Kongo-Krise
Die Kongo-Krise (oftmals auch als Kongowirren bezeichnet) war sowohl eine gewaltsame nationale Krise innerhalb der Demokratischen Republik Kongo als auch eine internationale Krise vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, die ungefähr von 1960 bis 1965 dauerte.
Beginn der Krise/Belgische Invasion
Während der Krise, die sich unmittelbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1960 ereignete, meuterte die Force Publique gegen ihre belgischen Offiziere und gegen die Regierung. Die Streitkräfte fühlten sich nach der Unabhängigkeit benachteiligt, da die kongolesischen Soldaten keinerlei Offiziers-Ämter ausübten und diese Ämter weiter von belgischen Offizieren ausgeübt wurden. Dies führte zu schweren Ausschreitungen im Land, teilweise zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung sowie zu Übergriffen auf die im Land verbliebenen Belgier. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich rund 10.000 reguläre Soldaten Belgiens in den beiden Militärstützpunkten Kamina und Kitona, die laut einem militärischen Beistandspakt zwischen dem Kongo und Belgien nur unter der Genehmigung des Präsidenten Joseph Kasavubu und des Ministerpräsidenten Patrice Lumumba im Land operieren durften. Nach den Übergriffen ließ die belgische Regierung ihre Truppen aus den Militärstützpunkten ausrücken, obwohl dies einen klaren Bruch des Abkommens bedeutete. Da aber tatsächlich belgische Staatsbürger in Gefahr waren, akzeptierten Kasavubu und Lumumba diesen Schritt zunächst. Als die belgischen Truppen allerdings auf Anordnung des belgischen Verteidigungsministers Arthur Gilson begannen "die Ordnung" im Land wiederherzustellen, de facto anfingen die Kontrolle über große Teile des Landes wieder zu übernehmen, eskalierte die Situation. Zum einen kam es zu einer Massenflucht der noch im Land befindlichen Belgier, was anschließend zum Zusammenbruch der Wirtschaft führte, denn zu diesem Zeitpunkt besetzten die belgischen Bürger sämtliche zentralen Posten in Wirtschaft und Verwaltung des Landes. Bis zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit hatten lediglich 18 Kongolesen in Belgien einen akademischen Abschluss erreichen dürfen. Zum anderen spaltete sich nun die reiche Bergbauprovinz Katanga unter Moïse Tschombé und dem Schutz belgischer Truppen ab. Dieser Sezessionsbewegung schloss sich wenig später Süd-Kasai an. Die Intervention der Belgier wurde von Premierminister Lumumba als Verletzung der kongolesischen Souveränität abgelehnt und als Invasion eines unabhängigen Landes durch die alte Kolonialmacht gesehen, weshalb dieser die Vereinten Nationen um Hilfe bat.
Die Vereinten Nationen entsandten daraufhin eine vom Juli 1960 bis Juni 1964 dauernde UN-Friedensmission, basierend auf der UN-Resolution 143 vom 14. Juli 1960[1] die die belgischen Truppen nach und nach im ganzen Land ablösten. Allerdings unternahmen die Blauhelme nichts gegen die Sezessionsbewegung von Tschombé. Auch die westlichen Staaten unterstützten hierbei den Kongo nicht, weswegen sich Lumumba und Kasavubu am 14. Juli 1960 an die Sowjetunion wandten. Der belgische Historiker David Van Reybrouck ist der Ansicht, dass es Lumumba weniger um ideologische Gründe gegangen sei, sich an Chruschtschow zu wenden, sondern er einfach aus pragmatischen Gründen sich an die einzige Macht wandte, die ihm Hilfe versprach, nachdem sein Land zum Spielball alter belgischer imperialistischer Interessen geworden war. Daraufhin wurde die lokale Krise zu einem Schlachtfeld des globalen Kalten Krieges. Da der Kongo ein wichtiger Lieferant von Cobalt und Uran ist, wurde so Lumumba (für ihn selbst wohl unbewusst) zum Todfeind der Amerikaner. Insbesondere der Abbau von Uran hatte für die USA entscheidende Bedeutung, z. B. stammte das Uran für das Manhattan-Projekt aus der kongolesischen Shinkolobwe Mine.
