Luiz Inácio Lula da Silva
Luiz Inácio Lula da Silva [luˈiz iˈnasju ˈlulɐ da ˈsiwvɐ] (* 27. Oktober 1945 in Caetés, Pernambuco als Luiz Inácio da Silva), oft Lula abgekürzt, ist ein brasilianischer Politiker. Er war vom 1. Januar 2003 bis zum 1. Januar 2011 Präsident Brasiliens und ist Gründungsmitglied der brasilianischen Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT). Mit seiner Kombination aus assistenzialistischer Sozial- und entwicklungsorientierter Wirtschaftspolitik gelang es ihm während seiner Amtszeit, die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Programme wie Bolsa Família, Eine-Million-Häuser-Programm und Fome Zero konnten die extreme Armut und den Hunger spürbar verringern. Brasilien stieg zur Regionalmacht und zur BRICS-Nation auf.
Lula wurde 2017 im Rahmen der Operation Lava Jato wegen angeblicher Geldwäsche und passiver Korruption von dem Bundesrichter Sergio Moro aus Curitiba angeklagt und in einem auch international äußerst umstrittenen Prozess zunächst zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Lula bestreitet vehement alle Vorwürfe und spricht von einer politischen Kampagne gegen ihn. Er wurde inhaftiert; bevor alle Rechtsmittel erschöpft waren; so wurde verhindert, dass er die Arbeiterpartei bei den Präsidentschaftswahlen 2018 vertrat, in denen er Favorit gegen den ultrarechten Jair Bolsonaro war. Laut The Intercept Brasil gab es illegale Absprachen zwischen dem damaligen Richter (und später durch Bolsonaro zum Justizminister ernannten) Moro, Staatsanwälten und Lulas politischen Gegnern, um ihn noch vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 im Gefängnis zu wissen.[1] Er verbrachte vom 7. April 2018 bis zum 7. November 2019 in Curitiba im Süden des Landes 580 Tage im Gefängnis. Von Anhängern und Sympathisanten wurde Lula als der erste politische Gefangene in der Zeit nach der Militärdiktatur betrachtet.[2][3] Die Urteile gegen ihn wurden vom Obersten Gericht Anfang 2021 aus formellen Gründen aufgehoben, da einerseits das verurteilende Gericht nicht zuständig war und andererseits der verurteilende Richter Sergio Moro parteilich beziehungsweise befangen war.
Den Kosenamen Lula (ein Spitzname für Luís), den ihm einst seine Mutter gab, nahm er später offiziell in seinen Namen auf. Meist wird er einfach bei diesem Namen genannt.
Familie, Ausbildung, Beruf
Lula da Silva war das siebte von acht Kindern von Aristides Inácio da Silva und Eurídice Ferreira de Mello. Sein Vater zog auf der Suche nach Arbeit in den Industriegürtel im Süden von São Paulo, 1952 folgte Lula mit seinen Geschwistern und seiner Mutter. Sein Vater hatte mittlerweile eine neue Frau gefunden und brach den Kontakt zu seiner Familie ab. Lula ging mangels Schulgeld nur wenige Jahre zur Schule. Mit 12 Jahren trug er durch verschiedene Arbeiten, u. a. in einer Wäscherei, als Schuhputzer[4] und als Botenjunge dazu bei, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Später arbeitete Lula in einer Metallfabrik und absolvierte an einer Berufsbildungseinrichtung des Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial eine Ausbildung zum Metallfacharbeiter. Ab 1966 arbeitete er bei Villares, einem großen Unternehmen der Metallindustrie in São Bernardo do Campo im Großraum São Paulo. Gleichzeitig wurde er an einer Privatschule von José Efromovich, die damals dem heutigen Präsidenten von Avianca Brazil gehörte, weitergebildet.
Lula da Silva ist zweifach verwitwet. Im Jahr 1969 ehelichte er Maria de Lourdes, welche 1971 während der Schwangerschaft mit dem ersten gemeinsamen Sohn des Paares an einer Hepatitisinfektion verstarb, nachdem die Familie nicht das nötige Geld für eine Behandlung aufbringen konnte.[5] Im Jahr 1974 heiratete er Marisa Letícia Rocco (1951–2017), mit der er fünf Kinder hat. Darüber hinaus hat er noch eine Tochter, welche 1974 geboren wurde,[6] aus einer Beziehung mit Miriam Cordeiro.
