Druckwasserreaktor
Der Druckwasserreaktor (DWR; englisch pressurized water reactor, PWR) ist ein Kernreaktor-Typ, bei dem Wasser als Moderator und Kühlmittel dient. Der Betriebsdruck des Wassers wird anders als beim Siedewasserreaktor so hoch gewählt, dass es bei der vorgesehenen Betriebstemperatur nicht siedet.[1] Die Brennstäbe sind daher gleichmäßig benetzt, die Wärmeverteilung an ihrer Oberfläche ist ausgeglichen, und die Dampfphase mit ihrer besonderen Korrosionswirkung entfällt. Die gleichmäßige Wärmeverteilung bewirkt ein ruhiges Regelverhalten bei guter Ausnutzung der freiwerdenden Energie.
Das im Reaktorkern erhitzte Wasser (Primärkreislauf) gibt in einem Dampferzeuger seine Wärme an einen getrennten Wasser-Dampf-Kreislauf ab, den Sekundärkreislauf. Der Sekundärkreislauf ist frei von Radioaktivität aus Abrieb und Korrosionsprodukten, was z. B. die Wartung der Dampfturbine wesentlich erleichtert.
Meist wird leichtes Wasser (H2O) als Kühlmedium für die Brennstäbe, also als Transportmedium für die gewonnene Wärmeenergie verwendet. Diese Reaktoren gehören daher zu den Leichtwasserreaktoren. Weltweit gibt es nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation rund 279 dieser Reaktoren (Stand 2015).[2] Die Verwendung von schwerem Wasser (D2O) ist auch möglich, wird aber nur bei etwa 10 Prozent aller Reaktoren weltweit eingesetzt (siehe Schwerwasserreaktor). Insgesamt sind Druckwasserreaktoren weltweit der häufigste Reaktortyp; sie haben einen Anteil von 68 % an der gesamten nuklearen Stromerzeugung.[2]
Geschichte
Erfinder des Druckwasserreaktors (Abk. DWR) war Alvin Weinberg anfangs der 1950er Jahre. Der erste teil-kommerziell betriebene Druckwasserreaktor befand sich im Kernkraftwerk Shippingport in den USA. Er nahm 1957 den Betrieb auf. Die Entwicklung beruhte auf Vorarbeiten der US-amerikanischen Marine für Schiffsantriebe.
Technische Beschreibung
Primärkreislauf
Dem Kühlmittel Wasser wird eine veränderliche Menge an Borsäure zugesetzt. Bor ist ein wirksamer Neutronenabsorber; durch die Borsäurekonzentration kann daher die Leistung des Reaktors langsam geregelt[3] und dem allmählichen Abbrand des Brennstoffs angepasst werden. Die Steuerstäbe dienen zur schnellen Leistungsregelung und Lastanpassung. Eine automatische Leistungsstabilisierung ergibt sich aus der physikalischen Abhängigkeit der Reaktivität von Brennstoff- und Kühlmitteltemperatur, denn eine Temperaturerhöhung im Reaktor bedeutet:
- erhöhte Brennstofftemperatur: Dadurch steigt die Neigung des durch thermische Neutronen nicht spaltbaren Uranisotops 238, diese Neutronen zu absorbieren (siehe Dopplerkoeffizient).
- erhöhte Kühlmitteltemperatur, geringere Dichte: Dadurch verringert sich die Moderationswirkung des Kühlmittels, so dass weniger thermische Neutronen zur Spaltung von Uran-235-Kernen zur Verfügung stehen.
Durch diese Effekte verringert sich die Reaktivität und somit die Leistung des Reaktors.
Das Kühlmittel wird im Primärkreislauf unter erhöhtem Druck von bis zu 160 bar durch den Reaktorkern geleitet, wo es die durch Kernspaltung erzeugte Wärme aufnimmt und sich auf bis zu 330 °C erwärmt.[4] Von dort aus fließt es in die Dampferzeuger, welche als Rohrbündelwärmeüberträger ausgeführt sind. Nach der Übertragung der Wärme wird das Kühlmittel durch Kreiselpumpen zurück in den Reaktorkern gepumpt. Daraus ergibt sich als Vorteil gegenüber dem Siedewasserreaktor, dass das Kühlmittel, das immer etwas radioaktiv verunreinigt ist, sich ständig innerhalb des Containments befindet. Daher sind im Maschinenhaus keine Strahlenschutzmaßnahmen notwendig.
