Ostfälisch
Ostfälisch ist ein Dialektverband des Niederdeutschen, der in Niedersachsen ungefähr südöstlich einer Linie Uelzen – Celle – Hannover – Stadthagen – Bückeburg (einschließlich dieser Städte), also in der südlichen Lüneburger Heide und im Raum Hannover, Hildesheim, Braunschweig und Göttingen sowie in Sachsen-Anhalt in der Magdeburger Börde und im nordöstlichen bzw. nördlichen Harz und Harzvorland gesprochen wird (bzw. wurde). Auch kleine Gebiete nördlich von Kassel in Hessen und im thüringischen Teil des Eichsfeldes gehören zum ostfälischen Sprachgebiet, das einen Großteil des historischen Ostfalens ausmacht.
Ostfälisch | ||
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Gesprochen in |
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Thüringen | |
Linguistische Klassifikation |
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Offizieller Status | ||
Amtssprache in | als niederdeutscher Dialekt in Deutschland im Rahmen der Sprachencharta des Europarats offiziell anerkannt |
Beschreibung
Im Gegensatz zum Nordniedersächsischen, das im Radio und Fernsehen noch häufiger vorkommt und das noch ein größeres zusammenhängendes Sprachgebiet besitzt, wird Ostfälisch nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen, hauptsächlich im häuslichen Bereich und in Mundartgruppen.
Der Begriff ostfälisch entstammt der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts, die sich erstmals nahezu flächendeckend mit den Dialekten in diesem Raum befasste und dabei die hier (ansatzweise) zu beschreibenden Gemeinsamkeiten und Eigenheiten feststellte. Da diese sich zum Teil bis zu den (spärlichen) Schriftzeugnissen der altniederdeutschen Zeit zurückverfolgen lassen, wurde der seitdem untergegangene Name des östlichen Teils des ehemaligen altsächsischen Stammesherzogtums für diesen Zweck reaktiviert. — Auch wenn dieser Name seit dem Ende des 20. Jahrhunderts auch in anderen Zusammenhängen Verwendung findet (z. B. Deuregio Ostfalen[1]), hat er im täglichen Leben der Region höchstens marginale Bedeutung. Das Gleiche gilt für den davon abgeleiteten Namen des Dialekts: Die wenigen aktiven Sprecher kören Platt („sprechen Plattdeutsch“), zur Unterscheidung von anderen Varianten dienen Umschreibungen wie use („unser“) und ju’e Platt („euer Platt“), da auch die alten Gau- und Landschaftsnamen kaum noch gebräuchlich sind (abgesehen von Namen wie Papenteich/Poppendiek, die bei der Schaffung der Einheitsgemeinden ab 1974 verwandt wurden).
Im Ostfälischen erhalten die Objektpronomen ein k (mik oder mek und dik oder dek), das im Nordniederdeutschen fehlt (mi und di; jeweils für hochdeutsch mir und mich bzw. dir und dich). Außer im Braunschweiger und Hildesheimer Land und einigen anderen Regionen werden außerdem st und sp als scht und schp gesprochen. Jenseits der Grenze zum Halberstädtischen Richtung Magdeburg herrscht die hochdeutsche Lautung vor. (Dort „schtolpern de Lüe ower’n schpitzen Schtein“.) Das Ostfälische führt die für manche niederdeutschen Gebiete übliche Diphthongierung durch (täuwen „warten“ gegenüber dem in den meisten Regionen gebräuchlichen töven) und auch die Assimilierung des d nach l und n (z. B. hille „eilig“, von mnd. hilde „rasch“; Münner Platt, die Mundart Mündens).
Das Ostfälische ist ein variantenreicher Dialekt, dessen Wortschatz und Phonologie in relativ kleinen Gebieten bereits größere Unterschiede aufweisen kann. So gibt es für eine Form der Vokabel „aber“ mindestens drei Varianten im Ostfälischen: aver, åver und obber. Aufgrund dieser Verschiedenheit lässt sich der Dialekt auch, gleich dem Westfälischen, nicht einfach verschriftlichen.
