Oben ohne
Als oben ohne bezeichnet man in der deutschen Sprache umgangssprachlich das Zeigen des nackten, in der Regel weiblichen Oberkörpers mit unbedeckten Brüsten. Andere umgangssprachliche Bezeichnungen sind busenfrei, barbusig, brustfrei und barbrüstig. Abzugrenzen ist oben ohne von der Freikörperkultur (FKK), bei der der gesamte menschliche Körper unbedeckt ist (vgl. Nacktheit).
Geschichte
Die Einstellung zur Sichtbarkeit der weiblichen Brust in der Öffentlichkeit hat sich in den verschiedenen Kulturen und im Laufe der Zeit stark verändert. Das Fehlen von Kleidung oberhalb der Taille, sowohl für Frauen als auch für Männer, war in den traditionellen Kulturen Amerikas, Afrikas, Australiens und der pazifischen Inseln bis zur Ankunft der christlichen Missionare die Norm, und es ist auch heute noch in vielen indigenen Kulturen die Norm. Diese Praxis war auch die Norm in verschiedenen asiatischen Kulturen vor der muslimischen Expansion im 13. und 14. Jahrhundert.[1]
Auch in anderen Epochen – so zum Beispiel in der minoischen Kultur und nach der Französischen Revolution – gab es immer wieder die Mode, die Brüste nicht zu bedecken.
Im Sportunterricht wurde das Turnen mit freiem Oberkörper auch für Mädchen in den 1920er Jahren propagiert.
In neuerer Zeit wurde der Begriff auf Bademoden beschränkt. So entwarf der österreichische Modemacher Rudi Gernreich 1964 in den Vereinigten Staaten die „Oben ohne“-Bademode als eine Weiterentwicklung des Bikinis – die Präsentation des Entwurfs am 30. Juni am Strand von Chicago wurde nach drei Minuten durch 15 Polizisten beendet.
Am 22. April 1969 kam es in der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zum sogenannten Busenattentat auf Theodor W. Adorno.
Das Baden mit Höschen, aber ohne Bikini-Oberteil[2] wurde an den öffentlichen Stränden Europas im Laufe der siebziger Jahre mehr und mehr toleriert. Vorreiter war dabei die Avantgarde zum Beispiel an Stränden von Saint-Tropez (Frankreich) oder Ibiza (Spanien) bereits in den 1960er Jahren.
Situation in der Gegenwart
Strand und Sonnenbaden
Seit den 1980er Jahren ist in Westeuropa oben ohne an den Stränden und öffentlichen Badestellen sowie in einigen wenigen Freibädern, außenliegenden Hotelpools und Parks geduldet, allerdings ist die Grenze zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem bei diesem Thema regional unterschiedlich.[3] So ist zum Beispiel der Englische Garten in München für seine Oben-ohne-Kultur bekannt.
Gründe für das (Sonnen-)Baden oben ohne sind unter anderem der Wunsch nach vollständiger Bräunung oder gesundheitliche Gründe (beispielsweise geringere Erkältungsgefahr durch weniger nassen Stoff).
Vor allem in außereuropäischen Ländern gibt es nach wie vor sittliche oder ästhetische Bedenken. In Ländern, in denen Religion eine große Rolle spielt, insbesondere in der arabischen Welt, sind oben ohne und FKK sogar verboten. In Kuba gilt oben ohne als Zeichen westlicher Dekadenz.[4]
In anderen öffentlichen Kontexten
Außerhalb von Stränden und Badestellen ist oben ohne im europäisch-westlichen Kulturkreis nur gering verbreitet. Oft wird es als Form des öffentlichen Protests eingesetzt, so z. B. auf Demonstrationen. 1968, im Jahr des Studentenprotests, ließen Frauen in einem Gerichtssaal ihre Oberbekleidung fallen, um gegen die „Klassenjustiz“ zu protestieren.[5]
Seit 2010 protestieren Mitglieder der ukrainischen Frauenbewegung Femen oben ohne u. a. gegen Sextourismus.[6]
Geschlechtsspezifische rechtliche Einschränkungen
Vereinigte Staaten von Amerika, New York
New York ist ein Bundesstaat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in dem sich Frauen legal „oben ohne“ in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. 1992 hat dies das höchste Gericht im Staat geurteilt. Das bedeutet, jede Frau kann sich „oben ohne“ in der Stadt frei bewegen, zu jeder Zeit und überall.[7][8][9]
Deutschland
In Deutschland sind die öffentliche Nacktheit und damit die Nacktheit der Brüste – wie in den meisten Ländern – nicht explizit verboten. Durch gerichtliche Entscheidungen ist die „Nacktheit in Strandnähe“ in Deutschland faktisch legalisiert und überwiegend toleriert.