Um eine möglichst gleichmäßige radiale Temperaturverteilung zu erzielen, erfolgt die Erstbeladung mit Brennelementen mit von innen nach außen steigendem Anreicherungsgrad. Nach Ende des ersten Brennstoffzyklus (etwa 1 Jahr) wird jeweils nur das äußere Drittel des Inventars durch neue Brennelemente ersetzt, die im Laufe der folgenden Zyklen von außen nach innen umgesetzt werden. Neben diesem Ziel der gleichmäßigen radialen Leistungsdichteverteilung kann durch andere Kernbeladungen entweder der Abbrand der Brennelemente erhöht werden oder ein geringerer Neutronenfluss in der Nähe der Wand des Reaktordruckbehälters erreicht werden.
Sekundärkreislauf
Das Wasser im Sekundärkreislauf steht unter einem Druck von etwa 70 bar, weshalb es an den Heizrohren der Dampferzeuger erst bei 280 °C verdampft. In einem Kernkraftwerksblock der in Deutschland üblichen elektrischen Leistung von 1400 MW beträgt die dabei entstehende Dampfmenge für alle Dampferzeuger zusammen etwa 7000 Tonnen pro Stunde. Der Wasserdampf wird über Rohrleitungen in eine Dampfturbine geleitet, die über den angekoppelten Generator elektrischen Strom erzeugt. Danach wird der Dampf in einem Kondensator niedergeschlagen und als Wasser mit der Speisepumpe wieder den Dampferzeugern zugeführt.
Der Kondensator wiederum wird mit Kühlwasser, meist aus einem Fluss, gekühlt. Je nach Anfangstemperatur und Wasserführung des Flusses muss dieses Kühlwasser, bevor es in den Fluss zurückgeleitet wird, seinerseits wieder abgekühlt werden. Zu diesem Zweck wird ein Teil des Kühlwassers in einem Kühlturm zum Verdunsten gebracht. Dadurch entstehen bei manchen Wetterlagen weiße Wolken über den Kühltürmen.
Druckwasserreaktoren besitzen einen Wirkungsgrad von 32–36 % (wenn man die Urananreicherung mitrechnet), also sehr ähnliche Werte wie ein KKW des Typs Siedewasserreaktor. Der Wirkungsgrad ließe sich um einige Prozentpunkte steigern, wenn man die Dampftemperatur wie bei Kohlekraftwerken auf über 500 °C steigern könnte. Die maximale Temperatur des Primärkühlmittels ist durch das verwendete Prinzip des unterkühlten Siedens auf Temperaturen unterhalb des kritischen Punktes begrenzt und somit sind derartige Frischdampftemperaturen bei einem konventionellen Druckwasserreaktor nicht realisierbar.
Ausführungen des Druckwasserreaktors sind zum Beispiel der von Siemens in den 1980er Jahren in Deutschland gebaute Konvoi, der von Framatome in Frankreich gebaute N4 und der sowjetische WWER. Areva NP baut zurzeit in Olkiluoto (Finnland) einen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), eine Weiterentwicklung der Konvoi- und N4-Kernreaktoren.
Druckwasserreaktoren haben bereits eine lange technische Entwicklung hinter sich. Dieser Reaktortyp wurde zunächst in großen Stückzahlen zum Antrieb von Kriegsschiffen wie der Nimitz-Klasse gebaut. Die erste Anwendung für friedliche Zwecke war das 1957 fertiggestellte Kernkraftwerk Shippingport, USA, mit einer Leistung von 68 MW.
Sicherheitsbehälter
Der Reaktordruckbehälter eines Druckwasserreaktors ist von einem oder mehreren ineinander geschachtelten Sicherheitsbehältern (Containments) umgeben. Die Sicherheitsbehälter haben keine betriebliche Funktion, sondern dienen dem Abschluss verschiedener Betriebsbereiche gegeneinander und nach außen.
