Gradierwerk
Ein Gradierwerk (veraltet auch Leckwerk) ist eine Anlage zur Salzgewinnung. Sie besteht aus einem Holzgerüst, das mit Reisigbündeln (vorwiegend Schwarzdorn) verfüllt ist. Das Verb gradieren bedeutet „einen Stoff in einem Medium konzentrieren“. Im Falle eines Gradierwerks wird der Salzgehalt im Wasser erhöht, indem Sole durch das Reisig geleitet wird, wobei auf natürliche Weise Wasser verdunstet. Außerdem lagern sich Begleitminerale der Sole wie Kalk, Gips und Eisenstein an den Dornen ab; dadurch wird die Qualität des erzeugten Salzes erhöht.
Viele Gradierwerke sind Teil eines Salzwerks, das aus einem Gradierwerk und einer Saline besteht. Häufig werden Gradierwerke falsch als „Salinen“ bezeichnet. Gelegentlich werden auch Reisiginstallationen in Schwimmbädern Gradierwerk genannt, die wie Gradierwerke funktionieren, aber deutlich kleiner als vergleichbare Anlagen sind, die sich etwa in Kurparks befinden.
Gradierverfahren
Vom 16. zum 17. Jahrhundert hatte sich als technische Innovation die Dorngradierung durchgesetzt, die es Salinen, deren Solequelle wenig Salz enthält, ermöglicht, eine konzentrierte Sole zu versieden. Die Sole rieselt eine meterhohe Wand aus Reisig des Schwarzdorns (Prunus spinosa) hinunter. Wind und Sonne lassen dabei Wasser verdunsten, und der Salzgehalt erhöht sich. Gleichzeitig setzen sich Verunreinigungen der Sole wie Kalk oder Gips im Reisig ab und bilden den grau-braunen Dornstein.
Dieses technische Verfahren hat die zuvor genutzte Strohgradierung vollkommen aus den Gradierhäusern verdrängt. Das erste Strohgradierwerk war im 16. Jahrhundert als technikgeschichtliche Innovation in Bad Kissingen errichtet worden[1]. Die Dorngradierung machte das schnell faulende und die Sole verunreinigende Stroh überflüssig, und sie trug sogar zur Reinigung der Sole bei. Das dazu nötige hohe Holzgerüst, die Pumpen und die immer größer werdenden Siedeeinrichtungen kosteten allerdings so viel, dass im Zuge der aufkommenden merkantilistisch-kameralistischen Wirtschaftspolitik in vielen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zunehmend staatliche Monopolsalinen gegründet wurden.[2] Das Schwarzdornreisig verrottet mit der Zeit und muss nach einigen Jahren erneuert werden.
Auf Friedrichsborn in Unna-Königsborn wurde im 18. Jahrhundert als technische Neuerung eine sogenannte Windkunst eingeführt. Sie hob die Sole auf das Gradierwerk Friedrichsbau.[3] In Bad Rothenfelde ist seit 2007 wieder eine Kokerwindmühle zu sehen, die auf dem Neuen Gradierwerk steht; ihre Vorgängerin diente, wie die Mühle in Friedrichsborn, dazu, Wasser auf ein Gradierwerk zu befördern.
Bei den ersten Dampfkraftwerken dienten Gradierwerke der Abfuhr der überschüssigen Prozesswärme aus dem Kondensator. Später übernahmen effizientere Kühltürme diese Aufgabe.
Die am höchsten konzentrierte Sole wurde mit 27 Prozent Salzgehalt im thüringischen Bad Salzungen, im bayerischen Bad Reichenhall und im baden-württembergischen Bad Dürrheim gewonnen.
Die insgesamt acht Bad Kreuznacher Gradierwerke haben zusammen eine Länge von rund 1.100 m und werden heute im Rahmen des „Gesundheits-Tourismus“ genutzt. Da die Sole hier keinen Gips enthält, mussten die Dornwände nicht so häufig erneuert werden.
Ablagerung von Sinter, krustenförmige Abscheidungen (Kristallisation) von in Wasser gelösten Mineralen, erhöht das Gewicht der Füllung und kann die Standfestigkeit der Gradierbauten mit der Zeit gefährden.