Regionale Varianten
- Braunschweiger Platt oder kurz Braunschweigisch (in der Umgebung der Stadt Braunschweig, nicht zu verwechseln mit dem Braunschweigischer Hochdeutsch)
- Bode-Mundart (im Tal der Bode vom Oberharz bis ca. Oschersleben)[2]
- Calenberger Platt (im Gebiet zwischen Hannover, Hameln und Alfeld)
- Elbostfälisch (im Salzlandkreis und im Ostteil des Landkreises Börde; Übergangsmundart zum Obersächsischen und Mark-Brandenburgischem)
- Göttingisch-Grubenhagensch (etwa in den Landkreisen Northeim und Göttingen)[3][4]
- Heideostfälisch (im Norden der Landkreise Celle und Gifhorn sowie im Landkreis Uelzen; Übergangsmundart zum Nordniedersächsischen)
- Hildesheimer Platt oder kurz Hildesheimisch (etwa im Landkreis Hildesheim und im Südteil des Landkreises Peine[5])
- Holzland-Ostfälisch (in Teilen des Landkreises Börde)
- Huy-Mundart (in Teilen des Landkreises Harz)[2]
- nördliches Ostfälisch (zwischen Peine und Celle, d. h. in Teilen der gleichnamigen Landkreise Peine, Celle und im Osten der Region Hannover)
- Münnisch-Mundart (in Hann. Münden)
- Oker-Mundart (im Landkreis Goslar)
- östliches Ostfälisch (etwa in den Landkreisen Helmstedt und Wolfenbüttel)
- Papenteicher Platt oder kurz Papenteichisch (im Südteil des Landkreises Gifhorn)
Sprachliche Kennzeichen
Die erwähnten Personalpronomina mik (mek) und dik (dek) (gegenüber nordniederdeutsch mi und di, nedersaksisch je) sind nur Beispiele, da dieser Unterschied auch für die Formen öhn(e), üsch und jück gilt (nordniederdt. em, u[n]s, jo [ju], hochdt. ihm/ihn, uns, euch). Das Ostfälische stimmt zwar mit vielen niederdeutschen Dialekten (mit Ausnahmen z. B. im südlichen Westfälisch) darin überein, dass in den genannten Formen der Dativ mit dem Akkusativ zusammengefallen ist (zu weiteren Einzelheiten vgl. den Artikel zu den Personalpronomina der germanischen Sprachen), seine Besonderheit zeigt sich aber darin, dass sich bei allen diesen Formen der Akkusativ gegenüber dem Dativ durchgesetzt hat (im Nordniedersächsischen ist es genau umgekehrt). Im Ostfälischen hat sich mit der Form üsch ein Akkusativ der ersten Person Plural erhalten (vgl. althochdt. unsih, altengl. ūsic [neben ūs], ebenso hochalemannisch üs, südbairisch ins im oberdeutschen Sprachraum).
Ein weiteres Merkmal des Ostfälischen ist die resthafte Erhaltung der Vorsilbe ge- als e- beim Partizip II (Partizip Perfekt) der Verben; da diese Vorsilbe auch im Heideostfälischen verloren gegangen ist, steht z. B. bei Celle dessen wään („gewesen“) südlichem ewää(se)n [əˈvɛː(z)n̩] gegenüber.
Ein auffälliger Unterschied zwischen dem Ostfälischen und allen anderen niederdeutschen Dialekten ist das Ausbleiben (bzw. Rückgängigmachen) der Tondehnung in offener Silbe vor -el, -en, -er in der Folgesilbe, z. B. ostfälisch Löppel [ˈlœpl̩], betten [ˈbɛtn̩], Pepper [ˈpɛpɐ] („Löffel, bisschen, Pfeffer“) gegenüber nordniedersächsisch Läpel [ˈlɛːpl̩], bäten [ˈbɛːtn̩], Päper [ˈpɛːpɐ].
Zu den oben erwähnten „ungewöhnlichen Wörtern“ des Ostfälischen gehören Ütsche/Üütsche („Frosch“, nordnieders. Pogg), Kempe („Eber“, nordnieders. Äver, Ever) und Hailebort/Hallebot („Storch“, nordnieders. Aadboor und andere). Es gibt aber auch auffällige Gleichungen (ererbte Gemeinsamkeiten) mit dem Englischen und dem Norwegischen: So entspricht ostfälisch Snake [ˈsnɔːkə] („Ringelnatter“; von mnd. snake, „Schlange“, welches sich in anderen Dialekten noch in ursprünglicher Bedeutung erhält) dem norweg. snok und dem engl. snake, ostfälisch Drake [ˈdrɔːkə] („Erpel“) dem engl. drake, ostfälisch Schare [ˈʃɔːrə] („Elster“) dem norweg. skjor (Bokmål: skjære) und ostfälisch Mull [mʊl] („Maulwurf“) dem engl. mole.
