Querelle des femmes
Querelle des femmes, auch Querelle des sexes, bezeichnet die jahrhundertelange Debatte über die Geschlechterordnung in Texten und Bildern seit dem Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution. Der Begriff, der Ende des 19. Jahrhunderts von der Romanischen Literaturwissenschaft geprägt wurde,[1] stellt ein Phänomen zunächst der französischen Kulturgeschichte dar, das sich auf ganz Europa ausdehnte.
Wortbedeutung
Die Bedeutung von querelle selbst ist einem historischen Wandel unterworfen. Der Begriff verweist, auch in seiner englischen, spanischen und italienischen Entsprechung quarrel/querela, auf Streitgespräch, Auseinandersetzung, Kontroverse. Hinsichtlich seiner sprachlichen Gestalt ist er mehrdeutig: Querelle des femmes/des sexes (deutsch: Frauen/Geschlechter) kann sowohl Streit der Frauen beziehungsweise der Geschlechter als auch Streit um die Frauen beziehungsweise um die Geschlechter bedeuten. Frauen können somit sowohl Subjekte als auch Objekte der Debatte sein. Heute wird unter Querelles des Femmes ein umfassender Geschlechterstreit in Wort und Bild verstanden, der sich seit seinem Beginn mit der sozialen und geistigen Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft befasste. Er dauerte bis zur Französischen Revolution und darüber hinaus und erstreckte sich über ganz Europa.[2]
Geschichte
Gesichert ist, dass es spätestens seit dem 14. Jahrhundert einen regen Verkehr an Schriften gab, in denen über die Stellung der Frauen und die Geschlechterordnung diskutiert wurde. Ausgehend von einem rein theologischen Bestreben, durch göttliche Ordnung das natürliche Chaos der Geschlechter zu überwinden, eigneten sich zunächst Juristen die Thematik an um die Rechtsungleichheit von Mann und Frau zu untermauern. Weltliche Gelehrte nahmen den Diskurs schließlich auf und er verbreitete sich langsam im Bewusstsein aller gesellschaftlichen Schichten.
Es blieb ein überwiegend männlicher Diskurs, auch wenn sich zunehmend gelehrte Frauen und Künstlerinnen beteiligten. Gestritten wurde über männliche und weibliche Tugenden, Laster und Fähigkeiten, um Geschlechterhierarchien und darum, ob die männliche Behandlung des weiblichen Geschlechts in der Literatur wie im Alltagsleben angemessen oder verfehlt sei. Die französische Schriftstellerin Christine de Pizan (1364–1429) war die erste Frau, die sich in dieser Frage zu Wort meldete. Um 1404/5 schrieb sie das umfangreiche Werk Le Livre de la Cité des Dames (Das Buch von der Stadt der Frauen) zur Verteidigung der Frauen und als Antwort auf den Rosenroman des Klerikers Jean de Meun (1240–1305), in dem er das misogyne Frauenbild seiner Zeit zusammenfasste. Pizans Schrift gilt als der Beginn der Querelle des femmes.[3] Ein weiteres Beispiel ist die Schrift des Universalgelehrten und Arztes Agrippa von Nettesheim (1486–1535) Von dem Vorzug und der Fürtrefflichkeit des weiblichen Geschlechts vor dem männlichen, in der er sich für die „Gleichheit der Geschlechter“ starkmachte.[4][5] Im 16. Jahrhundert, seit der Zeit der Regentschaft Elisabeths I., entstanden Texte britischer Frauen, „als Antwort auf misogyne Tiraden geschrieben, zu dem Zweck, diese zu widerlegen“.[6]
In den Salons des 17. Jahrhunderts wurde der Debatte ein Ort gegeben, wo unter der Leitung von Frauen über gesellschaftliche Probleme diskutiert wurde. Dort wurden auch der Cartesianismus mit feministischen Komponenten versehen und verbreitet sowie Konzepte für ein anderes Geschlechterverhältnis erstellt. Die Prägung des Begriffs Preziosität als Lebens-, Empfindungs- und Ausdrucksweise eines vorab weiblichen Salonpublikums spielte sich im Rahmen der laufenden emanzipatorischen Diskussionen ab. Die damit verbundene, teilweise überspitzte Kultiviertheit wurde von Molière in seiner Komödie Les Précieuses ridicules (Die lächerlichen Preziösen) dem Gelächter preisgegeben. Mit dem Aufkommen der Akademien wurde der weibliche Einfluss jedoch gehemmt, da Frauen nicht zugelassen waren und somit der offizielle Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft begann.
