Öffentlicher Raum
Als öffentlicher Raum (auch öffentlicher Bereich) wird ein räumlicher Zusammenhang bezeichnet, welcher aus einer öffentlichen Verkehrs- oder Grünfläche und den angrenzenden privaten oder öffentlichen Gebäuden gebildet wird; der öffentliche Raum steht dem privat genutzten und besessenen Raum gegenüber (Privateigentum).
Das Zusammenwirken dieser Elemente bestimmt den Charakter und die Qualität des betreffenden "öffentlichen Raums". Voraussetzung ist, dass die Fläche einer Gemeinde oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehört und der Öffentlichkeit frei zugänglich ist, von der Gemeinde bewirtschaftet und unterhalten wird. Im Allgemeinen fallen öffentliche Verkehrsflächen für Fußgänger, Fahrrad- und Kraftfahrzeugverkehr, aber auch Parkanlagen und Platzanlagen darunter.
Öffentliche Räume gibt es in allen Kulturen, dabei sind sie nicht auf Städte beschränkt. In Europa sind sie durch unterschiedliche Traditionen gemeinschaftlich genutzter Flächen im ländlichen Raum (Allmenden, Commons) bestimmt. Noch reichhaltiger sind die Praktiken der gemeinschaftlichen Raumnutzung in außereuropäischen Gesellschaften der Vergangenheit und Gegenwart. Natürliche Gewässer sind in fast allen Kulturen Gemeinschaftseigentum und somit öffentliche Räume.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff einschränkend „städtische öffentliche Räume“ und findet überwiegend Anwendung in der Stadt- und Verkehrsplanung. Öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel stellen eine andere Form öffentlicher Einrichtungen dar.
Differenzierung
Unterschieden werden drei Arten räumlicher Nutzungen:
- öffentlicher Raum,
- halböffentlicher Raum und
- privater Raum
sowie deren funktionale Bedeutung in Aufteilung und Gestaltung sowie Rezeption.
Versammlungen von Personen im öffentlichen Raum (etwa Demonstrationen) unterliegen dem Versammlungsgesetz. Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 werden öffentliche Räume der westlichen Welt verstärkt durch Videoüberwachung kontrolliert. In vielen Städten und Gemeinden wird die Nutzung des öffentlichen Raumes (beispielsweise für Versammlungen) durch Satzungen geregelt, die gewerbliche Nutzung (wie für Außenbereiche von Geschäften und Restaurants) meist durch eine Gebührenordnung.
Neben der rechtlich ausgelegten Herangehensweise und Betrachtung des öffentlichen Raums müssen, in Bezug auf die veränderte Wahrnehmung durch Technisierung (und infolge der Sicherheitsdiskussion) insbesondere auch die sozialen Funktionen des Raums berücksichtigt werden. Hier stehen die Fehlentwicklungen durch Ökonomisierung und Popularisierung als Hauptprobleme im Vordergrund.
Aufteilung und Gestaltung
Gemeindefläche Wälder oder Seen gehören zum öffentlichen Raum, meist sind jedoch nur öffentliche Flächen innerhalb von bebauten Ortschaften gemeint. Der öffentliche Raum kann verschieden aufgeteilt und gestaltet sein und wird unterschiedlich genutzt.
- Verkehrsflächen, Ruheflächen
- Flächen für Stadtmöbel
- Flächen für Außenwerbung und Plakatwerbung
- Grünflächen (auch nicht begehbare), Brunnenanlagen, Wasserspiele
- Gestalt und Funktion: Nutzungs- und Umsetzungsproblematik durch das Auftreten von Barrieren
- Von Anwohnern bepflanzte Baumscheibe (Urban Gardening im öffentlichen Raum)
Aktuelle Entwicklungen und Ansätze
Stadtplanung
Die Bedeutung des öffentlichen Raumes für sozialen Zusammenhalt und Sicherheit wurde 1963 im Rahmen einer praktischen Kritik der Moderne von Jane Jacobs zum Ausdruck gebracht. Jacobs wendet sich gegen die moderne Bauproduktion, die „Rasen“ zwischen den Häusern vorsieht, aber keine sozial kontrollierten und produktiven öffentlichen Räume.[1]
In Deutschland setzte sich der Verleger und Publizist Wolf Jobst Siedler mit Elisabeth Niggemeyer (Fotos) und Gina Angress (Dokumentation) in den Veröffentlichungen Die gemordete Stadt – Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum (1964) oder Die verordnete Gemütlichkeit – Abgesang auf Spielstraße, Verkehrsberuhigung und Stadtbildpflege (1985) mehrfach kritisch mit dem öffentlichen Raum und seinen oft auseinanderstrebenden Nutzungsansprüchen auseinander.
