Guerilla Gardening
Als Guerilla Gardening (span. guerrilla „kleiner Krieg“ und engl. gardening „Gärtnern“) wurde ursprünglich die heimliche Aussaat von Pflanzen als subtiles Mittel politischen Protests und zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum bezeichnet, vorrangig in Großstädten oder auf öffentlichen Grünflächen.[1] Mittlerweile hat sich Guerilla-Gardening zum urbanen Gärtnern oder zu urbaner Landwirtschaft weiterentwickelt und verbindet mit dem Protest den Nutzen einer Ernte beziehungsweise einer Verschönerung trister Innenstädte durch Begrünung brachliegender Flächen.[2]
Geschichte
Guerilla Gardening hat sich, von Großbritannien ausgehend, seit einigen Jahren insbesondere in den Metropolen der westlichen Welt verbreitet. Vorläufer des Guerilla Gardenings sind seit 1970 in New York City[3][2] und in Deutschland im Kontext der Naturgartenbewegung, des Interesses am „wilden Grün der Städte“ und einiger Kunstaktionen beispielsweise von Louis Le Roy und Joseph Beuys zu sehen.[4] Bekannt wurde Guerilla gardening, als sich am 1. Mai 2000 in London mit Spaten, Gartengeräten, Muttererde und Setzlingen bewaffnete Globalisierungskritiker, Anarchisten und Umweltaktivisten auf einer Rasenfläche des verkehrsreichen Parliament Square trafen,[2] um – wie sie auf Transparenten bekundeten – „die Straßen zurückzuerobern“, und den Platz umgruben, um ihn anschließend zu bepflanzen.
Politischer Protest
Die Aktion fand schnell Nachahmer und wurde abgeändert oder verfeinert. Es wurden Samenbomben gedreht, um sie an unzugänglichen Stellen auszubringen.[5]
Bei politisch motivierten Aktionen kann dabei die Anordnung und Auswahl der Pflanzen (beispielsweise das Aussäen von Blumensamen in Form eines Friedensymbols, das Anpflanzen von Reis oder Getreide in öffentlichen Grünanlagen, das Bepflanzen von Golfplätzen mit Dornbüschen) eine politische Aussage vermitteln. Auch das Stören von Gentechnik-Freilandversuchen (Feldbefreiung) durch heimliches Zwischensäen von natürlichen Pflanzen gehört in diese Kategorie.[6]
Die politisch motivierten Guerilla-Gärtner sehen ihre Aktionen dabei beispielsweise „…im revolutionären Weisheitskampf … als allgemeinen Protest gegen die Monokulturen des Spießbürgertums …“ („Leitfaden für den revolutionären Weisheitskampf“).[7]
Lebenswerte Umwelt
Parallel dazu hat sich eine Form des Guerilla Gardenings entwickelt, bei der klassische Ansätze von moralischer Ökonomie mit dem Wunsch nach urbaner Selbstversorgung und mit einem Protest gegen die Agrar-Industrie verbunden werden. Nach Wunsch dieser Guerilla-Gärtner sollen die Städte als lebenswerte Umwelt erfahrbar gemacht und von ihren Bewohnern „mit den eigenen Händen“ in Besitz genommen werden.[2] Hierzu zählt illegale Gemüsezucht auf Brachland, wilder Reisanbau zwischen Wolkenkratzern oder organisierte Sprossenzucht auf Wohnhausdächern. Innerstädtische Brachflächen, Grünstreifen und Hinterhöfe werden begrünt und Biotope, Gemeinschaftsgärten und Pflanzenbeete angelegt.[8]
„Während die Hippie-Generation der 1960er und 1970er Jahre eher von abgelegenen, autarken Landkommunen träumte, wo das Brot aus selbst angebautem Getreide gebacken und Pullover mit der Wolle hauseigener Schafe gestrickt werden sollten, sehen Guerilla-Gärtner ihren ureigenen Lebensraum in den Hochhausschluchten oder Industriegebieten der Metropolen. Auf Grünstreifen zwischen mehrspurigen Straßen pflanzen sie Kohlköpfe und Möhren an. Auf Abrissgrundstücken lassen sie in alten Autoreifen Kartoffeln oder Tomaten gedeihen.“[9]
Rechtliche Situation in Deutschland
Erfolgt die Bepflanzung ohne Zustimmung des Grundstückseigentümers oder Pächters, stellt Guerilla Gardening in Deutschland in vielen Fällen eine Straftat dar und kann als Sachbeschädigung verfolgt werden.[6] In der Regel sehen die Gemeinden als für den öffentlichen Raum zuständige Behörde hiervon jedoch ab.[6] Einige Gemeindeverwaltungen begrüßen angesichts des geringen Budgets für Stadtbegrünung sogar die spontanen Pflanzaktionen[10] oder nehmen sie als Anstoß, um über die offizielle Freigabe städtischer Flächen nachzudenken.[11][12][13]
Bekannte Personen
Ein international bekannter Vertreter des Guerilla gardening ist der Brite Richard Reynolds, der neben seinen gärtnerischen Aktionen auch durch Publikationen zum Thema hervorgetreten ist. Gartenguerilleros im deutschsprachigen Raum sind etwa Wilm Weppelmann[14] in Münster, Petrus Akkordeon in Berlin und Maurice Maggi in Zürich.[15] In Belgien wirkt Annemie Maes, die ihre Erfahrungen auch international in Kursen weitergibt.[16] In Polen werden Aktivitäten im Bereich der Partisanengärtnerei unter anderem von Witold Szwedkowski, einem Dichter und Sozialaktivisten, durchgeführt. Eines seiner Vorhaben ist der „Weltheu- und Kürbistag im öffentlichen Raum“.[17]
Vorgehen
Samenbomben
Wie Guerilleros vermeiden Guerilla-Gärtner die offene Konfrontation und bevorzugen abgelegene und unzugängliche Standorte oder führen heimlich „Überraschungspflanzungen“ durch.[1] Für die heimliche Aussaat auf belebten Plätzen werden Samenbomben genutzt.[2] Dies sind Kugeln aus Erde, Ton und Samen. Sie können vom Fahrrad aus auf Verkehrsinseln geworfen oder beim Spaziergang unauffällig fallengelassen werden.[18][8]
Moosmilch
Graue Betonpfeiler oder Wände werden mit einem Gemisch aus Buttermilch und Moos bespritzt, teilweise auch hiermit beschriftet („Moos Graffiti“). Das Moos begrünt dann bei idealen Voraussetzungen den Beton.[19]
Siehe auch
Literatur
- Christa Müller (Hrsg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-86581-244-5.
