Inzersdorf (Wien)
Inzersdorf (vor 1893: Inzersdorf am Wienerberge, 1893–1938: Inzersdorf bei Wien) war bis 1938 eine eigenständige Gemeinde und ist heute ein Stadtteil Wiens im 23. Wiener Gemeindebezirk Liesing sowie eine der 89 Wiener Katastralgemeinden.
Inzersdorf | |
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Wappen | Karte |
Geographie
Die heutige Katastralgemeinde Inzersdorf nimmt eine Fläche von 854,06 Hektar ein und ist damit der flächenmäßig größte Liesinger Bezirksteil.
Der Ort liegt beiderseits der Liesing südlich des Wienerbergs. Flussaufwärts befindet sich die Wiener Bezirksteile Atzgersdorf und Erlaa, flussabwärts der Wiener Bezirksteil Rothneusiedl, der sich schon im 10. Gemeindebezirk Favoriten befindet. Der Ort liegt in einem flachen Schwemmland, wo sich durch den Fluss große Mengen Tegel und Ton ablagerten, die für die Ziegelwerke und die Baustoffindustrie einen wichtigen Rohstoff darstellten. Noch heute zeugen Seen wie der Stein- oder Schlosssee von dieser Vergangenheit, denn diese Seen sind ehemalige Abbaugruben einer geschlossenen Ziegelfabrik, die in ein Erholungsgebiet umfunktioniert wurden.
Die Grundherrschaft bzw. das Gemeindegebiet von Inzersdorf erstreckte sich in seiner größten Ausdehnung im 19. Jahrhundert vom heutigen Antonsplatz im 10. Bezirk (südlich des Reumannplatzes) im Norden bis annähernd zur heutigen Stadtgrenze im Süden (Grenze zu den Grundherrschaften der heutigen Orte Vösendorf, Leopoldsdorf, Ober- und Unterlaa), im Westen vom Bereich Alt Erlaa / Steinsee bis in die Gegend der Pottendorfer Linie im Osten. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts existieren auf dem Gebiet des heutigen Inzersdorf zwei Ortschaften, nämlich Inzersdorf und Willendorf. Letzteres wurde nach den Zerstörungen der Türkenbelagerung 1529 nicht wieder aufgebaut, an seiner Stelle entstand Neusteinhof. 1773 entstanden beiderseits der Triester Straße die Keimzellen des neuen Ortsteils Neustift (auch Straßenhäuser).
Geologisch gesehen besteht Inzersdorf großteils aus Pleistozän-Schotter. Im Südosten und mittleren Westen befindet sich quartärer Lehm und Lösslehm. Der Norden entlang der Liesing wird zur geologischen Epoche des Holozäns gerechnet.
Geschichte
Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes erfolgte zwischen den Jahren 1120 und 1125 als Imicinesdorf beziehungsweise Ymizinisdorf. 1357 nannte man die Triester Straße Neustätter Weg. Inzersdorf war bereits 2000 Jahre vorher in der Nähe einer Hauptstraße. Sowohl während der ersten als auch während der zweiten Wiener Türkenbelagerung wurde Inzersdorf schwer zerstört. Maria Katharina von Kinsky brachte zwölf Jahre später fremde Siedler in das zerstörte Dorf.
Das Dorf entwickelte sich unter den Gebrüdern Geyer von Osterburg zu einem Zentrum der protestantischen Lehre. Viele Wiener nützten die Gelegenheit nach Inzersdorf „auszulaufen“, um dem Messgang in Wien zu entkommen. Nachdem der alte Friedhof bei der Pfarrkirche 1784 aufgelassen werden musste, wurde der heutige Inzersdorfer Friedhof angelegt. Nach vielfachem Besitzwechsel erbte der „Ziegelbaron“ Heinrich von Drasche-Wartinberg 1857 die Herrschaft. Zur Zeit der Industrialisierung wurde der Ort ein wichtiger Industriestandort, der sich vor allem auf die Ziegelproduktion spezialisierte. Die Ziegelindustrie wurde mit der Zeit immer bedeutender. 1872 wurden in den Fabriken bereits 100 Millionen Ziegel produziert, 1848 waren es erst 16 Millionen gewesen.