Die Auflösung des öffentlichen Raumes wird im 20. Jahrhundert durch seine Inanspruchnahme für Kraftfahrzeuge und für die von den Prinzipien der Moderne geleiteten Praktiken der Funktionstrennung verursacht. Es kommt zu einer Spezialisierung der Räume in Freizeit- und Konsumräume auf der einen Seite (Fußgängerzonen in Altstädten) und Verkehrsräume auf der anderen, wobei letztere vor allem vom Autoverkehr dominiert und nach dessen Anforderungen ausgestaltet sind. In dieser Spezialisierung geht die Vielfalt, die soziale Durchmischung und auch die gemeinschaftsbildende Funktion des öffentlichen Raumes verloren.[2]
Nach der Wiederentdeckung des öffentlichen Raums als zentrales Element der über Jahrhunderte gewachsenen „Europäischen Idee eines identitätsstiftenden Gemeinwesens“ werden seine Elemente verstärkt als Steuerungsinstrumente von Stadtplanern genutzt. Durch eine nutzungsgerechte Aufteilung und Gestaltung öffentlicher Räume sollen Stadtviertel in ihrer Lebens- und Aufenthaltsqualität aufgewertet werden und Brach- und Bauflächen für private Investoren attraktiv gemacht werden. Der öffentliche Raum wird als Bindeglied privater Flächen gesehen, unterliegt aber auch besonderer politischer Aufmerksamkeit.[3] Als Beispiel kann hier das Projekt „Hannover schafft Platz“ der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover dienen.
Gegenstand von Stadtforschung und Politik ist außerdem die Frage, wie eine nachhaltige und sozial gerechte Gestaltung des öffentlichen Raums gelingen kann, die eine ausgewogene Frequentierung durch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Zu nennen sind hier insbesondere: das Konzept einer Stadt der kurzen Wege, um alltägliche Wege für Menschen mit Beruf und Familien- und Pflegeverantwortung zu erleichtern, ein Fokus auf das subjektive Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum, um auch Frauen einen sicheren Aufenthalt zu ermöglichen, Angebote für alle Altersgruppen (je nach Alter und Bedarf zum Beispiel mit Sitzgelegenheiten, Barrierefreiheit, Freiflächen usw.), Möglichkeiten für spontane soziale Begegnungen sowie die Vermeidung einer Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen (Gentrifizierung). Der Stadtplaner Jan Gehl stellt Schutz, Komfort und Freude als drei übergeordnete Qualitätskriterien für öffentliche Räume heraus.[4]
Privatisierung
Viele Gemeinden sehen sich zunehmend außer Stande Flächen und Einrichtungen des öffentlichen Raumes zu unterhalten und selbst zu bewirtschaften. So verstärken sich Tendenzen zur Privatisierung öffentlich genutzter Einrichtungen oder zur Übertragung von Rechten und Pflichten an privatrechtliche Unternehmen – wie Flughäfen, Bahnhöfe. Dies hat zur Folge, dass privatisierte Straßen, Tiefgaragenanlagen, Parkhäuser oder Einkaufszentren dem Hausrecht und der privatrechtlichen Nutzung der jeweiligen Eigentümer unterliegen. Kritiker sind der Ansicht, dass durch diese Entwicklung allgemeine Grundrechte wie die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt würden, wenn private Unternehmen oder Eigentümer von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. Der deutsche Bundesgerichtshof hat diese Kritik in seinem Urteil 2006 zunächst nicht geteilt.[5] Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sich am 22. Februar 2011 jedoch der oben genannten Kritik im Sinne der Klägerin angeschlossen, und die vorinstanzlichen Urteile von 2005 und 2006 zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen … einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“[6]
Finanzierung
Zur Finanzierung von Bau, Wiederherstellung und Unterhaltung öffentlicher Räume werden immer mehr Public Private Partnerships propagiert und zunehmend durchgeführt. Pflege und Unterhalt öffentlicher Räume werden im Zuge von Einsparungen für Städtehaushalte schwieriger. In verschiedenen Kommunen ist es zur Übernahme der Unterhaltung öffentlicher Parkanlagen durch private Vereine und Interessengruppen gekommen. Ein solcher Bürgerverein ist aus dem Verein Lichtenrade-Ost e.V. (BILO) hervorgegangen und führt seit 1981 unter dem Namen Trägerverein „Lichtenrader Volkspark“ die Pflege einer Grünfläche in Berlin-Lichtenrade durch.
