Harnstein
Harnsteine (lateinisch Urolithe) sind kristalline Ablagerungen (Konkremente) der ableitenden Harnwege unterschiedlicher Zusammensetzung und Größe, die aus dem Urin gebildet werden. Abzugrenzen hiervon sind Verkalkungen des Nierenfunktionsgewebes z. B. bei Nephrokalzinose, die außerhalb des Hohlsystems liegen. Je nach Fundort unterscheidet man Nierensteine (Lage im Nierenbecken oder den Nierenkelchen), Harnleitersteine (Lage im oberen, mittleren oder unteren Harnleiter), Blasensteine (Lage in der Harnblase) oder Harnröhrensteine der Harnröhre. Das Krankheitsbild wird als Steinleiden, Steinkrankheit und Urolithiasis bezeichnet.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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N20 | Nieren- und Ureterstein |
N21 | Stein in den unteren Harnwegen |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Entstehung
Ursachen
Harnsteine können aus unterschiedlichen Gründen entstehen, so zum Beispiel infolge einer Entzündung der Nieren oder der ableitenden Harnwege, aufgrund einer zu engen Harnröhre, als Folge von Gicht und Zuckerkrankheit oder durch Genuss von übermäßig viel Oxalsäure in bestimmten Lebensmitteln. Ferner können angeborene Stoffwechselstörungen wie eine Cystinurie oder ein Morbus Crohn zur Steinbildung führen.
Entwicklung
Harnsteine können entstehen, wenn Mineralsalze ausgefällt werden, die normalerweise im Urin gelöst sind, beispielsweise Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Calciumoxalat. Bei einem hinreichend großen Säuregehalt des Urins können sich zunächst kleine Kristalle (Blasengrieß, Harngrieß, Harnsand, Harnkonkremte) bilden, die sich allmählich zu größeren Gebilden zusammenfügen. Im Extremfall kann das gesamte Nierenbecken durch diese harten Einlagerungen ausgefüllt werden (Ausgussstein).
Chemische Zusammensetzung und Benennung
Da in der Vergangenheit zur Analyse von Harnsteinen häufig Mineralogen hinzugezogen wurden, hat sich bei vielen Steinarten bis heute die mineralogische gegenüber der chemischen Bezeichnung durchgesetzt. Es werden folgende Harnsteine unterschieden:[1]
Klinisches Bild
Harnsteine bleiben häufig lange Zeit unbemerkt und werden erst auffällig, wenn sie sich (meist unter extrem starken, krampfartigen Schmerzen (Kolik)) im Nierenbecken oder im Harnleiter verklemmen.
Harnsteine aus Calciumsalzen können per Röntgenbild, Harnsteine aus Harnsäure (Uratsteine) per Ultraschall nachgewiesen werden.
Behandlung
Als Therapie der Kolik werden schmerzlindernde Medikamente gegeben, was in den meisten Fällen (etwa 80 %) für einen Abgang des oder der Steine ausreicht. Falls nicht, müssen die Steine entweder operativ (früher durch den Steinschnitt, heute etwa mittels einer Ureterorenoskopie) entfernt oder durch Stoßwellen-Zertrümmerung (Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie) so zerkleinert werden, dass sie selbständig abgehen. Die Stoßwellen werden von außerhalb des Körpers so auf den Stein fokussiert, dass er in kleine Bruchstücke zerspringt.
Das alleinige Trinken großer Mengen zur Austreibung der Steine ohne zusätzliche medikamentöse Behandlung ist nicht erfolgversprechend. Der Spontanabgang kleiner Harnleitersteine kann durch Medikamente wie Alphablocker (z. B. Tamsulosin) oder Nifedipin erleichtert werden. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Off-Label-Use. Das chirurgische Entfernen von Blasensteinen, früh belegt etwa bei Aulus Cornelius Celsus, war bis ins 19. Jahrhundert ein eigenständiger Beruf, der des Lithotomus.
Vorbeugung
Als Vorbeugung gegen neuerlich auftretende Beschwerden (Metaphylaxe) wird das Trinken genügend großer Flüssigkeitsmengen (mindestens zwei Liter pro Tag) empfohlen und der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel: bei calciumhaltigen Steinen auf Milchprodukte, bei Oxalatsteinen zum Beispiel auf Rhabarber und bei Harnsäuresteinen auf purinreiche Nahrungsmittel wie z. B. Innereien, Leber- und Blutwurst.