Ende Oktober 2011 wurde bekannt, dass Lula an einem kleinen und begrenzten Tumor am Kehlkopf erkrankt ist. Lula unterzog sich einer Chemotherapie und anschließend einer Strahlentherapie.[7]
Tätigkeit in der Gewerkschaft
Über seinen Bruder kam Lula in Kontakt mit der Gewerkschaftsbewegung. 1969 wurde er durch die Gewerkschaft der Metallarbeiter als Stellvertreter in den Vorstand der Regionalgruppe São Bernardo do Campo und Diadema gewählt. In den Wahlen 1972 wurde er als Generalsekretär wieder in den Vorstand gewählt. Mit 92 Prozent der Stimmen wählten ihn die Gewerkschaftsmitglieder 1975 zu ihrem Vorsitzenden. Lula da Silva vertrat etwa 100.000 Arbeiter.[8]
Während der 1970er Jahre beteiligte sich der spätere Präsident des Landes an der Organisation verschiedener Gewerkschaftsaktivitäten und großer Streiks. Die brasilianische Niederlassung von Volkswagen, Volkswagen do Brasil, observierte Lula bei diesen Tätigkeiten und gab gesammelte Informationen an die Militärdiktatur weiter.[9] 1979 wurde er zum Anführer eines Arbeiterstreiks bestimmt. 1980 wurde er von der Polizei der Militärdiktatur verhaftet und nach 31 Tagen wieder freigelassen.[10]
Politische Karriere
Mit den Ergebnissen der Streiks unzufrieden, gründete Lula gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern, Intellektuellen und Vertretern verschiedener sozialer Gruppen am 10. Februar 1980 die Partido dos Trabalhadores, PT („Partei der Arbeiter“).[11] Die PT war 1982 in weiten Teilen des Landes vertreten und hatte rund 400.000 Mitglieder.
Im Jahr 1986 wurde Lula mit einem Rekordergebnis als Vertreter des Bundesstaates São Paulo in die Abgeordnetenkammer des Nationalkongresses Brasiliens gewählt. Die PT beteiligte sich aktiv an der Entwicklung der neuen Verfassung Brasiliens von 1988 und konnte wichtige Rechte der Arbeiter darin verankern. In anderen Fragen, wie z. B. der Neugestaltung der Landbesitzverhältnisse, konnte sie sich hingegen nicht durchsetzen.
1989 kämpfte Lula da Silva als Kandidat der PT um das Präsidentenamt. Obwohl er bei Teilen der Bevölkerung sehr beliebt war, wurde er nicht gewählt. Industrie und Finanzwesen fürchteten, dass ein Sozialist den wirtschaftlichen Interessen schaden könnte.
In allen folgenden Wahlen zum Präsidenten trat er erneut an. Erst in der Wahlkampagne zu den Wahlen 2002 verzichtete er bewusst auf sein Arbeiterimage und trat in Anzug und Krawatte auf. Außerdem betonte er nicht mehr seine Meinung, dass Brasilien seine Auslandsschulden nicht zurückzahlen solle. Stattdessen setzte er auf ein Programm gegen Hunger und Armut (Fome Zero) und für bessere Ausbildung.
Mit der Industrie gelang es ihm, ein vorsichtiges Vertrauensverhältnis aufzubauen. So überraschte es beispielsweise, als kurz vor den Wahlen ein Vertreter eines Automobilherstellers ankündigte, dass man eine neue Modellreihe in Brasilien produzieren werde und dafür auch neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Diese Signale führten unter anderem auch zu einem Vertrauensgewinn beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der schließlich die spätere Wahl Lulas begrüßte.
Präsidentschaft
Im zweiten Wahlgang am 27. Oktober 2002 gewann Lula da Silva gegen José Serra, den Kandidaten der Brasilianischen Sozialdemokratischen Partei PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira). Er löste Fernando Henrique Cardoso, der seit 1995 Präsident Brasiliens gewesen war, im Amt ab.
Zum Einflussbereich Lula da Silvas gehört auch der umstrittene Industrielle Blairo Maggi, der zugleich Gouverneur Mato Grossos war. Greenpeace bezeichnet Maggi als einen der Hauptverantwortlichen für die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes.
Im Juni 2006 gab Lula die Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekannt. Gegen ihn trat der Sozialdemokrat Geraldo Alckmin an. Beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl am 1. Oktober 2006 verfehlte Lula mit 48,6 % der Stimmen nur knapp die absolute Mehrheit. Er musste sich in einem 2. Wahlgang seinem Herausforderer, Geraldo Alckmin, stellen. Heloísa Helena landete mit 6,8 % der Stimmen auf Platz drei. Die meisten Stimmen gewann Lula im Nordosten Brasiliens, wo die in seiner Amtszeit eingeführten Sozialprogramme erste Wirkung zeigten. In seiner Heimatregion hingegen musste Lula herbe Verluste einstecken.[12]
In der Stichwahl am 29. Oktober 2006 wurde Lula im Amt bestätigt. Mit 61 % lag er deutlich vor seinem Herausforderer Geraldo Alckmin (39 %).[13] Vor allem waren es die ärmeren Teile der Bevölkerung des Nordens und Nordostens Brasiliens, die Lula die Treue hielten. Die Zahl derer, die unterhalb der Armutsgrenze leben, soll in der ersten Amtszeit Lulas von 40 auf 20 Prozent zurückgegangen sein.