Siehe auch
Literatur
- Ernst Seidl (Hrsg.): Politische Raumtypen. Zur Wirkungsmacht öffentlicher Bau- und Raumstrukturen im 20. Jahrhundert (= Jahrbuch Kunst und Politik der Guernica-Gesellschaft, 11. Jg.), v+r unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-712-9.
- Guido Brendgens: Vom Verlust des öffentlichen Raums. Simulierte Öffentlichkeit in Zeiten des Neoliberalismus. In: Utopie kreativ. H. 182 (Dez. 2005), S. 1088–1097.
- Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-42046-1.
- Lucius Burckhardt, Jesko Fezer (Hrsg.): Wer plant die Planung?: Architektur, Politik und Mensch. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-927795-39-9.
- Laura Bruns: Stadt selber machen. Ein Handbuch. Jovis Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86859-325-9.
- Johannes Fiedler: Haus und Straße. In: Herausforderung Sockelzone. Herausgegeben von der Wüstenrot-Stiftung, Jovis Verlag, Berlin 2014.
- Wolfgang Becker: Die gestörte Idylle des Platzes. Der öffentliche Raum und die moderne Kunst, ein Denkmodell. In: die waage. Zeitschrift der Grünenthal GmbH, Band 36, Aachen 1997, Nr. 1, S. 38–44.
- Brigitte Sölch, Piazza, Forum, Agora: Die Ursprungsmythen der europäischen Stadt erweisen sich für heutige Urbanisten als Herausforderung, in: Neue Zürcher Zeitung, 13. August 2016.
- Barbara Hoidn: Demo:Polis – The Right to Public Space. In: Tom Bieling (Ed.): Design (&) Activism: Perspectives on Design as Activism and Activism as Design. Mimesis, Mailand 2019, ISBN 978-8869772412, S. 87–96.
- Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Gina Angress: Die gemordete Stadt: Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum. Siedler, Berlin 1993 [Erstausgabe 1964], ISBN 3-88680-513-1.
- Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Gina Angress: Verordnete Gemütlichkeit: Abgesang auf Spielstraße, Verkehrsberuhigung und Stadtbildpflege. Severin, Berlin 1985, ISBN 3-88679-125-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- Jane Jacobs: The Death and Life of Great American Cities. Random House, New York 1961; Neuausgabe 1993; deutsch: Tod und Leben großer amerikanischer Städte. Bertelsmann 1963.
- Johannes Fiedler: Haus und Straße. In: Herausforderung Sockelzone. Herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung, Jovis Verlag, 2014.
- Ernst Seidl: ‚Politischer Raumtypus‘. Einführung in eine vernachlässigte Kategorie. In: Seidl: Politische Raumtypen. Zur Wirkungsmacht öffentlicher Bau- und Raumstrukturen im 20. Jahrhundert. 2009, S. 9–19.
- Tim Albrecht: Städte sind Begegnungsräume! Heinrich Böll Stiftung, 20. Dezember 2018, abgerufen am 4. August 2021.
- Urteil vom 20. Januar 2006 – V ZR 134/05.
- Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06. bundesverfassungsgericht.de. Abgerufen am 8. Mai 2011.