Hadrian VI.
Hadrian VI., mit bürgerlichem Namen Adriaan Floriszoon (Florenszoon) Boeyens beziehungsweise Adriaan Florisz d’Edel, in damaliger Schreibweise Adriaen Floriszoon Boeiens, im Deutschen auch unter dem Namen Adrian von Utrecht bekannt (* 2. März 1459 in Utrecht; † 14. September 1523 in Rom), war vom 9. Januar 1522 bis zu seinem Tod Papst.
Herkunft
Adrian wurde als Sohn des Schiffszimmermanns Floris (Florens) Boeyenszoon Dedel († 1469) und von dessen Ehefrau Geertruid im Hause seines Großvaters Boudewijn in der Oude Gracht, Ecke Brandstraat (Brandsteeg), in Utrecht (Hochstift Utrecht, Burgundische Niederlande) geboren. Der Name seines Großvaters väterlicherseits ist mit Boudewijn Jansz. (oder Boeyen Jansz.) überliefert; die Abkürzung Jansz. bedeutet „Jans Sohn“ (Jans zoon). Der Großvater wird auch Boudewijn d’Edel oder Dedel genannt, womit sich eine Nähe zur adeligen und vornehmen Familie Dedel konstruieren ließ. Das päpstliche Wappen Hadrians VI. ähnelt deshalb dem der Familie Dedel. Der Familienname Boeyens ist ein Patronym zu Boudewijn (Balduin), also dem Großvater.
Ausbildung
Nach dem Tod des Vaters gab ihn seine Mutter im Alter von zehn Jahren zu den Brüdern vom gemeinsamen Leben in Zwolle, wo er eine solide wissenschaftliche Grundausbildung erhielt; auch seine Spiritualität wurde hier nachhaltig von der Devotio moderna geprägt. Ab 1476 studierte er an der Artes-Fakultät in Löwen Philosophie, worin er 1478 einen Magister erwarb; im gleichen Jahr noch begann er das Studium der Theologie und des Kirchenrechtes, dem er sich zehn Jahre lang widmete. Nachdem er am 1. August 1490 ein Lizentiat in Theologie erhalten hatte, folgte am 8. Juni 1491 sein Doktorat in Theologie. In Lehre und Studien befasste sich Adrian von Utrecht mit der klassischen Schultheologie der Scholastik. Auch für Mathematik hatte er ein Interesse, wogegen ihn humanistische Bestrebungen und die Dichtkunst weniger berührten.
Kirchliche und politische Karriere
Nachdem er am 30. Juni 1490 in Löwen (damals Herzogtum Brabant, heute Belgien) die Priesterweihe empfangen hatte, lehrte er ab 1493 als Professor an der dortigen Universität Theologie. Bereits seit 1488 hatte er auch Vorlesungen in Philosophie gehalten. Er war ein berühmter Lehrer, den auch Erasmus von Rotterdam hörte. Von 1493 bis 1501 war er Kanzler der Universität sowie von 1493 bis 1494 und von 1501 bis 1502 deren Rektor.
Neben seiner Lehrtätigkeit war Hadrian auch als Prediger tätig, wobei er allerdings als trockener Redner galt. Als Theologe verfasste er Werke zu verschiedenen theologischen Problembereichen, so zur Sakramententheologie und zu dogmatischen und ethischen Fragestellungen. Darüber hinaus errichtete er in Löwen eine Burse für Theologiestudenten.
Bereits seit 1490 Pfarrer des großen Beginenhofs in Löwen, was er auch noch als Papst bleiben sollte, war er zudem Pfarrer im südholländischen Goedereede und ab 1497 Dekan der Stiftskirche Sint-Pieter in Löwen. Hinzu kam noch das Amt des Propstes in Utrecht und Lüttich und je ein Kanonikat in Antwerpen und Anderlecht.
Als Ratgeber und Gutachter war Hadrian weithin geschätzt und galt geradezu als das „Orakel der Niederlande“. So zog ihn auch Margarete von Österreich (1480–1530) bald als Berater an ihren Hof; 1507 bestellte ihn der spätere Kaiser Maximilian I. zum Lehrer seines Enkels, des späteren Kaisers Karl V. (als spanischer König Karl I.), den er in den klassischen Sprachen unterrichtete. So gewann Hadrian einen einflussreichen Zugang zum Herrschergeschlecht. 1509 gab er seine akademischen Ämter zugunsten seiner Tätigkeit am Hofe endgültig auf. Als Lehrer soll er zwar gütig und wohlwollend, aber auch pedantisch gewesen sein.