Bei den in der Auslegung (siehe Auslegungsstörfall) berücksichtigten normalen oder besonderen Betriebszuständen beschränken die inneren Sicherheitsbehälter den Austritt von radioaktivem Dampf oder radioaktivem Gas auf möglichst kleine Mengen. Die äußeren Sicherheitsbehälter sollen eine Fremdeinwirkung von außen auf den Reaktor verhindern. Die Sicherheitsbehälter werden nach theoretischen Modellen für die jeweiligen Betriebszustände ausgelegt. Jeder Sicherheitsbehälter ist für einen bestimmten maximalen Druck von innen und für eine bestimmte maximale Einwirkung (Impulsbelastung) von außen bemessen.
Ältere KKW besaßen lediglich ein Betriebsgebäude, das Wettereinwirkung auf die Anlage verhindert, aber keinen Abschluss gegen Dampfaustritt, keinen Schutz gegen explosionsartig erhöhten Druck oder gegen Aufprall eines Flugkörpers bietet. Solche Anlagen sind heute (2016) in Westeuropa nicht mehr in Betrieb.
Lastfolgebetrieb
Die Fähigkeit zum Lastfolgebetrieb war für die meisten deutschen Kernkraftwerke (KKW) ein konzeptbestimmendes Auslegungskriterium. Daher sind die Kernüberwachung und die Reaktorregelung schon beim Entwurf der Reaktoren so ausgelegt worden, dass keine nachträgliche Ertüchtigung der Anlagen für den Lastfolgebetrieb nötig ist.[5][6][7] Die bayerische Staatsregierung antwortete auf Anfrage, dass alle bayerischen KKW für den Lastfolgebetrieb ausgelegt sind.[8] Deutsche DWR, die im Lastfolgebetrieb gefahren wurden (oder werden) sind z. B.: Emsland,[9][10] Grafenrheinfeld,[8] und Isar 2.[8][11][12]
Für deutsche DWR werden als Minimalleistung 20,[7] 45[9] oder 50[6][8] % der Nennleistung angegeben, als Leistungsgradienten 3,8 bis 5,2[13] oder 10[7] % der Nennleistung pro Minute. Bei Leistungserhöhungen und Leistungsreduzierungen sind Laständerungen von 50 % der Nennleistung in einer Zeit von maximal einer Viertelstunde möglich. Eine noch höhere Lastfolgefähigkeit besteht oberhalb von 80 % der Nennleistung mit Leistungsgradienten bis zu 10 % der Nennleistung pro Minute.[7]
Für das KKW Isar 2 wurden folgende Leistungsgradienten im Betriebshandbuch festgelegt: 2 % pro Minute bei Leistungsänderungen im Bereich von 20 bis 100 % der Nennleistung, 5 % pro Minute im Bereich von 50 bis 100 % der Nennleistung und 10 % pro Minute im Bereich von 80 bis 100 % der Nennleistung.[12]
Die Leistungsregelung beim DWR erfolgt durch das Aus- und Einfahren von Steuerstäben. Der DWR verfügt dafür über zwei Arten von Steuerstäben: Steuerstäbe, die der Leistungsregelung dienen (D-Bank) und Steuerstäbe, die im Leistungsbetrieb immer an einer möglichst hohen Position im Kern verharren und damit als Abschaltreserve dienen (L-Bank). Für eine Leistungsanhebung ist der Leistungsgradient unter anderem durch die zulässige Leistungsdichte im Reaktorkern begrenzt. Eine Leistungsabsenkung ist praktisch in jeder gewünschten Geschwindigkeit möglich.[6]
Die Steuerstäbe werden beim DWR von oben in den Reaktorkern eingefahren, während dies beim Siedewasserreaktor von unten erfolgt. Sie werden elektromagnetisch in einer Position oberhalb des Reaktorkerns gehalten. Im Falle einer Reaktorschnellabschaltung fallen die Steuerstäbe des DWR durch die Schwerkraft in den Kern ein.[14]
Das Verhalten des Reaktorkerns bei Lastwechseln wird durch verschiedene Faktoren wie z. B. Brennstofftemperatur, Kühlmitteltemperatur, Kühlmitteldichte, Konzentration von 135Xenon (siehe Xenonvergiftung) und andere Parameter bestimmt.[12]
Literatur
- A. Ziegler, H.-J. Allelein (Hrsg.): Reaktortechnik: Physikalisch-technische Grundlagen. 2. Auflage, Springer-Vieweg, Berlin, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-33845-8.
