Kartoffelkäfer
Der Kartoffelkäfer oder Erdäpfelkäfer (Leptinotarsa decemlineata – etwa: „Zehnstreifen-Leichtfuß“) ist eine Art aus der Familie der Blattkäfer.
Kartoffelkäfer | ||||||||||||
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Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Leptinotarsa decemlineata | ||||||||||||
Say, 1824 |
Merkmale
Der 7 bis 15 Millimeter lange Kartoffelkäfer ist gelb, wobei sein Halsschild schwarze Flecken aufweist und sich auf den Flügeldecken zehn dunkle Längsstreifen befinden. Er wiegt 50 bis 170 mg.[1] Bei Gefahr kann der Kartoffelkäfer ein unangenehm schmeckendes Wehrsekret ausscheiden; seine auffällige Färbung wird daher als Warntracht gesehen.[2][3]
Verbreitung und Ausbreitung
Der Kartoffelkäfer ist heute weltweit verbreitet. Seine Heimat lag ursprünglich in Zentralmexiko.[4] Später stellte man große Ansammlungen dieser Tiere im US-Bundesstaat Colorado fest. In der Annahme, dass jener daher der Herkunftsort des Käfers sei, gab man ihm seinen bis heute im englischsprachigen Raum gültigen Artnamen: Colorado potato beetle, zu deutsch „Colorado-Kartoffelkäfer“.
In Europa befürchtete man spätestens 1869 eine Einschleppung des Kartoffelkäfers mit amerikanischen Saatkartoffeln,[5] und die erste Sichtung erfolgte 1877 in den Hafenanlagen von Liverpool und Rotterdam. In Deutschland sind die ersten Funde für Mülheim am Rhein und Schildau bei Torgau ebenfalls für 1877 belegt.[6] Bereits zu dieser Zeit wurde von erheblichen Anstrengungen berichtet, die Plage einzudämmen.
1887 und 1914 traten neue größere Befallsherde in Europa auf. 1922 vernichtete der Käfer 250 km² Kartoffelbestände um Bordeaux. 1935 tauchte er in Lothringen und Belgien auf. 1936 wurde er erstmals in Luxemburg festgestellt[7] und 1937 erstmals in der Schweiz.[8]
Nahrung
Seine ursprüngliche Nahrungspflanze in Mexiko war der Stachel-Nachtschatten (Solanum rostratum), der wie die Kartoffel zur Familie der Nachtschattengewächse gehört und inzwischen auch Deutschland als Neophyt erreicht hat.[9] Der Übergang auf die Kartoffel vollzog sich im Verlauf des Vordringens weißer Siedler in den USA, die dort ihre Kartoffelpflanzungen anlegten.
Der Kartoffelkäfer und seine Larven ernähren sich von Teilen der Kartoffelpflanze, daher auch sein deutscher Name. Kartoffelkäfer können innerhalb kurzer Zeit ganze Felder kahl fressen. Es werden aber auch andere Nachtschattengewächse, insbesondere auch weitere Nutzpflanzen wie Aubergine, Paprika, Tabak und Tomaten befallen.[10] Experimentell bewährte sich Bittersüßer Nachtschatten als Futterpflanze des Kartoffelkäfers. Dieses Futter ernährte die Larven umso besser, umso höher der saisonale Proteingehalt war und je weniger der Solaninanteil betrug.[11]
Die Vermutung, dass der Käfer α-Solanin aus Solanum sequestriert, konnte nicht bestätigt werden.[12]
Entwicklung
Die Käfer legen im Juni an den Blattunterseiten der Kartoffelpflanze jeweils Pakete von 20 bis 80 gelben Eiern ab. Insgesamt sind es pro Weibchen etwa 1200 Eier. Aus den Eiern schlüpfen nach 3 bis 12 Tagen die Larven. Sie sind rötlich und haben an den Seiten und am Kopf schwarze Punkte. Die Larven wachsen schnell heran und häuten sich dreimal. Nach 2 bis 4 Wochen kriechen sie in die Erde, um sich dort zu verpuppen. Nach ungefähr zwei weiteren Wochen schlüpfen die Kartoffelkäfer, die jedoch noch mindestens eine Woche im Boden bleiben. Pro Jahr treten ein bis zwei Käfergenerationen auf. Kartoffelkäfer überwintern im Boden.
Bekämpfung
Im Jahr 1935 wurde in Deutschland auf Anregung der Biologischen Reichsanstalt durch den Reichsnährstand der Kartoffelkäfer-Abwehrdienst (KAD) gegründet,[13] der unter anderem eine Kartoffelkäfer-Fibel an die Schulkinder verteilte. Mit dem Slogan „Sei ein Kämpfer, sei kein Schläfer, acht’ auf den Kartoffelkäfer!“ war jeder zur Kartoffelkäferbekämpfung aufgerufen. Die Schulkinder bekamen sogar manchmal schulfrei, um die Käfer einzusammeln. Aus Arbeitslosen oder Schulkindern, vor Kriegsbeginn auch aus Soldaten, wurden in den Dörfern Suchkolonnen gebildet, um Felder nach Kartoffelkäfern abzusuchen. Es gab Fangprämien und Ehrennadeln. Bei stark befallenen Feldern wurde das Kartoffelkraut gerodet und vernichtet, der Boden mit Schwefelkohlenstoff entseucht, die Kartoffelfelder im Umkreis mit Bleiarsen, später mit Kalkarsen besprüht.
