WOZ Die Wochenzeitung
WOZ Die Wochenzeitung ist eine genossenschaftlich organisierte überregionale linke Wochenzeitung in der Schweiz mit Sitz in Zürich. Herausgeberin der Zeitung ist die Genossenschaft infolink; unterstützt wird sie finanziell durch den Förderverein ProWOZ. Der WOZ liegt einmal im Monat die deutschsprachige Ausgabe von Le Monde diplomatique bei.
WOZ Die Wochenzeitung | |
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Beschreibung | Schweizer Wochenzeitung |
Erstausgabe | 1. Oktober 1981 |
Erscheinungsweise | wöchentlich |
Verkaufte Auflage | 18'015 (Vj. 17'618) Exemplare |
(WEMF-Auflagebulletin 2019[1]) | |
Verbreitete Auflage | 18'015 (Vj. 17'618) Exemplare |
(WEMF-Auflagebulletin 2019) | |
Reichweite | 0,097 (Vj. 0,084) Mio. Leser |
(WEMF MACH Basic 2019-II) | |
Chefredaktoren und Chefredaktorinnen | Redaktionskonferenz Redaktionsleitung: Silvia Süess, Kaspar Surber, Yves Wegelin |
Herausgeber | Genossenschaft infolink |
Weblink | www.woz.ch |
ZDB | 1061898-3 |
Geschichte
Gründungsjahre
Bei der Gründung der WOZ 1981 vereinigten sich drei verschiedene Gruppen, politische Richtungen und journalistische Temperamente. Der Hauptanstoß erfolgte durch die Redaktion des konzepts, einer kritischen Monatsbeilage zur Studierendenzeitschrift Zürcher Student. Dazu kamen Angehörige der ehemaligen Leserzeitung, einem Alternativprojekt aus den neuen sozialen Bewegungen nach 68, sowie, drittens, Vertreter der Zürcher Bewegungszeitung Eisbrecher. Geplant war zuerst eine Tages-, dann eine Wochenzeitung, die durch kritischen Journalismus eine Gegenöffentlichkeit herstellen und zugleich als Organ für die sozialen Bewegungen dienen sollte.
Die für den August 1981 vorbereitete Nullnummer enthielt eine Glosse von Niklaus Meienberg, die Zensur und Selbstzensur beim Zürcher Tages-Anzeiger karikierte. Darauf weigerte sich der Tages-Anzeiger-Verlag kurzfristig, die Nummer zu drucken, so dass eine Ersatzdruckerei gesucht werden musste. Der Vertragsbruch bescherte dem neuen Produkt einigen werbewirksamen medialen Wirbel. Im Oktober 1981 lancierte die WOZ dann die erste Nummer. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten unter andern Marianne Fehr, Georg Hodel, Nicolas Lindt, Res Strehle, Lotta Suter und Daniel Wiener.[2] Die WOZ arbeitete als selbstverwaltetes Kollektiv und zahlte Einheitslöhne, die zu Beginn weit unter den branchenüblichen Ansätzen lagen. Erst allmählich verfestigte sich eine Arbeitsteilung zwischen Redaktion, Produktion und Administration.
In den ersten Nummern publizierte die WOZ unter anderem mehrere Enthüllungen zur Schweizer Innenpolitik durch den Journalisten Jürg Frischknecht und dokumentierte innerlinke Debatten. Schon anlässlich der Friedensbewegung 1981/82, dann bei der 1983 einsetzenden Debatte ums Waldsterben gab es stark divergierende Meinungen innerhalb des WOZ-Kollektivs. Diese spitzten sich in der berühmt-berüchtigten so genannten Computerdebatte von 1985/86 zu. Damals wandte sich eine fundamentalistische Gruppe innerhalb des Kollektivs entschieden dagegen, dass die WOZ große Satzcomputer anschaffe, weil man sich damit der neuen Herrschaftstechnologien ausliefere.[3] Schließlich setzte sich eine pragmatisch-kritische Mehrheit durch, die einen kontrollierten Einsatz der neuen Technologien befürwortete. Die Minderheitsfraktion setzte sich ab, und die WOZ öffnete sich damit zugleich politisch und journalistisch.
