Nordniederdeutsch
Nordniederdeutsch (Nndt.) [ˈnɔʁtˌniːdɐdɔɪ̯ʧ] oder auch Nordniedersächsisch ist ein Dialektverband innerhalb des Niedersächsischen. Die Bezeichnung „Nordniedersächsisch“ bezieht sich nicht geografisch auf das deutsche Bundesland Niedersachsen, sondern auf das nördliche Sprachgebiet des Westniederdeutschen, das sich auch jenseits der deutsch-niederländischen Staatsgrenze (Nedersaksisch) fortsetzt.[1]
Dieser Dialektverband wird vor allem durch seine höhere Medienpräsenz vermeintlich als „Standard-Niederdeutsch“ angesehen, da es im überwiegenden Teil Norddeutschlands, einschließlich des Großteils Niedersachsens, Bremens und Schleswig-Holsteins, verstanden und gesprochen wird. Mit Ausnahme des Ostfriesischen Niederdeutsch, das starkes friesisches Substrat, zahlreiche Diphthongierungen und niederländischen Spracheinfluss aufweist, sind alle Subgruppen des Nordniederdeutschen untereinander leicht verständlich. Durch die mediale Verbreitung in Radio und Fernsehen weist es in vielfacher Hinsicht die Funktion einer Standardsprache innerhalb des Niederdeutschen auf, ohne eine zu sein.
Begriffsbildung
Der Begriff „Nordniederdeutsch“ wurde 1957 durch den Germanisten William Foerste geprägt und in die Fachliteratur eingebracht, um das Niederdeutsche nördlich des West- und Ostfälischen zu bezeichnen. Heute hat er sich in der Germanistik im Sinne von „nördliches Westniederdeutsch“ durchgesetzt. Die ältere Forschung verwendete Begriffe wie Nordalbingisch für das nördliche Niedersächsische sowie Niedersächsisch, was jedoch zu sehr mit dem deutschen Bundesland assoziiert werden kann.
Foerste setzte sich beispielsweise auch dafür ein, dass ein gemeinsamer ostniederländisch-westniederdeutscher Sprachatlas herausgegeben würde, um so die wortgeografischen Zusammenhänge zwischen den Niederlanden und Niederdeutschland (= Norddeutschland) einer gründlichen Forschung zugänglich zu machen. Als Benennung für das Untersuchungsgebiet schlug Foerster zudem die apolitische Bezeichnung „Saxonia“ bzw. „saxonisch“ vor, die ihm sowohl vonseiten der Germanistik als auch vonseiten der Niederlandistik als annehmbar erschien.[2]
Kennzeichen, Begrenzung
Kennzeichen
Dem hier beschriebenen Dialektverband werden germanistisch alle niederdeutschen Dialekte zugerechnet, die weder über west- noch über ostfälische Kennzeichen verfügen.[1]
Nordniederdeutsch zeichnet sich gegenüber dem südlich befindlichen Westfälischen durch das Fehlen der Westfälischen Brechung und durch starke Vereinfachung im Vokal- und Formensystem aus. So sind dort beispielsweise die mittelniederdeutschen a-Laute â und ā zu /å/ zusammengefallen. Zudem weist es e-Apokope auf: nordndt. up’n disk vs. westfäl./ostfäl. up´n diske.[1]
Begrenzung
Die Grenze zum niederfränkisch basierten Niederrheinisch wird allgemein an der Westfälischen Linie gezogen und definiert sich durch die 1., 2. und 3. Person Plural Präsens Indikativ der Verben: So lautet hochdeutsches „wir machen“, „ihr macht“ und „sie machen“ dort wi maket, ji maket, se maket.[3][4]
