Marcel Prawy
Marcel Prawy (als Marcell Horace Frydmann Ritter von Prawy * 29. Dezember 1911 in Wien; † 23. Februar 2003 ebenda) war ein österreichischer Dramaturg, Opernkenner und Opernkritiker mit amerikanischer Staatsbürgerschaft.[1]
Marcel Prawys Großvater Marcell Frydmann war 1899 mit dem Territorialprädikat von Prawy (polnisch für „der Gerechte“) in den erblichen österreichischen Ritterstand erhoben worden. Nach dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie ging der Familie mit dem Adelsaufhebungsgesetz 1919 die Nobilitierung verloren.[2] Im Oktober 1938 emigrierte Prawy als Marcell Frydmann in die Vereinigten Staaten, dort nannte er sich Marcell Horace Frydmann Prawy[3] und wurde 1941 unter dem Namen Marcell Frydman-Prawy registriert.[4] Nach seiner Rückkehr nach Österreich wurde er ab 1955 unter dem Namen Marcel Prawy bekannt.
Leben
Marcel Prawy stammte aus einer jüdischen Juristenfamilie galizischer Herkunft. Er war der Sohn von Richard Frydmann Ritter von Prawy,[5] Ministerialrat am Verwaltungsgericht. Seine Mutter Marie, geborene Mankiewicz[6] nahm sich nach dem Ersten Weltkrieg das Leben, nachdem Gerüchte nicht verstummten, dass Richard von Frydmann nicht der Vater von Prawys Schwester Edith sei. In der Folge wurde der junge Prawy in die Tschechoslowakei zu seiner Tante Hedwig gebracht.[Anm. 1] Als sein Vater erneut heiratete, kam Prawy wieder nach Wien. Nach der Matura am Gymnasium Wasagasse in Wien-Alsergrund studierte er Rechtswissenschaften und promovierte zum Dr. jur.
Prawys Leidenschaft gehörte schon früh der Oper. Er besuchte musikwissenschaftliche Vorlesungen bei Egon Wellesz und war jahrelang Stammgast im legendären Stehparterre der Wiener Staatsoper. Prawy lernte den Tenor Jan Kiepura kennen und wurde dessen Privatsekretär. Im Oktober 1938 konnte Prawy mit Kiepura und dessen Familie über Rom in die USA emigrieren[7] und entkam so der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime. Auch seinen Vater holte er in die Vereinigten Staaten nach, während seine Schwester Edith, die im Jahre 2007 in Denver starb, aus freien Stücken in Wien blieb, wo sie zeitweise im Untergrund lebte. Im Exil nahm er auf Anraten Kiepuras („Haben Sie hässlichen Namen behalten und schönen weggeschmissen? Machen Sie umgekehrt!“) das frühere Territorialprädikat Prawy als Namen hinzu,[2] und nannte sich nun Marcell Horace Frydmann Prawy.[3]
1944 war er in Großbritannien stationiert, wo er zusammen mit Georg Kreisler in der Truppenunterhaltung von D-Day-Soldaten eingesetzt war.[8] Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Prawy 1946 als Kulturoffizier wieder nach Wien. 1950 quittierte er den Dienst bei den US-Streitkräften und wurde Schallplattenproduzent und Veranstalter von Musikabenden im Kosmos-Kino. Ab 1955 war er Dramaturg an der Wiener Volksoper und brachte ab 1956, beginnend mit Kiss Me, Kate, erstmals Musicals aus den USA auf den europäischen Kontinent.[9] Anfangs stießen diese Produktionen in Wien auf großen Widerstand, da man mit der Einführung des US-amerikanischen Musicals das Ende der heimischen Operette befürchtete. Prawy hatte dennoch Erfolg und gilt deshalb als derjenige, der das Musical in deutscher Sprache hoffähig gemacht hat. In der Folge brachte er weitere Übersetzungen an die Volksoper, unter anderen mit Wonderful Town (1956) und West Side Story (1968) Werke seines Freundes Leonard Bernstein.[10]
1972 sollte Prawy Operndirektor der Wiener Staatsoper werden, der damalige Minister Leopold Gratz zog aber Rudolf Gamsjäger vor. Er wurde „nur“ Chefdramaturg des Opernhauses. 1976 bis 1982 war er ordentlicher Hochschulprofessor für Operndramaturgie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien[11] und Lektor für Theaterwissenschaft an der Universität Wien sowie Gastprofessor an zahlreichen amerikanischen und japanischen Universitäten. Er wurde durch Fernseh- und Rundfunksendungen bekannt, in denen er mit Werkkenntnis und Humor sein Publikum in die Welt des Musiktheaters einführte. Prawy war mit vielen prominenten Sängern und Musikern wie zum Beispiel Plácido Domingo, Leonard Bernstein oder Robert Stolz befreundet. Seine besondere Liebe galt den Werken Richard Wagners. In seinem Buch „Nun sei bedankt …“ Mein Richard-Wagner-Buch fand seine Verehrung für Wagner einen außergewöhnlich emotionalen Ausdruck. Gottvater seiner Jugend war Richard Strauss, außerdem hat er neben Wagner Erich Wolfgang Korngold und Robert Stolz verehrt. Mozart hat er nicht geliebt, Prawy war an neuen Kompositionen interessiert.[12]
Die letzten zehn Lebensjahre wohnte er in unmittelbarer Nähe der Staatsoper im Hotel Sacher. Seine umfangreiche Sammlung von Musikdokumenten, Handschriften und Noten-Originalen von Richard Strauss bis Leonard Bernstein vermachte der Opernführer seiner Lebenspartnerin Senta Wengraf, die sie wiederum der Stadt Wien überließ.[13] Diese Dokumentensammlung wurde in den legendär gewordenen rund 2.000 Plastiksackerln – bevorzugt die grellgelben von Billa, Spar und LÖWA – die sich in seiner Wohnung und später auch im Hotelzimmer befanden, aufbewahrt.[2] Kaum jemandem gelang es, so eindrucksvoll die Oper zu schildern, wie ihm. So wurde Prawy als Opernführer der Nation zu einer Institution der Wiener Oper.
