Schlüterstraße 45 (Berlin)
Das Gebäude Schlüterstraße 45 im Berliner Ortsteil Charlottenburg wurde 1911/1912 als Mehrfamilienwohnhaus von der Bauunternehmung Boswau & Knauer für den Repräsentanten der Hypothekenabteilung der Stuttgarter Lebensversicherungsbank AG Robert Leibbrand erbaut.[1] Es ist ein gelistetes Baudenkmal.[2]
Geschichte
Ab 1921 ist der Kaufmann Max Nedim als Eigentümer angegeben, der dort auch wohnte,[3] jedoch ab 1922 mit Wohnort Konstantinopel angegeben wird. Ab 1932 wird als Besitzer „B. Libermann (Ausland)“ angegeben,[4] ab 1939 ist kein Eigentümer mehr verzeichnet, sondern dieser als „ungenannt“ angegeben.[5]
Das Haus wurde 1942 enteignet und in ein Geschäftshaus umgewandelt, in dem aber auch noch reguläre Bewohner verzeichnet sind. Nach der Arisierung zog die Reichskulturkammer mit ihrem Leiter Hans Hinkel ein.[6]
Da die Akten der Reichskulturkammer auch nach dem Kriegsende hier erhalten geblieben waren, richtete die britische Besatzungsbehörde in der dritten Etage eine Entnazifizierungseinrichtung ein, bei der Künstler wie Gustaf Gründgens, Wilhelm Furtwängler und Heinz Rühmann erscheinen mussten. Nach 1945 bildete sich hier die Kammer der Kulturschaffenden, die im Juli 1945 die erste Kunstausstellung nach dem Krieg organisierte, sowie der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Ab 1958 hieß er Deutscher Kulturbund und von 1974 bis zu seiner Auflösung im Jahr 1990 Kulturbund der DDR.
Oskar Skaller
Oskar Skaller, der im Berliner Adressbuch von 1919 bis 1932 in der Schlüterstraße verzeichnet ist, war Unternehmer im Bereich des Sanitätsbedarf und Herstellung und Vertrieb von Verbandstoffen, chirurgischen Instrumenten, Krankenmöbeln und Arzneimitteln. Neben der Oskar Skaller AG[7] war er auch an der M. Pech AG[8] beteiligt, einem Sanitätshaus, das bis in die 2000er Jahre existierte. Er hatte bedeutende Sammlungen persischer Keramik und impressionistischer Gemälde, u. a. von Vincent van Gogh. Es existierte von ihm ein Porträt aus dem Jahr 1924 von Max Liebermann, das jedoch seit der Beschlagnahme und Versteigerung 1942 verschollen ist.[9]
Im Erdgeschoss trafen sich bei der Familie Oskar Skaller Künstler und Politiker. Auf einem der Feste soll der junge Klarinettist Benny Goodman aufgetreten sein.
Yva
In seiner Zeit als Wohnhaus beherbergte es unter anderem die Fotografin Yva (eigentlich: Else Ernestine Neuländer-Simon), die die Lehrmeisterin von Helmut Newton und Bill Godwin war.[5] Das Atelier und die Wohnung, die sie mit ihrem Ehemann Alfred Simon bewohnte, befand sich in der vierten und fünften Etage. Auf der Treppe zwischen den Etagen und auf dem Dachgarten entstanden viele ihrer berühmten Modefotos. Zeitweise beschäftigte Yva in ihrem Studio bis zu zehn Angestellte. Helmut Newton arbeitete ab 1936 zunächst als Lehrling bei ihr, später als Assistent. Heute erinnert in der vierten Etage des Hauses eine kleine Ausstellung an sie. Auf Grund der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 musste sie ihr Atelier schließen und die gemeinsame Wohnung aufgeben. Am 1. Juni 1942 wurde sie und ihr Mann von der Gestapo verhaftet und am 13. Juni mit dem „15. Osttransport“ in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Ein Teil der Deportierten kam in das nahe gelegene KZ Majdanek. Da für diesen Transport keine Transportlisten existieren, ist das genaue Schicksal von Else und Alfred Simon unbekannt. Es ist anzunehmen, dass beide kurz nach der Ankunft ermordet wurden. Offiziell wurden sie am 31. Dezember 1944 für tot erklärt.[10]
Hotel Bogota
Bereits im Jahr 1940 verzeichnet das Berliner Adressbuch ein Fremdenheim, betrieben von Frau L. Werner, die bereits vorher als Bewohnerin eingetragen ist.[11]
Nach der Rückübertragung an die Erben des enteigneten Besitzers verkauften diese das Gebäude an den DGB, der es als Bildungsstätte betrieb. Nach nochmaligem Verkauf und Umbau des Hauses wurden 1964 vier Hotels, in der ersten Etage die Pension Jahn, in der zweiten der Rheinische Hof und in der dritten der Bergische Hof, in dem Gebäude begründet, von denen das Hotel Bogota die ehemaligen Atelierräume von Yva im vierten und fünften Geschoss umfasste. Das Hotel erhielt seinen Namen von Heinz Rewald, der in den 1930er Jahren nach Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung emigriert war.[12] Bei seiner Rückkehr brachte er einige Möbel und Dekorationsgegenstände mit, die er zur Ausstattung des Hotels benutzte. Im Laufe der Jahre übernahm Rewald die anderen Pensionen, sodass sich das Hotel Bogota schließlich über das ganze Haus erstreckte und inzwischen 115 Zimmer hatte.