Nach zwei Amtszeiten in Folge durfte Lula der Verfassung nach bei der Präsidentschaftswahl 2010 nicht erneut kandidieren. Zu seiner Nachfolgerin wurde die von ihm vorgeschlagene Kandidatin des PT, Dilma Rousseff, gewählt. Ihr übergab er am 1. Januar 2011 das Präsidentenamt.
Strafverfolgung
In Folge der Operation Lava Jato wurde auch gegen Lula ein Prozess angestrengt.
Ermittlungen
Im April 2013 nahm die Generalstaatsanwaltschaft Brasiliens in Zusammenhang mit dem sogenannten Mensalão-Skandal Ermittlungen auch gegen Lula auf. Zwischen 2003 und 2005, während Lulas erster Amtszeit, soll sich seine Arbeiterpartei durch Barzahlungen an Abgeordnete des brasilianischen Parlaments die Zustimmung zu Lula da Silvas Politik erkauft haben. Ende 2012 wurden 25 Politiker, Juristen und Unternehmer für schuldig befunden, am Skandal beteiligt gewesen zu sein. Lula hatte immer beteuert, von den Zahlungen nichts gewusst zu haben. Der zu 40 Jahren Haft verurteilte Geschäftsmann Marcos Valério beschuldigt ihn, selbst in den Skandal verstrickt zu sein.[14]
Im April 2015 wurden Ermittlungen gegen Lula unter dem Verdacht der Bestechlichkeit im Amt aufgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, sich als Präsident dafür eingesetzt zu haben, dass die Baufirma Odebrecht lukrative öffentliche Bauaufträge in anderen Ländern (Ghana, Angola, Kuba, Dominikanische Republik) bekam. Im Gegenzug soll er dafür Zahlungen von Odebrecht erhalten haben.[15] Im Juni 2016 wurden mehrere Vorstandsvorsitzende von Odebrecht festgenommen. Der Firma wurde vorgeworfen, umgerechnet etwa 230 Millionen US$ Bestechungsgelder an verschiedene Politiker gezahlt zu haben.[16]
Am 4. März 2016 wurde Lula da Silvas Haus im Zuge der Operation Aletheia (Operação Aletheia, 24. Phase der Operation Lava Jato) von 200 Beamten der Bundespolizei durchsucht. Dabei wurde er festgenommen und zum Verhör auf eine Polizeistation gebracht. Auch das Haus seines Sohnes Fábio Luís Lula da Silva wurde Ziel der Durchsuchungen.[17][18] Am 10. März 2016 gab die Staatsanwaltschaft von São Paulo bekannt, dass eine Anklageschrift gegen Lula da Silva eingebracht wurde.[19] Präsidentin Dilma Rousseff ernannte Lula daraufhin am 16. März 2016 zum quasi-Ministerpräsidenten, was weithin als ein Versuch gesehen wurde, ihm Immunität vor drohender Strafverfolgung und Verhaftung zu verschaffen.[20] Die Ernennung wurde durch das Oberste Gericht Brasiliens am 19. März 2017 mit der Begründung, dass diese nur erfolgt sei, um Lula da Silva Straffreiheit zu verschaffen, annulliert.[21]
Ende Juli 2016 wurde bekannt, dass ein Gericht in Brasília den Anklageantrag der Staatsanwaltschaft gegen Lula wegen mutmaßlicher Behinderung laufender Ermittlungen in der Petrobras-Korruptionsaffäre angenommen hatte. Lula soll an dem Versuch teilgenommen haben, einen Zeugen des Korruptionsskandals zum Schweigen zu bringen.[22]
Verurteilung
Am 12. Juli 2017 wurde Lula durch den Richter Sérgio Moro zu neun Jahren und sechs Monaten Haft wegen Korruption verurteilt.[23][24] Er wurde für schuldig befunden, umgerechnet insgesamt fast 1,1 Millionen US-$ in Form von Bauarbeiten in seinem Appartement von der Firma Odebrecht im Gegenzug für vermittelte Geschäftskontakte erhalten zu haben.[25] Lula legte dagegen Berufung ein und blieb bis zur Entscheidung darüber zunächst auf freiem Fuß. Er bestritt alle Beschuldigungen, und seine Anhänger sprachen von einem politisch motivierten Verfahren, das ihn davon abhalten solle, bei den Wahlen 2018 erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren.[26]