An der Trauerfeier für Prawy nahmen viele Prominente teil: darunter waren Wolfgang Wagner, Franz Morak, Andreas Mailath-Pokorny, Franz König und Otto Schenk.[14] Die sterblichen Überreste Marcel Prawys liegen begraben am Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 33 G, Nummer 32) in einem Ehrengrab der Stadt Wien. Im April 2008 wurde in Wien-Donaustadt (22. Bezirk) die Marcel-Prawy-Promenade nach ihm benannt.[15]
Auszeichnungen
- 1972: Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
- 1975: Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst
- 1977: Bundesverdienstkreuz I. Klasse
- 1983: Preis der Stadt Wien für Volksbildung
- 1986: Ehrenring der Stadt Wien
- 1986: Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
- 1989: Großes Bundesverdienstkreuz
- 1991: Bürger der Stadt Wien
- 1992: Ehrenbürger von Wien
- 1993: Komtur des Italienischen Verdienstordens
- 1996: Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich[16]
- 1997: Ehrendoktor der Universität Wien
- 1998: Platin Romy für sein Lebenswerk
- 1998: Donauland Sachbuchpreis
- 2001: Goldener Rathausmann der Stadt Wien
Anekdotisches
Die Zusammenarbeit mit dem polnischen Tenor Jan Kiepura kam angeblich so zustande: Kiepura hatte rechtliche Probleme mit diversen Verträgen gehabt. Als er von dem jungen, opernbegeisterten Juristen Prawy hörte, sprach er diesen in der Wiener Staatsoper an: „Sprechen Sie Französisch?“. „Ja.“ „Sprechen Sie Italienisch?“ „Ja.“ „Sprechen Sie Polnisch?“ „Nein, aber in zwei Wochen kann ich’s lernen.“ „Lernen Sie. Wollen Sie mein Sekretär werden?“
Prawy beherrschte sechs Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch.
Schriften
- Die Wiener Oper. Geschichte und Geschichten. Molden, Wien 1969; 3., erg. u. überarb. Auflage. ebd. 1978, ISBN 3-217-00726-3.
- Johann Strauss. Weltgeschichte im Walzertakt. Molden, Wien 1975; Goldmann, München 1980, ISBN 3-442-26710-2.
- „Nun sei bedankt …“ Mein Richard-Wagner-Buch. Goldmann, München 1983, ISBN 3-442-10191-3.
- Johann Strauss. Ueberreuter, Wien 1991, ISBN 3-8000-3393-3.
- Marcel Prawy erzählt aus seinem Leben. Kremayr & Scheriau, Wien 1996; 6., überarb. u. erw. Auflage. ebd. 2002, ISBN 3-218-00690-2.
Anmerkungen
- Hedwig (1889–1960) war die Tochter von Marcell Frydmann Ritter von Prawy (1847–1906); sie hieß gemäß erster Ehe (1911) Hedwig Edle von Gutmann (nach Wilhelm Hermann Ritter von Gutmann, 1889–1966, Großneffe von Wilhelm von Gutmann, 1826–1895), gemäß zweiter (1924) Hedwig (Edle von) Taussig (nach Karl Ritter von Taussig, 1878–?), gemäß dritter (nach 1927) Hedwig (Edle von) Wurzian (nach Hans Ritter von Wurzian, 1888–1959). — Rubey: Marcel Prawy, S. 87 sowie Parte: (…) Bertha Frydmann Edlen von Prawy (…) Hedwig Taussig (…). In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 22439/1927, 5. März 1927, S. 22, oben. (online bei ANNO). .
Sie wurde im Grab ihrer Eltern in der Alten Israelitischen Abteilung (3. Tor) auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben.
Literatur
- Österreichisches Theatermuseum (Hrsg.), Christoph Wagner-Trenkwitz (Hrsg.), Thomas Trabitsch (Hrsg.): Marcel Prawy. Glück, das mir verblieb. Ausstellungskatalog. Brandstätter, Wien 2002, ISBN 3-85498-174-0.