Im Jahr 1976 übernahm die Familie Rissmann das Hotel, das zuletzt von Joachim Rissmann geführt wurde. Er hat sich intensiv mit der Geschichte des Hauses auseinandergesetzt und sie dokumentiert. Daher entwickelte er das Haus in Anknüpfung an dessen von Yva begründete Tradition zu einem Haus der Fotografie, in dem seit Ende 2004 an einem „Photoplatz“ in wechselnden Ausstellungen Fotografien gezeigt werden. Helmut Newton besuchte 2002 das ehemalige Atelier von Yva, das heute von der Familie Rissmann als Wohnung benutzt wird, und bemerkte: „Nichts hatte sich verändert, selbst der Kronleuchter hing noch an der Decke“.[13]
2005 wurde das Haus von Thomas Bscher gekauft.[14] 2006 übernahm Joachim Rissmann die Führung des Hotels.[15]
Die Berliner Fotografin Karen Stuke übernachtete von November 2012 bis Dezember 2013 im Hotel Bogota in 43 Zimmern und fertigte dort jeweils Bilder mit der Camera obscura, deren Belichtungszeit der Dauer ihres Schlafes entsprach.[16]
Im Mai 2013 wurde der Mietvertrag wegen Mietschulden gekündigt.[17] Dagegen haben eine Reihe bekannter Künstler unter dem Motto „Bogota darf nicht sterben!“ protestiert,[18] darunter Hanna Schygulla, Eva Mattes, Ulrich Matthes, Lars Eidinger, Martin Parr und Ilja Richter, der 2013 den Film Hotel Bogota: Eine einmalige Geschichte drehte.[19] Der Fotograf Rainer Strzolka arbeitet 2013 an einer Gesamtdokumentation der Räumlichkeiten. Das Hotel schloss endgültig zum 30. November 2013. Am 1. Dezember fand dort ein Tag der offenen Tür zum Abschied statt, bei dem auch Einrichtungsteile verkauft wurden. Danach wurde das Interieur versteigert, um einen Teil der aufgelaufenen Mietschulden begleichen zu können.[20]
Im Keller befand sich das Büro des 1989 verstorbenen Architekten Eckart Muthesius, dessen Einrichtung von den Nachfolgern weiterbenutzt wird.
Aktuelle Nutzung
Nach einer umfangreichen Sanierung in den Jahren 2014 und 2015 wird das Gebäude seit 2016 als Büro- und Geschäftshaus genutzt. Prominenter Mieter war unter anderem der Designer Wolfgang Joop mit neuem Firmensitz und einem Atelier für die Modemarke Wunderkind in der ehemaligen Wohnung von Yva in der vierten und fünften Etage. Die Firma Wunderkind ist inzwischen ausgezogen. Die ehemalige Wohnung von Yva wird nunmehr von einer Rechtsanwaltskanzlei genutzt. Im Erdgeschoss befindet sich seit Oktober 2018 der Concept Store The Corner Berlin sowie eine Niederlassung des französischen Süßwaren-Herstellers Maison Ladurée.[21]
Weblinks
- Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
- Hotel Bogota. In: Bezirkslexikon auf berlin.de. Abgerufen am 2. Juni 2013.
- Hotel Bogota mit „Photoplatz“
Einzelnachweise
- Schlüterstraße 45. In: Berliner Adreßbuch, 1912, Teil 3, S. 765.
- LDL Mietshaus Schlüterstraße 45 abgerufen am 2. Juni 2013
- Schlüterstraße 45. In: Berliner Adreßbuch, 1921, Teil 3, S. 759.
- Schlüterstraße 45. In: Berliner Adreßbuch, 1932, Teil 4, S. 1176.
- Schlüterstraße 45. In: Berliner Adreßbuch, 1939, Teil 4, S. 1164.
- Ständische Gliederung, Wirtschafts- und Berufsvertretungen. In: Berliner Adreßbuch, 1943, Teil 3, S. 75.
- Oskar Skaller AG Freunde Historische Wertpapiere
- M. Pech AG für den sanitären Bedarf Freunde Historische Wertpapiere
- Bildnis Oskar Skaller Lost Art Koordinierungsstelle Magdeburg
- Stolpersteine Schlüterstr. 45. Bezirkslexikon auf berlin.de; abgerufen am 3. Juni 2013
- Schlüterstraße 45. In: Berliner Adreßbuch, 1940, Teil 4, S. 1154.
- Andreas Wenderoth: Der Reiz der kleinen Risse. (Memento vom 3. September 2013 im Internet Archive) (PDF; 663 kB) In: Die Zeit, Nr. 30/2013, S. 55
- Susanne Kippenberger: Schlüterstraße 45. In: Der Tagesspiegel. 5. Juli 2003, abgerufen am 2. Juni 2013.
- Die Zeit, 13. Juli 2013, S. 55.
- Die Zeit, 13. Juli 2013, S. 55.
- Kommunale Galerie. Ausstellungen.Hotel Bogota. Abgerufen am 18. November 2021.
- Andreas Conrad: Hotel Bogota wird demnächst 50. Jetzt hat der Vermieter gekündigt. In: Der Tagesspiegel. 4. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
- Susanne Kippenberger: Bogota darf nicht sterben! In: Der Tagesspiegel. 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
- Hotel Bogota: Eine einmalige Geschichte - Datensatz der IMDB
- Hiltrud Bontrup: Berliner Hotel Bogota: Ende Legende. In: Spiegel Online. 15. November 2013, abgerufen am 15. November 2013.
- Shop-in-Shops: The Corner und Ladurée eröffnen Concept-Store in Berlin. Abgerufen am 3. Januar 2019 (englisch).