Das Berufungsgericht bestätigte am 24. Januar 2018 die Verurteilung einstimmig. Dazu erhöhte es die Haftstrafe auf zwölf Jahre und einen Monat, entsprechend den Forderungen der Anklage aus dem zweiten Prozess. Nach brasilianischem Recht ist Lula damit nicht wählbar. Lula hatte die Möglichkeit, auch dieses Urteil vor noch höheren Gerichten anzufechten.[27] Er kündigte an, trotz der Berufungsverurteilung zu kandidieren.[28]
Anfang April 2018 lehnte der Oberste Gerichtshof mit sechs zu fünf Stimmen einen Antrag Lulas ab, bis zum Ende seines Berufungsverfahrens auf freiem Fuß bleiben zu können. Das Urteil wurde noch nicht rechtskräftig, da Lula noch weitere Berufungsinstanzen offenstanden. Wenig später wurde ein Haftbefehl gegen Lula erlassen. Er sollte sich bis zum Nachmittag des 6. April 2018 bei der Polizei der südbrasilianischen Stadt Curitiba melden.[29] Lula ließ diese Frist verstreichen und hielt sich stattdessen geschützt von Anhängern in einem Gewerkschaftsgebäude in São Paulo auf. Erst einen Tag später stellte sich Lula der Justiz. Er wurde umgehend nach Curitiba transportiert, wo er im Hauptquartier der Bundespolizei seine zwölfjährige Haftstrafe verbüßen sollte.[30] Trotz der Haftstrafe erklärten Vertreter von Lulas Partei, an seiner erneuten Präsidentschaftskandidatur bei den für Oktober 2018 vorgesehenen Wahlen weiter festzuhalten.[31]
Am 8. Juli 2018 ordnete ein Richter die vorläufige Freilassung von Lula an, solange das von diesem angestrengte Berufungsverfahren nicht abgeschlossen sei.[32] Dieses Urteil wurde vom Gerichtspräsidenten rückgängig gemacht, womit Lula per 9. Juli 2018 in Haft blieb.[33]
Am 23. April 2019 verkürzte das Oberste Gericht seine Haftstrafe auf acht Jahre und zehn Monate.[34] Unterdessen war am 6. Februar 2019 eine weitere Strafe von zwölf Jahren und elf Monaten dazugekommen.[35]
Lula erfuhr Unterstützung von führenden Persönlichkeiten der Welt – zu seinen Besuchern im Gefängnis in Curitiba zählten der ehemalige Präsident Uruguays, José Mujica, der ehemalige Präsident Kolumbiens, Ernesto Samper, der ehemalige Ministerpräsident Spaniens José Luis Zapatero und der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz aus Deutschland.[36] Der Linguist und Philosoph Noam Chomsky bezeichnete Lula bei seinem Besuch „einen der bedeutendsten politischen Gefangenen unserer Zeit“. Lula werde in Haft isoliert, damit der „kalte Putsch“, der mit der Absetzung von Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff begonnen habe, weiter voranschreiten könne.[37]
Präsidentschaftskandidatur 2018
Im Mai 2017 gab Lula bekannt, bei den Wahlen in Brasilien 2018 für das Präsidentenamt kandidieren zu wollen.[38] Ungeachtet seiner rechtskräftigen Verurteilung im Berufungsverfahren, die eine Kandidatur für ein politisches Amt verbietet, wurde Lula am 4. August 2018 durch eine Delegiertenversammlung zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten seiner Partei gewählt.[39] Mitte August 2018 ließ die PT Lula ins offizielle Wahlregister aufnehmen, was zu Beschwerden seitens der Generalstaatsanwältin Raquel Dodge und einer Reihe von rechten Politikern führte. Das Oberste Wahlgericht musste bis zum 17. September 2018 über seine Kandidatur entscheiden.[40]
Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen forderte die brasilianische Regierung auf, Lulas politische und zivile Rechte zu respektieren und ihn bei der Präsidentschaftswahl im Oktober antreten zu lassen. Lula dürfe als Kandidat nicht von der Wahl ausgeschlossen werden, solange er nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, gegen seine Verurteilung vorzugehen. Brasilien war als Unterzeichnerstaat der internationalen Konvention über die Bürgerrechte dazu verpflichtet, dem Hinweis des Ausschusses zu folgen.[41] Demgemäß hätte er trotz seiner Inhaftierung Zugang zu den Medien erhalten müssen und sich über Skype an den Fernsehdebatten der Präsidentschaftskandidaten beteiligen können. Doch der noch amtierende Präsident Michel Temer erklärte die Beurteilung der UN als nicht bindend und verweigerte Lula jedwede Kampagnen-Aktivität.[42] Umfrageergebnisse sagten zu diesem Zeitpunkt im Falle seiner Kandidatur einen Wahlsieg Lulas mit großem Abstand vor allen übrigen Mitbewerbern voraus.[43]