Verfassungskrise
Im September 1960 kam es in der Hauptstadt Léopoldville zur Verfassungskrise, in deren Verlauf sich Präsident Kasavubu und Premier Lumumba gegenseitig für abgesetzt erklärten. Obwohl beide zunächst politische Partner waren, verstrickten sie sich immer mehr in eine persönliche Auseinandersetzung, die von den jeweiligen nationalen wie internationalen Unterstützern angeheizt wurde. Präsident Kasavubu neidete Lumumba die zahlreichen Sondervollmachten des Premierministers und bevorzugte Regierungschefs, die seinem Willen folgten; Lumumba wiederum war enttäuscht, dass er "nur" Regierungschef geworden war, obwohl er die Wahlen gewonnen hatte und der größten nationalen Partei vorstand.
Ermordung Lumumbas
Nach Absprache mit den USA[2] putschte schließlich Oberst Mobutu, welcher Lumumba absetzte und Kasavubu die Ernennung eines ihm genehmen Premiers ermöglichte. Es folgte ein CIA-Mordauftrag gegen Lumumba, den der Leiter der Organisation im Kongo, Lawrence R. Devlin, jedoch nicht ausführte.[3][4] Stattdessen wurde Lumumba nach Katanga verschleppt und im Januar 1961 ermordet. Die Anhänger Lumumbas bildeten eine Gegenregierung in Stanleyville mit Antoine Gizenga an der Spitze, welche den Ostteil des Landes kontrollierte.
Bürger- und internationaler Stellvertreterkrieg
Im November 1960 war der Kongo zu einem internationalen Schlachtfeld geworden mit 4 verschiedenen Regierungen und 4 verschiedenen Hauptstädten mit jeweils eigener Armee und internationalen Bündnispartnern.
- In Léopoldville genossen Kasavubu und Mobutu die Unterstützung der USA und der CIA.
- In Stanleyville erhielt Gizenga die Hilfe der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten.
- In Élisabethville wurde Tschombé von belgischen Truppen und weißen Söldnern wie Mike Hoare, Bob Denard und Jean Schramme unterstützt. Finanziell wurde seine Regierung durch die Union minière du Haut Katanga getragen. Zusätzlich konnte Tschombé auf die Unterstützung der reaktionär-weißen Regierungen des südlichen Afrikas zählen, etwa des Apartheid-Regimes in Südafrika und der Kolonialverwaltung von Portugiesisch-Angola, sowie des rhodesischen Premierministers Roy Welensky. Von Angola wurden über die Benguelabahn in der Folge die Bodenschätze Katangas ausgeführt.
- In Bakwanga residierte der "Diamantenkaiser" Albert Kalonji, welcher durch das belgische Diamant-Unternehmen Forminiére unterstützt wurde.
Tod des UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld
Im September 1961 kam es aus ungeklärten Gründen zum Absturz eines UN-Flugzeuges nahe dem Flughafen Ndola, im Grenzgebiet zwischen der abtrünnigen Provinz Katanga und Nordrhodesien, dem heutigen Sambia. An Bord waren der damalige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld und 15 weitere Personen. Hammarskjöld befand sich auf dem Weg nach Ndola zu einem Friedensverhandlungstreffen mit dem von Belgien und westlichen Geheimdiensten unterstützten kongolesischen Politiker Moïse Tschombé.[5]
Simba-Aufstand
Nach diesen Ereignissen beendeten die UN-Blauhelme in den beiden Katanga-Feldzügen 1963 die Sezession Tschombés. Mit der Einnahme der Provinz Orientale durch Regierungstruppen wurde die Einheit des kongolesischen Staates wiederhergestellt. 1964 begann im Osten des Landes der von Anhängern Lumumbas getragene Simba-Aufstand, welcher aber rasch durch kongolesische, amerikanische und belgische Truppen, sowie weiße Söldner niedergeschlagen wurde. Zu diesem Zweck stationierten die USA Luftstreitkräfte der United States Air Force im Kongo, bestehend aus 13 North American T-28 Kampfflugzeugen, 5 Douglas A-26 Bombern und 3 Curtiss C-46 Transportflugzeugen, während Belgien Fallschirmjäger der Para-Commando-Brigade stellte. Auch das Eingreifen einer kleinen kubanischen Expeditions-Truppe unter Che Guevara auf Seiten der Rebellen konnte das Blatt nicht mehr wenden. Paradoxerweise verbündeten sich während des Simba-Aufstandes nun die einstigen Feinde Kasavubu und Tschombé und konnten so das Land stabilisieren, womit der erneute Bürgerkrieg endete. Belgien, das sich erleichtert über den erneuten Freundschaftsvertrag zeigte, übertrug daraufhin zahlreiche bisher belgische Unternehmen dem kongolesischen Staat. Der Kongo schien aus den Wirren herauszufinden. Daraufhin folgten die 2. freien Wahlen, in denen das Bündnis von Tschombé 122 der 167 Parlamentssitze erringen konnte. Doch Kasavubu setzte den Wahlsieger Tschombé (wie einst Lumumba) am 13. Oktober 1965 ab und ersetzte ihn durch den gefügigeren Évariste Kimba. Darauf folgte der zweite Putsch Mobutus, welcher zunächst von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt wurde, da viele Menschen eine erneute Kongo-Krise bzw. einen erneuten Bürgerkrieg fürchteten. Im Jahr 1965 endete daher die Kongokrise, gleichwohl noch bis Ende der 1960er Jahre lokale Widerstandsnester von Regierungstruppen zerschlagen wurden.
