Kernkraftwerk Saporischschja

Das Kernkraftwerk Saporischschja (ukrainisch Запорізька атомна електростанція, russisch Запорожская атомная электростанция) befindet s​ich direkt a​m Fluss Dnipro n​ahe der Stadt Enerhodar i​m Südosten d​er Ukraine u​nd ist d​as leistungsstärkste Kernkraftwerk Europas. Es handelt s​ich dabei u​m sechs Druckwasser­reaktoren sowjetischer beziehungsweise russischer Bauart. Es i​st etwa 50 Kilometer v​on der Großstadt Saporischschja entfernt. Direkt n​eben dem Kernkraftwerk s​teht das konventionelle Wärmekraftwerk Saporischschja.

Kernkraftwerk Saporischschja
Kernkraftwerk Saporischschja mit 6 Blöcken
(die beiden hohen Kamine gehören zum Wärmekraftwerk Saporischschja)
Kernkraftwerk Saporischschja mit 6 Blöcken
(die beiden hohen Kamine gehören zum Wärmekraftwerk Saporischschja)
Lage
Kernkraftwerk Saporischschja (Ukraine)
Koordinaten 47° 30′ 44″ N, 34° 35′ 9″ O
Land: Ukraine Ukraine
Daten
Eigentümer: National Nuclear Energy Generating Company Energoatom
Betreiber: National Nuclear Energy Generating Company Energoatom
Kommerzieller Betrieb: 25. Dez. 1985

Aktive Reaktoren (Brutto):

6  (6000 MW)
Eingespeiste Energie im Jahr 2010: 39.061,1 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme: 753.403 GWh
Website: www.npp.zp.ua (Betreiber)
Stand: 6. Juni 2011
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Leistung

Das Kernkraftwerk hat insgesamt sechs Blöcke vom sowjetischen Typ WWER-1000/320. Diese haben eine elektrische Nettoleistung von jeweils 950 Megawatt und eine thermische Leistung von je 3.200 Megawatt. Die thermische Gesamtleistung der Anlage von fast 20 Gigawatt erfordert enorme Mengen Kühlwasser, die dem Fluss Dnepr, welcher an dieser Stelle extra verbreitert wurde, entnommen werden. Die Leichtwasserreaktoren haben eine elektrische Gesamtleistung von 5.700 Megawatt netto (6.000 MW brutto) und bilden somit zusammengerechnet die leistungsstärkste Kernkraftwerksanlage Europas.

Das Kernkraftwerk versorgt f​ast den gesamten Süden d​er Ukraine u​nd ist d​urch den Wegfall a​ller vier Blöcke d​es Kernkraftwerks Tschernobyl essenziell für d​ie Energieversorgung d​er Ukraine.

Geschichte

Bau

Kernkraftwerk Saporischschja (2011)

Mit dem Bau des ersten Reaktors wurde im Jahr 1980 begonnen. Mit der Inbetriebnahme des ersten Reaktorblocks am 10.  Dezember 1984 wurde der erste Reaktor der russischen Standard-Baureihe WWER-1000/320 in Betrieb genommen. In den Jahren 1981, 1982 und 1983 folgte der Baubeginn der Blöcke zwei bis vier. Diese gingen jeweils nach einer Bauzeit von ungefähr vier Jahren und acht Monaten in Betrieb. Der Block 5 wurde von 1985 bis 1989 errichtet. Der Baubeginn des sechsten Blocks war am 1. Juni 1986. Er ging schließlich nach über neunjähriger Bauzeit am 19. Oktober 1995 in Betrieb.

Russischer Angriff 2022

Am 2. März 2022 verbreitete die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) die russische Meldung, das Kraftwerk sei im Zuge der Invasion der Ukraine durch russische Truppen besetzt.[1] In der Nacht zum 4. März wurde von russischen Angriffen auf das Kernkraftwerk berichtet. Am 4. März 2022 schossen russische Truppen Raketen auf das Kernkraftwerk Saporischschja, schossen ein Gebäude in Brand und besetzten dann das Kernkraftwerk.[2] Teile brachen in Flammen aus, die wiederum am gleichen Tag gelöscht werden konnten.[3] Nach Angaben der IAEO seien dabei „keine essentiellen Anlagen beschädigt“ worden.[4] Die Blöcke 2 und 3 wurden daraufhin am 4. März kurz nach Mitternacht (MEZ) abgeschaltet. Nur der Block 4 arbeitete weiter,[5] so dass neben den drei bereits in Revision befindlichen insgesamt fünf Reaktoren in den Vorhaltebetrieb versetzt oder in einen Cool Down gebracht waren.[6] Die nach dem Beschuss am 3. März nicht mehr verfügbare Kapazität von 1,3 GW konnte durch die Erhöhung der Kapazität des benachbarten DTEK Wärmekraftwerks um neun Einheiten ersetzt werden.[7]

Sicherheit

Aus d​em Kernkraftwerk wurden einige Störfälle gemeldet. Im April 1993 wurden einige Teile d​er Anlage d​urch Wasser, welches a​us einem Primärkreislauf ausgetreten war, s​tark radioaktiv kontaminiert. In d​en Jahren 1994 b​is 1997 wurden w​egen finanzieller Engpässe n​ur zwei Millionen Dollar investiert.

