Peter Fechter
Peter Fechter (* 14. Januar 1944 in Berlin; † 17. August 1962 ebenda) war ein deutsches Todesopfer an der Berliner Mauer.
Biografie
Peter Fechter wuchs als drittes von vier Kindern und einziger Sohn der Familie im Berliner Bezirk Weißensee auf. Der Vater war Maschinenbauer, die Mutter Verkäuferin. Er beendete mit 14 Jahren die Schule und absolvierte eine Ausbildung zum Maurer.[1] Seine verheiratete älteste Schwester lebte in West-Berlin, wo sie von den Eltern und Geschwistern bis zum Mauerbau regelmäßig besucht worden sein soll. Fechters Kollege Helmut Kulbeik gab später an, dass beide sich schon seit längerem mit Fluchtgedanken befasst hatten. Sie hätten auch die Grenzanlagen erkundet, aber keine konkrete Planung betrieben. Trotz guter Beurteilung wurde Fechter von seinem Betrieb eine Reise nach Westdeutschland verweigert.[2]
Fechters Tod an der Berliner Mauer
Am Freitag, dem 17. August 1962 um etwa 14:15 Uhr, gut ein Jahr nach Errichtung der Berliner Mauer, versuchte der 18-jährige Fechter zusammen mit seinem 18-jährigen Freund und Arbeitskollegen Helmut Kulbeik, die Mauer in der Zimmerstraße in unmittelbarer Nähe des Checkpoints Charlie zu überklettern. Während Kulbeik dies gelang, wurde Fechter vor den Augen etlicher Zeugen noch auf der Mauer ohne Vorwarnung von mehreren Schüssen durch die Schützen Rolf F. (damals 26 Jahre), Erich S. (damals 20 Jahre) und einem dritten Schützen getroffen, fiel zurück auf Ost-Berliner Gebiet und blieb bewegungsunfähig fast eine Stunde im Todesstreifen liegen.[3]
Peter Fechter begann laut um Hilfe zu schreien, so dass sich bald auf beiden Seiten der Mauer eine Menschenansammlung bildete. Auf der Ostseite wurde sie umgehend von Ordnungskräften zerstreut, und auch auf der Westseite wurde ein beträchtliches Aufgebot der Polizei zusammengezogen. Die Polizisten stellten zwar eine Leiter auf und warfen Fechter Verbandspäckchen zu, durften allerdings nicht weitergehend helfen, weil sich Fechter auf dem Gebiet der DDR befand. Weder die DDR-Grenzer noch die am Checkpoint Charlie diensthabenden US-amerikanischen Soldaten kamen ihm zu Hilfe, obwohl eine immer größer werdende Menschenmenge auf der Westseite sie lautstark dazu aufforderte. Begleitet von wütenden Mörder-Rufen holten ihn schließlich Grenzsoldaten der DDR aus dem Todesstreifen. Peter Fechter verblutete und starb gegen 17:00 Uhr im Krankenhaus. Laut dem 35 Jahre später ergangenen Urteil des Landgerichtes Berlin wäre er auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe gestorben.
Reaktionen
Der Tod von Peter Fechter führte der Weltöffentlichkeit in zuvor unerreichter Deutlichkeit die Grausamkeit des Schießbefehls vor Augen. Unmittelbar nach dem Vorfall und in den darauf folgenden Tagen kam es zu mehreren Protestkundgebungen aufgebrachter West-Berliner, die teilweise nur durch polizeiliche Gewalt davon abgehalten werden konnten, zur Mauer vorzudringen. Ein mit sowjetischen Soldaten besetzter Bus wurde mit Steinen beworfen. US-amerikanische Besatzungssoldaten wurden wegen ihres Nichteingreifens verbal und auch tätlich angegriffen.[4]
Der Zugführer der DDR-Grenzsoldaten gab an, nicht eingeschritten zu sein, da er befürchtete, die auf der Westseite versammelten Polizisten würden auf die Soldaten schießen. In der Tat war nur drei Tage zuvor der DDR-Grenzsoldat Rudi Arnstadt an der innerdeutschen Grenze von einem westdeutschen Grenzbeamten erschossen worden. Der Tod des durch einen Westberliner Fluchthelfer erschossenen DDR-Grenzers Reinhold Huhn lag erst zwei Monate zurück und auch der Tod des Gefreiten Peter Göring war noch gegenwärtig; dieser wurde von Westberliner Polizisten am 23. Mai 1962 bei einer Grenzschießerei erschossen.
Von einem US-Leutnant liegt die Aussage vor, auf telefonische Nachfrage von Generalmajor Albert Watson II, Kommandant des amerikanischen Sektors von Berlin vom 4. Mai 1961 bis zum 2. Januar 1963, folgende Antwort erhalten zu haben: Lieutenant, you have your orders. Stand fast. Do nothing. (Leutnant, Sie haben Ihre Anweisungen. Bleiben Sie standhaft. Tun Sie nichts.)