- Christian Glanz: Prawy, Marcel. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 4, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2005, ISBN 3-7001-3046-5.
- Hermes Phettberg: Frucade oder Eierlikör. Droemer Knaur, München 1996, ISBN 3-426-60536-8 (enthält ein Interview mit Marcel Prawy)
- Norbert Rubey (Hrsg.): Marcel Prawy. „Ich mache nur, was ich liebe“. Amalthea-Signum-Verlag, Wien 2006, ISBN 978-3-85002-586-7.
- Otto Schwarz: Marcel Prawy. „Ich habe die Ewigkeit noch erlebt“. Ein großes Leben neu erzählt. Amalthea, Wien 2006, ISBN 3-85002-573-X.
- Christoph Wagner-Trenkwitz: Der Herr Professor vom »Hotel Sackerl«. In: Die Zeit, Nr. 50/2006.
Weblinks
- Literatur von und über Marcel Prawy im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Marcel Prawy in der Internet Movie Database (englisch)
- Eintrag zu Marcel Prawy im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Nachlass Marcel Prawys in der Handschriftensammlung, Musiksammlung und Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus.
- Marcel Prawy - Produzent der frühen Remington Schallplatten (englisch).
- Günter Kaindlstorfer und Klaus Kamolz im Gespräch mit Marcel Prawy: „Icke binä eine alte Tenore“. Erschienen in der Zeitschrift Format, 16. November 1998.
- Bilder zu Marcel Prawy im Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek.
- Marcel Prawy im Online-Archiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
- Ein Leben für die Oper (Archiv). In: Deutschlandfunk Kultur. 29. Dezember 2011, abgerufen am 26. Januar 2019.
- Christoph Wagner-Trenkwitz: Der Herr Professor vom »Hotel Sackerl«. In: Die Zeit, Nr. 50, 7. Dezember 2006. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Siehe Passfoto mit Namenszug Marcell Horace Frydmann Prawy, undatiert (jpg (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ): Marcell Horace Frydmann Prawy. Neues aus dem Nachlass. Anlässlich des 100. Geburtstags: Eröffnung der Ausstellung im Foyer der Wienbibliothek. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Veranstaltungsankündigung der Wienbibliothek im Rathaus, 1. Dezember 2011. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Siehe „Erkennungsdienstliche Behandlung des Emigranten Marcell Frydmann-Prawy. Bureau of Identification, Police Department, Beverly Hills, California, 20.02.1941 (Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Marcel Prawy, ZPH 1298)“ (jpg (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ): Objekt des Monats Dezember 2011. Zum 100. Geburtstag von Marcel Prawy am 29. Dezember 2011. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Wienbibliothek im Rathaus, 1. Dezember 2011. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Vgl. FRYDMANN, Ritter von Prawy, Richard. (Memento des Originals vom 7. Juni 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Absolvent des Franz-Joseph-Gymnasium (Memento des Originals vom 7. Dezember 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (heute GRG1 Stubenbastei 1010 Wien), Maturajahrgang 1901. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Prawy Marcel DDr. h.c.. Prof. In: Club Carriere - Enzyklopädie des Erfolges 2000. Algoprint, Vaduz 2000, ISBN 3-9521669-3-6, S. 839. (Auszug in der Google Buchsuche.)
- Siehe Reisepass des Dr. Marcell Frydmann, ausgestellt am 18. Oktober 1938 vom Passbüro der „Deutsche[n] Botschaft in Rom“ (jpg): Neues aus dem Prawy-Nachlass. In: wien.ORF.at, 1. Dezember 2011. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Georg Kreisler Autor, Komponist und Chansonnier im Gespräch mit Christoph Lindenmeyer. (PDF) In: Bayerischer Rundfunk. 19. Juni 2008, abgerufen am 26. Januar 2019 (PDF; Sendung vom 28. Februar 2003).
- Die Volksoper gedenkt des 95. Geburtstages von Marcel Prawy. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Website des Volkstheaters, 18. Dezember 2006. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Marcel Prawy in Wien verstorben. Nachruf in: OTS-Pressemeldung der Wiener Staatsoper, 24. Februar 2003. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Kurzmeldung: Professor Marcel Prawy. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 16. Juli 1976, S. 7 (Die Internetseite der Arbeiterzeitung wird zurzeit umgestaltet. Die verlinkten Seiten sind daher nicht erreichbar. – Digitalisat).
- Marcel Prawy: Mischung aus Clown und Prophet. Abgerufen am 29. Januar 2021.
- Kurier Zeitgeschichte, Sonntag, 4. Juli 2010, Seite 22
- Heinz G. Pribil: Staatsoper und Zentralfriedhof: Abschied von Marcel Prawy - Der letzte Weg eines wahren Königs der Oper. Abgerufen am 29. Januar 2021.
- Mailath enthüllte Marcel-Prawy-Promenade in Wien Donaustadt. In: Archivmeldung der Rathauskorrespondenz der Stadt Wien, 1. April 2008. Abgerufen am 1. Dezember 2011.
- Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB).