Robert von Hirsch
Robert Max Hirsch, ab 1913 von Hirsch (geboren am 13. Juli 1883 in Frankfurt am Main, Deutschland; gestorben am 1. November 1977 in Basel, Schweiz) war ein deutsch-schweizerischer Lederfabrikant und Mäzen. Er war ein typisches Beispiel der kunstsinnigen Industriellen der 1920er und 1930er Jahre.[1]
Leben
Hirsch entstammte dem assimilierten jüdischen Großbürgertum Frankfurts und war der Sohn des Ferdinand Hirsch (1843–1916), der dort im Jahr 1867 eine Eisengroßhandlung gegründet hatte, und der Anna Mayer. Er hatte zwei ältere Brüder Paul und Karl. Im Jahr 1898 trat Hirsch in die am 15. Juli 1857 in Offenbach am Main gegründete Lederfabrik Mayer & Feistmann (später J. Mayer & Sohn) in der Luisenstraße, die seinem Onkel, dem Kommerzienrats Ludo Mayer (1845–1917), gehörte und wurde dort 1906 zum Teilhaber.[2] Eine Begegnung mit Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zur Einweihung eines Firmengebäudes in Offenbach führte 1913 zur Erhebung Hirschs in den großherzoglich hessischen Adelsstand, eine Ehre, die ursprünglich für Ludo Mayer gedacht war. Nach seines Onkels Tod im Jahr 1917 führte er die Firma allein fort.[3][4]
Als Frankfurter diente Hirsch im Ersten Weltkrieg als königlich preußischer Leutnant der Landwehr-Kavallerie.
Hirsch bildete sich neben seiner Unternehmertätigkeit als Autodidakt zum Kunstexperten aus und begann im Alter von nur 24 Jahren (1907) eine Kunstsammlung aufzubauen,[5] die er vor allem in den Jahren 1920 bis 1933 mit Hilfe von Städeldirektor Georg Swarzenski erheblich ausbaute. Den Schwerpunkt seine Sammlung legte er auf die Kunst des Mittelalters und der Renaissance. Doch kaufte er auch historische Möbel, Gebrauchsgegenstände, Teppiche und Tapisserien sowie Kunstwerke de 20. Jahrhunderts. Frühzeitig wurde er zum Administrator des Frankfurter Städel ernannt und gehörte damit einem Kreis junger Kunstsammler an, die dem Museum bedeutende Kunstwerke stifteten. Die bekannteste Stiftung Hirschs war das Gemälde Blumen und Keramik (fleurs et ceramique, 1913) von Henri Matisse.
Im Jahr 1927 gab Hirsch bei dem Architekten Anton Eyssen eine Villa im Frankfurter Westend in Auftrag; das Gebäude in der Friedrichstraße 64 wurde nach 83 Jahren im Juni 2010 abgerissen. 1933 emigrierte er nach Basel in die Schweiz, wo seine Firma bereits eine Filiale betrieb. Es gelang ihm, seine Kunstsammlung mitzunehmen und im Exil sogar weiter auszubauen. Das Recht zur Ausfuhr seiner Sammlung hatte er sich zuvor mit Lucas Cranachs Meisterwerk Urteil des Paris als Geschenk an Hermann Göring erkauft. Er war auch dem Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt im April 1939 bei dessen Flucht nach Basel behilflich.
1940 wurde Hirsch Schweizer Staatsbürger und heiratete 1945 die Bildhauerin Martha Dreyfus-Koch (1892–1965), eine Jugendbekanntschaft und Tochter des Frankfurter Juweliers Louis Koch. Das Paar wohnte in einer 1888 im Louis-XIII-Stil erbauten Villa inmitten einer großen Gartenanlage an der Engelgasse, in der sich in Petersburger Hängung auch seine Sammlung vor allem der Kunst des Mittelalters und der Renaissance befand. Bereits zu dieser Zeit schenkte er aus Dankbarkeit Basler Museen wichtige Werke seiner Sammlung[6]. 1955 wurde er zum Ehrendoktor der Universität Basel ernannt. Hirsch war der Ansicht, dass öffentlicher Museen nur kanonisierte Kunst zu sammeln hätten. Die Ankaufspolitik der Museen der Stadt Basel unter ihren Direktoren Arnold Rüdlinger und Franz Meyer, die zeitgenössische, noch nicht durchgesetzte, amerikanisch Kunst bevorzugten, führten zum Dissens und brachten den kinderlosen Hirsch von seinem Plan ab, nach seinem Tod die Sammlung vollständig der Stadt Basel zu stiften. Er verfügte testamentarisch, dass seine Sammlung aufgelöst, einige Werke an Museen gehen, der Großteil jedoch versteigert werden solle. Das geschah an acht Auktionstagen im Juni 1978 bei Sotheby’s in London.[7] Im Frühjahr 1978 wurden die Werke noch einmal im Städel und im Kunsthaus Zürich gezeigt, das Spektrum reichte von Goldgrundgemälden über Kunstgewerbe und Möbel des Mittelalters bis zu Werken des Impressionismus. Sie brachte 18,4 Millionen Pfund (damals 78 Millionen DM) ein. Mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland und unter Koordination von Josef Abs erwarben zwölf deutsche Museen wertvolle Arbeiten aus der Sammlung. „Das mit 4,6 Millionen Mark teuerste Stück der Auktion, ein Emaille-Medaillon einer Personifikation „Operatio“ aus dem Remaklus-Retabel des Klosters Stablo aus der Mitte des 12. Jahrhunderts […] ging an das Kunstgewerbemuseum Berlin, eine Armilla aus dem Umkreis von Friedrich Barbarossa an das Germanische Nationalmuseum Nürnberg, das bedeutende Düreraquarell „Trintperg“ an die Kunsthalle Bremen“.[8] Deutschen Boden betrat Hirsch nach 1933 nicht mehr.