Heutige Nutzung der Gradierwerke
Gradierwerke werden in Deutschland heute oft zu Kurzwecken betrieben und sind deshalb besonders häufig in Kurorten vorzufinden. Durch die herabrieselnde Sole wird die Luft in der Nähe des Gradierwerks mit Soletröpfchen und Salzaerosol angereichert, die Wassertröpfchen binden Partikel in der Luft. Dies wirkt sich ähnlich wie bei Seeluft beispielsweise bei Pollenallergikern und Asthmatikern und anderen erkrankten Personen positiv aus. Durch das Einatmen salzhaltiger Luft werden die Atemwege befeuchtet und die Wandungen der Atemorgane positiv beeinflusst. Des Weiteren besitzen die feinen Salzkristalle eine sekretlösende Wirkung, reinigen die Atemwege intensiv von Bakterien und lassen die Schleimhäute abschwellen. Viele Ärzte und Heilpraktiker empfehlen aus diesen Gründen einen längeren Aufenthalt an der See oder in Kurorten, welche sich den Effekt der Gradierwerke zu Nutzen gemacht haben.
In vielen Kurorten (beispielsweise in Bad Königshofen) wurde darüber diskutiert, ob die Errichtung neuer Klein-Gradierwerke ihren Kureinrichtungen hinreichend viele neue Kurgäste zuführe und eine entsprechende Kosten-Nutzen-Rechnung positiv ausfalle.[4] Ein derartiges Gradierwerk wurde unter dem Namen „Sole-Arena“ im Rahmen der Landesgartenschau 2010 in Bad Essen errichtet. Miniatur-Gradierwerke können auch in geschlossenen Räumen aufgestellt werden, wo sie die Raumluft positiv beeinflussen. Derartige Gradierwerke gibt es z. B. im Kurort Damp an der Ostsee[5] in der KissSalis Therme in Bad Kissingen[6] sowie im schweizerischen Rheinfelden, neuerdings auch im Laguna in Aßlar bei Wetzlar.
Gradierwerke dienen auch als Sehenswürdigkeiten der Orte, in denen sie aufgestellt sind. Von vornherein als Bauwerk, das Erlebnisse im Umfeld der Kurparkanlage ermöglichen soll, ist beispielsweise die Rekonstruktion des Gradierwerks in Bad Salzuflen konzipiert worden.[7]
Die besondere optische Struktur der Reisigwände bietet Lichtkünstlern außergewöhnliche Möglichkeiten für ihre Kunstausübung. Hiervon hat erstmals die Gemeinde Bad Rothenfelde im Jahr 2007 Gebrauch gemacht, indem sie die Lichtkunst-Biennale Lichtsicht inszenierte.[8]
- Innengerüst eines Gradierwerks in Bad Salzuflen
- Gradierbauten IV/V in Bad Nauheim, sogenannte Lange Wand
- Kokerwindmühle auf dem Neuen Gradierwerk Bad Rothenfelde
- Klein-Gradierwerk „Sole-Arena“ im Kurpark Bad Essen
- Gradierwerk in Bad Sooden-Allendorf
- Gradierwerk I in Bad Nauheim
- Gradierwerk im Kurpark (Salinenpark) in Bad Rappenau.
- Saline Gradierwerk Bad Orb
- Gradierwerke im Bad Kreuznacher Salinental
Standorte
Deutschland
Orte mit Gradierwerken in Deutschland |
Ort | Ges.länge | Werk | Länge | Baujahr | Lage | Bemerkungen |
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Bad Dürkheim | 333 m | Gradierwerk (Bad Dürkheim) | 1850 | ⊙ | Errichtet zwischen 1847 und 1850 und nach zweimaliger Brandstiftung (1992 und 2007) zuletzt im Jahr 2010 wieder eröffnet. | |
Bad Dürrheim | 108 m | Gradierwerk im Kurpark | 60 m | 2015 | ⊙ | Mit 700m NHN höchstes Solebad Europas |
Bad Dürrenberg | 636 m | Gradierwerk I
Gradierwerk II Gradierwerk III Gradierwerk IV Gradierwerk V Querstück Doppelstück |
155 m heute noch 45 m