Philibert Tsiranana, Präsident von Madagaskar, legte beim Staatsbesuch am 29. August 1962 einen Kranz am Mahnmal für Peter Fechter nieder.[5] Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Erich Mende, besuchte die Gedenkstätte im Oktober 1963.[6]
Karl-Eduard von Schnitzler bezeichnete Fechter am 27. August 1962 in der DDR-Propagandasendung Der schwarze Kanal als „einen angeschossenen Kriminellen“.[7] Das Vorgehen der bewaffneten Grenzposten rechtfertigte er mit den Worten: „Und wenn dann solch ein Element (…) unmittelbar an der Grenze verwundet und nicht sofort geborgen wird – dann ist das Geschrei groß. (…) Das Leben eines jeden einzelnen unserer tapferen Jungen in Uniform ist uns mehr wert, als das Leben eines Gesetzesbrechers. Soll man von unserer Staatsgrenze wegbleiben – dann kann man sich Blut, Tränen und Geschrei sparen.“[8][9]
Die Geschichte Peter Fechters war am 31. August 1962 Titelthema des amerikanischen Nachrichtenmagazins Time.[10] Willy Brandts Wort von der „Schandmauer“ wurde in diesem Artikel als „Wall of Shame“ international zu einem Synonym für die Mauer.[11]
1965 entstand das Bild Peter Fechter von Wolf Vostell, eine Verwischung von Fotografien über Fechters Tod an der Berliner Mauer. Das Bild ist Bestand der Kunstsammlung im Ludwig Forum für Internationale Kunst.[12]
Den spanischen Pop-Star Nino Bravo (1944–1973) inspirierte Fechters Tod 1972 zu dem Song Libre (dt.: frei).[13]
Peter Fechter wurde auf dem Auferstehungsfriedhof in Berlin-Weißensee bestattet.[14] Sowohl der rot-rote Berliner Senat im Dezember 2005 und die rot-schwarze Nachfolgeregierung 2012 lehnten es ab, sein Grab zum Ehrengrab zu machen, weil die Bedingungen dafür nicht erfüllt seien. Sein Grab sei als Grabstätte eines Opfers von Krieg und Gewaltherrschaft anerkannt.[14]
In der Berliner Zimmerstraße nahe dem Checkpoint Charlie, in etwa an der Stelle, an der er gestorben ist, erinnert seit 13. August 1999 ein Mahnmal des Bildhauers Karl Biedermann in Form einer braunen Stele an die Geschehnisse um die missglückte Flucht. Ein zweites Mahnmal wurde am 11. Juni 2011 in der Bernauer Straße errichtet. Eine Plastik zeigte den toten Fechter in den Armen eines Grenzsoldaten. Es wurde am 24. Juni 2011 zerstört.[15]
Die Installation mit den Gedenkkreuzen an der Ecke Friedrichstraße/Zimmerstraße wurde nach einer Räumungsklage des Grundstückseigentümers am 5. Juli 2005 entfernt.
Den von Herbert Ernst gedrehten Film der Bergung des erschossenen Peter Fechter nahm 2010 die UNESCO ins Weltdokumentenerbe auf.
Folgen für die Familie
Der Tod Fechters hatte auch folgenschwere Auswirkungen auf dessen Familie. Der Vater starb verbittert, die Mutter wurde psychisch krank. Über Jahrzehnte wurde die Familie von den DDR-Behörden schikaniert.[16] So wurden sie immer wieder von der Stasi überwacht, ihre Wohnung durchsucht und Familienmitglieder mit Berufsverbot belegt.[17] Nach Recherchen des MDR dagegen blieb die Mutter Fechters auch nach der Erschießung ihres Sohnes systemtreu. Untermauert wird das durch Aktenfunde der BStU und Aussagen der Nichte Fechters.[18]
Juristische Folgen
Nach dem Fall der Mauer bzw. nach der Wiedervereinigung kam es zu einigen Mauerschützenprozessen. Dabei wurden auch die beiden ehemaligen Grenzsoldaten angeklagt, die 1962 auf Peter Fechter geschossen hatten. Das Gericht befand die beiden im März 1997 des Totschlags für schuldig. Es verurteilte sie zu Haftstrafen von 20 bzw. 21 Monaten; diese wurden zur Bewährung ausgesetzt.[19] Die beiden Männer hatten gestanden, Schüsse auf Fechter abgegeben zu haben, bestritten aber eine Tötungsabsicht. Der Prozess konnte nicht klären, ob der tödliche Schuss von einem der zwei Angeklagten oder einem dritten, zwischenzeitlich verstorbenen Grenzsoldaten abgegeben wurde. Das Gericht urteilte weiter, dass Fechter durch die Schüsse und nicht auf Grund unterlassener Hilfeleistung gestorben sei.[20]
Filme
- Wolfgang Schoen 1994: „…ein gewisser Peter Fechter“[21]
- Heribert Schwan 1997: Der Tod des Mauerflüchtlings Peter Fechter, WDR
- Rainer Erices und Jan Schönfelder 2011: Zwei Tote im Kalten Krieg, MDR
- Wolfgang Schoen 2012: Ein Tag im August – Der Fall Peter Fechter, RBB
- Herbert Ernst: Abtransport des sterbenden Peter Fechter – Originalsequenz 44 Sek.