Literatur
- Foreign Areas Studies Division (Hrsg.): Area handbook for the Republic of the Congo (Leopoldville). United States Government Printing Office, Washington, D. C. 1962.
- Foreign Areas Studies (Hrsg.): Area handbook for the Democratic Republic of the Congo (Congo Kinshasa). U.S. Government Printing Office, Washington, D. C. 1971.
- Catherine Hoskyns: Congo Since Independence, January 1960-December 1961. Oxford University Press, London, New York, Toronto 1965.
- Thomas Kacza: Die Kongo-Krise 1960-1965 Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1990, ISBN 978-3-89085-477-9.
- Albert Kalonji Ditunga Mulopwe: Congo 1960. La sécession du Sud-Kasaï, la vérité du Mulopwe. L'Harmattan, Paris 2005, ISBN 978-2-7475-8132-5.
- Jules Gérard-Libois: Katanga Secession. University of Wisconsin Press, Madison, London 1966.
- Colin Legum: Congo Disaster. Penguin Books, Baltimore 1961 (online).
- David Van Reybrouck: Kongo: Eine Geschichte. 6. Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-518-42307-3.
- Peter Scholl-Latour: Matata am Kongo. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1961.
- Peter Scholl-Latour: Mord am großen Fluss. Ein Vierteljahrhundert afrikanische Unabhängigkeit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1986, ISBN 978-3-421-06307-6.
- Jean Stengers: Precipitous Decolonization: The Case of the Belgian Congo. In: Prosser Gifford, William Roger Louis (Hrsg.): The Transfer of Power in Africa. Decolonization, 1940-1960. Yale University Press, New Haven 1982, ISBN 978-0-300-02568-2, S. 305–336.
- Albert Wirz: Krieg in Afrika. Die nachkolonialen Konflikte in Nigeria, Sudan, Tschad und Kongo. (= Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte. Band 23). Steiner, Wiesbaden 1982, ISBN 978-3-515-03752-5.
- Ludo de Witte: Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise. Forum, Leipzig 2001, ISBN 978-3-931801-09-0.
- Crawford Young: Politics in the Congo. Decolonization and Independence. Princeton University Press, Princeton 1965.
- Torben Gülstorff: Trade follows Hallstein? Deutsche Aktivitäten im zentralafrikanischen Raum des Second Scramble. Berlin 2016.
Einzelnachweise
- Resolution 143 des UN-Sicherheitsrats v. 14. Juli 1960 (engl., franz.), abgerufen am 3. Mai 2019
- Lumumba-Mord: Sohn kündigt Klage gegen zwölf Belgier an. In: Der Standard. 22. Juni 2010, abgerufen am 5. Februar 2016.
- Scott Shane: Lawrence R. Devlin, 86, C.I.A. Officer Who Balked on a Congo Plot, Is Dead. In: The New York Times. 11. Dezember 2008, abgerufen am 5. Februar 2016 (englisch).
- Daniel Stern: Eisenhowers Zahnpasta. CIA im Kongo. In: WOZ Die Wochenzeitung. 5. August 2007, abgerufen am 5. Juli 2016.
- Neue Spur zum mysteriösen Flugzeugabsturz von Dag Hammarskjöld, heise/tp vom 8. August 2016