Am 31. August 2018 entschied das Oberste Wahlgericht, dass Lula nicht zur Wahl antreten dürfe.[44] Am 11. September 2018 erklärte Lula daraufhin seinen Verzicht auf die Kandidatur und seine Unterstützung des von der PT nachfolgend nominierten Kandidaten Fernando Haddad.[45] Kurz vor der Präsidentschaftswahl beschloss das Oberste Wahlgericht, dass Lula aus „technischen Gründen“ sein verfassungsmäßig verbrieftes Recht, bei den Wahlen am 7. Oktober 2018 seine Stimme abzugeben, nicht ausüben dürfe.[42]
Im Juni 2019 berichtete das Investigativmagazin The Intercept Brasil, dass die mit den Antikorruptionsermittlungen zu Lava Jato betrauten Ermittler und der Untersuchungsrichter Sérgio Moro sich dazu verschworen hatten, zu verhindern, dass Lula an der Präsidentschaftswahl in Brasilien 2018 teilnehmen könne.[46][47][48] In der britischen Zeitung The Guardian wurde Carlos Melo, Professor für Politikwissenschaft an der Business School Insper in São Paulo, zitiert: „Es ist, als würde man die andere Mannschaft daran hindern zu spielen. Es ist, als hätten sie sich entschieden, den Ball allein zu spielen“. Auch in Brasilien gelte die Trennung zwischen Anklägern und Richtern.[49] Moro war nach der Wahl vom neugewählten Präsidenten Jair Bolsonaro zum Justizminister ernannt worden. Umstritten war zunächst noch, ob es bereits vor der Wahl eine Absprache mit dem rechtskonservativen Ex-Militär gab. Gehackte Handydaten und Telegram-Textnachrichten des Richters Moro mit den Staatsanwälten, die der Enthüllungsplattform The Intercept zugespielt wurden, belegten, dass das gesamte Verfahren gegen Lula eine Farce war.[50][51]
Freilassung
Nach den Enthüllungen nahm das oberste Gericht das Verfahren zu Lulas Freilassung wieder auf.[52] Am 7. November 2019, nach 580 Tagen in Haft, wurde er schließlich vorerst freigelassen.[2][3] Der Richter Leopoldo de Arruda Raposo am Obersten Gerichtshof (Superior Tribunal de Justiça (STJ)) setzte das anhängige Verfahren aus.[53] Kurz vor seiner Freilassung postete Lula ein Video, das ihn beim Fitnesstraining zeigte.[54] Lula wurde von tausenden Aktivisten jubelnd empfangen, als er an der Seite seiner Anwälte, von Familienangehörigen und der Vorsitzenden der Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann, aus dem Tor der Polizeizentrale trat. Er kündigte an, er wolle den Kampf für die Brasilianer fortsetzen. Im ganzen Land fanden spontane Jubelfeiern statt.[55][56] Er erklärte: „Ich gehe hier ohne Hass. Mit 74 Jahren ist in meinem Herzen nur Platz für die Liebe, denn die Liebe wird in diesem Land siegen. Dem Minister Moro will ich sagen: Sie haben keinen Mann festgenommen, sondern versucht, eine Idee zu töten. Aber diese Idee verschwindet nicht und ich möchte weiter für sie kämpfen.“[57]
Aufhebung der Urteile
Am 8. März 2021 hob das Oberste Gericht Brasiliens vier Korruptions-Urteile gegen Lula auf. Das Oberste Gericht argumentierte, dass das Gericht im südbrasilianischen Curitiba, das alle Prozesse gegen Lula geführt hatte, dafür nicht zuständig gewesen sei. Die Fälle müssten von einem Bundesgericht in der Hauptstadt Brasília neu begonnen werden. Die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, gegen die Entscheidung umgehend in Berufung zu gehen.