François Poullain de La Barre gilt als der erste, der eine philosophische Untermauerung für die Theorie der Gleichheit der Geschlechter entwickelte. In seinem viel rezipierten Werk De l’Egalite des deux Sexes (1673) argumentiert er, dass die männliche Herrschaft nicht naturbedingt, sondern großteils anerzogen sei, und plädiert für eine Verbesserung der Frauenbildung. Seine Schlussfolgerung lautete: „Der Verstand hat kein Geschlecht“.
Eine konsequente Praktikerin der Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frauen im frühen 17. Jahrhundert war die englische Adlige Maria Ward, die auf der Basis des versuchten Aufbaus eines Frauenordens Institute zur Ausbildung für Mädchen und junge Frauen in Mitteleuropa gründete. Sie konnte erst von der höchsten kirchlichen Instanz, den Päpsten, blockiert werden, doch setzte sich ihr Werk unter ihren Nachfolgerinnen und mit zunehmender kirchlicher und weltlicher Unterstützung kontinuierlich fort. 1877 erhielten die „Institute der englischen Fräulein“ die päpstliche Anerkennung und 2009 wurde Maria Ward von Papst Benedikt XVI. der Ehrentitel Ehrwürdige Dienerin Gottes zuerkannt.
Die Gegenposition, die auf einem fundamentalen Unterschied der Geschlechter und der Nachrangigkeit der Frau beharrte, setzte sich jedoch ab der Französischen Revolution durch, was wiederum ausgehend vom Gleichheitsversprechen der europäischen Aufklärung die Kritik daran zur Folge hatte.
Umstritten ist, ob die heterogenen frühneuzeitlichen Schriften der Querelles des femmes als Feminismus avant la lettre, auch Früh- oder Proto-Feminismus, gelten können. Die Philosophiehistorikerin Elisabeth Gössmann betont die „praktische“ Relevanz der Querelles für die Frauen- und Mädchenbildung, ein Thema, das in der Ersten Frauenbewegung zentral wurde. Gisela Bock zieht das Fazit, dass die Querelles des Femmes breiter gefasst seien als der moderne Feminismus-Begriff, da sie „nicht nur die frauenfreundlichen, sondern auch die frauenfeindlichen Texte einschließt“.[7]
Biologisch-medizinische Querelle des sexes
Historische Entwicklung
Lange ging die Geschlechterforschung davon aus, dass die Polarisierung von „Geschlechtscharakteren“ in männlich und weiblich erst mit der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert einsetzte und zwar „als eine Kombination von Biologie und Bestimmung aus der Natur“, die „zugleich als Wesensmerkmal in das Innere der Menschen verlegt wurde“.[8]
In der biologisch-medizinischen Geschlechterforschung zeigt sich historisch jedoch, dass viele Gelehrte der Biologie und Medizin sowohl an Differenz als auch an Gleichheit interessiert waren. Die Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Positionen bezeichnet Heinz-Jürgen Voß als „biologisch-medizinische Querelle des sexes“.[9]
Dabei stellte Hermaphroditismus für die biologisch-medizinischen Wissenschaften ein Modell dar, an dem Erkenntnisse über eindeutige Geschlechtlichkeit – als weiblich oder männlich – sowohl gewonnen als auch in Zweifel gezogen wurden. Da biologisch-medizinische Wissenschaft und Gesellschaft immer in einer Wechselbeziehung standen, erfolgten medizinische Diagnosen und Behandlungen immer auch, um die gesellschaftlich geforderte eindeutige Geschlechtlichkeit herzustellen.[9]
„Es ist hilfreich, sich von der Auffassung zu lösen, dass biologisch-medizinische Wissenschaften unbedingt eine geschlechterdifferenzierende Ordnung zu begründen suchten und daher stets Differenzen beschrieben. Dies war und ist nicht der Fall. Wie in der Gesellschaft fanden auch in biologisch-medizinischen Wissenschaften rege Diskussionen um die Stellung der Geschlechter statt (auch: biologisch-medizinische Querelle des sexes). Argumente der Gleichheit waren dabei genauso vertreten wie Differenzvorstellungen. In derselben Arbeit lassen sich nicht selten sowohl Argumente der Gleichheit, als auch der Differenz ausmachen. Zwischen Forschenden, die verschiedene Auffassungen vertraten, fanden Diskussionen statt.“[9]
Biologie
Heute führen kritische Biologen diese Auseinandersetzungen weiter und bemängeln die fehlende Thematisierung von Komplexität bei der Geschlechtsdetermination. Geschlechtsentwicklung wird dabei zunehmend „als Resultat von Prozessen, Interaktionen, Kommunikationen zahlreicher molekularer Komponenten in der Zelle, im Organismus und mit der ‚Umwelt‘“ verstanden.[9] Zu den Pionieren gehören beispielsweise Bonnie Spanier, Lynda Birke, Sue Villhauer Rosser, Anne Fausto-Sterling, Banu Subramaniam oder Heinz-Jürgen Voß.[10]
Mittlerweile wird Geschlechtsdetermination auch in den Hauptströmungen von Biologie und Medizin zunehmend in Netzwerkmodellen dargestellt, bei denen zahlreiche genetische sowie umweltbedingte Faktoren zusammenwirken, die zu berücksichtigen sind.