Ausbau und Krise
Von Beginn an arbeiteten prominente Autoren bei der WOZ mit, etwa Niklaus Meienberg, Jürg Frischknecht und Laure Wyss; auch Max Frisch, Adolf Muschg und Peter Bichsel schrieben regelmäßig für sie. Da aus politischen Gründen auf Großinserate verzichtet wurde, betrug das Inserateaufkommen nur 15 % des Umsatzes, was die publizistische Unabhängigkeit garantierte, aber den finanziellen Spielraum einengte. Trotz beachtlichen publizistischen Erfolgen geriet die WOZ deshalb periodisch in finanzielle Schieflagen, die sie jeweils dank Solidaritätsaktionen ihrer Leserinnen und Leser meisterte. Maßgeblich dazu bei trug und trägt auch der 1984 gegründete Unterstützungsverein ProWOZ mit gegenwärtig rund 900 Mitgliedern.
Einen Höhepunkt der Außenwirkung bedeutete der Kulturboykott 1990/91 der Schweizer Kulturschaffenden angesichts des Fichenskandals, der von der WOZ teilweise koordiniert und publizistisch begleitet wurde.[4] Zeitgleich organisierte die WOZ eine erfolgreiche Vortragsserie «Schöne neue Weltordnung», aus der ein Buch resultierte. Damit begann eine Zusammenarbeit mit dem Rotpunktverlag, in dem unter anderem die zuerst in der WOZ veröffentlichten Recherchen von Stefan Keller und Susan Boos erschienen.[5]
1995 erwarb die WOZ auf Initiative von Andreas Simmen eine Lizenz für eine deutschsprachige Ausgabe der Monatszeitung Le Monde diplomatique, die seither in Zusammenarbeit mit der Berliner taz herausgegeben wird. In der Schweiz wird das Unternehmen getragen durch die WOZ – Internationale Medienerzeugnisse AG (IMAG).
Ende der 1990er Jahre trat eine neue Generation von Journalisten in die WOZ ein, darunter Constantin Seibt, dessen Kolumne zur Familie Monster Kultstatus erreichte.[6] 2002 inszenierte die WOZ publikumswirksam das Angebot einer Übernahme der damals zum Verkauf stehenden Weltwoche. 2003 beschloss das Kollektiv den Ausbau und eine Erweiterung der Zeitung, was kurzfristig die Auflage auf 14000 Exemplare steigen ließ, aber 2005 beinahe in den Konkurs führte. Dieser konnte nur dank einer stärkeren Finanzkontrolle und rigideren administrativen Strukturen abgewendet werden. Zugleich wurde mit Susan Boos eine neue Redaktionsleiterin gewählt, der zwei Stellvertretern zur Seite standen. Die Redaktionsleitung wirkte vor allem im organisatorisch-administrativen Bereich und in der Vertretung gegen außen. Weiterhin verfügte sie über keinerlei publizistische Weisungsbefugnisse; letzte Entscheidungsinstanz blieb die Redaktionskonferenz bzw. die Generalversammlung der Genossenschaft.