1516 wurde Hadrian nach Spanien geschickt, um den Herrschaftsantritt des jungen Königs Karl vorzubereiten. Am 18. August 1516 wurde er zum Bischof von Tortosa ernannt. Er erhielt noch 1516 die Bischofsweihe durch Diego de Ribera, den Bischof von Segovia. Seit November 1516 Generalinquisitor für Aragonien und Navarra, wurde er 1518 auch Generalinquisitor für León und in Kastilien. Doch war er nicht nur Inquisitor für ganz Spanien, sondern auch Gouverneur des Königs für die Provinzen Castilla und León. Zudem war er zusammen mit Kardinal Jiménez de Cisneros als Statthalter für den abwesenden König tätig. Nach Cisneros’ Tod war er alleiniger Statthalter.
In seiner Aufgabe als Statthalter war Adrian nicht nur gewissenhaft und pedantisch, sondern in seiner Art auch ungeschickt. So konnte er 1520 nicht den Ausbruch des Comuneros-Aufstands verhindern, den die Truppen Karls erst nach harten Kämpfen niederwerfen konnten.
Als Geistlicher war Adrian hoch geachtet. Am 1. Juli 1517 erhob ihn Papst Leo X. zum Kardinal und machte ihn am 16. Juli 1517 zum Kardinalpriester der Titelkirche Ss. Giovanni e Paolo.
Pontifikat
Am 9. Januar 1522, nach dem Tod von Papst Leo X., wurde Hadrian zu dessen Nachfolger gewählt, nachdem die Wahl des erklärten Frankreich-Gegners Kardinal Schiner am Widerstand der französischen Kardinäle gescheitert war. Er war ein Kompromisskandidat, da die Interessen von Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich nicht zu vereinen waren. Karl V. wollte eigentlich nicht ihn, sondern Giulio de’ Medici. Heinrich VIII. versuchte Kardinal Wolsey durchzusetzen. Schließlich wurde Adriaan Florensz von Giulio de’ Medici selbst als Konsenskandidat vorgeschlagen.[1] Die Wahl eines Nichtitalieners stieß in Rom auf deutliche Ablehnung, die sich unter anderem in vielen Spottgedichten dokumentierte, die am sogenannten Pasquino angeheftet wurden:
«O del sangue di christo traditore
Ladro collegio chel bel vaticano
Alla tedescha rabbia hai posto in mano
Come per doglia non ti scoppia el cuore –»[2]
Übersetzung:
„O du Verräter des Blutes Christi,
Räuberisches Kollegium, dass du den schönen Vatikan
Der deutschen Wut ausgeliefert hast:
Wieso bricht dir nicht vor Schmerz das Herz? –“
Drei Kardinäle überbrachten ihm, der nicht am Konklave teilgenommen hatte, die Nachricht von seiner Wahl, die er am 8. März 1522 annahm. Nachdem er am 25. August 1522 in Civitavecchia an Land gegangen war, fand seine Krönung am 31. August 1522 statt. Kardinal Marco Cornaro als amtierender Kardinalprotodiakon setzte ihm die Tiara auf. Als Papstnamen behielt er seinen Taufnamen bei. Das tat nach ihm lediglich noch Papst Marcellus II.
Durch sein Bestreben, von der verschwenderischen Hofhaltung der Renaissancepäpste Abstand zu nehmen, rief Hadrian schon bald die Kritik und den Widerstand der von den früheren Verhältnissen begünstigten Kleriker und Künstler hervor. Unbestritten, aber für seine Gegner auch provozierend waren sein persönlich integrer Lebenswandel, seine tiefe Gelehrsamkeit und Frömmigkeit.