320 m vollständig erhalten 185 m heute noch 55 m 96 m abgerissen 840 m abgerissen 100 m im Bau 90 m im Bau |
1765 | ⊙ | größtes zusammenhängendes Gradierwerk Deutschlands, einst hatten die Gradierwerke eine Gesamtlänge von 1821 m |
Bad Essen | ⊙ | |||||
Bad Hamm | 42 m | Bad Hamm#Gradierwerk | 2009 | ⊙ | ||
Bad Karlshafen | 30 m | ⊙ | ||||
Bad Kissingen | 40 m | Untere Saline (Bad Kissingen) | 1562 | ⊙ | Ältestes Gradierwerk Deutschlands. Die Länge betrug einst über zwei Kilometer. Der zuletzt noch bestehende Nordflügel wurde 1994 erneuert.[9] | |
Bad Kösen | 325 m | ⊙ | ||||
Bad Kreuznach | 1100 m | Gradierwerk I | 300 m | ⊙ | ||
Gradierwerk II | ⊙ | |||||
Gradierwerk III | ⊙ | |||||
Gradierwerk IV | ⊙ | |||||
Gradierwerk V | ⊙ | |||||
Gradierwerk VI | ⊙ | |||||
Bad Münder am Deister | 20 m | 1999 | [10] | |||
Bad Münster am Stein-Ebernburg | 1729 | ⊙ | ||||
Bad Nauheim | 650 m | Gradierwerk I | ⊙ | [11] | ||
Gradierwerk II | ⊙ | |||||
Gradierwerk III | ⊙ | |||||
Gradierwerk IV | ⊙ | bilden zusammen die „Lange Wand“, zwischen ihnen befindet sich ein Windmühlenturm | ||||
Gradierwerk V | ⊙ | |||||
Bad Oeynhausen | 70 m | 1989/1990 | ⊙ | Nachbau von 1989/1990[12] | ||
Bad Orb | 158 m | Gradierwerk | ⊙ | |||
Bad Rappenau | 30 m | 2008 | ⊙ | |||
Bad Reichenhall | Gradierhaus (Bad Reichenhall) | ⊙ | 1615 „Leckwerk“ mit Strohgradierung, 1745 erste Dorngradierung. Aktueller Bau als Inhalatorium erbaut 1911. | |||
Bad Rothenfelde | 534 m | Gradierwerk I | 420 m | ⊙ | größtes stützenfreies Gradierwerk Westeuropas | |
Gradierwerk II | 114 m | ⊙ | ||||
Bad Salzdetfurth | 120 m | Gradierwerk I | 70 m | ⊙ | ||
Gradierwerk II | 50 m | ⊙ | ||||
Bad Salzelmen | 320 m | Gradierwerk (Schönebeck) | ⊙ | Mit 1837 m das einst längste Gradierwerk Europas, heute sind noch 300,4 m vorhanden. | ||
Bad Salzhausen | ⊙ | |||||
Bad Salzuflen | Gradierwerk Parkstraße | 1767 | ⊙ | |||
Gradierwerk Uhrenturm | ||||||
„ErlebnisGradierwerk“ | 80 m | 2007 | ||||
Bad Salzungen | 169 m | „Ostwand“ | 82 m | 1796/1797 | ⊙ | letzte Originalwand von insgesamt 24 Gradierwänden[13] |
„Westwand“ | 87 m | 1901 | ⊙ | [13] | ||
Bad Sassendorf | 73 m | Erlebnisgradierwerk | 2019 | ⊙ | [14] Erlebnisgradierwerk mit Sauna-Anlage für die Gäste der angrenzenden Sole-Therme | |
Bad Soden (Ortsteil von Bad Soden-Salmünster) | 2006 | ⊙ | ||||
Bad Sooden-Allendorf | 140 m | ⊙ | [15] | |||
Bad Staffelstein | 100 m | Gradierwerk I | 50 m | ⊙ | ||
Gradierwerk II | 50 m | ⊙ | ||||
Bad Westernkotten | 178 m | Gradierwerk I | 120 m | 1835 | ⊙ | seit 1984 Baudenkmal[16] |
Gradierwerk II | 58 m | 1932 | ⊙ | [17] | ||
Bad Wilsnack | 50 m | [18] | ||||
Duisburg | 40 m | Revierpark Mattlerbusch | 40 m | ⊙ | ||
Eibach (Dillenburg) | 2004 | ⊙ | ||||
Essen | Grugapark | ⊙ | ||||
Kevelaer | ca. 50 m | Solegarten St. Jakob | ca. 50 m | 2019 | ⊙ | halbrunder Grundriss |
Lüneburg | 58 m | 1907 | ⊙ | 1927 erweitert | ||
Oelsnitz/Erzgeb. | 42 m | 2014 | ⊙ | [19] | ||
Rheine | 66 m | Saline Gottesgabe | 1751 | ⊙ | Einst fast 300 Meter langes Dorngradierwerk, die erste derartige Anlage in Westfalen. | |
Salzgitter-Bad | 2009 | ⊙ | Leckwerk in Form eines Pavillons zur Erinnerung an die bis 1926 betriebene Saline Salzliebenhalle | |||
Salzkotten | 50 m | 1997 | ⊙ | [20] | ||