Auf Grund dieser Tatsache entschied man, die nördliche, stärker entwickelte Hälfte Inzersdorfs Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Namen Inzersdorf-Stadt in den heutigen 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten einzugliedern. An der neuen Wiener Stadtgrenze wurde 1891 ein heute noch bestehendes Linienamtsgebäude zur Einhebung der Verzehrungssteuer errichtet. Gleichzeitig bekam Inzersdorf bei Wien 17 % der Fläche mit rund 1 % der Bevölkerung von der ebenfalls zum Großteil nach Wien eingegliederten Gemeinde Altmannsdorf. Anfangs noch als eigener Ort der Gemeinde ausgewiesen, ist es aber schon im Spezialortsrepertorium 1910 in die einheitliche Ortschaft Inzersdorf bei Wien integriert.[1] Die Eingliederung von Inzersdorf-Stadt hatte eine große wirtschaftliche Schwächung des verbliebenen Orts zur Folge, da man unter anderem den Großteil der Ziegelwerke verlor. In den Folgejahren orientierte sich Inzersdorf wirtschaftlich vor allem an der nahe liegenden Stadt Liesing. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Fabriken.
Eine an die 70 Jahre existierende, weithin bekannte Institution entstand 1872, als der Mediziner Emil Fries (auch: Frieß; 1844–1898)[2] zusammen mit Hermann Breslauer (auch: Breßlauer)[Anm. 1] die ehemalige Sommerresidenz des Fürsten Ferdinand von Lobkowitz zu Raudnitz (1797–1868) erwarb und diese (zunächst mit 25 Betten)[3] als private Heilanstalt für Nerven- und Gemüthskranke (später: Sanatorium)[4] eröffnete.[5] (Bauliche Erweiterungen: 1873, 1875, 1881, 1885, 1888, großer Wintergarten 1890, 1902; des Weiteren Ausgestaltung der Parkanlage).[Anm. 2] Prominente Patienten waren unter anderem: Joseph Selleny (verstarb 1875 in der Anstalt), Bertha Pappenheim (Juni–November 1881), Peter Altenberg (Dezember 1910 bis September 1911),[6] Josef Weinheber (zuletzt 1940 wegen Alkoholentzugs).[7]
An der Grenze zu Atzgersdorf lag die Glühlampenfabrik Osram. Der Standortteil dieses Unternehmens in der Auer-Welsbach-Gasse ist beidseits der Grenze der Katastralgemeinden Atzgersdorf und Inzersdorf ab 1. Juli 2018 als „Altlast W31: Glühstrumpf-Fabrik Auer von Welsbach“ im Altlastenatlas ausgewiesen.[8]
Nach dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich wurde Inzersdorf durch das Gesetz über die Schaffung von „Groß-Wien“ vom 1. Oktober 1938 gemeinsam mit Liesing und dreizehn anderen Orten als 25. Bezirk nach Wien eingemeindet. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Inzersdorf 1954 als Teil des nunmehr aus wesentlich weniger ehemaligen Ortschaften bestehenden 23. Bezirks Liesing bestätigt. Der Bezirk Liesing war im Zweiten Weltkrieg sehr stark von alliierten Bombenangriffen auf Wien betroffen, da sich hier viele bedeutende Industrieanlagen befanden. Der Wiederaufbau machte bald große Fortschritte. 1947 hatte der Bezirk unter einer Typhus-Epidemie zu leiden.
Ende des 20. Jahrhunderts wurden neue Siedlungen in Inzersdorf angelegt. In den Jahren 1988 bis 1991 entstand die Siedlung Traviatagasse. Die einzelnen Teilabschnitte wurden von den Architekten Carl Pruscha und Raimund Abraham, von Carl Pruscha alleine, von Walter Buck und Uta Giencke sowie von Günther Lautner, Peter Scheifinger und Rudolf Szedenik geplant. Die Siedlung Othellogasse wurde von 1990 bis 1993 unter der Gesamtplanung von Melicher, Schwalm-Theiss & Gressenbauer errichtet. Im Jahr 1951, bei der letzten in der selbstständigen Gemeinde durchgeführten Volkszählung, hatte Inzersdorf noch 6026 Einwohner,[9] während heute rund 14.500 Menschen in Inzersdorf leben.[Anm. 3]
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Die älteren Gebäude rund um den Inzersdorfer Kirchenplatz werden von der Stadt Wien zu einer baulichen Schutzzone zusammengefasst.[10]
Ursprünglich befanden sich in Inzersdorf ein barockes Wasserschloss aus dem 17. Jahrhundert sowie ein in der Nähe errichtetes, etwas jüngeres Schloss. Beide als Schloss Inzersdorf bezeichneten Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg durch Bombentreffer beschädigt und schließlich 1965 im Zuge der Errichtung der Wiener Südosttangente ganz abgerissen. Der ehemalige Schlosspark wird heute unter dem Namen Draschepark als öffentliche Parkanlage verwendet.
