Friedrich Rosen (Politiker)
Friedrich Felix Balduin Rosen, auch Fritz Rosen und سليمان روزن (* 30. August 1856 in Leipzig; † 27. November 1935 in Peking) war ein deutscher Orientalist, Diplomat und Politiker. Von Mai bis Oktober 1921 war er deutscher Außenminister.[1]
Leben
Friedrich Rosens Großvater Friedrich Ballhorn-Rosen war Kanzler des Fürstentums Lippe-Detmold. Sein Vater Georg Rosen veröffentlichte als Orientalist sprachwissenschaftliche und historische Schriften, u. a. zur Geschichte des Osmanischen Reichs, zu persischer und arabischer Poesie und zur Archäologie Palästinas, und war im diplomatischen Dienst Preußens als Konsul im Nahen Osten und auf dem Balkan tätig. Friedrich Rosens Mutter Serena Anna Moscheles, Tochter von Ignaz Moscheles, entstammte einer britischen Gelehrten- und Künstlerfamilie. Sein Onkel Friedrich August Rosen war ebenfalls Orientalist und Sanskritist.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Jerusalem, wo sein Vater als Konsul tätig war. Zwischen 1872 und 1877 lebte er in Detmold, wo er am Leopoldinum sein Abitur ablegte. Er genoss eine viersprachige Erziehung (Deutsch, Englisch, Arabisch und Persisch) und entschloss sich früh zum Studium der neueren und orientalischen Sprachen, das ihn nach Berlin, Leipzig, Göttingen und Paris führte. Nach dem Abschluss war er für anderthalb Jahre als Hauslehrer für die Kinder Frederick Temple Hamilton-Temple-Blackwoods, des Vizekönigs von Indien, in Kalkutta und Shimla tätig. Aus seinem Aufenthalt in Indien ging seine Doktorarbeit an der Universität Leipzig (Betreuung von Ernst Windisch und Ludolf Krehl) zu Agha Hassan Amanats synkretistisches Theaterstück Indar Sabha hervor, welches in Indien genrestiftend wirkte und als Vorläufer von Bollywood gilt. Rosen sah darin den Beweis, dass es in Indien eigenständige moderne Kulturentwicklungen gab.[2]
Karriere im Auswärtigen Amt des Deutschen Reichs
Neben seiner anglophilen Grundeinstellung blieb eine Vorliebe für orientalische Kultur sein Leben lang erhalten. Ab 1887 unterrichtete er Persisch und Hindustani am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin. Im Streit mit der Institutsleitung um Eduard Sachau schied er 1890 aus dieser Funktion aus und schlug den Weg in die Dienste des Auswärtigen Amtes ein. Als Dragoman und Charge d'Affaires wirkte er in Beirut und Teheran, bevor er 1898 Konsul in Bagdad wurde. In Teheran befreundete er sich mit dem Zeremonienmeister und Sufi-Reformator Ali Khan Qajar Zahir-al-Dowleh und dem Philosophen 'Emad ed-Dowleh. Durch Hazrat Safi Ali Shah wurde Rosen in den Niʿmatullāhīya-Orden initiiert.
Nach der Palästinareise Kaiser Wilhelms II. ernannte man Rosen zum General-Konsul in Jerusalem, zwei Jahre später erfolgte 1900 seine Berufung in die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes als Leiter des Orientreferats. Rosen galt als Fachmann für den Orient, der durch seine liberalen Ansichten, seine gleichzeitige Unterstützung für die Monarchie und seine Anglophilie, ähnlich seinem Freund Wilhelm Solf, für eine Verständigung mit Großbritannien als geeignet erachtet wurde. 1902 begleitete Rosen den persischen Schah Mozaffar ad-Din Schah auf seiner Deutschlandreise und dolmetschte für ihn und die persische Delegation am Hof Kaiser Wilhelms II. Für seine kulturelle Vermittlung wurde er von Persien mit dem Kaiserlichen Sonnen- und Löwenorden zweiter Klasse ausgezeichnet.[3] Im Anschluss an den Internationalen Orientalisten Kongress in Hamburg 1902 wirkte Rosen zusammen mit Jacob Wackernagel darauf hin, dass Friedrich Carl Andreas zum Professor an der Universität Göttingen berufen wurde, wodurch die Iranistik in Göttingen etabliert wurde.