Seine Begrenzung zum benachbarten Ostniederdeutschen wird durch eine Linie gebildet, die sich von Lübeck über Magdeburg nach Halberstadt erstreckt. Östlich dieser Linie (-et/-en-Linie) herrscht ebenfalls ein Einheitsplural auf, der sich durch die Verbenendung -en vom Westniederdeutschen abhebt: wi maken, ji maken, se maken.[4]
Im Norden grenzt es an das dänische und an der Küste Schleswig-Holsteins an das nordfriesische Sprachgebiet. Im Osten wird Nordniederdeutsch durch den Dialektverband Mecklenburgisch-Vorpommersch und im Süden durch das west- und ostfälische Dialektgebiet begrenzt. Im Raum Lüneburg, Uelzen und Salzwedel bildet es zudem mit dem Ostfälischen und dem Mecklenburg-Vorpommerschen einen größeren Interferenzraum, das heißt, ein Dialektkontinuum.[1]
Subgruppen
Das Nordniederdeutsche wird auf deutscher Seite in sieben Untergruppen (Dialekte) geschieden:
- Ostfriesisches Niederdeutsch (Kennzeichen tuun „Zaun“, hör „ihnen“), das sich auf altostfriesischem Sprachgebiet etablierte,
- Emsländisches Niederdeutsch an der Unterems (Kennzeichen wi bünt „wir sind“),
- Oldenburgisches Niederdeutsch (Kennzeichen achter uusen huus „hinter unserem Haus“ anstelle des zu erwartenden achter u(n)s hus),
- Nordhannoveranisches Niederdeutsch (Kennzeichen wörtel „Möhre“ anstelle des zu erwartenden wortel),
- Holsteinisches Niederdeutsch (Kennzeichen jüm „ihnen“),
- Dithmarsches Niederdeutsch (Kennzeichen gäsche „Gevatterin“) und
- Schleswigisches Niederdeutsch (Kennzeichen Infinitivkonstruktion mit un: dat is tid un plücken applen „es ist Zeit Äpfel zu pflücken“).[1]
Ostfriesisches und Emsländisches Niederdeutsch haben gemeinsam, dass beide stark mit niederländischen Elementen durchsetzt sind, indes Holsteinisch vielfach mit dem Mecklenburg-Vorpommerschen Übereinstimmungen aufweist.[1]
Ostfriesisches Niederdeutsch setzt sich als Gronings auch in den Niederlanden fort, derweil die übrigen Subgruppen des Nordniederdeutschen sich in weitere Unterdialekte (Lokaldialekte) spalten:
- Hamburger Platt
- Dialekte der Elbmarschen
- Heidjer-Platt
- Bremer Platt, das laut Radio Bremen von 2008 „heute praktisch ausgestorben […]“[5] und das nicht mit dem Regiolekt Bremer Dialekt zu verwechseln ist.
- Hümmlinger Platt
Einzelnachweise
- Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. 3., neubearbeitete Auflage. J. B. Metzler, Stuttgart 2005, ISBN 3-476-02056-8, Eintrag „Nordniederdeutsch“, S. 446–447.
- Ludger Kremer: Mundartforschung im ostniederländisch-westfälischen Grenzgebiet. Eine Bestandsaufnahme 1900–1975, Rudopi N.V., Amsterdam 1977, Fußnote 130, Googlebooks, abgerufen am 28. November 2018
- Heinrich Thies (Hrsg.): SASS. Plattdeutsche Grammatik. 2., verbesserte Auflage. Wachholtz Verlag, Neumünster 2011, ISBN 978-3-529-03200-4, Kapitel „Pronomen (Fürwörter) u. Artikelwörter (Begleitwörter)“, S. 155.
- Hermann Niebaum, Jürgen Macha: Einführung in die Dialektologie des Deutschen. (= Germanistische Arbeitshefte. Band 37). 2., neubearbeitete Auflage. Max Niemeyer Verlag, 2006, ISBN 3-484-26037-8, S. 220.
- Begleittext von Radio Bremen von 2008, zur Wiederholung der niederdeutschen Hörspielserie Ottjen Alldag nach der Roman-Trilogie von Georg Droste: Ottjen Alldag von 1954 (siehe verschiedene Folgen und Sendetermine) (Memento vom 24. Februar 2009 im Internet Archive)