1936 wurde in Moutier d’Ahun (Département Creuse) eine französisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft zur Kartoffelkäferbekämpfung gegründet, 1940 in Kruft (Eifel) eine Kartoffelkäfer-Forschungsstation eingerichtet (später das Institut für biologische Schädlingsbekämpfung der Biologischen Bundesanstalt).
In Europa hat der Kartoffelkäfer keine natürlichen Fressfeinde. Er wurde daher mit Chemikalien (zunächst Arsenik, später Insektizide aus der Gruppe der chlorierten Kohlenwasserstoffe (HCH und DDT) oder der Gruppe der synthetischen Pyrethroide) bekämpft. Wegen der Gefahr der Entwicklung von Pestizidresistenz ist unter Beachtung der Anwendungsbedingungen eine integrierte Bekämpfungsstrategie mit wechselnden Wirkstoffen erforderlich. Wirksam ist auch eine Infektion der Käfer mit bestimmten Bakterienstämmen, wie dem Bakterium Bacillus thuringiensis tenebrionis.
1995 wurde ein Sammelgerät entwickelt (genannt Bio-Collector). Das pneumatisch-mechanische Gerät bläst die Kartoffelkäfer zunächst von den Pflanzen und saugt sie dann ein.[14] Insektizide sollen damit überflüssig gemacht werden. Die Produktion des Geräts wurde jedoch wieder eingestellt.
Im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang wurde die Wirkung von Endosulfan und Fipronil untersucht.[10] Es wurden bereits mehrere gentechnisch veränderte Kartoffelsorten getestet, die gegen den Kartoffelkäfer resistent sind. Ihnen wird insbesondere in Osteuropa und Russland Potenzial vorhergesagt.
Ein neueres Insektizid zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers, das auch im ökologischen Landbau zugelassen ist, ist Spinosad.[15]
Käfer und Larven einzusammeln und zu töten ist eine wirksame, auch heute in kleinem Maßstab anwendbare Methode der Bekämpfung.[16]
Kartoffelkäfer in der Propaganda
Während des Ersten Weltkriegs verbreitete man in Deutschland, dass Frankreich beabsichtige, mit der gezielten Vermehrung des Käfers die Lebensmittelversorgung im Deutschen Reich zu gefährden.
Während des Zweiten Weltkriegs behaupteten sowohl das NS-Regime als auch die Alliierten, Kartoffelkäfer seien von Flugzeugen über dem jeweiligen Feindgebiet abgeworfen worden.[17] Während es dafür keine Belege gibt, wurden Kartoffelkäfer hingegen nachweislich 1943 von der deutschen Wehrmacht gezüchtet und über der Pfalz (bei Speyer) abgeworfen, um die Eignung als biologische Waffe zu testen.[18]
Nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrten sich Kartoffelkäfer in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands sprunghaft, bis um 1950 fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Anbaufläche befallen war. Die DDR-Führung war nicht in der Lage, der Katastrophe Herr zu werden, nutzte die Plage aber zu Propaganda-Zwecken im Kalten Krieg, indem sie behauptete, dass eigens in den USA gezüchtete Käfer durch amerikanische Flugzeuge gezielt als biologische Waffe zur Sabotage der sozialistischen Landwirtschaft abgeworfen worden seien.[19] Am 16. Juni 1950 titelte das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Neues Deutschland: Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer.[20][21] Ab 1950 wurde auf Plakaten und in zahlreichen Medienberichten eine Kampagne gegen die „Amikäfer“ oder „Colorado-Käfer“ gestartet, die „Saboteure in amerikanischen Diensten“ genannt wurden. Selbst in ein Gedicht Bertolt Brechts fand diese Legende Eingang.[22][23]
Für den Frieden
Die Amiflieger fliegen
silbrig im Himmelszelt
Kartoffelkäfer liegen
in deutschem Feld.
Die US-Regierung forderte infolgedessen von der Bundesrepublik Deutschland Gegenmaßnahmen. Man beschloss, Kartoffelkäferattrappen aus Pappe mit einem aufgedruckten „F“ für Freiheit per Post an sämtliche Räte der Gemeinden der DDR zu versenden und solche von Ballons aus abzuwerfen.[17]
Ähnliche propagandistische Kampagnen gab es auch in der Volksrepublik Polen.[24]
Literatur
- Oswald de Kerchove de Denterghem: Le Doryphora decemlineata, in: Bulletins d'arboriculture 1877, S. 239–251.
