Tatjana Festerling
Tatjana Festerling (* 6. März 1964 in Wuppertal als Tatjana Schimanski) ist eine deutsche politische Aktivistin. Neben Lutz Bachmann war sie nach dem Rückzug von Kathrin Oertel von Februar 2015 bis Mitte April 2016 eine führende Person bei den Dresdner Pegida-Demonstrationen. In ideologischer Hinsicht wird sie meist im Rechtspopulismus verortet.
Leben
Festerling besuchte bis 1984 das Fichte-Gymnasium in Hagen. Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst eine kaufmännische Ausbildung bei einer ortsansässigen Kaufhauskette, ehe sie sich 1987 an der Universität Hamburg für Betriebswirtschaftslehre und Philosophie einschrieb. Sie arbeitete ab 1994 als Redakteurin, unter anderem für den Heinrich Bauer Verlag und die Deutsche Spar.[1] Daneben gründete sie 1997 eine Werbeagentur,[2] in welcher sie bis April 2007 tätig war. Zuletzt war sie bis 2010 als Pressesprecherin für die Metronom Eisenbahngesellschaft tätig.[3] Sie hat eigenen Angaben zufolge eine Coaching- und eine Yoga-Ausbildung.[4]
Festerling ist Mutter zweier erwachsener Kinder.
Politik
Festerling war Mitgründerin des Hamburger Landesverbands der Alternative für Deutschland und kandidierte für die AfD als Bezirksverordnete.[4] Innerhalb der AfD war sie unter anderem Mitglied der in Sachsen gegründeten Patriotischen Plattform und stellvertretende Marketing-Verantwortliche des Landesverbandes.[5] Die Formel „Mut zur Wahrheit“ als mittlerweile bundesweite Losung der AfD auf Flyern und Plakaten soll, laut Die Welt-Journalist Alan Posener von Festerling erfunden worden sein.[6] Nachdem sie am 26. Oktober 2014 an einer von massiven gewalttätigen Ausschreitungen gegen die zahlenmäßig deutlich unterlegene Polizei überschatteten Demonstration der Hooligans gegen Salafisten in Köln teilgenommen und sich später trotz der gezielten Angriffe auf Journalisten, Passanten und Polizisten lobend über die Hooligans geäußert hatte, kam sie infolge der harschen öffentlichen Kritik und Distanzierung ihrer Parteikollegen dem drohenden Ausschluss aus der AfD mit einem Austritt zuvor. Sie schloss sich kurz darauf der außerparlamentarischen Pegida-Bewegung an, wo sie bereits Ende Februar als neues Mitglied aufgenommen und als Nachfolgerin für die zurückgetretene Pressesprecherin Kathrin Oertel in das „Organisationskomitee“ (eine Art erweiterter Vorstand) gewählt wurde.
Am Ostermontag 2015 wurde ihre Kandidatur bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden Anfang Juni von Bachmann während einer Pegida-Veranstaltung offiziell bekannt gegeben. Nur einen Tag später trat der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Pegida-Sektion von seinem Amt zurück, da ihm Frau Festerling „zu radikal“ sei und er sich nicht mit der erfolgten Annäherung der Bewegung an den von Marine Le Pen, Geert Wilders oder Ignaz Bearth (Pegida Schweiz) vertretenen Rechtsextremismus „identifizieren“ könne.[7] Eine Woche später, am 13. April, trat sie gemeinsam mit dem niederländischen Islamfeind und Rechtspopulisten Wilders bei einer Pegida-Demonstration in Dresden auf. Bei der Oberbürgermeisterwahl erhielt sie 9,6 % der Stimmen im ersten Wahlgang, zum zweiten Wahlgang vier Wochen später trat sie nicht mehr an.[8]
Nachdem es bereits Mitte April 2016 zum Zerwürfnis zwischen Festerling und Lutz Bachmann gekommen und sie nicht mehr bei Pegida-Demonstrationen als Rednerin aufgetreten war, wurde im Juni 2016 bekannt, dass sie aus dem Bündnis ausgeschlossen wurde.[9]