- Richard Reynolds: Guerilla Gardening – Ein botanisches Manifest. Mit großem Handbuchteil zu Taktik, Ausrüstung und Wahl der botanischen Waffen. Orange-press, 2009, ISBN 978-3-936086-44-7.
- M. Andritzky, K. Spitzer (Hrsg.): Grün in der Stadt – von oben von selbst für alle von allen. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1981, ISBN 3-499-17464-2.
- Josie Jeffery: Mit Samenbomben die Welt verändern: Für Guerilla-Gärtner und alle, die es werden wollen. Ulmer Verlag, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-8001-7693-9.
- Sarah Kumnig, Marit Rosol, Andreas Exner (Hrsg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. transcript, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3589-8.
Weblinks
Einzelnachweise
- Felicitas Rhan: Pflanzen statt tanzen. (Memento des Originals vom 4. September 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Art. 11. April 2008.
- Julia Jahnke: Eine Bestandsaufnahme zum globalen Phänomen Guerrilla Gardening. (Memento vom 7. September 2012 im Internet Archive) Humboldt-Universität zu Berlin, Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät, Masterarbeit, 29. Oktober 2007. (PDF-Datei; 3,1 MB).
- Pflanzen-Guerillero Reynolds – Der Che Guevara unter den Gärtnern. (Memento vom 9. September 2012 im Webarchiv archive.today) In: Münstersche Zeitung. 5. Juni 2009.
- M. Andritzky, A. Spitzer (Hrsg.): Grün in der Stadt. Rowohlt, Reinbek 1981.
- BR alpha Südwild: Guerilla Gardening: Die Graswurzelbewegung. (Memento vom 6. September 2009 im Internet Archive) In: Bayern 3. 23. Juni 2009.
- Großstadt-Grün: Die klammheimlichen Samenspender: „Guerilla Gardener“ bepflanzen heimlich öffentliche Grundstücke und Blumenkübel. Doch das ist verboten – was die Pflanz-Aktivisten nicht weiter stört. In Berlin sorgen die „Gartenpiraten“ für mehr Grün. In: Die Welt. 26. Januar 2008.
- Leitfaden für den revolutionären Weisheitskampf. Ratiokraten, 8. Mai 2004.
- Kampf der Betonwüste – Guerilla-Gärtner. (Memento vom 26. Oktober 2009 im Internet Archive) In: FAZ Hochschulanzeiger. 14. Oktober 2009.
- Die Gartenguerilla: „Keine Pflanze ist illegal!“ (Memento vom 28. Mai 2007 im Webarchiv archive.today) In: Tip. Jg. 34, 21. April 2005, Nr. 9/2005.
- Lisa Seelig: Die Stadtgärtner. In: Für Sie. Ausgabe 13, 7. Juni 2011, S. 63.
- Sébastien Godon: Guerilla-Gardening. ist auch in Kooperation mit den Grünflächenämtern möglich .. 45. Veitshöchheimer Landespflegetage 2013. (Memento vom 12. April 2013 im Webarchiv archive.today)
- Guerilla gardening. In: Leiden buiten de perken. (= Leiden lekker wild. Teil 4). Gemeente Leiden 2009, ISBN 978-90-807961-4-0.
- Standorte für neue Fahrradbügel und Hochbeete im Sedanquartier bekannt – www.freiburg.de – Rathaus und Service/Presse/Pressemitteilungen. In: freiburg.de. Stadt Freiburg, 10. August 2020, abgerufen am 11. August 2020.
- WDR 3 Fernsehbericht. Video, 20. Juli 2011; siehe auch WDR 3 WESTART Fernsehbericht, 4. Juli 2009. Wilm Weppelmann und Richard Reynolds; sowie Artikel im Wandermagazin „Wandermagazin Ausgabe 163 März/April 2012, S. 84–87“ (Memento des Originals vom 14. Mai 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Ruhr Nachrichten (Memento des Originals vom 27. Juli 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , 24. August 2011; Kurzfilm von Roland Achini, 7. November 2009; sowie in Stefan Leppert „Sein Garten“ München 2012, S. 75–77 „Linkshändige Malvenattacke“
- Guerilla Gardening: Öko-Aktivistin zündet Saat-Bomben in Dortmund (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
- Grab a Spade and Get Digging! An Interview with Witold Szwedkowski (Memento vom 1. August 2021 im Webarchiv archive.today)
- Guerilla-Gärtner Die botanischen Brigaden. In: Süddeutsche Zeitung. 26. Mai 2010.
- Diese Bomben treiben Blüten. In: Journal Frankfurt. 29. Juli 2009.