Hans Koch (Historiker)
Hans Koch (* 7. Juli 1894 in Lemberg, Galizien, Österreich-Ungarn; † 9. April 1959 in München) war ein deutscher Theologe, Osteuropahistoriker und Offizier des Nachrichtendienstes des Oberkommandos der Wehrmacht.
Leben
Erster Weltkrieg und Studium
Koch war Nachkomme pfälzischer Einwanderer und besuchte das deutsche Gymnasium in Lemberg. Danach begann er in Wien mit dem Studium der evangelischen Theologie (1912–1914). Während dieser Zeit trat er dem Verein deutscher evangelischer Theologen Wartburg im Waidhofener Verband bei.[1]
Im Ersten Weltkrieg kämpfte er unter dem Kommando des k.u.k. Oberst Eduard Fischer in der Bukowina gegen russische Truppen als Nachrichtenoffizier. 1918 war er Hauptmann der Ukrainischen Galizischen Armee der West-Ukrainischen Volksrepublik.[2] Nach dem Ende des Krieges schloss er sich dem ukrainischen Nationalisten Symon Petljura an. Dabei hatte er auch einen Kontakt zu dem General Anton Denikin. Mit ihm handelte er einen Vertrag vom November 1919 aus. Koch geriet bei den Kämpfen mit der Roten Armee in Gefangenschaft, aus der er 1921 entlassen wurde.
Er ging wieder nach Wien und studierte dort Philosophie und Theologie; er promovierte 1924 zum Dr. phil. und 1927 zum Dr. theol.
Osteuropa-Forschung und Tätigkeit im Oberkommando der Wehrmacht
1929 wurde er Privatdozent für Kirchen- und osteuropäische Geschichte, 1934 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte an der Universität Königsberg.
Koch wurde am 1. Januar 1932 Mitglied der NSDAP in Österreich und nochmals am 1. August 1935 im Deutschen Reich (Mitgliedsnummer 3.703.926).[3] In Breslau fungierte er auch als Blockleiter. Er wurde Mitglied beim NS-Altherrenbund sowie beim NS-Dozentenbund und dem Nationalsozialistischen Lehrerbund.
Von 1937 bis 1940 war er ordentlicher Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Breslau und Direktor des der Universität angegliederten Osteuropa-Instituts.[4] Im Oktober 1938 schlug er vor, eine orthodoxe theologische Akademie im Deutschen Reich zu eröffnen, um zusammen mit England eine Verbindung zur Ostkirche herzustellen. Das Reichskirchenministerium reagierte positiv auf diesen Vorschlag; wie Werner Haugg, seit 1935 Referent im Reichskirchenministerium, im November 1938 mitteilte, sollte das Institut aus pragmatischen Gründen in Breslau (anstatt in Wien) gegründet werden.[5] 1940 wurde Hans Koch Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien.[4] Zudem war er Gastprofessor in der bulgarischen Hauptstadt Sofia sowie Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Sofia.[4]
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) im Amt Ausland/Abwehr in der Abwehr-Abteilung II als Hauptmann der Reserve eingesetzt. Koch fungierte für das OKW als Berater für ukrainische Angelegenheiten.[2] In der Ukraine hatte er die Aufgabe, Verbindung mit der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) aufzunehmen.
Weitere Aufgaben übernahm er als Leiter der Gruppe A I der Ausland/Abwehr II im OKW, die folgende Einsätze bearbeitete:
- Erkundung und Einsatz von Minderheiten und oppositionellen Organisationen
- Vorbereitung der Propaganda zum Zwecke der Zersetzung innerhalb der feindlichen Truppen
- Erkundung und Aufbau von Verbindungs- und Meldewegen zu politischen Gruppen im Friedens- und Kriegsfall
- Austausch von Nachrichten mit Verbündeten und befreundeten Mächten
- Erstellung von Berichten und Denkschriften über Ziele und Organisationen von Minderheiten und oppositionellen Gruppen bei fremden Mächten
Ab 1941 war er Verbindungsoffizier des Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete bei der Heeresgruppe Süd. 1944 war Koch am deutschen Kunstraub des OKW in der Sowjetunion beteiligt.
