Phosphorbombe
Eine Phosphorbombe enthält ein Gemisch aus weißem Phosphor und Kautschuk und wird als Brandbombe und als Nebelkampfstoff eingesetzt.[1]
Funktionsweise
Weißer Phosphor ist die reaktivste Modifikation des Phosphors. Er entzündet sich selbst allein durch den Kontakt mit dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff (pyrophor) und brennt dann mit einer 1.300 Grad Celsius heißen Flamme unter starker Entwicklung von weißem Rauch (Phosphorpentoxid), der in größeren Mengen gesundheitsschädlich ist. Auch wenn Phosphor durch Wasser ablöschbar ist, kann er sich nach Trocknung immer wieder entzünden. Daher sollte man zum Löschen brennenden Phosphors auf Sand zurückgreifen.
Weitere Anwendungsmethoden des weißen Phosphors sind Brandplättchen und Brandkanister. Die Brandplättchen bestanden aus mit einem Loch versehenen Zelluloidkarten, wobei jeweils zwei Karten aufeinander mit einem Stück Gaze dazwischen zusammengeklebt waren. Auf diese Gaze wurde angefeuchteter weißer Phosphor aufgetragen. Die Brandplättchen wurden feucht abgeworfen und entzündeten sich nach dem Austrocknen und dienten zur Vernichtung von Getreideernten. Brandkanister enthielten in Kohlenstoffdisulfid (CS2) gelösten weißen Phosphor.
Auswirkungen auf den Menschen
Neben der Brandwirkung und den schwer heilenden Verletzungen, die ein Hautkontakt schon bei geringen Mengen verursacht, sind weißer Phosphor und seine Dämpfe hochgiftig. Für einen Erwachsenen sind bei direkter Aufnahme schon 50 mg tödlich. Der Tod tritt erst nach 5 bis 10 Tagen ein, die Giftwirkung beruht auf einer Störung der Eiweiß- und Kohlenhydratsynthese. Bei dermaler Aufnahme, d. h. über die Haut, ist die Gefahr geringer.
Eine mit Phosphor in Kontakt gekommene Person wird versuchen, die brennenden Stellen auszuschlagen. Da Phosphor in Brandbomben jedoch mit einer Kautschukgelatine versetzt wird, bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Hand haften und wird so weiter verteilt. Weißer Phosphor erzeugt in der Regel drittgradige Verbrennungen, zum Teil bis auf den Knochen. Da diese bei einem Angriff meist großflächig sind, sterben Betroffene langsam an ihren Verbrennungen, sofern sie nicht durch Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Intoxikation zu Tode gekommen sind.
Internationales Recht
Der Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilpersonen bzw. in einer Art und Weise, in der es leicht zu sogenannten „Kollateralschäden“ kommen kann, ist entsprechend dem Verbot von unterschiedslosen Angriffen in den Zusatzprotokollen von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 verboten, nicht jedoch ihr Einsatz im Allgemeinen.[2]
Israel und die USA haben das betreffende Protokoll nicht unterzeichnet. Zu US-Einsätzen von Phosphorbomben kam es während des Irak-Kriegs. Israel warf im Libanonkrieg 2006 und im Januar 2009 bei der Operation Gegossenes Blei im Gazastreifen Phosphorbomben ab,[3][4] laut eigener Aussage zur sofortigen Nebelerzeugung.[5]
Umstritten ist, ob Phosphorbomben nicht nur als Brandwaffe, sondern wegen ihrer Giftigkeit auch als chemische Waffe anzusehen sind; deren Einsatz würde gegen die Chemiewaffenkonvention verstoßen.
Andere Kritiker sehen in Phosphorbomben einen Verstoß gegen Artikel 36 des ersten Zusatzprotokolls, der „Waffen, Geschosse und Material, sowie Methoden der Kriegführung“ verbietet, falls sie „geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen“ oder „dazu bestimmt sind oder von [ihnen] erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen“.
Einsatzgeschichte
Phosphorbomben aus dem Zweiten Weltkrieg
Die Brand- und Nebelwirkung von weißem Phosphor wurde bereits im Ersten Weltkrieg entdeckt und waffentechnisch genutzt, in großem Maßstab wurde weißer Phosphor aber erst im Zweiten Weltkrieg in Brandbomben eingesetzt. Dies erfolgte sowohl in den deutschen Brandbomben (z. B. die Brandbomben C 50 A und C 250 A) als auch in den britischen Brandbomben aufgrund der Area Bombing Directive. So wurde in der britischen INC 30 lb eine kleine Menge Phosphor als selbstentzündliches Element zum Entzünden der eigentlichen Brandmasse genutzt. In der britischen Nebelbombe Bomb Smoke 100 lb (von der Zivilbevölkerung, aber auch von der NS-Propaganda[6] aufgrund seiner Form „Phosphorkanister“ genannt), die bei der Bombardierung deutscher Städte als Brandbombe eingesetzt wurde, dienten deren 40 kg Phosphorlösung selbst als Brandmasse. Die United States Army Air Forces setzten hauptsächlich die rund 45 kg schwere Phosphorbombe vom Typ AN-M47 ein.