Werl | 25 m | Gradierwerk Werl | 1997 | ⊙ | [21] | |
Werne | 50 m | Gradierwerk Werne | 1991 | |||
Xanten | 25 m | Gradierwerk Xanten | 2019 | ⊙ | Neubau im Rahmen der Anlage des Kurparks Xanten[22] | |
Frankreich
Österreich
- Altaussee, erbaut 1956, überdachte viereckige Anlage, bestückt mit Tannenreisig
- Bad Mitterndorf überdachte Rundanlage im Kurpark, erbaut 2019
- Bad Hall überdachte Rundanlage im Kurpark
- Hallein überdachte Rundanlage im Kurpark Bad Dürrnberg
- Wels, überdachte Rundanlage im Volksgarten, erbaut 1993
Polen
- Ciechocinek, 3 Gradierbauten mit einer Gesamtlänge von 1730 m: Tężnie I (648 m), II (364 m) und III (718 m) ⊙
- Grudziądz
- Inowrocław
- Konstancin-Jeziorna
Heraldik
In Wappen ist das technische Bauwerk nicht häufig. Als Wappenfigur taucht die Darstellung stark vereinfacht auf, als Stirnansicht, seltener in Längsansicht. Die Seltenheit im Wappen hat noch keine besondere heraldische Bearbeitung erfahren. Die Salzherstellung ist über Salzhaken, Salzkristalle und Salzpfannen vereinfacht symbolisiert.
- Ciechocinek (Polen)
Einzelnachweise
- Salz und Salzgewinnung. in der Reihe: Peter Weidisch (Hrsg.): Bad Kissinger Museumsinformationen. Heft 1, Bad Kissingen 2008, ISBN 3-934912-09-5.
- Fred Kaspar und Peter Barthold: Salinen - Großbauten und bautechnische Leistungen des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Westfalen. Band 81, 2003. Münster, S. 121 – 184.
- Route der Industriekultur: Windkunst und Wärterhaus, abgerufen am 28. Dezember 2012.
- Bad Königshofen: Laute Diskussion ums Gradierwerk. „Zu wuchtig und zu teuer?“ – Wenig Harmonie im Hinblick auf den Neubau. In: Mainpost. 5. Juni 2009, abgerufen am 22. Juni 2015.
- Wilhelm Hüls: Waten im geheizten Sand. In: Berliner Zeitung. 19. Januar 2002, abgerufen am 21. Juni 2015.
- Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 3. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Stadt Bad Salzuflen: Erlebnis-Gradierwerk
- Website der Biennale „Lichtsicht“ 2013/2014
- Streifzug durch die Geschichte der Gradieranlagen, Saale-Zeitung, 20. Oktober 2015
- Durchatmen am Gradierwerk. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Hannoversche Allgemeine. Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG, archiviert vom Original; abgerufen am 10. September 2016.
- Webseite der Stadt Bad Nauheim
- Funktionsweise & Technik des Gradierwerkes. Kur- und Touristikunternehmen der Stadt Bad Salzungen, abgerufen am 17. März 2016.
- Internetauftritt der Gäste-Information & Marketing Bad Sassendorf – Fakten zum neuen Gradierwerk im Kurpark Bad Sassendorf. Abgerufen am 19. Februar 2020.
- Webseite des Vereins für Heimatkunde e. V. Bad Sooden-Allendorf (Memento des Originals vom 6. Januar 2010 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Schautafel mit technischen Angaben zum Gradierwerk I in Bad Westernkotten
- Schautafel mit technischen Angaben zum Gradierwerk II in Bad Westernkotten
- Internetauftritt der Kristalltherme
- aus Freie Presse 25. April 2014
- Internetauftritt Stadt Salzkotten
- Internetauftritt des Vereins Saline Werl e.V.
- Eröffnung Gradierwerk in Kurpark Xanten im Mai 2019
Weblinks
- Gradierwerk & Saline: Salinenverzeichnis. Übersicht der Gradierwerke in Deutschland.