Parlamentswahl in der Ukraine 2012
Die Wahlen zum Ukrainischen Parlament 2012 fanden am 28. Oktober 2012 statt. Eine vorgezogene Neuwahl zur Werchowna Rada war bereits für Dezember 2008 vorgesehen, wurde aber auf 2009 verschoben. Angesichts der internationalen Finanzkrise, welche die Ukraine hart getroffen hatte und eine entscheidungsfähige Staatsführung erforderte, sowie aufgrund der schwankenden Umfragewerte für die im Parlament vertretenen Parteien, kamen die vorgezogenen Wahlen letztlich auch zu diesem Termin nicht zustande.[1][2] Sie fand schließlich nach Ablauf der regulären vierjährigen Legislaturperiode statt.[3][4]
(−4,37)
(−5,16)
(n. k.)
(+7,79)
(+9,69)
(−13,04)
(−5,36)
Ausgangslage
Die zunächst vorgesehenen vorgezogenen Neuwahlen waren Folge der Parlamentsauflösung durch den Staatspräsidenten Wiktor Juschtschenko, die er am Abend des 8. Oktober 2008 in einer Fernsehansprache bekanntgab.[5] Anlass hierfür war das Auseinanderbrechen der Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko[6] sowie das Unvermögen der Parlamentsfraktionen, innerhalb der verfassungsgemäßen Frist eine neue Regierungsmehrheit zu bilden. Zunächst war der 7. Dezember 2008 als Wahltermin vorgesehen.
Die vom Präsidenten vorgesehene Auflösung des ukrainischen Parlaments nur gut ein Jahr nach der letzten Wahl 2007 war ein neuer Höhepunkt der fortwährenden Staatskrise in der Ukraine, die seit der Präsidentschaftswahl 2004 besteht. Ihre Ursache liegt im anhaltenden und die politische Aktivität des Landes lähmenden Machtkampf zwischen Parlament und Präsident, der durch die verfassungsgemäße Machtteilung zwischen Regierung und Staatsoberhaupt begünstigt wird.
Abgeordnete des Blocks Julia Timoschenko (BJuT) kündigten an, den Präsidentenerlass juristisch anzufechten, da eine Auflösung des Parlaments laut ukrainischer Verfassung frühestens ein Jahr nach dessen Zusammentritt (23. November 2007) möglich sei. Präsident Juschtschenko und andere sahen jedoch den Wahltermin 30. September 2007 als Ausgangspunkt der Frist.[7] Ein Kiewer Bezirksgericht setzte auf Betreiben des BJuT am 11. Oktober den Präsidentenerlass zur Parlamentsauflösung aus und verbot der Zentralen Wahlkommission der Ukraine bis auf weiteres jegliche Schritte zur Vorbereitung der Wahlen.[8] Präsident Juschtschenko ließ daraufhin per Erlass das Gericht auflösen, was wiederum ein Gericht höherer Instanz untersagte.
Die Umfragen sahen zu Beginn des Jahres 2008 zunächst klar den Wahlblock Julia Timoschenkos in Führung, wenn auch weit entfernt von einer absoluten Mehrheit der Stimmen.[9] Im Herbst des Jahres hatte sich das politische Klima jedoch zugunsten der Partei der Regionen verschoben. Auffällig war hier auch das Einbrechen der den damaligen Präsidenten Juschtschenko unterstützenden Parteien sowie die hohe Zahl derer, die angaben, nicht wählen gehen zu wollen oder gegen alle stimmen zu wollen.