- Emaille-Medaillon mit Personifikation „Operatio“
- Aquarell „Trintperg“ von Albrecht Dürer
Mit Stiftungen und Spenden förderte Hirsch Wohltätigkeits- und kulturelle Einrichtungen, besonders das Deutsche Ledermuseum in Offenbach.
Sein Bruder Paul Hirsch hatte die väterliche Eisenhandlung übernommen und war ebenfalls ein bedeutender Sammler. Seine Großnichte, die Schriftstellerin Silvia Tennenbaum, stellte Robert von Hirsch in ihrem Roman „Straßen von gestern“ (1983) als die literarische Figur des Bankiers und Kunstsammlers Eduard Wertheim dar.[9]
Auszeichnungen
- Erhebung in den großherzoglich hessischen Adelsstand (1913).
- Ehrensenator der TH Darmstadt.
- Ehrendoktorwürde der Universität Basel (1955).
Wappen
In von Silber und Rot gespaltenem Schilde zwei aufrechte Hirschstangen verwechselter Farbe. Auf dem Helm mit rot-silbernen Decken ein wachsender rot bewehrter silberner Hirsch.
Literatur
- Arnd Bauerkämper, Manuel Borutta, Jürgen Kocka: Die Praxis der Zivilgesellschaft. Campus, 2003, ISBN 3-593-37235-5, S. 221f. (GoogleBooks).
- Helmut Schneider: Letzte Chance. In: Die Zeit, Nr. 15/1978.
- Meisterwerke aus der Sammlung Robert von Hirsch. Parke Bernet Sotheby, 1978.
- Meisterwerke aus der Sammlung Robert von Hirsch. Ausstellungen Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main 23.3.–16.4.1978, Kunsthaus Zürich 20.4.–4.5.1978, Royal Academy London 1.6.–8.6.1978, Ausstellungskatalog, Hrsg.: Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt (Main) 1978.
- Lothar Gall: Der Bankier Hermann Josef Abs, Seite 425f., Verlag C.H.Beck, 2006, ISBN 3-406-54738-9 (GoogleBooks)
- Paul Arnsberg, Hans-Otto Schembs: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Hrsg.: Kuratorium für Jüdische Geschichte. Verlag E. Roether, Frankfurt (Main) 1983, ISBN 3-7929-0130-7, S. 197.
- Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4, S. 155.
- Werner Röder; Herbert A. Strauss, (Hrsg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945, Vol II, 1 München : Saur 1983 ISBN 3-598-10089-2, S. 516.
- Heinrich Kuhn: Basel und die Sammlung Robert von Hirsch. Wurde ein wertvoller Schatz verspielt? In: Basler Stadtbuch 1979, S. 59-64.
Weblinks
- Literaturliste im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin
- Hermann Fillitz: Hirsch, Robert von. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Akten aus dem Nachlass von Robert von Hirsch im Staatsarchiv Basel-Stadt
Einzelnachweise
- Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser B Band XV, Seite 236, Band 83 der Gesamtreihe, C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 1984.
- Hans-Otto Schembs: Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, Seite 86, Hrsg.: M.J. Kirchheim’sche Stiftung in Frankfurt am Main. Waldemar Kramer Verlag, 2007, ISBN 978-3-7829-0566-4 (Auszug).
- 15. Juli 1857: Gründung der Lederwerke Julius Mayer & Sohn
- Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon Band V, Seite 233, Band 84 der Gesamtreihe. C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 1984.
- Frankfurter Städel Museum
- Georg Kreis: Schenkung an das Kunstmuseum Basel. Abgerufen am 11. November 2019.
- Georg Kreis: 1978, Versteigerung in London. Abgerufen am 11. November 2019.
- Andreas Hansert: Hirsch, Robert (von) im Frankfurter Personenlexikon (Stand des Artikels: 29. Juni 2016).
- Silvia Tennenbaum: Straßen von gestern. Aus dem Englischen von Ulla de Herrera. Schöffin, Frankfurt am Main, 1983 ISBN 978-3-89561-486-6