Im Rahmen der nach ihm benannten Rosengesandtschaft nahm Friedrich Rosen 1904/1905 für das Deutsche Kaiserreichs mit Äthiopien diplomatische Beziehungen auf. Teil der Vereinbarungen war die Entsendung einer deutschen archäologischen Mission unter der Leitung von Enno Littmann um für die frühe Geschichte des Christentums und das nationale Narrativ Äthiopiens wichtige Ausgrabungen in Aksum durchzuführen.[4] Auf seiner Rückreise nach Europa erhielt Rosen die Ernennung zum Gesandten im marokkanischen Tanger. Von 1910 bis 1912 war Rosen Gesandter in Bukarest, 1912 bis 1916 in Lissabon. Als Deutschland 1916 als Reaktion auf die Beschlagnahmung deutscher Schiffe auf Druck Großbritanniens in portugiesischen Häfen Portugal den Krieg erklärte, musste Rosen seinen Posten verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Im Vorlauf und während des Ersten Weltkriegs war Rosen ein entschiedener Gegner der deutschen Dschihad-Politik, wie sie u. a. von Max von Oppenheim oder Wilhelm II vertreten wurde.[2]
Wilhelm II. ernannte ihn daraufhin zum Gesandten in Den Haag, wo er bis zu seinem Aufstieg zum Außenminister verblieb. 1918 trug er maßgeblich dazu bei, dass Deutschland den Niederlanden den Krieg erklärte.[5] Rosen vermittelte die Unterkunft Wilhelms II. in seinem niederländischen Exil Haus Doorn und nahm ihn am 10. November 1918 an der deutsch-holländischen Grenze in Empfang; später wurde ihm verboten, den Kaiser zu besuchen.[6]
Außenminister der Weimarer Republik
Im Frühjahr 1921 berief Reichskanzler Joseph Wirth Rosen zum Reichsminister des Äußeren im Kabinett Wirth I. In der Frage der Reparationszahlungen erschien dem christlich-sozialen Wirth ein anglophiler und zudem parteiloser Außenminister förderlich. In den fünf Monaten seiner Amtszeit erwarb sich Rosen durch den Friedensvertrag mit den Vereinigten Staaten bleibende Verdienste. Aus Protest gegen das Londoner Ultimatum, in dem die Entente-Mächte die Annahme der hohen Reparationsforderungen gegen Deutschland mit konkreten Auflagen verbanden, trat Rosen mit dem Rest des Kabinetts zurück. Er sah in der Politik der Siegermächte eine Doppelmoral: Einerseits würden sie das Selbstbestimmungsrecht der Völker proklamieren, andererseits auf die Volksabstimmung in Oberschlesien, bei der sich eine 60-prozentige Mehrheit für den Verbleib bei Deutschland aussprach, keine Rücksicht nehmen.[2]
Die letzten Jahre
Daher schied Friedrich Rosen im Oktober 1921 aus dem Staatsdienst aus. Sein Nachfolger wurde, der Politik Wirths entsprechend, der ähnlichen Grundsätzen verpflichtete Walther Rathenau.
Rosen widmete sich seit 1921 als Vorsitzender der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, der Dachorganisation der Orientalisten in Deutschland, zunehmend wissenschaftlicher Arbeit und der Unterstützung der durch den Krieg angeschlagenen deutschen Orientalistik. Sein bis heute in der Orientalistik bekanntes Werk, die Übersetzung der Rubajat Omar Khajjams, ist in mehreren Editionen erschienen. Eine Arbeit zu den Rubajat erschien 1926 auch auf Persisch. Des Weiteren unterstützte er in Berlin lebende iranische Studenten und Intellektuelle bei ihren Forschungsarbeiten in europäischen Bibliotheken und Archiven. Zu ihnen zählten u. a. der Gründervater der sozialistischen Tudeh-Partei im Iran, Taqi Erani. Mit Erani arbeitet Rosen in den 1920er Jahren auch an mehreren Veröffentlichungen zur Authentizität der Omar Khajjam zugeschriebenen Rubajat, sowie zu Chajjams philosophischen und mathematischen Arbeiten.[7]
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, deren Ideologie Friedrich Rosen, mütterlicherseits jüdischer Herkunft, von Anfang an zuwider war, sah er sich vermehrt antisemitischer Hetze ausgesetzt und seine Ministerrente wurde ihm gestrichen. Die antisemitischen Anfeindungen hatten begonnen, als er 1921 Außenminister wurde.
Im September 1935 reiste er „plötzlich entschlossen“ nach Peking, wo sein Sohn Georg an der deutschen Botschaft tätig war. Dort starb Friedrich Rosen an den Folgen eines Beinbruchs.[2] Aufgrund der Rassenpolitik des NS-Regimes und seinem Widerstand gegen das von dem mit Deutschland verbündeten Japan verübte Nanking-Massaker, war Georg Rosen 1938 gezwungen, den diplomatischen Dienst zu verlassen.