Internationale Wahlbeobachter
Nach Berichten von ukrainischen Medien sollen um die 10.000 Wahlbeobachter den Ablauf der Wahlen kontrolliert haben. Nach Angaben der OSZE waren 3797 internationale Wahlbeobachter bei der Zentralen Wahlkommission der Ukraine registriert.[10] Einige hundert Langzeit-Wahlbeobachter aus OSZE-Mitgliedsstaaten trafen schon Mitte September 2012 ein, gefolgt von 600 kurzzeitigen Wahlbeobachtern, die eine Woche vor den Wahlen eintreffen sollten, um in den Wahllokalen vor Ort die Einhaltung von Wahlstandards zu überwachen.[11]
Auch Deutschland entsandte nach Angaben des deutschen Botschafters in der Ukraine Hans-Jürgen Heimsoeth eine große Anzahl an Wahlbeobachtern in die Ukraine.[12]
Am 25. Oktober 2012 traf eine Delegation aus 15 Mitgliedern des Europäischen Parlamentes zusammen mit mehr als 700 Wahlbeobachtern von verschiedenen internationalen Institutionen und Organisationen in der Ukraine ein.[13]
Neues Wahlsystem
Stimmenverteilung
Ende 2011 wurde in der Ukraine die Verteilung von Stimmen von einem reinen Proporz-System zu einem gemischten Proporz-Majorz-System geändert.[14] Die Hälfte der 450 Parlamentssitze wird durch in den einzelnen Wahlkreisen direkt gewählte Kandidaten besetzt.
Direktmandate
Im Vergleich zur letzten Parlamentswahl hat sich die Verteilung von Direktmandaten in den Wahlkreisen geändert. Die Oblast Donezk hat 2 Mandate verloren, die Oblast Luhansk hat ein Mandat verloren, die Oblaste Iwano-Frankiwsk und Kiew und die Stadt Kiew, die eine "Stadt mit besonderem Status" ist (siehe: Verwaltungsgliederung der Ukraine) haben jeweils ein Direktmandat hinzubekommen.
Ergebnis
Partei | Stimmen | Anteil | Verhältnis- | Wahlkreis- | Gesamtsitze |
---|---|---|---|---|---|
Partei der Regionen | 6.116.815 | 30,00 % | 73 | 114 | 187 |
Vaterland (einschl. Geeinte Opposition) | 5.208.402 | 25,55 % | 61 | 42 | 103 |
UDAR | 2.847.939 | 13,97 % | 34 | 6 | 40 |
Kommunistische Partei der Ukraine | 2.687.246 | 13,18 % | 32 | — | 32 |
Swoboda | 2.129.906 | 10,45 % | 25 | 12 | 37 |
Ukraine – Vorwärts! | 322.207 | 1,58 % | — | — | |
Unsere Ukraine | 226.485 | 1,11 % | — | — | — |
Radikale Partei | 221.136 | 1,08 % | — | 1 | 1 |
Partei der Rentner der Ukraine | 114.198 | 0,56 % | — | — | — |
Sozialistische Partei der Ukraine | 93.081 | 0,45 % | — | — | — |
Partei der Grünen der Ukraine | 70.257 | 0,34 % | — | — | — |
Ukrainische Partei „Grüner Planet“ | 70.117 | 0,34 % | — | — | — |
Russischer Block | 63.534 | 0,31 % | — | — | — |
Grüne | 51.381 | 0,25 % | — | — | — |
Ukraine der Zukunft | 38.532 | 0,19 % | — | — | — |
Politische Union „Heimisches Vaterland“ | 32.724 | 0,16 % | — | — | — |
Volksarbeitsunion | 22.854 | 0,11 % | — | — | — |
Neue Politik | 21.033 | 0,10 % | — | — | — |
Hromada | 17.699 | 0,08 % | — | — | — |
Nationalversammlung/Selbstverteidigung | 16.938 | 0,08 % | — | — | — |
Liberale Partei der Ukraine | 15.565 | 0,07 % | — | — | — |
Geeinte Mitte | — | — | — | 3 | 3 |
Volkspartei | — | — | — | 2 | 2 |
Union | — | — | — | 1 | 1 |
„Unabhängige“ | — | — | — | 43 | 43 |
Ungültige/leere Zettel | — | — | — | — | — |
Gesamt (Wahlbeteiligung 57,98 %) | 20.759.472 | 100,00 % | 225 | 225 | 450 |
Quelle: Proportionale Stimmen, Wahlkreissitze Zentrale Wahlkommission (ukrainisch) |
Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung betrug 57,98 %. Dies ist die niedrigste Beteiligung an einer Wahl zur Werchowna Rada seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1991.[15]
Kritik an der Wahl
