Katholischer Traditionalismus
Zum katholischen Traditionalismus (auch: Traditionalistenbewegung[1]) werden Strömungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche gerechnet, die insbesondere die kirchlichen Reformen und Erneuerungsbestrebungen aus der Zeit während und im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) prinzipiell kritisieren, ablehnen oder bekämpfen. Besonders die Ablehnung der im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils umgesetzten Liturgiereform und die Forderung nach Beibehaltung oder Wiederherstellung der liturgischen Formen aus der Vorkonzilszeit sind ein prägendes Merkmal fast aller traditionalistischen Gruppen der Gegenwart. Abgelehnt wird von den meisten Vertretern des Traditionalismus auch die Ökumene.[2]
Traditionalisten in Gemeinschaft mit der Kirche
Folgende Gruppen akzeptieren grundsätzlich die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils:[2]
- Priesterbruderschaft St. Petrus
- Una-Voce-Bewegung
- Diener Jesu und Mariens
- Engelwerk
- Schwesternschaft vom Heiligen Kreuz
- Katholische Pfadfinderschaft Europas
Um Traditionalisten, denen es vor allem um eine Revision der Liturgiereform ging, entgegenzukommen, gestattete Papst Johannes Paul II. 1984 unter bestimmten Bedingungen die Feier der Heiligen Messe nach dem Römischen Messbuch aus dem Jahr 1962,[3] nachdem seit 1974 in Gemeindemessen ausschließlich die von Papst Paul VI. 1969 promulgierte Ausgabe des Römischen Messbuches verwendet werden durfte, was von altritualistischen Exponenten der Traditionalistenbewegung seit den 1970er Jahren scharf kritisiert worden war.
In seinem Motu proprio Summorum Pontificum regelte Papst Benedikt XVI. 2007 die Bedingungen, unter denen liturgische Feiern in der von ihm zur außerordentlichen Form des römischen Ritus erklärten vorkonziliaren Form stattfinden können, neu und erweiterte sie stark. Papst Franziskus hob diese Zweiteilung des Römischen Ritus in seinem Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 auf und entschied, dass die liturgischen Bücher von 1970 in den von den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. herausgegebenen Fassungen „einzige Ausdrucksform der lex orandi des Römischen Ritus“ seien. Die Feier der heiligen Messe nach dem Missale Romanum von 1962 ist seitdem auf wenige Ausnahmen eingeschränkt, die der Zustimmung des jeweiligen Diözesanbischofs bedürfen.
Traditionalisten im Dissens mit der Kirche
Lefebvrismus
Den größten Bekanntheitsgrad unter den Wortführern des katholischen Traditionalismus erreichte der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre. Seine Bewegung hat eine Reichweite von angeblich über 600.000 Anhängern. An der Spitze der Bewegung steht die Priesterbruderschaft St. Pius X. mit über 500 Priestern, die seit 1975 keinen kanonischen Status mehr in der römisch-katholischen Kirche hat und als schismatisch angesehen wird.[2] Illegale Bischofsweihen führten 1988 zur Exkommunikation der vier geweihten und zwei weihenden Bischöfe. Die Exkommunikation der vier seinerzeit Geweihten wurde am 21. Januar 2009 von Papst Benedikt XVI. aufgehoben. Sie und die Priester der Bruderschaft sind jedoch weiterhin suspendiert und gelten als „vagante Kleriker“, die zwar gültig, aber größtenteils in irregulärer Weise zum Priester geweiht wurden und ohne kirchliche Erlaubnis wirken.