[58] Die Aufhebung der Urteile hat unter anderem zur Folge, dass Lula theoretisch bei der für 2022 angesetzten Präsidentschaftswahl kandidieren könnte. Meinungsumfragen räumten ihm realistische Chancen gegen den amtierenden brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ein. Dieser beschuldigte das Oberste Gericht in einem Kommentar der Voreingenommenheit.[59] Am 23. März 2021 urteilte das Oberste Gericht, dass der ehemalige Bundesrichter Sergio Moro im Prozess gegen Lula parteilich beziehungsweise befangen war und hob alle seine Urteile gegen ihn auf.[60][61] Im April wurde die Aufhebung der Urteile vom Plenum des Obersten Gerichtshofs bestätigt. Die Urteile wurden aus prozessualen Gründen aufgehoben, es handelt sich nicht um einen Freispruch. Möglicherweise wird neu entschieden, ob Lula verurteilt werden soll. Die Richter haben noch nicht entschieden, ob die Fälle an die Justiz in Brasília oder São Paulo gehen.[62]
Auszeichnungen
- 2003: Orden des Fürsten Jaroslaw des Weisen I. Klasse
- 2003: Prinzessin-von-Asturien-Preis
- 2006: Jawaharlal Nehru Award
- 2007: Elefanten-Orden, Dänemark[63]
- 2008: Félix-Houphouët-Boigny-Friedenspreis
- 2009: ukrainischer Orden der Freiheit[64]
- 2010: Nord-Süd-Preis des Europarates
- 2010: Indira Gandhi Prize
- 2011: Order of the Companions of O. R. Tambo in Gold (Südafrika)
- 2011: Welternährungspreis[65]
- 2012: Four Freedoms Award
Filme
- Am Rande der Demokratie, 113-minütige Filmdokumentation von Petra Costa (Brasilien 2019). Dieser auf Netflix erschienene Film beleuchtet den Aufstieg Lula de Silvas vom Gewerkschaftsführer zum Präsidenten sowie die Amtsenthebung seiner Nachfolgerin.
- Im Dokumentarfilm South of the Border von Oliver Stone aus dem Jahr 2009 wird Lula da Silva neben anderen Regierungspräsidenten Lateinamerikas interviewt.
- Der Spielfilm Lula, o Filho do Brasil (2009) dokumentiert Lulas Leben bis zum Tod seiner Mutter.
Literatur
- John D. French: Lula and His Politics of Cunning: From Metalworker to President of Brazil. University of North Carolina Press, Chapel Hill 2020, ISBN 978-1-4696-5576-5.
- Steve Ellner: Latin America’s Pink Tide: Breakthroughs and Shortcomings. Rowman & Littlefield, 2020, ISBN 9781538125632
Weblinks
Einzelnachweise
- Glenn Greenwald, Victor Pougy: Hidden Plot: Exclusive: Brazil’s Top Prosecutors Who Indicted Lula Schemed in Secret Messages to Prevent His Party From Winning 2018 Election. In: The Intercept. 9. Juni 2019, abgerufen am 9. November 2019 (amerikanisches Englisch).
- Gerichtsentscheidung in Brasilien: Ex-Präsident Lula vor vorübergehender Freilassung. In: Spiegel Online. 8. November 2019 (spiegel.de [abgerufen am 9. November 2019]).
- Nach Gefängnisstrafe wegen Korruption: Brasiliens Ex-Präsident Lula ist frei. In: Spiegel Online. 9. November 2019 (spiegel.de [abgerufen am 9. November 2019]).
- Wahlkampf in Brasilien: Lula mischt aus der Haft mit. In: tagesanzeiger.ch/. (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 1. September 2018]).
- Narciso, Paulo: Da distante Paulicéia, Lula vinha namorar todas as noites (Portuguese). In: Hoje em Dia. Archiviert vom Original am 21. Oktober 2011. Abgerufen im 14. Dezember 2009.
- Yolanda Fordeleone: Lurian, filha de Lula, foi atendida no hospital Sírio-Libanês. In: Estadão. 5. Juli 2008 (brasilianisches Portugiesisch, com.br [abgerufen am 8. Januar 2021]).
- Brasiliens Ex-Präsident Lula hat Krebs. In: Spiegel Online, 29. Oktober 2011.
- Wahlkampf in Brasilien: Lula mischt aus der Haft mit. In: tagesanzeiger.ch/. (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 1. September 2018]).
- Volkswagen spionierte Ex-Präsident Lula aus, abgerufen am 11. Dezember 2014.
- Frankfurter Rundschau: Lula da Silva: Kämpferisch in den Knast. In: Frankfurter Rundschau. (fr.de [abgerufen am 1. September 2018]).
- Biografia. Abgerufen am 1. September 2018 (brasilianisches Portugiesisch).