Konsolidierung
Nach der Reorganisation erbrachte die WOZ neben ihrer Wochenproduktion immer wieder Zusatzleistungen. 2007 lancierte sie Der Schweizer, mit dem eine geplante Zeitung der rechtsnationalen SVP persifliert wurde. Nach den durch die Finanzkrise angerichteten Verheerungen durch die Banken veröffentlichte sie im Oktober 2008 ein „unglaubliches Exclusiv-Interview“ mit Ex-UBS-Chef Marcel Ospel, der fiktiv verkündete: „Es tut mir leid ...“
Seit 2005 hat das Unternehmen WOZ auch dank des Fördervereins und weiteren Spenden aus einem treuen Leserkreis immer schwarze Zahlen geschrieben. Am 16. September 2010 erschien die Zeitung in neuer Gestaltung. Das Layout wurde im Haus selbst maßgeblich von Helen Ebert entwickelt. Seither hat die Zeitung zwei Bünde, ist durchgehend vierfarbig und schlägt den zweiten Bund mit einem dreiseitigen Thema auf. Auch dank dem im Nachgang zur Wirtschaftskrise gewachsenen Interesse an alternativen Informationen stieg die Auflage der WOZ weiter an. In Sonderausgaben beschrieb sie die 300 Reichsten in der Schweiz (2012) oder veröffentlichte in der Wunsch-WOZ 54 Artikel zu Themen, die von den Lesern gewünscht waren (2014). Besonderes Aufsehen erregte die Geheim-WOZ vom Oktober 2013. Nachdem sich die Zeitung in einer Reportage an die Fersen des Schweizer Geheimdienstchefs Markus Seiler geheftet hatte, reichte dieser Klage wegen Verletzung der Privatsphäre beim Presserat ein, die aber abgewiesen wurde.[7] Im November 2015 baute die WOZ im bewussten Gegensatz zu anderen Zeitungen den Kultur&Wissen-Teil aus; 2019 lancierte sie das neue Magazin „wobei“, welches sechs Mal jährlich als Beilage erscheint und jeweils einem Thema gewidmet ist.[8]
Die Auflage der Wochenzeitung ist in den letzten Jahren auf jetzt 18000 Exemplare gestiegen, hat aber durch eine weit überdurchschnittliche Mehrfachnutzung eine rund sechs Mal höhere Leserzahl. Laut dem weiterhin gültigen Redaktionsstatut von 1999 bleibt die WOZ eine „linke und unabhängige Wochenzeitung“, wobei links sein heißt, „all jene Machtverhältnisse zu beschreiben, zu hinterfragen und zu analysieren, die verhindern, dass Menschen frei und in Würde leben können“.[9] Durch eine kontinuierliche, ebenso kritische wie sachgemäße Berichterstattung etwa zur Migrationspolitik, zur Umwelt- und Wirtschaftspolitik sowie durch grundsätzliche Gesellschaftsanalysen ist die WOZ zu einem anerkannten und unbestrittenen Korrektiv in der Schweizer Medienlandschaft geworden.
2017 trat die langjährige Redaktionsleiterin Susan Boos zurück; das neu gewählte Dreierteam setzt sich gegenwärtig aus Silvia Süess, Kaspar Surber und Yves Wegelin zusammen. Für das Gesamtunternehmen amtet eine fünfköpfige Geschäftsleitung, die der Generalversammlung verpflichtet bleibt.
Gender-Schreibweise
Von 1983 an verwendete die WOZ als Mittel der geschlechtergerechten Schreibung das große Binnen-I (LeserInnen). Seit dem 30. September 2021 – zum 40-jährigen Jubiläum der Zeitung – wird als gendergerechte Schreibweise der Gender-Doppelpunkt genutzt; die „WOZ-Redaktor:innen“ schreiben: „Der Doppelpunkt hat sich in letzter Zeit vermehrt durchgesetzt, weil er unter anderem als inklusiver gilt als etwa das Gendersternchen: Denn er werde von Screenreadern für sehbehinderte und blinde Menschen nicht ausgesprochen, sondern als kurze Pause vorgelesen. Die Frage, wie barrierefrei der Doppelpunkt für blinde und sehbehinderte Menschen wirklich ist, bleibt umstritten. Doch so wie Vorleseprogramme ständig verbessert werden, wird sich auch die Sprache weiter entwickeln“ (siehe Liste von Medien, die Genderzeichen nutzen).[10]
Genossenschaftsmodell
Bis heute ist die Lohngleichheit im ganzen Unternehmen gewahrt; die Löhne haben in den letzten Jahren deutlich erhöht und dem Branchenstandard angeglichen werden können. Gegenwärtig beträgt der monatliche Einheitslohn 5400 Franken (brutto, ohne vom Geschäftsgang abhängige WOZifikation). Auch die Honorare für die freien Mitarbeiter sind entsprechend erhöht worden. Über fünfzig Festangestellte teilen sich rund 34 Vollzeitstellen in den drei Abteilungen Redaktion, Produktion und Verlag. Der Umsatz des Gesamtunternehmens beträgt rund 5 Millionen Franken; die Genossenschaft infolink ist damit der größte selbstverwaltete Betrieb der Schweiz. Die Genossenschaftsstruktur mit relativ flachen Hierarchien ist in Theorie und Praxis unbestritten.[11]
Die WOZ ist vorrangig ein Printprodukt geblieben; die Artikel der Printausgabe werden zeitlich abgestuft auf die WOZ-Website aufgeschaltet, wobei spätestens nach vier Wochen alle im Archiv vorhanden sind. Die mehrfach modernisierte Website versteht sich vorläufig als Zusatzdienst und bietet journalistisch nur gelegentlich Mehrwert. Neben einem digitalen Abo erscheint die WOZ mittlerweile auch wöchentlich als App auf dem Handy.