Die klassizistische Pfarrkirche Inzersdorf im Ortskern wurde zwischen 1818 und 1820 erbaut. Sie wird derzeit (Stand 2011) von Pfarrer Nikolaus Zvonarich geleitet, der 2001 Bischofsvikar Karl Rühringer nachgefolgt ist. Das in einem weitläufigen Park gelegene so genannte Maria-Theresien-Schlössel wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet. Es stammt vermutlich von einem Architekten aus dem Umfeld von Johann Bernhard Fischer von Erlach. Beim Grünberger-Schlössl in der Draschestraße handelt es sich um ein um 1720/30 erbautes barockes Landhaus. Neben diesen drei Bauwerken stehen fünf weitere Objekte in Inzersdorf unter Denkmalschutz. Eines von ihnen, die Inzersdorfer Konservenfabrik, wurde im Jahr 2010 größtenteils abgerissen – auf dem Gelände soll eine Wohnhausanlage entstehen.
Als Motiv für die Gestaltung des für Inzersdorf bestimmten Teils des Liesinger Wappens wurde das Motiv von drei aus einem roten Herzen wachsenden Ähren gewählt, die links und rechts von einem goldenen Löwen und einem goldenen Pferd eingerahmt werden.
Wirtschaft und Infrastruktur
In Inzersdorf befindet sich ein großes Industriegebiet. Das Blumental im Osten des Bezirksteils ist beispielsweise Standort des Großmarkts Wien (Magistratsabteilung 59), wo auf rund 300.000 m² landwirtschaftliche Erzeugnisse und Blumen gehandelt werden. Eine der bekanntesten Firmen aus Inzersdorf ist Inzersdorfer, eine Firma für Fertiggerichte, die schon seit 1873 besteht und als „Erste österreichische Militärkonservenfabrik“ gegründet wurde. Auch der Wursthersteller Wiesbauer hat seinen Sitz in Inzersdorf. Im Jahr 2002 übersiedelte die Österreichische Staatsdruckerei in den Bezirksteil. Im selben Jahr wurde ein Briefzentrum der Österreichischen Post eröffnet.
Im Ortskern Inzersdorfs liegt die Volksschule Draschestraße. Das spätsezessionistisch-neoklassizistische Schulgebäude wurde im Jahre 1912 erbaut. Früher war hier eine Hauptschule, ein Polytechnischer Lehrgang und ein Kindergarten untergebracht. Nur einige Hausnummern entfernt ist das GRG 23 VBS Draschestraße untergebracht. Dieses Schulhaus wurde erst 1996 errichtet. Vorher war die Schule im 12. Gemeindebezirk Meidling unter dem Namen BRG XII in der Singrienergasse 19–21 (mit einer Expositur in der Anton-Baumgartner-Straße) untergebracht. Ihr ursprünglicher Standort war bis 1972 das Schulgebäude in der Erlgasse, das sich das BRG XII mit dem GRG XII teilte.[11] Damals stand auf dem heutigen Schulgelände eine Fabrik.
In Inzersdorf gibt es zwei Apotheken, die Apotheke zur Mariahilf und die Apotheke St. Nikolaus, die nach der Pfarrkirche benannt ist.