Protestantische Reformation
Hadrian VI. sah sich von Anfang seines Pontifikats an mit den allergrößten Problemen konfrontiert. Zuallererst hatte er auf die beginnende lutherische Reformation im Heiligen Römischen Reich zu reagieren. Hadrian bemühte sich, eine Kirchenspaltung zu verhindern; dafür wollte er auch Erasmus von Rotterdam gewinnen und lud ihn nach Rom ein.[3] Mit einer durchgreifenden Reform der Kirche versuchte er, die Auswirkungen der Reformation aufzuhalten. Unter anderem schränkte Hadrian den Luxus der päpstlichen Hofhaltung ein, ebenso die Gewährung von Ablässen und Pfründen. Die Risse waren jedoch bereits zu groß, und eine Umsetzung des Wormser Edikts war nicht mehr möglich, da der Reichstag in Nürnberg, der von 1522 bis 1523 tagte, die Entscheidung verschob. Gleichwohl bemerkenswert bleibt das Schuldbekenntnis,[4] das Hadrian am 3. Januar 1523 durch seinen Legaten auf dem Reichstag verlesen ließ: Gott lasse diese Wirren geschehen „wegen der Menschen und sonderlich der Priester und Prälaten Sünden“.[5]
Osmanisches Problem und der habsburgisch-französische Gegensatz
Ein weiteres drängendes Problem, mit dem sich der neue Papst beschäftigen musste, waren die Türkenkriege, besonders infolge der Belagerung von Rhodos (1522). Nach der Eroberung der Insel durch die Osmanen unter Süleyman I. musste der Johanniterorden seinen Sitz Rhodos aufgeben und zuerst nach Kreta und dann weit nach Westen zurückweichen, wo er um 1530 Malta zum neuen Hauptsitz ausbaute.
Auch der Konflikt zwischen dem Kaiserhaus der Habsburger und der französischen Krone erwies sich als ein nicht lösbares Problem. Das Reich und Frankreich kämpften um die Hegemonie im westlichen Europa, wobei vor allem die kriegerischen Auseinandersetzungen in Italien an Schärfe zunahmen.
Kardinalsernennungen
Der Papst nahm innerhalb seines kurzen Pontifikates lediglich die Erhebung eines einzigen Kardinals vor. Dies geschah am 10. September 1523. Bei dem Erwählten handelte es sich um Wilhelm III. von Enckenvoirt, den Bischof von Utrecht, der Heimat des Papstes.
Tod
Nach kurzer Amtszeit verstarb der Papst im Spätsommer 1523. Hermann Schreiber kommt in seinem Buch Geschichte der Päpste zu dem Schluss, dass Hadrian VI. wohl vergiftet wurde. Das Lexikon der Heiligen und Päpste geht jedoch von einem nicht unwahrscheinlichen Fiebertod aus, da in den damals noch nicht trockengelegten Sümpfen rund um den Vatikan Stechmücken zur Plage wurden. Er wurde zunächst im Petersdom, später in der Kirche der deutschsprachigen katholischen Gemeinde Santa Maria dell’Anima in Rom beigesetzt. Die Kirche geht auf eine Hospizstiftung des Ehepaars Petri aus dem holländischen Dordrecht im 14. Jahrhundert zurück.
Sein Freund Wilhelm von Enckenvoirt ließ ihm ein kostbares Grabmal errichten, dessen vielzitierter, auf Hadrian selbst zurückgehender Denkspruch das Wirken dieses Papstes, der trotz besten Bemühens an den übermächtigen Zeitumständen scheiterte, zutreffend benennt: „Proh dolor! Quantum refert in quae tempora vel optimi cujusque virtus incidat! – Ach, wieviel hängt doch davon ab, in welche Zeit auch des besten Mannes Wirken fällt!“[6]
Hadrian war der letzte Papst aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Er ist der bislang einzige Papst aus den heutigen Niederlanden und war bis zur Wahl von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1978 der letzte nichtitalienische Papst. Die Bruderschaft von Santa Maria dell’Anima kündigte am 17. November 2010 im Anschluss an ein Symposion über Papst Hadrian VI. an, dass sie beabsichtige, für ihn das Seligsprechungsverfahren zu beantragen.[7]
Literatur
- Wilhelm Maurenbrecher: Hadrian VI. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 10, Duncker & Humblot, Leipzig 1879, S. 302–307.
- Constantin Ritter von Höfler: Papst Adrian VI. Braumüller, München 1880 (mit 570 Seiten die bisher umfangreichste Monographie).