Weiterhin senkt Citrat (Citronensäure) das Risiko der Bildung von Harnsteinen. Das im Urin ausgeschiedene Citrat stammt einerseits aus dem Stoffwechsel, insbesondere dem Citratzyklus, andererseits wird es mit der Nahrung aufgenommen.
Harnsteine bei Haushunden
- Blasensteine beim Hund, OP-Situs
- Ultraschallbild eines Harnsteins im Prostatateil der Harnröhre beim Hund. (Ur=Urethra (Harnröhre), Pr=Prostata, St= Harnstein)
- 5 Harnsteine liegen in der Mitte des Penisknochens eines Hundes (hyperechogene Linie) und führen zu einem Verschluss der Harnröhre, die rechts als echofreies Areal angedeutet ist
Bei Haushunden dominieren Struvitsteine[2], sie machen etwa 50 % aller Harnsteine aus, wobei ihr Anteil durch diätetische Maßnahmen in den letzten 20 Jahren leicht gesunken ist. Seit Anfang der 1980er Jahre steigt der Anteil an Calciumoxalat-Steinen kontinuierlich an, ihr Anteil liegt in aktuellen Studien bei etwa 30 %. Ammoniumurat-Steine machen etwa 10 % aus, sie kommen aufgrund eines genetischen Defekts gehäuft bei Dalmatinern vor. Cystin-Steine haben einen Anteil von etwa 5 %.[3] Zur Behandlung von Struvitsteinen können häufig ansäuernde und damit steinauflösende Diäten eingesetzt werden. Größere Steine werden in der Tiermedizin vor allem chirurgisch mit Eröffnung der Bauchdecke und Harnblase entfernt. Die Laserlithotripsie erfordert einen hohen apparativen und sicherheitstechnischen Aufwand und ist daher nur in wenigen Tierkliniken verfügbar. Auch die Pneumolithotripsie unter endoskopischer Kontrolle kann in Erwägung gezogen werden.[4]
Literatur
- S2k-Leitlinie Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). In: AWMF online (Stand 2015)
- Joachim Frey: Klinik der Erkrankungen der Harnwege. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 978–990, hier: S. 983–988 (Steinkrankheiten).
- Albrecht Hesse, Dietmar Bach: Harnsteine – Pathobiochemie und klinisch-chemische Diagnostik. (= Klinische Chemie in Einzeldarstellungen. Band 5). Thieme, Stuttgart 1982, ISBN 3-13-488701-0.
- Albrecht Hesse, Andrea Jahnen, Klaus Klocke: Nachsorge bei Harnstein-Patienten. Ein Leitfaden für die ärztliche Praxis. Urban & Fischer, 2002, ISBN 3-334-60832-8.
- Rolf Klemmt: Die „Kunst vom Blasenstein“ Wilhelms von Lack und einige andere Rezepte gegen Harnleiden von unbekannten Verfassern des Mittelalters. In: Sudhoffs Archiv 49, 1965, S. 129–146.
- Stefan C. Müller et al.: Epidemiologie, instrumentelle Therapie und Metaphylaxe des Harnsteinleidens. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 101, Nr. 19, 2004, S. A1331–A1336.
- C. Schmaderer, M. Straub, K. Stock, U. Heemann: Harnsteinerkrankungen, Behandlung und Metaphylaxe. In: Nephrologe. 2010, 5, S. 425–438.
Weblinks
- Deutsches Harnsteinzentrum Bonn: Hinweise zur Therapie der Harnleiterkolik
- Klinikum-Saarbruecken.de (PDF; 91 kB): Leitlinie zur Metaphylaxe des Harnsteinleidens
Siehe auch
Einzelnachweise
- A. Hesse: Urolithiasis bei Kaninchen. Die Herkunft der Namen. In: Animal Stone Letter. 7:1/2013.
- Harnsteine (Urolithen) bei Hunden. Abgerufen am 28. Februar 2020.
- A. Hesse: Harnsteinzusammensetzung bei Hunden im Wandel 1979–2007. In: Animal Stone Letter. 1/2009. Harnsteinanalysezentrum Bonn.
- Peter Pantke und Klaus Flaig: Intrakorporale Fragmentierung von Urolithen mit einem pneumatischen Lithotripter (StoneBreaker). In: Kleintierpraxis Band 62, 2017, Heft 1, S. 4–14.