Gendermedizin
Die Gendermedizin kritisierte lange den „absoluten Mangel an Informationen zu den geschlechtsbedingten Besonderheiten des weiblichen Organismus“[11]. Dass die Medizin in ihrer Definition von Gender heute immerhin ein dichotomes, normiertes zweigeschlechtliches Verständnis hat, ist insofern zwar ein Fortschritt, doch dem Fortschritt im biologischen und gesellschaftlichen Geschlechterwissen (Transsexualität, Intersexualität etc.) hinkt dies noch weit hinterher.[11]
Literatur
- Claudia Opitz-Belakhal: Querelles des femmes als (Proto-) Feminismus? In: dies.: Geschlechtergeschichte (= Historische Einführungen). Campus Verlag, 2010, ISBN 978-3-593-39183-0, S. 130f.
- Friederike Hassauer (Hrsg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der 'Querelle des femmes' zwischen Mittelalter und Gegenwart. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0124-5.
- Gisela Bock, Margarete Zimmermann (Hrsg.): Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert. (= Querelles Jahrbuch. Band 2/1997). (PDF)
- Magdalena Drexl: Weiberfeinde – Weiberfreunde? Die Querelles des Femmes im Kontext konfessioneller Konflikte um 1600 (= Geschichte & Geschlechter. Band 52). Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-38001-3.
- Gisela Engel, Friederike Hassauer, Brita Rang, Heide Wunder (Hrsg.): Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelle des Femmes. Ulrike Helmer Verlag, Königstein im Taunus 2004, ISBN 3-89741-170-9.
- Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung. Bände 1–8, Iudicium, München 1984–2004.
Einzelnachweise
- Elisabeth Gössmann: Frauengelehrsamkeit. 17. Jahrhundert. In: Andrea van Dülmen (Hrsg.): Frauen. Ein historisches Lesebuch. Beck’sche Reihe, München 1988, ISBN 3-406-33117-3, S. 232–234, hier S. 232 (nach: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen).
- Gisela Bock, Margarete Zimmermann: Die Querelle des Femmes in Europa. Eine begriffs- und forschungsgeschichtliche Einführung. (= Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung. Band 2). 1997. (PDF)
- Ute Gerhard: Geschlechterstreit und Aufklärung. In: dies.: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789. 2. Auflage. C. H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-56263-1, S. 11 f.
- Claudia Opitz-Belakhal: Geschlechtergeschichte. (= Historische Einführungen). Campus Verlag, 2010, ISBN 978-3-593-39183-0, S. 130 f.
- Jörg Jungmayr: Einführung zu Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim, zu Valens Acidalius und der Gegenschrift von Gediccus […]. Deutsche Übersetzung von 1540 Vom Adel vnnd fürtreffen Weibliches geschlechts/ Herrn Henrici Cornelij Agrippe/ Löblichs Büchlin. In: Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung. Band 4, Iudicium, München 1996 (erste Auflage 1988), ISBN 3-89129-004-7, S. 46–52 und 63–100.
- Moira Ferguson: Feministische Polemik. Schriften englischer Frauen von der Spätrenaissance bis zur Französischen Revolution. In: Querelles Jahrbuch. 2/1997, S. 292–316 (pdf)
- Claudia Opitz-Belakhal: Geschlechtergeschichte. (= Historische Einführungen). Campus Verlag, 2010, ISBN 978-3-593-39183-0, S. 132.
- Karin Hausen: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“: Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Werner Conze (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas: Neue Forschungen. Stuttgart 1976, S. 363–393.
- Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Bielefeld 2010 (oapen.org [PDF]).
- Kerstin Palm: Biologie: Geschlechterforschung zwischen Reflexion und Intervention. In: Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, Katja Sabisch (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden 2019, S. 843–851.
- Sabine Oertelt-Prigione, Sarah Hiltner: Medizin: Gendermedizin im Spannungsfeld zwischen Zukunft und Tradition. In: Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, Katja Sabisch (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden 2019, S. 741–750.