Die Nacktheit in freier Natur gilt als juristischer Grenzfall – faktisch kommt es darauf an, ob jemand behauptet, belästigt zu werden und deswegen Strafverfolgung verlangt. Obwohl keine Gesetze vorliegen, die „oben ohne“ verbieten würden, kommt es regelmäßig zu Aufforderungen von Sicherheitsdiensten und Ordnungsämtern, die Brüste zu bedecken. Berufen wird sich dabei in der Regel auf §118 Ordnungswidrigkeitengesetz, „Belästigung der Allgemeinheit“, welcher als sogenannter „Gummiparagraph“ Anwendung findet. Im Fall von Grünanlagen oder Freibädern, die zu einer Kommune oder einem privaten Unternehmen gehören, kommt das Hausrecht hinzu. Da in diesen Fällen oftmals von Frauen eine Bedeckung des Oberkörpers gefordert wird, von Männern hingegen nicht, werden diese Regelungen zunehmend als diskriminierend empfunden.[10]
Hingegen ist Nacktheit in der eigenen Wohnung und auf dem eigenen Grundstück grundsätzlich erlaubt, auch bei Einsehbarkeit der Wohnung. Nur in „krassen Ausnahmefällen“ kann Nacktheit auf eigenem Grund und Boden untersagt werden, etwa wenn sie mit sittlicher oder sexueller Belästigung verbunden ist.[11]
Österreich
In Österreich ist oben ohne zwar erlaubt, wird jedoch mittlerweile relativ selten praktiziert. Nur an einigen Kärntner Seen, am Pleschinger See in Oberösterreich, an Baggerlöchern oder am Bodensee Vorarlbergs und in manchen Wiener Freibädern (wie zum Beispiel der Alten Donau oder dem Gänsehäufel) wird oben ohne manchmal noch praktiziert. In letzter Zeit kam es in den Freibädern außerdem zu einem Rückgang an Freizügigkeit.
Polen
In Polen wird oben ohne an den Stränden teilweise von Amts wegen verfolgt, ohne dass es Geschädigte (belästigte Personen) gibt. Nach dem polnischen Vergehensgesetzbuch (kodeks wykroczeń) können Ungehörigkeitsvergehen mit Arrest, einer Geldbuße von bis zu 1.500 PLN (ca. 350 €) oder einer Rüge geahndet werden.[12] Üblicherweise wird durch die Polizei Verwarnungsgeld erhoben; bei Nichtannahme des Strafzettels wird ein Strafverfahren eingeleitet. Im Jahr 2008 kam es in einem Präzedenzfall in der ersten Instanz zur Verurteilung von zwei oben ohne badenden Frauen wegen Ungehörigkeitsvergehen mit der Begründung, dass „die öffentliche Nacktheit einen Normbruch in unserer Gesellschaft“ darstelle. Infolge der Berufung und nach der Intervention des Beauftragten für Bürgerrechte wurden diese Anfang 2009 freigesprochen.[13][14]
Spanien
An Spaniens Küsten und auf den spanischen Inseln ist oben ohne überall erlaubt.[15]
Widerstand gegen Ungleichbehandlung
Im angloamerikanischen Raum ist oben ohne bei Frauen entweder als sozial inakzeptabel deklariert oder sogar bei Strafe verboten, dies gilt mitunter sogar für den Strand. Aber auch in Kontinentaleuropa existieren Situationen, in denen ein freier männlicher Oberkörper als akzeptabel angesehen wird, wohingegen dies bei Frauen nicht toleriert wird. Gegen diese Praxis formiert sich in jüngster Zeit Widerstand von verschiedenen Gruppen, die, insbesondere in den USA unter der Sammelbezeichnung „topless equality“ bzw. „topfreedom“, für eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz eintreten. Die Forderung lautet dabei, dass es Frauen überall dort gestattet sein muss, sich oben ohne zu bewegen, wo Männer dies auch dürfen. Mit der Kampagne Free The Nipple wird ausgehend von den USA gefordert, dass Frauen, so wie Männer, ihre Brustwarzen legal in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Seit 2011 gibt es in New York die Outdoor Co-ed Topless Pulp Fiction Appreciation Society, eine Gruppe von Frauen, die Treffen in der Öffentlichkeit abhalten, um oberkörperfrei Literatur zu konsumieren und zu diskutieren sowie auf das in New York City verbriefte Recht, als Frau barbusig zu sein, hinzuweisen.