Festerling konzentriert sich seit ihrer Abkehr von Pegida Mitte April auf die zu Jahresbeginn 2016 in Prag gegründete, länderübergreifende Bewegung Festung Europa und hatte hierzu bereits mehrere Auftritte im Ausland und am Pfingstmontag (16. Mai) 2016 auch eine Kundgebung in Dresden. Außerdem orientiere sie sich „stärker an der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung und den neurechten Ideologien um Götz Kubitschek“[10] und suche Anschluss an den Leipziger Ableger Legida, welcher vom sächsischen Verfassungsschutz als „entschlossener und viel radikaler“ als Pegida eingestuft wird.[11] Sie sprach auf dem ebenfalls vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachteten Münchener Pegida-Ableger.[12]
An der südlichen Grenze Bulgariens hat Festerling mit der nationalistischen Bürgerwehr Wassil Lewski in Militärkleidung patrouilliert, um Flüchtlinge aufzuspüren und der Grenzpolizei zu übergeben.[13] Sie sieht in diesen Flüchtlingen „eiskalt berechnende Krieger des Islam, die aus verrohten Kulturen kommen und die mit unserer freien, dekadenten Lebensweise nicht das Geringste zu tun haben wollen, sondern sie zutiefst verachten und bekämpfen“.[14] Die Bürgerwehr soll dem demokratischen System Bulgariens feindlich gegenüberstehen.[14] Im Juli 2016 rief Festerling in Tarnkleidung auf einer Kundgebung in Leipzig dazu auf, dass junge Männer an Europas Außengrenzen gehen sollen, um diese dort gegen Flüchtlinge zu verteidigen.[15] Im August 2017 postete sie ein Video auf ihrem Youtubekanal, auf dem sie „taktische Trainings in Bulgarien mit den dortigen Militärveteranen“ anbot.[16]
Äußerungen und Rezeption
Festerling polemisiert nicht nur gegen Flüchtlinge und Migranten („Männer, die ihre Familie und Heimat im Stich lassen, weil es hier ‚Schöner Wohnen‘ und ordentlich Knete vom Staat gibt“), sondern vor allem auch gegen die europaweit geltende Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik („verkrachte Gender-Tanten, die mit ihrem überzogenen Sexualscheiß unsere Kinder traumatisieren wollen“) und gegen die sexuelle Selbstbestimmung („Der Terror der schwulen, lesbischen, queeren sexuellen Minderheit – willkommen in der Freiluftpsychiatrie Deutschland!“). Sie sieht in Dresden die „heimliche Hauptstadt Deutschlands als politisches, wissenschaftliches und kulturelles Zentrum“ nach der Wende[17] und forderte bereits Anfang März bei einem ihrer ersten Auftritte als neue Sprecherin der Pegida, eine „neue Mauer“ hochzuziehen („Aber dieses Mal so richtig hoch!“) zwischen den „linken Gutmenschen“ im Westen und ihrer „Gesinnungsdiktatur“ mit „gendergerechten Enthauptungen“ und „Kondomabrollwettbewerben in den Kitas“, ihrem „Grünen Reich ohne Schweinefleisch und mit Vollverschleierung“ und den „guten Deutschen“ im Osten, wo es so „geborgen und vertrauensvoll“ zugeht, Frauen und Männer ihre natürlichen Rollen und „ein gesundes Maß an Patriotismus pflegen und sich selbstbewusst auf die konservativen Werte besinnen, den Erhalt des Eigenen“.[18] Die Regierenden aus Berlin werden in Festerlings Reden ob ihrer Haltung in der Asyl- und Einwanderungspolitik pauschal als „Volksverräter“, „Deutschlandvernichter“ oder „Berliner Diktatoren“ bezeichnet. Angela Merkel ist für Festerling wahlweise „die gefährlichste Frau Europas“, die „kinderlose Frau mit den herabhängenden Lefzen“, womöglich eine „Trojanerin“ oder „das U-Boot an der Spitze des Landes“, gesteuert aus den USA.[19]
Am 28. September 2015 rief sie unter anderem die Angehörigen von Bundeswehr und Polizei zum Streik auf.[20] Auf der Pegida-Demonstration am 12. Oktober 2015 forderte sie vor fast 9000 Anhängern den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik Deutschland.[21] Anlässlich der Pegida-Demonstration am 9. November 2015 äußerte sich Festerling bei einer öffentlichen Ansprache wie folgt: „Wir erklären hier und heute, am 9. November 2015, den Schuldkomplex aus zwölf Jahren Naziherrschaft für beendet.“ Regierung und „links versiffte Schundblätter“ könnten sich ihre „Hitlereien“ an den Hut stecken. „Lasst uns mit eurem Schuldkult für die Vergangenheit, für die keiner von uns hier die Verantwortung trägt, endlich in Ruhe!“ Die Menge antwortete mit „Volksverräter“, „Widerstand“ und „Lügenpresse“.[22]