Entnazifizierung, Karriere nach 1945
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde Koch von der Universität Wien im Juli 1945 entlassen und tauchte in einem Wiener Lazarett unter. Danach nutzte er seine theologischen Kenntnisse und nahm für mehrere Jahre die Stelle eines evangelischen Pfarrers in Aich-Assach in der Steiermark an. Er war Teil der sogenannten „Professorengruppe“ der Organisation Gehlen, die dieser gegen Bezahlung Studien lieferte.[6] Seit 1949 war er Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft Schewtschenko in Lwiw.[7] Im Jahre 1952 wurde er Direktor des Osteuropa-Instituts München, wo er bis 1959 arbeitete. Ab 1954 wirkte er auch als Direktor an der Hochschule für Politik e.V. in München. An der Universität München erhielt er 1958 einen Lehrstuhl für Gesellschaft und Politik Osteuropas.[3]
Als Konrad Adenauer 1955 nach Moskau reiste, um dort Verhandlungen über die Aufnahme von Beziehungen zur Sowjetunion zu führen, begleitete ihn Koch als „wissenschaftlicher Berater“ und Dolmetscher. Von 1954 bis 1959 war Koch zudem (Bundes-)Sprecher der Landsmannschaft Weichsel-Warthe.
Die Bibliothek von Koch liegt im Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, das seinen Nachlass an das Bayerische Hauptstaatsarchiv abgegeben hat.[8]
Skandal um ein Nazi-Buch
1955 kam es zu einem Skandal, über den auch im Deutschen Bundestag diskutiert wurde. Koch hatte dem Buch Marxismus, Leninismus, Stalinismus. Der geistige Angriff des Ostens, erschienen in München beim Hoheneichen-Verlag, eine offizielle Empfehlung gegeben. Bei näherer Untersuchung stellte sich aber heraus, dass es sich bei dem Namen des Autors, Helmut Steinberg, um ein Pseudonym von Heinrich Härtle handelte, einem ehemaligen Mitarbeiter Alfred Rosenbergs. Während des Nationalsozialismus hatte Härtle bereits verschiedene politisch-ideologische Schriften im Zentralverlag der NSDAP veröffentlicht. Sein Buch von 1955 stellte im Prinzip eine Neuauflage seines bereits 1944 erschienenen Werkes Die ideologischen Grundlagen des Bolschewismus, Marxismus, Leninismus, Stalinismus dar, in dem mit einer Einleitung Rosenbergs darin der „völkisch-rassische Realismus“ als Abwehr gegen den Kommunismus propagiert wurde, weil er der „arteigenen natürlichen Totalitätsidee des Nationalsozialismus“ entspreche. Härtle hatte das Buch nur in einigen, das NS-Regime verherrlichenden Passagen überarbeitet.
Die Opposition im Bundestag forderte deswegen die Entlassung Kochs und eine Sperrung der Subventionen für sein Institut. Doch der damalige CDU-Innenminister Gerhard Schröder wehrte diese Forderung ab und setzte sich für Koch ein.
Schriften
Monographien
- Die russische Orthodoxie im Petrinischen Zeitalter. Ein Beitrag zur Geschichte westlicher Einflüsse auf das ostslavische Denken. Breslau 1929.
- Das kirchliche Ostproblem der Gegenwart. Berlin 1931.
- Byzanz, Ochrid und Kiew 987–1037. In: Kyrios. Bd. IV (1938), S. 253–292.
- Geschichte der Slawen/Die slawische Welt bis zur Zeit Peters des Großen. In: Propyläen-Weltgeschichte II und III. 1940/1941.
- Die ukrainische Lyrik 1840–1940. Wiesbaden 1955.
- Grenzen und Grenzenlosigkeit Osteuropas. Isar-Verlag, München 1955.