- James Loughlin: Pope Adrian VI. In: Catholic Encyclopedia, Band 1, Robert Appleton Company, New York 1907.
- Robert E. McNally: Pope Adrian VI. (1522–23) and Church Reform. In: Archivum Historicae Pontificae Bd. 7 (1969), S. 253–286.
- Christian Fichtinger: Lexikon der Heiligen und Päpste. Prisma-Verlag, Gütersloh 1980 (Erstauflage; später mehrfach nachgedruckt, zuletzt bei Ullstein, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-548-35532-3).
- Hermann Schreiber: Geschichte der Päpste. Econ Verlag, Düsseldorf 1985 (später mehrfach nachgedruckt, zuletzt bei Bechtermünz, Augsburg 1995, ISBN 3-86047-091-4).
- Friedrich Wilhelm Bautz: Hadrian VI. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 429–430.
- Markus Graulich: Hadrian VI. Ein deutscher Papst am Vorabend der Reformation. Schöningh, Paderborn 2009 (Neuauflage 2017, ISBN 3-506-76737-2).
- Michiel Verweij (Hrsg.): De Paus uit de Lage Landen. Adrianus VI, 1549–1623 (= Supplementa Humanistica Lovanensia, 27). Leuven University Press, Löwen 2009, ISBN 978-90-5867-776-1 (Katalog einer 2009/2010 in Löwen und Utrecht gezeigten Ausstellung zum 550. Geburtsjahr des Adriaan van Utrecht; niederländische, englische, deutsche und französische Beiträge).
- Eberhard J. Nikitsch: Römische Netzwerke zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Papst Hadrian VI. (1522/23) und seine Klientel im Spiegel ihrer Grabdenkmäler. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 91 (2011), S. 278–317.
- Hans Cools, Catrien Santing, Hans de Valk (Hrsg.): Adrian VI: A Dutch Pope in a Roman Context (= Fragmenta. Journal of the Royal Netherlands Institute in Rome, 4/2010). Brepols, Turnhout 2012, ISBN 978-2-503-54536-3 (Akten einer Fachtagung aus dem Jahr 1999, englisch).
Weblinks
- Literatur von und über Hadrian VI. im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eintrag zu Hadrian VI. auf catholic-hierarchy.org
- Kirsten Serup-Bilfeldt: Hadrian VI. am Vorabend der Reformation: Ein deutscher Papst, Beitrag in der Sendung Aus Religion und Gesellschaft des Deutschlandfunks vom 30. Juni 2021
Anmerkungen
- Claudio Rendina: I Papi. Rom 2002, S. 619.
- Ferdinand Gregorovius: Die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Band 8. Cotta, Stuttgart 1872, S. 381 (Digitalisat ).
- Josef Gelmi: Die Päpste. Augsburg 2003, S. 178.
- Heinrich Schreckenberg: Hadrians Schuldbekenntnis. In: Christ in der Gegenwart, Jg. 65 (2013), S. 515.
- Zitiert nach Franz Xaver Seppelt: Papstgeschichte von den Anfängen bis Gegenwart. 5. Auflage. Kösel, München 1954, S. 208.
- Der Spruch geht zurück auf Plinius den Älteren, Historia naturalis VII, 106 (Digitalisat): „Etenim plurimum refert in quae cuiusque virtus tempora inciderit. – Allerdings hängt sehr viel davon ab, in welche Zeit das Wirken eines jeden fällt.“ Auf seinem vorläufigen Grab in Alt-St. Peter hatte es geheißen: „Hadrianus sextus hic situs est: qui nihil sibi infelicius in vita quam quod imperaret duxit. – Hier liegt Hadrian VI., der über nichts in seinem Leben unglücklicher war, als dass er herrschen musste.“ Eberhard J. Nikisch: Papst Hadrian VI. (1522/23) und seine Klientel im Spiegel ihrer Grabdenkmäler. In: Lutherjahrbuch, 78. Jahrgang (2011), S. 9–37, hier S. 19 (Digitalisat).
- Für Hadrian VI. soll Seligsprechungsverfahren beantragt werden. Bericht auf kath.net vom 19. November 2010.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
---|---|---|
Lluís Mercader | Bischof von Tortosa 1516–1522 | Wilhelm van Enkevoirt |
Leo X. | Papst 1522–1523 | Clemens VII. |