Weblinks
Einzelnachweise
- Colorado Potato Beetle Facts. Abgerufen am 20. Februar 2021.
- Anne Lyytinen, Leena Lindström, Johanna Mappes: Genetic variation in growth and development time under two selection regimes in Leptinotarsa decemlineata. In: Entomologia Experimentalis et Applicata, Band 127, Nr. 2, 2008, S. 157–167 (PDF).
- J. A. Hough-Goldstein, J. Geiger, D. Chang, W. Saylor: Palatability and toxicity of the Colorado potato beetle (Coleoptera: Chrysomelidae) to domestic chickens. In: Annals of the Entomological Society of America, Band 86, Nr. 2, März 1993, S. 158–164, doi:10.1093/aesa/86.2.158.
- Historisch-Heimatkundliche Vereinigung der Region Werdenberg: WERDENBERGER JAHRBUCH 2008. (PDF) 2008, abgerufen am 15. August 2019.
- Landwirthschaft. In: Illustrirte Zeitung, 2. Oktober 1869, S. 10 (online bei ANNO).
- Welche Bücher soll der Landwirth kaufen?. In: Der Practische Landwirth / Der praktische/Praktische Landwirth / Der Praktische Landwirth. Illustrirte landwirthschaftliche Zeitung für Jedermann, 29. August 1877, S. 9 (online bei ANNO).
- J.A. Massard: Le Doryphore et le Grand-Duché de Luxembourg (esquisse historique). (PDF) In: Archives de l’Institut grand-ducal de Luxembourg, Section des sciences naturelles, physiques et mathématiques, NS 43. 2000, S. 175–217, abgerufen am 5. Januar 2016.
- Roger Peter: Kartoffel. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 16. November 2017, abgerufen am 31. März 2020.
- Beschreibung der Büffelklette (Wirtspflanze) bei giftpflanzen.com, abgerufen am 1. April 2016.
- Xiao-qin Shi, Man-Hui Xiong, Wei-Hua Jiang, Zhi-Tian Wang, Wen-Chao Guo, Zhen-Han Xia, Wen-Jun Fu und Guo-Qing Li: Efficacy of endosulfan and fipronil and joint toxic action of endosulfan mixtures against Leptinotarsa decemlineata (Say). In: Journal of Pest Science. 25. April 2012, doi:10.1007/s10340-012-0437-y.
- J. Daniel Hare: Seasonal variation in plant‐insect associations: utilization of Solanum dulcamara by Leptinotarsa decemlineata. In: Ecology, Band 64, Nr. 2, April 1983, S. 345–361, doi:10.2307/1937081.
- Christine A. Armer: Colorado potato beetle toxins revisited: Evidence the beetle does not sequester host plant glycoalkaloids. In: Journal of Chemical Ecology, Band 30, Nr. 4, 2004, S. 883–888 (PDF).
- Herrmann, Bernd: Schauplätze und Themen der Umweltgeschichte: Umwelthistorische Miszellen aus dem Graduiertenkolleg. Werkstattbericht. Hrsg.: Universitätsdrucke Göttingen. 2009, ISBN 978-3-941875-63-0, S. 95 f.
- Bio-Collector 2 Pflanzenschutz im Kartoffelanbau gegen Kartoffelkäfer. 19. August 2013, abgerufen am 24. Mai 2020.
- FiBL: Kartoffelkäfer: Neem und Spinosad ab sofort zugelassen. bioaktuell.ch, 13. Juni 2018, abgerufen am 9. November 2018.
- https://www.meine-ernte.de/gartentipps/schaedlinge/mittel-gegen-kartoffelkaefer/, Information der Firma meine ernte GmbH zur Kartoffelkäfer-Bekämpfung, abgerufen am 21. Jun 2021
- Klaus Körner: Politische Broschüren im Kalten Krieg (1947 bis 1963). In: SBZ von A bis Z – Ein Taschen- und Nachschlagebuch über die sowjetische Besatzungszone Deutschlands. Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 5. Januar 2016.
- Kartoffelkäfer – ein Schädling mit Geschichte. Industrieverband Agrar e. V., 19. Juli 2013, abgerufen am 5. Januar 2016.
- Halt, Amikäfer. Dokumente zum Kartoffelkäferabwurf. Berlin 1950.
- ND-Archiv: 16.06.1950: Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer. In: nd-archiv.de. Abgerufen am 20. März 2021.
- Monatszeitschrift G/Geschichte, Nr. 6/2020, S. 13, Artikel: Eine gefräßige Biowaffe des Westens, ISSN 1617-9412, B7276
- Die Käferwaffe Stimmt’s? - in DZ Nr. 33/2002, S. 27.
- „Der Amikäfer“ - Sonderausstellung im Schulmuseum Lohr-Sendelbach 2010/2011.
- Jak stonka rozpętała trzecią wojnę (polnisch).