In ihrem Redebeitrag am 21. Dezember 2015 verkündete Festerling, dass bei der von ihr geforderten „Verteidigung der Heimat“ „selbstverständlich auch mit Methoden“ vorgegangen werden dürfe, „die der weichgespülte, moralisierte Mainstream für nicht anständig hält. Scheiß auf diesen Anstand, der uns durch den Tugendterror der Linken und Grünen und den Duckmäusern und Sozialisten in den Medien in Dauerschleife vorgekaut wird!“ Heimatverteidigung müsse „auch konkret stattfinden“ und könne „nicht immer gemütlich bleiben“.[23]
Zudem schreibt Festerling regelmäßig auf verschiedenen Plattformen im Netz als Autorin, darunter auch auf dem Blog Politically Incorrect. Am 10. August 2015 wurde sie vom sozialen Netzwerk Facebook wegen wiederholter fremdenfeindlicher und rassistischer Kommentare für sieben Tage gesperrt, die bemängelten Beiträge wurden allerdings von den Facebook-Administratoren nicht gelöscht.[24] Gegen Festerling wurden im November 2015 von der Staatsanwaltschaft Dresden Ermittlungen wegen Verleumdung, Volksverhetzung und wegen des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten geprüft bzw. eingeleitet.[25] Ende Mai 2016 teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit, dass kein Verfahren eingeleitet worden sei.[26]
Der Deutsche Journalistenverband erstattete im Januar 2016 ebenfalls Anzeige wegen Volksverhetzung gegen Festerling im Zusammenhang mit einer Rede vom 11. Januar 2016 in Leipzig, in der sie forderte, „die volksverhetzenden Eliten mit Mistgabeln aus den Parlamenten, den Gerichten, den Kirchen und den Pressehäusern zu prügeln.“ Eine Woche später bezeichnete sie in ihrer Rede auf der Dresdener Montagsdemo die aktuellen Regierungsparteien als „Nazis von heute“. Die Polizei gab diese Aussage an die zuständige Dresdener Staatsanwaltschaft zur Überprüfung.[27] Das Verfahren wurde eingestellt.[28]
Strafbefehl wegen Volksverhetzung
Im Oktober 2017 erließ das Amtsgericht Dresden einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung und Beleidigung in insgesamt drei Fällen, zweimal wegen Volksverhetzung, einmal wegen Beleidigung.[29] Festerling hatte u. a. geäußert: „Die muslimischen Wurfmaschinen gebären auf Teufel komm raus“ und mit Bezug auf Migranten getwittert: „Schießen! Draufhalten, was sonst?“[30] Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von insgesamt 3.073,50 Euro (Verfahrensgebühr eingerechnet).[31] Im März 2018 machte Festerling jedoch öffentlich, dass sie die verhängten Strafgelder (120 Tagessätze zu je 25 Euro) nicht bezahlt habe, nicht zahlen wolle und nicht zahlen könne, worauf eine Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet worden und sie von der Staatsanwaltschaft Dresden zum Haftantritt im Frauengefängnis Chemnitz aufgefordert worden sei.[32] Sie bat ihre Anhänger um Zahlungen an die Landesjustizkasse, um ihr eine Inhaftierung zu ersparen.[33] Festerling bezeichnete sich als ein „Opfer politischer Verfolgung“.[34] Die Spendenaktion verlief erfolgreich, Festerling schrieb auf Facebook, dass sie nun doch nicht ins Gefängnis müsse.[35]
Weblinks
Einzelnachweise
- Neue Pegida-Frontfrau stammt aus Hagen. In: WAZ, 14. April 2015.
- Agentur Bootsmann, abgerufen am 15. Oktober 2015.
- Thomas Mitzlaff: Von Uelzen zu Pegida. In: Allgemeine Zeitung, 8. April 2015.
- Christina Hebel: Zu rechts für die AfD - für Pegida gerade recht. In: Spiegel Online, 14. April 2015.