Weiterhin finanziert sich die Zeitung zum größten Teil aus Aboeinnahmen, ergänzt durch den Förderverein, der vor allem aufwändige Spezialreportagen ermöglicht. Deshalb ist die Zeitung durch den massiven Inserateeinbruch auf dem Zeitungsmarkt in den letzten Jahren weniger beeinträchtigt worden. Dafür ist sie immer wieder von Umbrüchen in der Druckereibranche betroffen worden. 2003 wechselte sie von der Alternativpresse Ropress zur Solprint AG in Solothurn. Ab 2008 wurde die WOZ bei der NZZ Print in Schlieren gedruckt, nach deren Schließung ab Juli 2015 am Standort St. Gallen. Anfang November 2016 wurde der Druckauftrag an Ringier Print in Adligenswil LU vergeben. Nachdem diese ebenfalls die Schließung bekannt gegeben hatte, wird die WOZ seit Juli 2018 bei der Mittelland Zeitungsdruck AG in Aarau produziert.
Auflagenentwicklung
- Entwicklung der verkauften Auflage
- 2008 bis 2018 WEMF[12]
Literatur
- Stefan Howald: Links und bündig, WOZ die Wochenzeitung: eine alternative Mediengeschichte. Rotpunktverlag, Zürich 2018, ISBN 978-3-85869-755-4.[13]
- Constantin Seibt, Carmen Berchtold, Jürg Fischer; Gertrud Vogler (Fotos): Das Buch Monster, 100 Fälle aus der Praxis der Familie Monster [Kolumnen in der WOZ]. WOZ, Zürich 1997, ISBN 3-906236-02-1.
- Die NZZ weigerte sich einst, die WoZ zu drucken. In: Der Bund. 16. September 2010
- Sabine Gorgé: Die WOZ setzt auf Qualität und hat damit Erfolg. In: SRF.ch, 14. Oktober 2016
Weblinks
Einzelnachweise
- , S. 32 (PDF).
- Der jetzige Zürcher FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger nahm nur an einigen Sitzungen teil, verabschiedete sich aber schnell vom Projekt.
- Regula Bochsler: Die Linke und der böse Computer. In: NZZGeschichte, Heft 2, Juli 2015, S. 10–12.
- Fredi Lerch / Andreas Simmen (Hrsg.): Der leergeglaubte Staat. Dokumentation einer Debatte. Rotpunktverlag, Zürich 1991.
- Eine Liste aller bisherigen WOZ-Bücher findet sich in Howald 2018, S. 345f.
- Constantin Seibt, Carmen Berchtold, Jürg Fischer; Gertrud Vogler (Fotos): Das Buch Monster, 100 Fälle aus der Praxis der Familie Monster [Kolumnen in der WOZ]. WOZ, Zürich 1997.
- https://presserat.ch/complaints/archivdokumente-illustrationen-montagen-verschleiern-des-berufs/ (abgerufen am 14. Mai 2020).
- Hausmitteilungen. In: WOZ Die Wochenzeitung. 17. Januar 2019, abgerufen am 8. März 2020.
- Zitiert nach Howald 2018, S. 343.
- WOZ-Redaktion: In eigener Sache: Liebe Leser:innen. In: WOZ.ch. 30. September 2021, abgerufen am 30. September 2021 (auch in der Printausgabe Nr. 39 vom 30. September 2021).
- Siehe Bettina Dyttrich: Selbstverwaltung in der Anderen Stadt. In: Hans Widmer (Hrsg.): Die Andere Stadt. Zürich 2017, S. 101–104.
- Details in WEMF-Auflagebulletin 2018, S. 35
- Rezensionen: Richard Aschinger: Die WOZ lebt, besser denn je – (k)ein Wunder auf Infosperber, 2. April 2018 und Rainer Stadler: Eine Geschichte der linken Presse, NZZ, 22. März 2018.