Das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf arbeitete a​n der Verbesserung d​er Sicherheitsstandards d​er Überwachungssysteme d​er Kraftwerke i​n der Ukraine. 1992 starteten d​ie ersten Untersuchungen d​es Forschungszentrums z​ur Verbesserung d​er Sicherheit. 1995 g​ing das e​rste Überwachungssystem i​m 5. Block i​n den Probebetrieb. Heute s​ind alle s​echs Reaktoren d​amit ausgestattet.

Am 28. November 2014 kam es zu einem Kurzschluss in der Umspannanlage, also außerhalb des Reaktorbereichs, woraufhin Block 3 vorübergehend heruntergefahren wurde,[8] und es zu Stromknappheit in der Region kam.[9][10] Die IAEO bewertete die Abschaltung mit Stufe 0 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse ("Ereignis ohne oder mit geringer sicherheitstechnischer Bedeutung").[11] Trotz dieser Bewertung erregte diese Störung aufgrund der Nähe zum ukrainischen Krisenherd und der Tatsache, dass sich Аварія (Awarija), das ukrainische Wort für Störung, auch mit Unfall übersetzen lässt, eine gewisse mediale Aufmerksamkeit.[12]

Infolge d​er Sprengung mehrerer Hochspannungsmasten i​n der Oblast Cherson a​m 21. November 2015[13] k​am es z​u einem Lastabwurf v​on 500 MW, d​er durch d​ie staatliche Betreiberfirma Energoatom (Ukraine) a​ls sehr gefährlich eingestuft wurde.[14]

Im März 2022 erlitt d​as Kraftwerk kriegsbedingte Schäden (siehe #Russischer Angriff 2022).

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Saporischschja h​at sechs Blöcke:

Reaktorblock[15] Reaktortyp Netto-
leistung
Brutto-
leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Saporischschja-1WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. April 198010. Dezember 198425. Dezember 19852025[16]
Saporischschja-2WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. Januar 198122. Juli 198515. Februar 19862026[16]
Saporischschja-3WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. April 198210. Dezember 19865. März 1987(2017 geplant)[veraltet][17]
Saporischschja-4WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. April 198318. Dezember 198714. April 1988(2018 geplant)[veraltet][17]
Saporischschja-5WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. November 198514. August 198927. Oktober 1989(2019 geplant)[veraltet][17]
Saporischschja-6WWER-1000/320950 MW1.000 MW1. Juni 198619. Oktober 199516. September 1996(2026 geplant)

Siehe auch

Commons: Kernkraftwerk Saporischschja – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. Andreas Wilkens: Ukraine-Krieg: Russen besetzen größtes ukrainisches AKW Saporischschja. In: heise.de. 2. März 2022, abgerufen am 5. März 2022.
  2. Manfred Lindinger: Es gab in der Geschichte bislang keinen derartigen Vorfall. In: FAZ.net. 4. März 2022, abgerufen am 5. März 2022: „Interview mit dem Physiker und Kernchemiker Clemens Walther vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz“
  3. cop/mfh/dpa/AFP/Reuters: Ukraine: Brand an Europas größtem Kernkraftwerk nach russischem Angriff gelöscht. In: Spiegel Online. 4. März 2022, abgerufen am 5. März 2022.
  4. Simon Sales Prado: Krieg in der Ukraine: Evakuierung Mariupols verschoben. In: sueddeutsche.de. 5. März 2022, abgerufen am 5. März 2022.
  5. ORF at/Agenturen red: Ministerium: Keine Gefahr für Österreich durch AKW-Brand. 4. März 2022, abgerufen am 5. März 2022.
  6. Manfred Lindinger: Kraftwerk unter Beschuss: Es gab in der Geschichte bislang keinen derartigen Vorfall. In: faz.net. 4. März 2022, abgerufen am 4. März 2022.
  7. DTEK: Wärmekraftwerk kompensiert Ausfall im Nuklearbetrieb. 4. März 2022, abgerufen am 4. März 2022.
  8. APA: Saporischschja: Dritter Reaktor geht wieder in Betrieb. DiePresse.com, 6. Dezember 2014, abgerufen am 8. Dezember 2014.
  9. Zwischenfall in Atomkraftwerk. Abgerufen am 4. Dezember 2014.
  10. Ukraine energy minister says 'no threat' from accident at nuclear plant. Reuters, 3. Dezember 2014, abgerufen am 4. Dezember 2014 (englisch).
  11. IAEA Informed by Ukraine That a Nuclear Power Reactor Remains Safely Shut Down Following Short Circuit. In: www.iaea.org. International Atomic Energy Agency. Abgerufen am 8. Dezember 2014.
  12. MDR aktuell: Die Meldung vom Atomunfall. (Nicht mehr online verfügbar.) Mitteldeutscher Rundfunk, 3. Dezember 2014, archiviert vom Original am 9. Dezember 2014; abgerufen am 8. Dezember 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.mdr.de
  13. "Blackout" auf Halbinsel Krim (Memento des Originals vom 25. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.mdr.de auf mdr
  14. Bernhard Clasen: Kommentar Krim-Sabotage: Gefährliches Spiel mit dem Strom. In: taz.de. 23. November 2015, abgerufen am 5. März 2022.
  15. Power Reactor Information System der IAEA: „Ukraine: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  16. Lifetime extension of SE ZNPP power units. In: www.npp.zp.ua. Abgerufen am 13. Oktober 2017.
  17. Review of Existing and Future Requirements for Decommissioning Nuclear Facilities in the CIS (A report produced for The European Commission, Directorate General XI, January 1999). In: ec.europa.eu. Archiviert vom Original am 15. Dezember 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ec.europa.eu Abgerufen am 8. Dezember 2014.
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