- Steven Geyer: Pegida stellt OB-Kandidatin für Dresden auf. In: Frankfurter Rundschau, 24. März 2015.
- Alan Posener: Lady Rechts. In: Die Welt, 19. April 2015.
- PEGIDA-Chef schmeißt wegen Festerling hin! (Memento vom 17. Oktober 2015 im Internet Archive) In: Morgenpost, 8. August 2015.
- Landeshauptstadt Dresden: Oberbürgermeisterwahl Dresden 2015 - Erster Wahlgang am 07. Juni 2015, Landeshauptstadt Dresden: Oberbürgermeisterwahl Dresden 2015 - Zweiter Wahlgang am 05. Juli 2015
- Bruch zwischen Pegida und Festerling. In: Sächsische Zeitung, 14. Juni 2016.
- Offener Streit bei Pegida: Zwischen Bachmann und Festerling fliegen die Fetzen In: Dresdner Neueste Nachrichten, 16. Juni 2016.
- Legida entschlossener und viel radikaler In: Die Welt, 21. Januar 2015.
- Katja Thorwarth: Tatjana F. hat ihr Wutreich verloren. In: Frankfurter Rundschau. 3. August 2016, abgerufen am 4. August 2016.
- Christian Jakob: Auf Flüchtlingsjagd. In: die tageszeitung. 8. April 2016, abgerufen am 4. August 2016.
- Stefan Locke: Ehemalige Pegida-Frontfrau verfolgt Flüchtlinge. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2016.
- Matthias Meisner: Ausreiseverbot für niederländischen Pegida-Anführer? In: Der Tagesspiegel. Abgerufen am 4. August 2016.
- Stelldichein für Neonazis. In: jungle.world. (jungle.world [abgerufen am 12. Februar 2018]).
- http://www.tatjanafesterling.de
- Lenz Jacobsen: Pegida gefällt sich hinter Mauern. In: Die Zeit, 10. März 2015.
- Tino Moritz, Oliver Hach: Ein Jahr Pegida: Dämmerung der Demokratie. In: Freie Presse, 14. Oktober 2015.
- Festerling ruft Helfer, Polizei und Bundeswehr zum Streik auf. (Memento vom 24. November 2015 im Internet Archive) In: Morgenpost, 29. September 2015.
- Bachmann nennt Galgen "Übertreibung der Lügenpresse" In: Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2015.
- Stefan Locke: „Lasst uns mit eurem Schuldkult in Ruhe“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. November 2015.
- Tatjana Festerling. In: www.tatjanafesterling.de. Abgerufen am 25. Dezember 2015.
- Facebook sperrt Tatjana Festerlings Seite. In: Süddeutsche Zeitung, 10. August 2015.
- Ermittlungen gegen Pegida-Frontfrau Festerling. In: Spiegel Online, 11. November 2015.
- Pegida-Frontfrau entgeht Verfahren wegen Volksverhetzung. In: RP Online, 29. Mai 2016.
- Das Nazi-Phantasma von Dresden In: die tageszeitung, 19. Januar 2016.
- Justiz stellt Ermittlungen gegen Tatjana Festerling ein. Abgerufen am 26. Oktober 2017.
- sz-online: Festerling soll Haft antreten. In: SZ-Online. (saechsische.de [abgerufen am 29. März 2018]).
- Tatjana Festerling: Ehemalige Pegida-Frontfrau soll 120 Tage Haft antreten. In: FAZ.NET. 29. März 2018, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 29. März 2018]).
- sz-online: Festerling soll Haft antreten. In: SZ-Online. (saechsische.de [abgerufen am 29. März 2018]).
- DIE WELT: Volksverhetzung: Ex-Pegida-Frontfrau Festerling soll in Haft. In: DIE WELT. 29. März 2018 (welt.de [abgerufen am 29. März 2018]).
- DIE WELT: Volksverhetzung: Ex-Pegida-Frontfrau Festerling soll in Haft. In: DIE WELT. 29. März 2018 (welt.de [abgerufen am 29. März 2018]).
- Geldstrafe nicht gezahlt: Ehemalige Pegida-Frontfrau soll ins Gefängnis. In: Spiegel Online. 29. März 2018 (spiegel.de [abgerufen am 29. März 2018]).
- sz-online: Festerling muss nicht ins Gefängnis. In: SZ-Online. (archive.org [abgerufen am 9. April 2018]).