Blindgänger derartiger Brandbomben sind auch heute noch eine Gefahr, da der Phosphor sich beim Freilegen von selbst entzündet und zum Beispiel die Ausstoßladung zur Explosion bringt. Bei Fehlwürfen von Phosphorbomben ins Wasser wurde vielfach der Phosphor zwar freigesetzt, entzündet sich allerdings unter Wasser nicht. Erst wenn er zum Beispiel im Spülsaum am Strand an die Oberfläche gelangt, kann er sich entzünden. An der Ostsee führt dies zu einem besonderen Problem: Aufgrund seines Aussehens wird der Phosphor oft irrtümlich für Bernstein gehalten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die im Norden der Insel Usedom gelegene Heeresversuchsanstalt Peenemünde mehrfach bombardiert. Bis heute verursachen die Reste dieser Phosphorbomben besonders in den Strandbereichen von Karlshagen, Trassenheide und Zinnowitz immer wieder schwere Verbrennungen, wenn sich der vermeintliche Bernstein nach dem Abtrocknen entzündet und die Kleidung der Finder in Brand setzt. Daher wird empfohlen, diese Fundstücke nur mit einer Zange aufzunehmen und nicht am Körper, sondern in einem Glas mit Schraubverschluss zu transportieren.
Im März 2017 mussten wegen der Räumung eines Munitionsdepots aus dem 2. Weltkrieg mit etwa 10 Tonnen Kampfmitteln, darunter Phosphormunition, im Münchener Stadtteil Freimann etwa 200 Menschen evakuiert werden.[7]
Phosphorgranateneinsatz der USA im Irakkrieg
Heutzutage wird Weißer Phosphor als Brandstoff und in Nebelgranaten verwendet, da sich damit schnell große Nebelwände erzeugen lassen. Der italienische Fernsehsender RaiNews24 deckte im November 2005 auf, dass die USA im zweiten Irakkrieg Phosphor-Brandwaffen einsetzten. Beispielsweise wurden in Falludscha während der Operation Phantom Fury Aufständische mit WP-Granaten aus geschützten Stellungen getrieben, um sie dann mit anderen Waffen bekämpfen zu können. US-Streitkräfte hätten nach RAI-Angaben in Falludscha zudem eine Art Napalm und weißen Phosphor gegen Zivilisten eingesetzt. Die Autoren beriefen sich auf Aussagen amerikanischer Soldaten, die Szenen von durch Phosphorgranaten verbrannten Körpern zahlreicher Zivilisten schilderten.[8][9] Dies wurde vom US-Außenministerium bestritten. Die United States Army leugnete den Einsatz zunächst, gab ihn jedoch später zu. Ein GI berichtete, er habe Leichen von Phosphorwaffen-Opfern beseitigen müssen. Die USA haben die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949, die unterschiedslose Angriffe untersagen, nicht unterzeichnet. Sie rechtfertigen den Einsatz weißen Phosphors damit, dass er nicht als chemische Waffe auf Grund seiner Giftigkeit verwendet werde, sondern als Brandmittel für eine konventionelle Waffe.