Die Wahl wird von vielen Beobachtern, Europaabgeordneten, Institutionen, Organisation und Oppositionellen als ein „Rückschritt“ bewertet. In einem Communiqué lässt die OSZE verlautbaren, dass die Bedingungen des Wahlkampfes „unfair“ seien. Der Schweizer Politiker und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Andreas Gross ließ sich in dem oben genannten OSZE-Communiqué mit den Worten „Die Ukraine verdient besseres“ zitieren.[16]
Der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag Ruprecht Polenz kritisiert die Wahlen mit den Worten: "Eins ist klar, nach unseren Maßstäben sind die Wahlen sicherlich nicht durchgeführt worden".[17] Polnische Wahlbeobachter in den Oblasten Charkiw, Poltawa und Sumy teilten mit, es habe in den drei oben genannten Gebieten keine Manipulationen oder sonstige Beeinträchtigungen stattgefunden.[18] Der Parlamentarier Mateusz Piskorski lässt sich auf Deutsch etwa mit “Ich möchte anmerken, dass mir kein Fall bekannt ist, bei dem Wählerstimmen gekauft wären oder sonstige Beeinträchtigungen oder Wahlmanipulationen stattgefunden haben” zitieren.[19] Piskorski wurden 2015 vom polnischen Inlandsgeheimdienst Zusammenarbeit mit russischen Geheimdiensten nachgewiesen.[20]
Am 8. November 2012 gab das abtretende Parlament dem Antrag der Zentralen Wahlkommission statt, in fünf Einerwahlkreisen die Resultate zu annullieren und die Wahl zu wiederholen. Die Wahlkommission hatte sich außerstande gesehen, in diesen Wahlkreisen ein gültiges Resultat zu ermitteln, da es beim Transport der Stimmzettel, bei der Stimmenauszählung und der Einspeisung der Resultate in die elektronische Datenbank offenbar zu Unregelmäßigkeiten und Manipulationen gekommen war.[21]
Weblinks
- Rudolf Hermann: Wahlen als Lackmustest der Demokratie. In: Neue Zürcher Zeitung. 20. September 2012, abgerufen am 24. September 2012.
Einzelnachweise
- NEWSru.ua: Президент переніс дату виборів на 14 грудня (Memento vom 13. Januar 2009 im Internet Archive)
- Korrespondent.net: Ющенко переносит досрочные парламентские выборы на 2009 год
- Update: Ukraine court rules Yanukovych coalition legal, Kyiv Post (8. April 2010)
- Early parliamentary elections may take place in May - Ukraine's Yanukovych, RIA Novosti (25. Januar 2010)
- NEWSru.ua: Ющенко оголосив розпуск Верховної Ради (Memento vom 10. Oktober 2008 im Internet Archive)
- NEWSru.ua: Коаліціада: стару більшість розпустили, а нової може не бути (Memento vom 7. Oktober 2008 im Internet Archive)
- NEWSru.ua: Ющенко оголосив розпуск Верховної Ради (Memento vom 10. Oktober 2008 im Internet Archive)
- NEWSru.ua: Київський суд призупинив указ Президента про позачергові вибори (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
- Ukrajinska Prawda: Гонка рейтингів: нові тенденції (Memento vom 15. März 2008 im Internet Archive)
- http://www.osce.org/odihr/96675
- Kyiv Post People First: The latest in the watch on Ukrainian democracy
- Kyiv Post Central Election Commission: Germany to send supervisors for elections in Ukraine
- europa.eu: Members of European Parliament will observe parliamentary elections in Ukraine (englisch)
- Neue Zürcher Zeitung: Wahlen als Lackmustest der Demokratie
- Die Welt: Die Ukraine braucht ein Signal aus der EU
- Neue Zürcher Zeitung: Wahlen als Lackmustest der Demokratie
- Reuters: Wahl in der Ukraine stärkt Präsident Janukowitsch
- Kyiv Post: Polish observers see no violations during elections in Kharkiv, Poltava, Sumy regions
- Stimme Russlands: No violations during Ukrainian parliament elections: European observer
- http://wyborcza.pl/1,75398,20132090,abw-partie-zmiana-zalozyli-rosjanie.html
- Neue Zürcher Zeitung: Streit um Ersatzwahlen und Nachzählungen in der Ukraine