Auch beim Ausgleich der altniederdeutschen Lautoppositionen, insbesondere bei der Reduzierung der in offener Silbe unterschiedenen Vokale, bezieht das Ostfälische eine eigene Position, indem es zwar stärker vereinfacht als das Westfälische (das in seinen südlichen Dialekten keine Reduktion kennt), aber nicht so weit geht wie der Kernbereich des Nordniedersächsischen (wo von ursprünglich acht Vokalphonemen nur noch drei geblieben sind). Trotz der Verschiedenheit der Laute im Einzelnen haben die meisten ostfälischen Dialekte also ein gemeinsames Lautsystem. (In diesem Falle bleibt neben dem Heideostfälischen auch das Göttingisch-Grubenhagensche – das sich hierin zum Ostwestfälischen stellt – außenvor).
Weblinks
- OSTFALENPOST
- Christian Reineke: Minimalgrammatik Ostfälisch (PDF; 289 kB)
- Ostfälische Bibliothek – sehr umfangreiche Literaturliste
- Verschiedene ostfälische Mundartproben
- Plattdeutsche Texte
Literatur
- Rolf Ahlers: Sprechlehre und Schreiblehre für ostfälisches Plattdeutsch – Gedanken und Hinweise zum Sprechen und Schreiben. Wendeburg 2001, ISBN 3-932030-13-3.
- Rolf Ahlers: Un mit’n Mal was Kaffeetied. Plattdeutsche Dorfgeschichten. Wendeburg 2002, ISBN 3-932030-21-4.
- Edvin Brugge: Vokalismus der Mundart von Emmerstedt · Mit Beiträgen zur Dialektgeographie des östlichen Ostfalen. Lund (Schweden) 1944.
- Werner Flechsig: Ostfälische Sprichwörter. Volksweisheit und Volkshumor aus fünf Jahrhunderten zusammengestellt aus gedruckten und ungedruckten Quellen. (Erstausgabe Braunschweig 1974).
- Ursula Föllner, Saskia Luther, Dieter Stellmacher (Hrsg.): Der Raum Ostfalen. Geschichte, Sprache und Literatur des Landes zwischen Weser und Elbe an der Mittelgebirgsschwelle. Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-631-65054-7.
- Carl Kreye: Main Derp (Calenberger Platt) Gedicht und Übersetzung gegenübergestellt
- Wilhelm Pape (Herausgeber: Jürgen Pape): Vertell doch mol en betten Platt. Plattdeutsche Geschichten und Erinnerungen. 3. Auflage. Braunschweig 1981.
- Ulrich Scheuermann: Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostfälischen. In: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Band 2, de Gruyter, Berlin 2003, S 2663–2673, ISBN 3-11-015883-3
- Jürgen Schierer (Hrsg.): Twischen Bronswiek un Hannower. Plattdeutsches von Gestern und Heute. [Sammelband mit Beiträgen verschiedener Autoren], Peine 1982, ISBN 3-923500-02-5.
- Jürgen Schierer (Hrsg.): weitere Sammelbände wie der obige (jeweils um die 400 Seiten):
- Twüschen Hameln un Chöttingen. Peine 1987, ISBN 3-926560-12-6.
- Twüschen Hilmessen un Ganderssen. Peine 1988, ISBN 3-926560-13-4.
- Twischen Harz un Madeborch. Plattdeutsches aus Vergangenheit und Gegenwart. Ostfälisches Platt 4. Band. Peine 1991, ISBN 3-926560-18-5.
- Jürgen Schierer (Hrsg.): Wat de Lüe sik vertellt – Plattdeutsches aus dem Raum Peine, Peine 1978.
- Dieter Schoß, Robert Schoß: Zwischen Großem Fallstein und Großem Bruch. Ländliches Leben im Kaiserreich [Ostfälisch und hochdeutsche Übersetzung] Verlag Karin Fischer, Aachen 2015, ISBN 978-3842243224
- Martin Selber (1924–2006): Stippsteereken in ostfälischer Mundart aus der Magdeburger Börde:
- Mien Dorpspaijel. Plattdeutsche Mundartgeschichten. Wanzleben 1981.
- Ick bin Mieneken Musekeddel. Plattdeutsche Mundartgeschichten. Zentralhaus-Verlag, Leipzig 1988.
- Ick un mien Bartchen. Plattdeutsche Mundartgeschichten. Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben.
- Justel vorrtellt. Plattdeutsche Mundartgeschichten. Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 1993, ISBN 3-928703-13-7.
- Schaulstunne bi Kanter Bosse. Schulgeschichten aus der Magdeburger Börde in ostfälischem Platt. Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 1994, ISBN 3-932090-17-9.