- Sandra Weiss: Lula muss in Brasilien in Stichwahl; in: Der Tagesspiegel, 4. Oktober 2006.
- Deutliche Mehrheit: Brasilianer wählen Lula wieder zum Präsidenten; Spiegel Online, 30. Oktober 2006.
- Gegen Brasiliens Ex-Präsident Lula wird ermittelt swr.de, 7. April 2013
- Samantha Pearson, Joe Leahy: Prosecutors in Brazil investigate Lula for alleged influence peddling. 4. Mai 2015, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- Dan Horch: Brazil Arrests Head of Odebrecht in Petrobras Scandal. The New York Times, 19. Juni 2015, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H.: Petrobras-Skandal: Ex-Präsident Lula bei Razzia festgenommen.
- Rodrigo Rangel, Laryssa Borges, Felipe Frazão: Lula é levado pela Polícia Federal para depor na 24ª fase da Lava Jato. In: veja.com. 4. März 2016, archiviert vom Original am 5. März 2016; abgerufen am 4. März 2016 (portugiesisch).
- Ex-Präsident Lula soll angeklagt werden. In: Die Zeit vom 10. März 2016, abgerufen am 10. März 2016.
- Simon Romero: Ex-President ‘Lula’ Joins Brazil’s Cabinet, Gaining Legal Shield. The New York Times, 16. März 2016, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- Supreme Court Justice in Brazil Blocks appointment for Ex-President. Premium Herald, 19. März 2016, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- Korruptionsverfahren in Brasilien: Ex-Präsident Lula muss vor Gericht. In: tagesschau.de. 30. Juli 2016, abgerufen am 26. Januar 2017.
- Fausto Decedo u. a.: Lula é condenado a 9 anos e seis meses; Moro não decreta prisão do petista. In: O Estadão. 12. Juli 2017, abgerufen am 12. Juli 2017 (portugiesisch).
- Rodrigo Rangel: Lula é condenado a nove anos de prisão. In: Veja. 12. Juli 2017, abgerufen am 12. Juli 2017 (portugiesisch).
- Ernesto Londoño: Ex-President of Brazil Sentenced to Nearly 10 Years in Prison for Corruption. In: New York Times. 12. Juli 2017, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- Brazil's ex-President Lula convicted of corruption. BBC News, 12. Juli 2017, abgerufen am 12. Juli 2017 (englisch).
- Urteil in zweiter Instanz: Brasiliens Ex-Präsident Lula droht lange Haftstrafe. Spiegel Online, 24. Januar 2018
- Präsidentschaftswahl in Brasilien: Ex-Präsident Lula will trotz Verurteilung kandidieren. Spiegel Online, 25. Januar 2018
- Brasiliens Ex-Präsident: Lula da Silva soll ins Gefängnis. In: tagesschau.de, 5. April 2018 (abgerufen am 5. April 2018).
- Brasiliens Ex-Präsident Lula tritt seine Haft an. In. nzz.ch, 8. April 2018 (abgerufen am 8. April 2018).
- Brasiliens Ex-Präsident Haftbefehl gegen Lula da Silva. In: tagesschau.de, 6. April 2018 (abgerufen am 6. April 2018).
- Lula: Judge orders Brazil ex-president to be freed. BBC News, 8. Juli 2018, abgerufen am 8. Juli 2018 (englisch).
- Machtkampf mehrerer Richter: Brasiliens Ex-Präsident Lula bleibt in Haft. In: Spiegel Online. 9. Juli 2018 (spiegel.de [abgerufen am 9. Juli 2018]).
- Ex-Präsident Lula könnte früher frei kommen, Tagesschau online, 24. April 2019.
- Redação: Lula é condenado a 12 anos 11 meses de prisão no caso "sítio de Atibaia". In: brasildefato.com.br. 6. Februar 2019, abgerufen am 14. Mai 2020 (portugiesisch).
- Carolina Chimoy: Martin Schulz: "Ich vertraue Lula". In: Deutsche Welle, 31. August 2018, Abruf 24. November 2021
- I Just Visited Lula, the World’s Most Prominent Political Prisoner. In: The Intercept, 2. Oktober 2018
- Lula plant politisches Comeback in: Spiegel Online, 11. Mai 2017, abgerufen am 23. Juni 2017
- Lula: Brazil ex-president nominated for poll despite jail term. BBC News, 4. August 2018, abgerufen am 6. August 2018 (englisch).
- Wahlkampf in Brasilien: Lula mischt aus der Haft mit. In: tagesanzeiger.ch/. (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 1. September 2018]).
