deutsch etwa: „Labor für Rechenmaschinen der Kriegsmarine der Vereinigten Staaten“) war während des Zweiten Weltkriegs eine hochgeheime militärische Einrichtung, die sich erfolgreich mit der Entzifferung des verschlüsselten feindlichen Nachrichtenverkehrs der deutschen und der japanischen Kriegsmarine befasste. Sitz des Labors war Gebäude 26 (englisch Building 26) der National Cash Register Company (NCR), eines Herstellers ursprünglich für Registrierkassen, in Dayton (Ohio).
Geschichte
Von besonderer Bedeutung für die Kriegsanstrengungen der Vereinigten Staaten war, nach der am 11. Dezember 1941 erfolgten Kriegserklärung Deutschlands an die USA, die Bekämpfung der deutschen U-Boote. Diese operierten hauptsächlich im Nordatlantik auf alliierte Geleitzüge. Im Rahmen der dabei benutzten Rudeltaktik war für die deutsche Kriegsmarine eine abhörsichere Funkverbindung zwischen dem Befehlshaber der U-Boote (BdU) und „seinen“ Booten essentiell. Dazu wurde ein spezielles Schlüsselnetz „Triton“ eingerichtet und innerhalb dessen bis Ende Januar 1942 die Schlüsselmaschine Enigma-M3 (mit drei Walzen) eingesetzt, die zum 1. Februar 1942 durch die kryptographisch stärkere Enigma-M4 (mit vier Walzen) abgelöst wurde.
Die britischen Verbündeten der USA hatten im englischen Bletchley Park unter dem Decknamen „Ultra“ bereits ab Januar 1940 zunächst die von der deutschen Luftwaffe und kurz darauf auch die vom deutschen Heer mit der Enigma I verschlüsselten Nachrichten entziffert. Nach Kaperung des deutschen U-Boots U 110 (Bild) und Erbeutung einer intakten M3-Maschine und sämtlicher Geheimdokumente (Codebücher inklusive der entscheidend wichtigen Doppelbuchstabentauschtafeln)[3] durch den britischen Zerstörer Bulldog am 9. Mai 1941 gelang ihnen auch der Einbruch in die Marine-Enigma.[4] Als Hilfsmittel verwendeten sie dazu eine vom britischen Kryptoanalytiker Alan Turing ersonnene und von seinem Landsmann Gordon Welchman verbesserte elektromechanische „Knackmaschine“, die sogenannte Turing-Welchman-Bombe.
Mit Inbetriebnahme der Enigma-M4 im Februar 1942 gab es jedoch eine für die Alliierten schmerzliche Unterbrechung (Black-out), denn der U-Boot-Funkverkehr konnte nun plötzlich nicht mehr „mitgelesen“ werden. Im Auftrag von Op‑20‑G der US Navy (Office of Chief Of Naval Operations, 20th Division of the Office of Naval Communications, G Section/Communications Security) sollte deshalb umgehend, basierend auf dem britischen Konzept, eine amerikanische Hochgeschwindigkeits-Versionen der Bombe entwickelt werden. Federführend damit beauftragt wurde der damals 34-jährige Joseph Desch (1907–1987),[5] ein in Dayton geborener und aufgewachsener Ingenieur. Ziel war eine Geschwindigkeitssteigerung um den Faktor 26 gegenüber dem britischen Vorbild. Tatsächlich erreichte man etwas mehr als den Faktor fünfzehn. Die realisierte Bombe (Bilder) hatte die Abmessungen eines großen Wohnzimmerschranks; sie war mehr als zwei Meter hoch, drei Meter breit und fast einen Meter tief, bei einem Gewicht von rund 2500 Kilogramm.[6]
Ab April 1943 wurden mehr als 120 Stück dieser Desch-Bombes produziert und die Entzifferung des U-Boot-Funkverkehrs gelang erneut.[7][8] Zu dieser Zeit umfasste die von Desch geleitete Gruppe des NCML etwa dreißig zivile Mitarbeiter. Dazu kamen hunderte WAVES (Women Accepted for Volunteer Emergency Service), also Frauen, die zum freiwilligen Notdienst bei der US Navy angenommen worden waren. Sie waren etwa einen Kilometer südlich von Building 26 im sogenannten Sugar Camp (deutsch „Zuckerlager“) untergebracht, einem in einem Ahornwald idyllisch gelegenen etwa zwölf Hektar großen Wohnkomplex (39° 44′ N, 84° 11′ W ) mit sechzig komfortabel eingerichteten Blockhütten (englisch cabins).[9] Ferner arbeiteten weitere etwa Tausend zivile NCR-Angestellte an der Fertigung der Bombes.[10] Hunderte von männlichen Marinesoldaten bewachten die Einrichtung und ihre Geheimnisse und sorgten für die Sicherheit des Personals.
Unmittelbare Folge der amerikanischen Entzifferungen war, beginnend mit U 463 am 16. Mai 1943, einem U-Tanker vom Typ XIV („Milchkuh“), bis U 220 am 28. November 1943, einem zur Versorgung eingesetzten Minenleger vom Typ XB,[11] die Versenkung von elf der achtzehn deutschen Versorgungs-U-Boote innerhalb weniger Monate im Jahr 1943.[12] Dies führte zu einer Schwächung aller Atlantik-U-Boote, die nun nicht mehr auf See versorgt werden konnten, sondern dazu die lange und gefährliche Heimreise durch die Biskaya zu den U-Boot-Stützpunkten an der französischen Westküste antreten mussten.