Persönlichkeiten
- Franziska Donner (1900–1992), Gattin des südkoreanischen Präsidenten Rhee Syng-man
- Heinrich von Drasche-Wartinberg (1811–1880), Industrieller
- Erika Hirsch (1924–1998), Musikerin und Komponistin
- Anton Ölzelt (1817–1875), Baumeister
- Adelheid Popp (1869–1939), Frauenrechtlerin
- Maria Rosa Aloisia Katharina Fürstin von Kinsky (1783–1842), ehemalige Besitzerin der Herrschaft Inzersdorf
- Karl Swoboda (1882–1933), Weltmeister im Gewichtheben
- Hubert Trimmel (1924–2013), Höhlenforscher
- Georg Virilli (1872–1951), Bürgermeister von Inzersdorf
Literatur
- Georg Freund: Inzersdorf am Wienerberge. Historisch-topografische Darstellung des Ortes und seiner Bestandtheile vom Ursprunge bis in die neueste Zeit. Selbstverlag des Verfassers, Inzersdorf am Wienerberge 1882. – Volltext online.
- Ferdinand Opll: Liesing: Geschichte des 23. Wiener Gemeindebezirks und seiner alten Orte. Jugend und Volk, Wien 1982, ISBN 3-7141-6217-8.
- Agnes Streissler: Die Inzersdorfer Ziegelarbeiter. Eine sozialstatistische Fallstudie zur Industrialisierung im Raum Wien. Diplomarbeit. Universität Wien, Wien 1991, OBV.
- Margarete Platt: Die Flurnamen im 10., 12. und 13. Wiener Gemeindebezirk und in Inzersdorf. Dissertation. Universität Wien, Wien 1997, OBV.
- Norbert Kletzl: Inzersdorf erobert die Welt. Geschichten über den Alltagswahnsinn in einem Wiener Stadtteil. Erste Auflage. Frieling, Berlin 2000, ISBN 3-8280-1141-1.
Weblinks
- Inzersdorf auf der Website der Stadt Wien.
- Eintrag zu Inzersdorf (Wien) im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Geschichte Inzersdorfs bis 1848 auf der Website des Gemeindebezirks Liesing (Memento vom 26. Juni 2012 im Internet Archive)
Einzelnachweise
- Wilhelm Rausch, Hermann Rafetseder: Gebiets- und Namensänderungen der Stadtgemeinden Österreichs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Hrsg.: Hermann Rafetseder (= Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs. Band 2). Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung und Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtforschung, 1989, ISBN 3-900387-22-2, S. 313, 320.
- Kleine Chronik. [… Dr. Emil Fries.] In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 12227/1898, 7. September 1898, S. 5, oben rechts. (online bei ANNO). .
- Alma Kreuter: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Band 1: Abelsdorff – Gutzmann. Saur, München (u. a.) 1996, ISBN 3-598-11196-7, S. 181.
- Prospect des Sanatoriums in Inzersdorf bei Wien. Kainz & Liebhardt, Wien s. a., ÖNB.
- Freund: Inzersdorf am Wienerberge, S. 115. – Online.
- Altenberg, Peter. In: zeno.org.
- Christoph Fackelmann: Die Sprachkunst Josef Weinhebers und ihre Leser. Band 1: Darstellung. LIT-Verlag, Wien 2005, ISBN 3-8258-8620-4, S. 57, online, sowie S. 419, online.
- 1. Altlastenatlas-VO-Novelle 2018. Verordnung der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus, mit der die Altlastenatlas-VO geändert wird, BGBl. II Nr. 132/2018.
- Ferdinand Opll: Liesing: Geschichte des 23. Wiener Gemeindebezirks und seiner alten Orte. Jugend und Volk, Wien 1982, ISBN 3-7141-6217-8. S. 198.
- Historische Übersicht auf der Website der Schule (abgerufen 24. Mai 2021).
Anmerkungen
- Breßlauer war bis dahin in der Privatklinik des Neurologen Heinrich Obersteiner in Oberdöbling tätig gewesen.
- Die 300 m tiefe Liegenschaft hatte eine Fläche von 2,2 Hektar. Ihr (nicht mehr bestehendes) Hauptgebäude lag an der ehemaligen Feld Gasse, heute: Oberlaaer Straße 298. (⊙ )
- Da die Grenzen der Zählsprengel und Zählbezirke von jenen der Katastralgemeinde abweichen, ist keine genaue Einwohnerzahl verfügbar. Die Zählbezirke Blumental, Draschegründe, Inzersdorf, Neu-Erlaa-Neustift und Schwarze Haide hatten laut VZ 2001 zusammen 14694 Einwohner. – Quelle: Ortsverzeichnis 2001 Wien, hrsg. v. Statistik Austria, Wien 2005, S. 101–102.