- Dieter Smidt: Reaktortechnik. 2 Bände, Karlsruhe 1976, ISBN 3-7650-2018-4
- Günter Kessler: Sustainable and safe nuclear fission energy. Technology and safety of fast and thermal nuclear reactors. Springer 2012, ISBN 978-3-642-11989-7
- Richard Zahoransky: Energietechnik Systeme zur Energieumwandlung Kompaktwissen für Studium und Beruf mit 44 Tabellen, 5., überarb. und erw. Aufl.. Auflage, Vieweg Teubner, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8348-1207-0.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- Das Phasendiagramm von Wasser ist im unteren Teil des folgenden Bildes dargestellt, woraus sich aus der Linie zwischen Tripelpunkt und kritischem Punkt der zur Betriebstemperatur gehörige, viel kleinere Siededruck ergibt. Siehe Phasendiagramme.svg. Der Unterschied zwischen Druckwasser- und Siedewasser-Reaktor gibt ein Beispiel für die sog. Gibbssche Phasenregel: Beim Druckwasser-Reaktor beträgt die Zahl der Freiheitsgrade f=2; Betriebsdruck und Betriebstemperatur können unabhängig voneinander festgelegt werden und liegen ganz im Flüssigkeitsbereich des Phasendiagrammes. Dagegen legen sich beim Siedewasser-Reaktor der Siededruck und die Siedetemperatur gegenseitig fest, und der Betrieb bewegt sich genau auf der oben angegebenen Grenzlinie zwischen der Flüssigkeits- und der Dampf-Phase. In diesem Fall ist f=1.
- Statistik der IAEA zu den Reaktoren weltweit, abgerufen am 10. 2015 (englisch)
- ENSI Beschreibung der Arbeitsweise verschiedener Kernreaktoren. (PDF; 21 kB) S. 6, archiviert vom Original am 14. Juli 2011; abgerufen am 22. Dezember 2013.
- Leichtwasserreaktoren. Abgerufen am 7. Juli 2011. Informationen der Österreichischen Kerntechnischen Gesellschaft
- Der Energiemarkt im Fokus – Kernenergie – Sonderdruck zur Jahresausgabe 2010. (PDF; 2,1 MB; S. 10) BWK DAS ENERGIE-FACHMAGAZIN, Mai 2010, abgerufen am 27. Mai 2015.
- Holger Ludwig, Tatiana Salnikova und Ulrich Waas: Lastwechselfähigkeiten deutscher KKW. (PDF 2,4 MB S. 2–3) Internationale Zeitschrift für Kernenergie, atw Jahrgang 55 (2010), Heft 8/9 August/September, archiviert vom Original am 10. Juli 2015; abgerufen am 26. Oktober 2014.
- Matthias Hundt, Rüdiger Barth, Ninghong Sun, Steffen Wissel, Alfred Voß: Verträglichkeit von erneuerbaren Energien und Kernenergie im Erzeugungsportfolio – Technische und ökonomische Aspekte. (PDF 291 kB, S. 3(iii), 10) Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Oktober 2009, abgerufen am 23. Juli 2015.
- Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Wörner SPD vom 16.07.2013 – Regelbarkeit bayerischer Kernkraftwerke. (PDF; 15,1 kB) www.ludwig-woerner.de, 16. Juli 2013, archiviert vom Original am 24. Mai 2016; abgerufen am 27. Mai 2015.
- Kernenergie. RWE, abgerufen am 27. Mai 2015.
- Große Flexibilität macht Kernkraftwerk Emsland zum zuverlässigen Partner der erneuerbaren Energien. RWE, 15. August 2014, abgerufen am 28. Mai 2015.
- Kernkraftwerk Isar 2 zum 10. Mal Weltspitze. E.ON, 5. Mai 2014, archiviert vom Original am 24. September 2015; abgerufen am 27. Juli 2015.
- LASTFOLGEBETRIEB UND PRIMÄRREGELUNG – ERFAHRUNGEN MIT DEM VERHALTEN DES REAKTORS – Kernkraftwerk Isar. (PDF; 743 kB; S. 1, 7–8) E.ON, abgerufen am 5. August 2015.
- M. Hundt, R. Barth, N. Sun, S. Wissel, A. Voß: Bremst eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien? (PDF 1,8 MB, S. 25) Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, 16. Februar 2010, archiviert vom Original am 23. September 2015; abgerufen am 23. Juli 2015.
- Druckwasserreaktor (DWR). GRS, abgerufen am 3. August 2015.