Ehrungen
- Ein 1978 entlang der Ihme in Hannover angelegter Fuß- und Radweg wurde 1983 als Peter-Fechter-Ufer benannt.[22]
- Am 13. August 1999 wurde eine Gedenksäule in der Zimmerstraße 26/27 in Berlin-Kreuzberg eingeweiht.
- Am 14. Januar 2014 wurde an Fechters ehemaligen Wohnhaus, Berlin-Weißensee, Behaimstraße 11, eine Berliner Gedenktafel angebracht.
- Am 16. September 2021 lehnte das Abgeordnetenhaus von Berlin einen Antrag ab, eine Straße in Berlin nach ihm zu benennen.[23]
Literatur
- Christine Brecht: Peter Fechter, in: Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961–1989. Ein biographisches Handbuch. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-517-1, S. 101–104.
- Lars-Broder Keil, Sven Felix Kellerhoff; Thomas Schmid (Hrsg.): Mord an der Mauer. Der Fall Peter Fechter. Mit einem Geleitwort von Klaus Wowereit. Quadriga, Köln 2012, ISBN 978-3-86995-042-6.
- Ralf Gründer: SED-Mordopfer Peter Fechter, in: Niemand hat die Absicht .... Screenshot-Fotografie von Herbert Ernst, gedreht in den Jahren 1961 und 1962 im geteilten Berlin. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-8305-3673-4, S. 342–369.
Weblinks
- Bericht mit Dokumenten und Kurzportrait auf Chronik der Mauer
- The Boy Who Died on the Wall. In: LIFE, 31. August 1962, S. 16–23. (Fotoreportage, engl.)
- Christoph Hamann: Schnappschuss und Ikone – Das Foto von Peter Fechters Fluchtversuch 1962 (Zeithistorische Forschungen 2/2005)
- RBB: Peter Fechter stirbt bei Fluchtversuch (Video/TV-Bericht)
Einzelnachweise
- Hellmuth Vensky: DDR-Flüchtling: Als die Welt Peter Fechter an der Mauer sterben sah, ZEIT-ONLINE Geschichte, 17. August 2012
- Peter Fechter auf Chronik der Mauer Zentrum für Zeithistorische Forschung/Bundeszentrale für politische Bildung/Deutschlandradio, abgerufen am 17. Januar 2014.
- An der mit Stacheldraht bewehrten Betonmauer liegt Peter Fechter am 17. August 1962 im Sterben, ein Foto auf S. 743 in Unser Jahrhundert im Bild, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh, 1964.
- Demonstrationen: Dummheit vor dem Feind. Berlin. In: Der Spiegel. Nr. 35, 1962, S. 14–16 (online).
- Staatsbesuch Madagaskar: Kranzniederleg. a. d. Gedenkstätte f. Peter Fechter, Berlin, 29. August 1962, Fotograf: Ludwig Wegmann, Signatur: B 145 Bild-F013785-0009, Bundesarchiv.
- Erich Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, besucht die Gedenkstätte für den Mauertoten Peter Fechter in der Zimmerstrasse, Berlin, 20. Oktober 1963, Fotograf: Gert Schütz, Signatur: B 145 Bild-00086291, Bundesarchiv.
- Mauermuseum am Checkpoint Charlie, Öffnungszeiten. In: www.in-berlin-brandenburg.com.
- Schwarzer Kanal, DDR-Fernsehen, 27. August 1962, s. auch Chronik der Mauer
- Sendemanuskript des Schwarzen Kanals vom 27. August 1962 aus dem Deutschen Rundfunkarchiv, Signatur: E065-02-04/0001/128, dort insbes. handschriftliche Paginierung, Seite 6
- World: Wall of Shame. 31. August 1962.
- Daniel Benjamin: Wall Of Shame 1961-1989. 20. November 1989.
- Wolf Vostell. Retrospektive 92. Edition Braus, Heidelberg 1992, ISBN 3-925520-44-9.
- ¿Por qué nadie ayudó a Peter Fechter?. Artikel in El Mundo vom 18. August 2012
- Sabine Flatau: Maueropfer Peter Fechter bekommt kein Ehrengrab. In: www.morgenpost.de. 30. Oktober 2012, abgerufen am 9. November 2019.
- Denkmal für Peter Fechter geschändet BZ 24. Juni 2011
- Mechthild Küpper: Ein Sieg der Freiheit, der für manche zu spät kam, Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 4
- WDR ZeitZeichen 17. August 2007
- Rainer Erices und Jan Schönfelder, Zwei Tote im Kalten Krieg, MDR 13. August 2011.
- Bewährungsstrafen für Mauerschützen im Fechter-Prozeß Die Welt, 6. März 1997, abgerufen am 7. Januar 2014.
- Kränze für Peter Fechter RP online, 16. August 2002, abgerufen am 7. Januar 2013.
- …ein gewisser Peter Fechter Zusammenfassung auf der Webseite des Produzenten
- Straßennamen in der Calenberger Neustadt in Hannover
- Beschlussprotokoll der 84. Plenarsitzung vom 16.09.2021. In: parlament-berlin.de. 16. September 2021, abgerufen am 17. September 2021.