In Schweden formierte sich 2007 die neo-feministische Bewegung Bara Bröst, um das Oben-ohne-Baden auch in Schwimmbädern durchzusetzen. Mit ähnlichen Zielen tritt in den USA die topfreedom-Bewegung an: Sie kritisiert die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern hinsichtlich der Oben-ohne-Gesetzgebung. Wie in vielen anderen Ländern ist es Männern in vielen Kontexten erlaubt und sozial akzeptiert, sich in dieser Form öffentlich zu zeigen, wohingegen es Frauen bei Strafandrohung verboten ist. Gegen diese Form der Diskriminierung werden Demonstrationen und Veranstaltungen organisiert sowie Öffentlichkeitsarbeit betrieben.[16][17]
In Berlin kam es 2021 zu Protesten gegen die Ungleichbehandlung des freien Oberkörpers beider Geschlechter in der Öffentlichkeit.[18] Auslöser der Aktionen war die Solidarisierung mit einer Frau, die von der Polizei gezwungen wurde, ihre Brüste zu bedecken. Sie hatte sich in der „Plansche“ im Plänterwald oben ohne gesonnt – ebenso wie zahlreiche Männer, welche diese Aufforderung nicht erhielten und von der Polizei unbehelligt blieben.[19] Die Berliner SPD-Politikerin Ana-Maria Trăsnea meinte zu dem Vorfall: „Die weibliche Brust wird von Gerichten als sekundäres Geschlechtsmerkmal gesehen und sexualisiert. Die Rechtssprechung ist dann so, dass die weibliche Brust versteckt werden muss. Diese Rechtsauslegung stammt aus einer Zeit, in der mehr Richter als Richterinnen für die Gesetzesauslegung verantwortlich waren.“ Man müsse nun „auf diese unterschiedliche Behandlung aufmerksam machen, damit für Sicherheitspersonal sowie Richterinnen und Richter klar ist: oben ohne sonnen ist keine Belästigung der Allgemeinheit“. Vergleichbar äußerte sich Marcel Luthe von den Freien Wählern:„Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel Drei des Grundgesetzes bindet jedes öffentliche Handeln, auch der Polizei oder anderer auf einer bezirkseigenen Fläche“. Wer das missachte, diskriminiere nach Ansicht des Politikers. Und sei damit „ganz klar ein Fall für das Landesantidiskriminierungsgesetz“[20]
Kulturelle Rezeption
Bildende Kunst
Die Darstellung von Frauen mit unbekleidetem Oberkörper folgt einer langen Tradition in der europäischen Kunst und reicht bis auf die griechische Antike zurück. Insbesondere mit der Renaissance und der damit einhergehenden Wiederentdeckung antiker Ideale kam es zur gehäuften Darstellung nackter und halbnackter Frauen in Malerei und Skulptur (siehe dazu auch Akt (Kunst)).
Eines der berühmtesten Gemälde, auf denen eine Frau oben ohne dargestellt ist, ist das Werk Die Freiheit führt das Volk von Eugène Delacroix. Die Barbusigkeit ist hierbei Ausdruck von Freiheit und des Abwerfens von Zwang und Unterdrückung.
Musik
Das städtische Krapfenwaldlbad war 1979 testweise Wiens erstes oben-ohne-Bad, 1981 folgte das Gänsehäufel. 1982 wurde oben ohne dann in zwölf der sechzehn kommunalen Sommerbäder Wiens, einem in Innsbruck, einem in Klagenfurt und in drei Linzer Bäder erlaubt.[21] Dies führte zu großem Medieninteresse und vielen Diskussionen. Rainhard Fendrich verarbeitete das Thema in seinem Sommerhit „Oben ohne“.
Werbung und Medien
Der Begriff oben ohne als Stichwort und Aufmerksamkeitssignal wird in der Werbung gerne im übertragenen Sinne verwendet, etwa in der Werbung für Cabrios, Mittel gegen Haarausfall oder Schuppen. Auch Warnungen vor dem Zweiradfahren und Skifahren ohne Helm sichern sich mit dem Wörterpaar oben ohne Publikumaufmerksamkeit.
In Film, Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen finden sich häufig Bilder von barbusigen Frauen, wie das tägliche Page-3-Girl vieler Boulevard-Zeitungen.