Weblinks
Werke
- Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers. Rubaijat-i-Omar-i-Khajjam. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/Leipzig 1909.
- Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers. 5., vermehrte Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/Leipzig 1922 (Digitalisat).
- Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers. 13. Auflage. Insel, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-458-08407-X. (Teilausgabe)
- Omar Khayyam: Vierzeiler (Rubāʿīyāt) übersetzt von Friedrich Rosen mit Miniaturen von Hossein Behzad. Epubli, Berlin 2010, ISBN 978-3-86931-622-2.
- Oriental Memories of a German Diplomatist. Methuen & Co. Ltd., London 1930. (Digitalisat).
- Aus einem diplomatischen Wanderleben, Bd. 1, Transmare Verlag, Berlin 1931 (Digitalisat).
- Aus einem diplomatischen Wanderleben, Bd. 2, Transmare Verlag, Berlin 1932 (Digitalisat).
- Aus einem diplomatischen Wanderleben, Bd. 3/4, Limes-Verlag, Wiesbaden 1959.
Beispiel einer Nachdichtung aus den Rubaijat-i-Omar-i-Khajjam („Vierzeiler des ‘Omar Khajjam“)
- یک چند به کودکى به استاد شدیم
- یک چند ز استادى خود شاد شدیم
- پایان ِسخن شنو که ما را چه رسید
- از خاک در آمدیم و بر باد شدیم
- yek čand be-kūdakī be-ostād šodīm
- yek čand ze ostādī-ye ḫod šād šodīm
- pāyān-e soḫan šenau ke mā-rā če resīd
- az ḫāk dar-āmadīm-o bar bād šodīm [8]
- Zum Meister ging ich einst – das war die Jugendzeit.
- Dann hab ich mich der eigenen Meisterschaft gefreut.
- Und wollt ihr wissen, was davon das Ende ist?
- Den Staubgebor’nen hat wie Staub der Wind zerstreut.
Literatur
- Herbert Müller-Werth: Der Staatsmann Friedrich Rosen: Diplomat und Orientalist. Leben und Wirken (1856–1935), Mainz, 1957.
- Herbert Müller-Werth: Friedrich Rosen: Ein staatsmännisch denkender Diplomat. Ein Beitrag zu Problematik der deutschen Aussenpolitik, F. Steiner, Wiesbaden 1969.
- Herbert Müller-Werth, Wolfgang Elz: Rosen, Friedrich Felix Balduin. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 52 f. (Digitalisat).
- Friedrich Rosen. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 89, S. 391f.
- Amir Theilhaber: Friedrich Rosen: Orientalist scholarship and international politics. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2020, ISBN 978-3-11-063925-4. (Zugleich Dissertation, Technische Universität Berlin, 2018).
- Amir Theilhaber: Innenschau der imperialgeschichtlichen Bestände Friedrich Rosens in Detmold. In: Sebastian Bischoff u. a. (Hrsg.): Koloniale Welten in Westfalen. Schöningh, Paderborn 2021 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte; 89), ISBN 978-3-00-063343-0, S. 249–269.
Einzelnachweise
- Amir Theilhaber: Friedrich Rosen: Orientalist scholarship and international politics. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2020, ISBN 978-3-11-063925-4, S. 39–42.
- Judith Leister: Der deutsche Diplomat Friedrich Rosen träumte vom „West-östlichen Divan“ und landete auf dem harten Boden der Realpolitik. In: Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen am 27. Oktober 2021.
- "Firman de la decoration." Persischer Gesandter Herr Mahmoud. Berlin, 29. Mai 1902
- Alfred Schlicht: In den Orbis Aethiopicus. In: Zenith. 5. August 2021, abgerufen am 12. November 2021.
- Een Duitser op zijn best. In: Nieuwe Rotterdamse Currant, 24. Oktober 1959.
- Aus einem diplomatischen Wanderleben.
- Amir Theilhaber: Friedrich Rosen: Orientalist scholarship and international politics. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2020, ISBN 978-3-11-063925-4, S. 475–478.
- Transkription nach DMG.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Gerhard Rohlfs | deutscher Botschafter in Addis Abeba 1905–1906 | Gerhard von Mutius |
Friedrich von Mentzingen | deutscher Botschafter in Rabat 1906–1910 | – |
Alfred von Kiderlen-Waechter | deutscher Botschafter in Bukarest 1910–1912 | Julius von Waldthausen |
Hans von und zu Bodman | deutscher Botschafter in Lissabon 1912–1916 | – |
Richard von Kühlmann | deutscher Botschafter in Den Haag 1916–1921 | Hellmuth Lucius von Stoedten |