Späte Würdigung
Im Oktober 2001, beim zweiten Treffen der Veteranen des U.S. Naval Computing Machine Laboratory in Dayton, wurden die ehemaligen Mitarbeiter des Building 26 für ihre herausragenden elektrotechnischen Leistungen, die „…den Verlauf des Zweiten Weltkriegs maßgeblich beeinflusst haben“ (englisch …significantly influenced the course of World War II), mit dem renommierten IEEE-Milestone ausgezeichnet.[13][14]
Gegen den Protest vieler Angehöriger und Anwohner wurde das altehrwürdige Gebäude 26 schließlich im Januar 2008 abgerissen.[15][16]
Literatur
- Jim DeBrosse und Colin Burke: The Secret in Building 26 – The Untold Story of How America Broke the Final U-boat Enigma Code. Random House, New York 2005, ISBN 0375508074.
- Chris Christensen: US Navy Cryptologic Mathematicians during World War II. Cryptologia, 35:3, S. 267–276, 2011. doi:10.1080/01611194.2011.558609
- Chris Christensen: The National Cash Register Company Additive Recovery Machine. Cryptologia, 38:2, S. 152–177, 2014. doi:10.1080/01611194.2013.797050
- David Kahn: Seizing the Enigma – The Race to Break the German U-Boat Codes, 1939–1943. Naval Institute Press, Annapolis, MD, USA, 2012. ISBN 978-1-59114-807-4.
Weblinks
- Gruppenfoto (ca. 1945) von Mitarbeitern des NCML. In der vorderen Reihe links steht Joe Desch. Abgerufen am 16. Mai 2018.
- Foto (2007) Deborah Anderson, Tochter von Joe Desch, vor Building 26, das kurz darauf abgerissen wurde. Abgerufen am 16. Mai 2018.
- Dayton Codebreakers Homepage (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- US Naval Computing Machine Laboratory, 1942–1945 (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
Einzelnachweise
- John A. N. Lee, Colin Burke, Deborah Anderson: The US Bombes, NCR, Joseph Desch, and 600 WAVES – The first Reunion of the US Naval Computing Machine Laboratory. IEEE Annals of the History of Computing, 2000. S. 35. PDF; 0,5 MB, abgerufen am 16. Mai 2018.
- Impact Of Bombe On The War Effort, abgerufen am 16. Mai 2018.
- Hugh Sebag-Montefiore: Enigma – The battle for the code. Cassell Military Paperbacks, London 2004, S. 136. ISBN 0-304-36662-5.
- Hugh Sebag-Montefiore: Enigma – The battle for the code. Cassell Military Paperbacks, London 2004, S. 149 ff. ISBN 0-304-36662-5.
- Hugh Sebag-Montefiore: Enigma – The battle for the code. Cassell Military Paperbacks, London 2004, S. 311. ISBN 0-304-36662-5.
- David Kahn: Seizing the Enigma – The Race to Break the German U-Boat Codes, 1939–1943. Naval Institute Press, Annapolis, MD, USA, 2012, S. 280. ISBN 978-1-59114-807-4
- Jennifer Wilcox: Solving the Enigma – History of the Cryptanalytic Bombe. Center for Cryptologic History, NSA, Fort Meade (USA) 2001, S. 52. PDF; 0,6 MB (Memento vom 15. Januar 2009 im Internet Archive)
- John A. N. Lee, Colin Burke, Deborah Anderson: The US Bombes, NCR, Joseph Desch, and 600 WAVES – The first Reunion of the US Naval Computing Machine Laboratory. IEEE Annals of the History of Computing, 2000, S. 27 ff.
- Keeping the Secret – The Waves & NCR Sugar Camp / Building Twenty-Six (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- The Story in Brief (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- Erich Gröner: Die deutschen Kriegsschiffe 1815–1945;- Band 3: U-Boote, Hilfskreuzer, Minenschiffe, Netzleger, Sperrbrecher. Bernard & Graefe, Koblenz 1985, ISBN 3-7637-4802-4, S. 118f
- Laut Hans Herlin: Verdammter Atlantik – Schicksale deutscher U-Boot-Fahrer. Heyne, München 1985, S. 282–288, ISBN 3-453-00173-7, gingen von Mai bis Oktober 1943 die folgenden Boote vom Typ XB (4 von 8) beziehungsweise Typ XIV (7 von 10) verloren:
01) am 15. Mai; jedoch lt. Wikipedia am 16. Mai U 463 (Typ XIV),
02) am 12. Juni U 118 (Typ XB),
03) am 24. Juni U 119 (Typ XB),
04) am 13. Juli U 487 (Typ XIV),
05) am 24. Juli U 459 (Typ XIV),
06) am 30. Juli U 461 (Typ XIV),
07) am 30. Juli U 462 (Typ XIV),
08) am 04. Aug. U 489 (Typ XIV),
09) am 07. Aug. U 117 (Typ XB),
10) am 04. Okt. U 460 (Typ XIV),
11) am 12. Okt.; jedoch lt. Wikipedia am 28. Nov. U 220 (Typ XB).
In Summe also 11 der 18 zur Versorgung eingesetzten U-Boote. - Milestone in Engineering IEEE-Milestone als Auszeichnung für die Mitarbeiter des Building 26 (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- Milestones: List of IEEE Milestones (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- War Over a Building That Helped Win One The New York Times vom 1. April 2007 (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.
- Demolition of Building 26 (englisch), abgerufen am 16. Mai 2018.