Libanonkrieg 2006
Wie mittlerweile auch von offizieller Seite bestätigt, setzten die Israelischen Streitkräfte im Libanonkrieg 2006 Phosphorbomben gegen die Hisbollah ein.[10] Auf Grund der Verletzungsmuster vermuteten die Ärzte im Libanon zuerst den Einsatz von Phosphorbomben. Die Untersuchung von Partikeln aus den Wunden ergaben aber ein Gemisch aus Wolfram-Kupfer-Aluminium, was den Einsatz von DIME-Bomben (Dense Inert Metal Explosive) nahelegt. Metallpulver sind im Allgemeinen schon bei Raumtemperatur an der Luft selbstzündfähig (pyrophor). Das Verletzungsbild ähnelt dem der Phosphorbomben, zusätzlich entsteht aber eine starke gerichtete Impulswirkung.[11][12]
Operation Gegossenes Blei 2009
Im Zuge der Operation Gegossenes Blei im Gazastreifen wurden auch Phosphorbomben eingesetzt.[13] Die israelische Armee soll am 15. Januar 2009 auch das Hauptquartier des Uno-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), sowie eine Uno-Schule im Flüchtlingscamp al-Schati mit Phosphorgranaten beschossen haben,[14] mehrere tausend Tonnen Lebensmittel und Medikamente wurden vernichtet. Außerdem wurden Berichte über viele Verletzte durch Phosphorbomben bekannt.[15] Israel hat wenige Tage später den Einsatz der Phosphorbomben in Gaza bestätigt.[16]
Bürgerkrieg in Syrien und dem Irak
Laut Berichten von Augenzeugen wurden in Raqqa bei russischen Luftangriffen am 13. November 2015 Phosphorbomben eingesetzt.[17] Human Rights Watch geht aufgrund der Auswertung von Videoaufnahmen zudem davon aus, dass das irakische Militär bei der Befreiung von Mossul im Sommer 2017 ebenfalls Phosphorbomben eingesetzt hat.[18]
Türkische Militäroffensive in Nordsyrien 2019
Laut verschiedenen Quellen setzen die Türkische Streitkräfte in der autonomen Kurdenregion Rojava in Nordsyrien Phosphorbomben[19] gegen die SDF ein.
Weblinks
- Globalsecurity.org – WP Waffen (englisch)
Einzelnachweise
- Pyrotechnics, Explosives, & Fireworks. Abgerufen am 2. Juli 2019.
- CCW Treaty: Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Incendiary Weapons (Protocol III). Geneva, 10 October 1980. (englisch), 28. August 2006.
- Israel soll Phosphorbomben in Gaza einsetzen. In: dw-world.de. 14. Januar 2009, abgerufen am 3. April 2015.
- Israel admits using white phosphorous in attacks on Gaza – 24.01.2009. (Nicht mehr online verfügbar.) In: timesonline.co.uk. Archiviert vom Original am 11. Mai 2011; abgerufen am 3. April 2015 (englisch).
- 'IDF white phosphorus use not illegal'. In: The Jerusalem Post, 13. Januar 2009. Abgerufen am 24. März 2010.
- Wie verhält man sich bei Phosphorbränden?. In: Alpenländische Rundschau. Unpolitische Wochenschrift für die gesamten Alpenländer / Alpenländische Rundschau, 18. September 1943, S. 8 (online bei ANNO).
- Wohnhäuser in München wegen Phosphormunition geräumt. In: orf.at. 17. März 2017, abgerufen am 17. März 2017.
- US-Armee und britische Truppen setzten Phosphor ein (Memento vom 25. November 2005 im Internet Archive) In: ZDFheute, 16. November 2005.
- Reuters, AP, DPA: Irak: USA verteidigen Einsatz von Phosphor. In: stern.de. 17. November 2005, abgerufen am 3. April 2015.
- Israel admits using phosphorus bombs during war in Lebanon. In: Haaretz.com, 22. Oktober 2006.
- Dense Inert Metal Explosive (DIME) John Pike: Dense Inert Metal Explosive (DIME). In: globalsecurity.org. 11. Oktober 2006, abgerufen am 3. April 2015.
- Italian TV: Israel used new weapon prototype in Gaza Strip. (Nicht mehr online verfügbar.) In: haaretz.com. 11. Oktober 2006, archiviert vom Original am 25. Februar 2010; abgerufen am 3. April 2015.
- Israel setzt umstrittene Phosphor-Bomben ein. In: Tages-Anzeiger, 5. Januar 2009.
- Gaza-Krieg: Israelische Bombe trifft Uno-Schule. In: Spiegel Online. 6. Januar 2009, abgerufen am 3. April 2015.
- Angriff auf die Uno: Es waren Phosphorbomben. In: Tages-Anzeiger
- Israel admits using white phosphorous in attacks on Gaza (Memento vom 11. Mai 2011 im Internet Archive) In: The Times
- Adam Withnall: Chemical weapon white phosphorous 'is being used against Isis in air strikes'. In: independent.co.uk. 23. November 2015, abgerufen am 29. Juli 2017.
- Iraq to probe use of white phosphorus in Mosul. In: aljazeera.com. 3. Juni 2017, abgerufen am 29. Juli 2017.
- Elke Dangeleit: Einsatz türkischer Phosphorbomben in Nordsyrien belegt. In: heise.de. Abgerufen am 28. Mai 2020.