- Dat bist Du, mien Bördeland: Lehrreiches und Unterhaltsames zur Bördegeschichte. 1999, ISBN 3-932090-60-8.
- Erika Stegemann:
- Bi üsch up’n Dorpe. Plattdeutsche Geschichten. 2. Auflage. Großmoor 1998.
- Mehr von üsch ut’n Dorpe. Plattdeutsche Geschichten. Großmoor 1999.
- Heinrich Vollmer (Herausgeber: Jürgen Schierer): Mek is noch sinnlich – Dat Lewen uppen platten Lanne. (Hohenhameln-Soßmar, Kreis Peine), Lahstedt-Münstedt 1981.
- Friedrich Wille: De plattduitsche Baibel – et Aule Testament, de Laten Boiker, et Naie Testament. – eine Familien- und Heimatbibel – oversettet von Friedrich Wille. Einbeck 1997.
- Friedrich Wille: Et plattduitsche Märchenböok – 12 von Grimms Märchen naavertellt up ostfälisch Platt. Peine 1992, ISBN 3-926560-23-1.
Wörterbücher
- Paul Alpers (Hrsg.): Kleines plattdeutsches Wörterbuch des Landkreises Celle. Celle 1955 (als Manuskript vom Landkreis Celle vervielfältigt).
- Friedrich Binroth: Wie hait dat woll in Platt? ∙ Kleines Wörterbuch für ostfälisch Platt. Cremlingen 1987, ISBN 3-9800219-8-X.
- Christian Flemes: Das kleine Buch der hannoverschen Mundart. Sprüche und Redensarten in Calenberg-Stadthannoverscher Mundart mit Wörterbuch (Herausgeber: Wilhelm Netzel), Hannover 2005, ISBN 3-923976-47-X.
- Albert Hansen: Holzland-Ostfälisches Wörterbuch. Besonders der Mundarten von Eilsleben und Klein Wanzleben. Ummendorf 1994.
- Heinrich Heike-Cramm: Auswahl aus dem Wortschatz der plattdeutschen Sprache Groß Gleidingens und Umgebung. Braunschweig 1970.
- Otto Rohkamm: Nordharzer Wörterbuch. Plattdeutsch. Auf der Grundlage der Mundart von Harzburg und der oberen Oker. Peine 2003, ISBN 3-926560-47-9.
- Hans-Friedrich Rosenfeld: Wernigeroder Wörterbuch. Neumünster 1975, ISBN 3-352-94612-4.
- Wilhelm Schrader: Plattdeutsches Wörterbuch für Helmstedt und Umgebung. Auf der Grundlage der Mundart von Emmerstedt.
- Teil I: Hochdeutsch-Plattdeutsch. Peine 1999, ISBN 3-926560-38-X.
- Teil II: Plattdeutsch-Hochdeutsch. Peine 2000, ISBN 3-926560-31-2.
- Heinrich Sievers, Heinrich Keese (Herausgeber: Werner Sührig): Ostfälisches Platt im Hildesheimer Land. (Wörterbuch, Sprachlehre und Grammatik), Hildesheim 2002, ISBN 3-487-11594-8.
- Hans J. Toll: Das kleine Hannoversche Wörterbuch. (Herausgeber: Wolfgang Risse), Hannover 2001, ISBN 3-923976-36-4.
- Franz Wrede: Plattdeutsches Wörterbuch des Kirchspiels Sievershausen, Kreis Burgdorf i. Hannover. Ein Beitrag zur Mundart der Südheide, Celle 1960.
- Franz Wrede, Jürgen Schierer, Harald Gold: Hochdeutsch-Plattdeutsches Wörterbuch (Ostfälisch). Peine 1995, ISBN 3-926560-32-0 (Basiert auf Franz Wredes Wörterbuch von 1960).
- Wilfried Zilz: Das Ortswörterbuch von Eltze in der Region Hannover. Bielefeld 2010, ISBN 978-3-89534-885-3.
Quellen
- Deuregio Ostfalen e. V. (Helmstedt) ostfalen.de.
- "Über die Mundarten des Harzes und des Harzvorlandes"
- Mundartprobe aus Riefensbeek (DSA-Archiv): Ostfälisch
- Georg Schambach: Wörterbuch der niederdeutschen Mundarten der Fürstenthümer Göttingen und Grubenhagen oder Göttingisch-Grubenhagen’sches Idiotikon. Hannover, 1858 (Google-Digitalisat)
- Runas Geburt, in Hildesheimer Plattdeutsch: Runas Gebiuert – Möine Swester kummt uppe Welt (PDF; 16 kB).