- mit Alexander Adamczyk, Roman Hönlinger, Erik von Kaull und Helmut Neubauer: Sowjetbuch. Köln 1957.
- mit anderen Verfassern: Deutsch-slawische Gegenwart. Referate des 2. Ostseminars der Hochschule für politische Wissenschaften. München 1957.
- Sowjetideologie als Weltanschauung und Wissenschaft. Bonn 1957.
- Jahrbuch Weichsel-Warthe 1959. 5. Jahrgang. München 1959.
- Theorie, Taktik, Technik des Weltkommunismus. Eine Zitatensammlung von Marx bis Chruschtschow. Pfaffenhofen 1959.
- 5000 Sowjetköpfe. Gliederung und Gesicht eines Führungskollektivs. Unter Mitwirkung von Otto Böß und Günter Schäfer. Köln 1959
Herausgeberschaften
- Reihe: Prager Studien und Dokumente zur Geistes- und Gesinnungsgeschichte Ostmitteleuropas. Hrsg. von Hans Joachim Beyer, Hans Koch, Gerhard von Mende, Fritz Valjavec und Eduard Winter (es erschienen 4 Bände). Institutioneller Hrsg.: Reinhard-Heydrich-Stiftung, Reichsstiftung für wissenschaftliche Forschung in Prag 1942–1945. Verlag Rudolf M. Rohrer, angebl. Verlagorte Brünn, München, Wien 1943–1944[9]
- Jahrbücher für Geschichte Osteuropas Neue Folge 1953. München 1953.
- mit Reinhart Maurach: Handbuch der Sowjetverfassung. München 1955.
Literatur
- Oskar Wagner: Koch, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 12, Duncker & Humblot, Berlin 1980, ISBN 3-428-00193-1, S. 263 (Digitalisat).
- Walter Habel: Wer ist wer? Berlin 1955.
- Julius Mader: Hitlers Spionagegenerale sagen aus. Berlin 1983.
- Karl Schwarz, Falk Wagner (Hrsg.): Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (= Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien. Bd. 10). WUV, Wien 1997; über Koch in Wien S. 27–31 und 141–144.
- Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert. Herbig, München 2003, ISBN 3-7766-2317-9.
Weblinks
- Literatur von und über Hans Koch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Hans Koch im Bibliotheks- und Bibliographieportal / Herder-Institut (Marburg)
- Vertrag im Nachlass von Koch mit Anton Iwanowitsch Denikin
Einzelnachweise
- Karl-Reinhart Trauner: „Treue um Treue“. Josef Rudolf „Giselher“ Beck, Oblt. 1893—1944. In: Schriftenreihe Evangelischer Bund in Österreich/Standpunkte 140 (1995), S. 3—34, hier 4 u. 6.
- Christoph Dieckmann (Hrsg.): Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“ im östlichen Europa 1939–1945. Göttingen 2003, S. 164, ISBN 3-89244-690-3.
- Roman Pfefferle, Hans Pfefferle: Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren. V&R unipress, Wien 2014, S. 295.
- Michail Shkarovskij: Die Kirchenpolitik des Dritten Reiches gegenüber den orthodoxen Kirchen in Osteuropa (1939–1945). Münster 2004, S. 270, ISBN 3-8258-6615-7.
- Michail Shkarovskij: Die Kirchenpolitik des Dritten Reiches gegenüber den orthodoxen Kirchen in Osteuropa (1939–1945). Münster 2004, S. 27. (Quelle: BArch R5101/23173, Bl. 459–462)
- Thomas Wolf: Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle. Hrsg.: Jost Dülffer et al. (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968. Band 9). Ch. Links Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-96289-022-3, S. 65 ff.
- Kurzbiografie Hans Koch auf der Webseite der Wissenschaftlichen Gesellschaft Schewtschenko; abgerufen am 30. August 2018 (ukrainisch)
- Auf der Homepage des Instituts befindet sich eine Kurzbeschreibung der Bibliothek.
- Reinhard-Heydrich-Stiftung, Prag.