- UNO: Brasilien muss Lula bei Wahl antreten lassen. In: news.ORF.at. 17. August 2018 (orf.at [abgerufen am 20. August 2018]).
- Más autoritarismo judicial: niegan a Lula la posibilidad de votar este domingo, laizquierdadiario.com, 3. Oktober 2018
- Wahl in Brasilien: Inhaftierter Lula offiziell registriert. Tagesschau, 16. August 2018, abgerufen am 16. August 2018.
- Kandidatur von Ex-Präsident Lula ist ungültig. In: tagesanzeiger.ch/. (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 1. September 2018]).
- Tom Phillips, Dom Phillips: Jailed leftwing leader Lula drops out of Brazil presidential race. The Guardian, 11. September 2018, abgerufen am 15. September 2018 (englisch).
- Glenn Greenwald, Victor Pougy: Hidden Plot: Exclusive: Brazil’s Top Prosecutors Who Indicted Lula Schemed in Secret Messages to Prevent His Party From Winning 2018 Election. In: The Intercept. 9. Juni 2019, abgerufen am 9. November 2019 (amerikanisches Englisch).
- Brésil: des magistrats auraient conspiré pour empêcher le retour de Lula. AFP / Libération, 10. Juni 2019, abgerufen am 10. Juni 2019 (französisch).
- Brésil: Les enquêteurs anticorruption auraient conspiré pour empêcher le retour au pouvoir de Lula. 20 Minutes, 10. Juni 2019, abgerufen am 10. Juni 2019 (französisch).
- Brazil reels at claims judge who jailed Lula collaborated with prosecutors. The Guardian, 10. Juni 2019, abgerufen am 12. Juni 2019 (englisch).
- Cyber-Attacke auf Brasiliens Staatsführung, 30 Juli 2019
- Lula Livre - Lula ist frei!, 8. November 2019
- Mitschnitte stellen Urteil gegen Ex-Präsident Lula infrage. Die Zeit, 11. Juni 2019, abgerufen am 12. Juni 2019.
- Bernd Dahms: Annulliert Oberster Gerichtshof in Brasilien Gefängnisstrafe von Ex-Präsident Lula da Silva? In: amerika21.de. 5. November 2019, abgerufen am 14. Mai 2020.
- Christoph Gurk: Lulas Freilassung wird Brasilien verändern. In: sueddeutsche.de. 9. November 2019, abgerufen am 14. Mai 2020.
- rae/AFP: Nach 580 Tagen Haft: Brasiliens Ex-Präsident Lula ist wieder frei. In: Spiegel Online. 9. November 2019, abgerufen am 14. Mai 2020.
- Dom Phillips: Brazil's former president Lula walks free from prison after supreme court ruling. In: theguardian.com. 8. November 2019, abgerufen am 14. Mai 2020 (englisch).
- Philipp Lichterbeck: Nach Urteil wegen Korruption: Brasiliens Ex-Präsident Lula aus der Haft entlassen. In: tagesspiegel.de. 8. November 2019, abgerufen am 14. Mai 2020.
- Brasilien: Gericht hebt Korruptions-Urteile gegen Ex-Präsident Lula da Silva auf. In: DER SPIEGEL. Abgerufen am 8. März 2021.
- Lula: Brazil's ex-president cleared by Supreme Court. BBC News, 8. März 2021, abgerufen am 9. März 2021 (englisch).
- Matheus Teixeira & Marcelo Rocha: Cármen Lúcia muda voto, e Supremo declara Moro parcial em caso de Lula. folha.uol.com.br, 23. März 2021, abgerufen am 24. März 2021 (brasilianisches Portugiesisch).
- Britta Kollenbroich, Jens Glüsing, Marian Blasberg: Brasiliens Ex-Präsident Lula über Coronapandemie: »Es ist der größte Genozid unserer Geschichte«. In: Der Spiegel. Abgerufen am 26. März 2021.
- Brasiliens Justiz – Die Urteile gegen Lula da Silva werden definitiv aufgehoben. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), 16. April 2021, abgerufen am 16. April 2021.
- Modtagere af danske dekorationer. 12. Dezember 2017, abgerufen am 11. November 2019 (dänisch).
- Präsidentenerlass vom 24. November 2009 Nummer 960/2009, abgerufen am 7. September 2014
- Global Reach Internet Productions, LLC - Ames, IA - globalreach.com: The 2011 World Food Prize Laureates - The World Food Prize - Improving the Quality, Quantity and Availability of Food in the World. In: www.worldfoodprize.org.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Fernando Henrique Cardoso | Präsident Brasiliens 2003–2011 | Dilma Rousseff |