Während oben ohne an Stränden eine selbstbestimmte Entscheidung jedes Einzelnen ist, wird bei den Darstellungen in Medien und Werbung vielfach die Effekthascherei und das dadurch sinkende Niveau kritisiert, wenn die Darstellung insbesondere Männer (sexuell) ansprechen soll.
Nach einer politischen Entscheidung, die nach Meinung der polnischen Öffentlichkeit Polen politisch benachteiligte, zeigte das polnische Magazin Wprost im Juni 2007 eine Fotomontage, in der die Bundeskanzlerin Angela Merkel barbusig Lech Kaczyński und Jarosław Kaczyński stillt.[22]
Weblinks
Einzelnachweise
- - Living Heritage.
- Melanie Keim: Kultur des Oben ohne – Der befreite Busen In: Neue Zürcher Zeitung vom 19. August 2016.
- divers-travel-guide.com Wieviel Textilfreiheit ist wo erlaubt? (Memento vom 8. Februar 2005 im Internet Archive)
- Marco Polo Reiseführer Kuba, ISBN 978-3-8297-0144-0, S. 120.
- Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten: Achtundsechzig: Aktion Blanker Busen. In: Spiegel Online. 16. Oktober 2007, abgerufen am 23. Dezember 2014.
- EXPRESS.DE Nackt-Proteste gegen Regierung (abgerufen am 21. März 2011).
- Half-nude women march for right to bare breasts In: nydailynews.com
- 10 successful cases recognizing women's right to be topless in certain states or cities - GoTopless In: gotopless.org
- Demented Tidbits: Naked New York In: babyboyfreberg.typepad.com.
- Gleichberechtigung in Deutschland bei deinem nackten Oberkörper aufhört – Vice Magazin.
- Nachbarn ziehen Klage gegen Nackten in Garten zurück - DERWESTEN.
- Wykroczenia przeciwko obyczajowości publicznej | Kodeks wykroczeń. Abgerufen am 1. September 2020.
- Monika Adamowska: Sąd: Topless w Polsce póki co zakazane. In: Gazeta.pl. Agora SA, 7. November 2008, abgerufen am 23. Mai 2019 (polnisch).
- ps: Nagi biust nikogo nie zgorszy. In: dziennik.pl. Infor Biznes Sp z o.o., 8. Juni 2010, abgerufen am 23. Mai 2019 (polnisch).
- Spanien-ABC: Informationen zu den Strandregeln in Spanien. In: Spanien ABC. 5. Juni 2006, abgerufen am 1. September 2020 (deutsch).
- IRM: Gotopless - Claiming equal topless rights for men and women. Abgerufen am 19. September 2021 (englisch).
- Nackt-Protest in den USA: Frauen demonstrieren oben ohne. 25. August 2008, abgerufen am 19. September 2021.
- Männer sollen Nippel verdecken Oben-ohne-Fahrraddemo in Berlin-Kreuzberg geplant - Tagesspiegel.
- Bezirksbürgermeister Oliver Igel zu Streit um Brüste in Berlin: Locker bleiben! - Berliner Zeitung.
- Polizeieinsatz in Berlin: Belästigen nackte Frauenbrüste die Allgemeinheit? - Berliner Zeitung.
- Oben Ohne im Schwimmbad? Meinungsforum. In: Wochenpresse. Band 37, Nr. 14. Wien Mai 1982, S. 52: „Seit Beginn der Badesaison 1982 dürfen die Besucherinnen der meisten kommunalen Sommerbäder in Wien ihre Bikini-Oberteile zu Hause lassen. Auch das Innsbrucker Tivoli-Bad, das Klagenfurter Strandbad und drei Linzer Bäder folgen dem textilarmen Trend. […] Peter Schieder Wiener Stadtrat für Umwelt und Freizeit […] Die Bäderverwaltung hat bereits vor zwei Jahren das Krapfenwaldlbad versuchsweise zum Oben-Ohne-Bad erklärt. Im vergangenen Sommer konnten die weiblichen Badegäste auch in Wiens größtem Sommerbad. dem Gänsehäufel, das Bikini-Oberteil ablegen. Mit Beginn der Sommerbadesaison 1982 hat sich die Stadt Wien dazu entschlossen, Oben Ohne in zwölf der sechzehn städtischen Sommerbäder zu ermöglichen. Von dieser Regelung sind vier städtische Sommerbäder ausgenommen: das Strandbad Alte Donau, das Kongreßbad, das Höpflerbad und das Sommerbad des Theresienbads.“
- netzeitung.de Polnisches Magazin zeigt Merkel barbusig (Memento vom 28. Juni 2007 im Internet Archive)