Integralismus
Theologisch steht der Traditionalismus in der Kontinuität der im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der römisch-katholischen Kirchenleitung zeitweilig dominierenden Strömung des theologischen Integralismus. Der integralistische Traditionalismus lehnt die nach Ansicht seiner Anhänger mit früheren Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes unvereinbaren Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzils ab oder kritisiert dessen Verlautbarungen als unklar und missverständlich. Das betrifft neben den liturgischen Veränderungen insbesondere die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Kollegialität der Bischöfe. Historisch nimmt der integralistische Traditionalismus auf den Abwehrkampf des Papsttums gegen Aufklärung und Liberalismus Bezug, der zunächst im Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils und anschließend im innerkirchlichen Kampf Papst Pius X. gegen den so genannten Modernismus kulminierte. Traditionalisten betrachten diese Abwehr moderner Zeitirrtümer und die entsprechenden päpstlichen Verlautbarungen der vergangenen 200 Jahre als wesentlichen Bestandteil der katholischen Doktrin. Im Hintergrund steht ein statischer Traditions- und Offenbarungsbegriff, der im Wesentlichen bei der nachtridentinischen und neuscholastischen Lehrentwicklung stehen bleibt und Weiterentwicklungen, selbst wenn sie aus dem Geist biblischer und patristischer Tradition heraus erfolgen, nicht als Teil einer lebendigen Lehrtradition begreifet und sie deshalb als unzulässige Neuerungen ablehnt.[4]
Sedisvakantismus
Während die Mehrheit der Traditionalistenbewegung den Papst als solchen zumindest begrifflich akzeptiert, ohne dem tatsächlichen Amtsinhaber aber, zumindest in der Liturgiefrage, stets zu gehorchen, haben sich überdies etliche kleinste Gruppierungen gebildet, die der Auffassung sind, es gebe seit längerer Zeit (etwa ab 1958 oder später) keinen rechtmäßigen Papst der römisch-katholischen Kirche mehr.
Positionen
Traditionalistische Gruppierungen lehnen in aller Regel die sexuelle Revolution, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die Pränataldiagnostik, die Erleichterung der Ehescheidung, die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Frühsexualisierung und die Sterbehilfe als nicht mit der Lehre der Katholischen Kirche vereinbar ab. Auch der Ökumene stehen sie überwiegend ablehnend gegenüber, da sie in diesem Zusammenhang eine Verwischung zwischen Katholizismus und anderen christlichen Konfessionen befürchten.
Die Piusbruderschaft zeichnet sich darüber hinaus durch eine Ablehnung der Aufklärung, der Demokratie und der Religionsfreiheit ab. Einige ihrer Vertreter fielen außerdem durch Islamfeindlichkeit und, im Unterschied zu den meisten Evangelikalen, auch durch Antisemitismus auf.[5][6][7][8][9]
Literatur
- G. Vallet, C. Pietri (Hrsg.): Paul VI et la modernité dans l’Église. (École francaise de Rome, Band 72.) Rom 1984, ISBN 2-7283-0077-1.
- Georg May: Der Glaube der nachkonziliaren Kirche. Wien 1983, ISBN 3-85406-048-3.
- Heinz-Lothar Barth: Katholische „Altgläubige“?, in: Theologisches 25 (6/1995), Sp. 305–314 (Digitalisat).
- Bertram Stubenrauch: Traditionalisten. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Sp. 160.
Weblinks
Einzelnachweise
- Herbert Vorgrimler: Traditionalistenbewegung. In: ders.: Neues Theologisches Wörterbuch. Herder, Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 978-3-451-29934-6, S. 634 f.
- Bertram Stubenrauch: Traditionalisten. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Sp. 160.
- Der Römische Ritus im Missale von 1962.
- Walter Kasper: Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit, Sendung. Herder, Freiburg im Breisgau 2011, ISBN 978-3-451-30499-6, S. 491.
- Schreiben an alle Bischöfe von Franz Schmidberger vom 9. Dezember 2008
- Papst rehabilitiert fundamentalistische Bischöfe. In: Neue Zürcher Zeitung. 24. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
- Stefan Eiselin: Papst begnadigt notorischen Holocaust-Leugner. In: Tages-Anzeiger. 22. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
- Webbextra: Längre intervju med Williamson. In: Sveriges Television. 21. Januar 2009, abgerufen am 9. September 2009.
- Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2009: Der Vatikan sucht einen Schuldigen (Memento vom 28. April 2014 im Internet Archive)