Felix Löwenstein (Sportfunktionär)
Felix Löwenstein (geboren 21. August 1884 in Eisleben bei Halle an der Saale; gestorben 30. April 1945 im Konzentrationslager Sandbostel)[1] war ein deutscher Unternehmer, Sportfunktionär und Förderer des Vereins VfL Osnabrück und Opfer der Judenverfolgung.[2]
Leben
Felix Löwenstein – der im Ersten Weltkrieg aufgrund seiner Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war[2] – hatte sich in Osnabrück eine Existenz als selbständiger[1] Engros-Schlachtermeister und Viehhändler aufgebaut. Während der Weimarer Republik wurde er in den 1920er Jahren Mitglied des demokratisch gesinnten Osnabrücker Vereins Spiel und Sport. Kurze Zeit später zählte er gemeinsam mit dem Sportpädagogen Ernst Sievers zu den Pionieren des aus dem nach der Vereinigung mit den Ballspielen von 1899 im Jahr 1924 gebildeten Sportclubs VfL Osnabrück.[2]
Der aus jüdischer Familie stammende Löwenstein war Mitglied der Osnabrücker Synagogengemeinde. Seine Ehefrau Annie, Mitglied der pazifistisch gesinnten Deutschen Friedensgesellschaft, war evangelisch-lutherische Christin; der gemeinsame Sohn Max wurde evangelisch-lutherisch getauft.[2]
Löwenstein hatte es „nach großem beruflichem Erfolg zu einigem Vermögen gebracht [... und] diente dem VfL von Beginn an sowohl als großzügiger Spender wie auch in aktiven Funktionen“, insbesondere als Obmann im Spielausschuss. Neben der Organisation des „alltäglichen Spiel- und Trainingsbetriebs“ sprach er sich mit den Trainern ab und wirkte als Vertrauensperson der Spieler. Dem Verein kamen vor allem die großzügigen finanziellen und sachlichen Zuwendungen Löwensteins zugute, der in seinem umfangreichen Freundes- und Bekanntenkreis auch zahlreiche Einzelpersonen mit Geschenken und Zuwendungen bedachte oder ihnen günstige Kredite gewährte.[2]
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 musste Löwenstein den VfL jedoch 1935 „allein wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit verlassen.“ Noch im selben Jahr verlor er im Zuge der deutschlandweit durchgeführten „Arisierungen“ seinen gesamten Betrieb ohne nennenswerte Entschädigung. Löwenstein wurde für längere Zeit arbeitslos und konnte sich später nur als Hilfsarbeiter bei verschiedenen Baufirmen etwas Geld für den Lebensunterhalt verdienen. Zudem wurde seine Familie zum Umzug aus der großräumigen Wohnung am „Adolf-Hitler-Platz“, dem früheren und später wieder so benannten Neumarkt unter der Hausnummer 4, in eine Dachgeschoßwohnung desselben Hauses gezwungen. Nach der sogenannten „Reichspogromnacht“ wurde Löwenstein am 10. November 1938 erstmals verhaftet. Nachdem er im Keller der Gestapo im Westflügel des Osnabrücker Schlosses verhört und gefoltert worden war, wurde er gemeinsam mit rund 90 anderen jüdischen Osnabrückern von den Nazi-Schergen in das KZ Buchenwald bei Weimar deportiert.[2]
Da Löwenstein in einer „Mischehe“ mit einer „arischen“ Protestantin verheiratet und zuvor mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war, wurde er im KZ „anfangs ein wenig besser als andere behandelt“. So wurde er nach knapp fünf Wochen Haft Mitte Dezember 1938 durch die SS-Bewacher wieder aus Buchenwald entlassen; seine „Mischehe“ schützte ihn in den Folgejahren zunächst noch vor weiteren Verhaftungen oder Deportationen. Zudem half der VfL-„Vereinsführer“ Hermann Gösmann dem früheren Vereinskameraden, „erhebliche finanzielle Außenstände zurückzubekommen“ – für eine jüdische Familie damals fast überlebensnotwendig.[2]
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde 1944 im Keller der Löwensteins ein Radiogerät gefunden, obwohl dessen Besitz allen Juden im sogenannten „Dritten Reich“ streng verboten worden war. In der Folge wurde Löwenstein und seine Ehefrau wegen des Verstosses gegen die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen und des unterstellten Hörens von „Feindsendern“ gemeinsam mit anderen NS-Gegnern unter menschenunwürdigen Bedingungen im Polizeigefängnis Turnerstraße inhaftiert.[2]
Sohn Max wurde im April 1944 im Polizeigefängnis Münster eingesperrt.[2]
Ende 1944 wurde Löwenstein in das KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin deportiert, von dort aus in das KZ Neuengamme bei Hamburg. Als im April 1945 die Alliierten dem Lager immer näher kamen, verordneten die SS-Wächter die Umlegung in das KZ Bergen-Belsen. Bei der zehn Tage andauernden Irrfahrt des zum Transport zusammengestellten Güterzuges, in dem Löwenstein mit bis zu 100 anderen KZ-Häftlingen in einem geschlossenen Viehwaggon ohne Brot oder Wasser zusammengepfercht war, starben zahlreiche Mitgefangene an Entkräftung. Nach der Ankunft in Bremervörde wurden Löwenstein und andere in Lumpen gehüllte und oftmals barfüßige Überlebende unter den Augen der Bevölkerung auf einen Todesmarsch geschickt mit dem Ziel des für rund 15.000 Kriegsgefangene errichteten Lagers in Sandbostel. Dort bekamen Löwenstein und rund 7000 andere KZ-Häftlinge, die „einer schlechteren Behandlung als die ehemaligen Kriegsgegner“ unterlagen, Baracken zugewiesen.[2]
Am 31. März 1945 wurde Löwensteins „arische“ Ehefrau Anni – vier Tage vor dem Einmarsch britischer Truppen in Osnabrück – aus der Haft entlassen. Sohn Max, der zur Arbeit in der paramilitärisch organisierten Bautruppe der Organisation Todt gezwungen worden war, wurde am selben Tag aus dem Zwangsarbeiterlager entlassen.[2]
Nachdem die KZ-Häftlinge in Sandbostel wegen des Anrückens „feindlicher Truppen“ erneut in das KZ Neuengamme verlegt werden sollten, kam es am späten Abend des 19. April 1945 zu einem Aufstand, der später von Überlebenden auch als „Hungerrevolte“ bezeichnet wurde. Unter den Verzweifelten, die sich todesmutig der erneuten Deportation widersetzten, war auch Felix Löwenstein. Anfangs konnten nur wenige hundert Mithäftlinge durch die SS und die Wachen zusammengetrieben werden. Doch während des Appells an die noch marschfähigen KZ-Häftlinge kam es nach Zeugenaussagen zu einem Fliegeralarm. In dem entstandenen Chaos stürmte Felix Löwenstein und andere auf der Suche nach Essbarem die an das Menschenlager angrenzenden Lagerräume. Währenddessen ermordeten die SS und die Lagerwachen hunderte Häftlinge; der Aufstand wurde niedergeschlagen. Wohl zu diesem Zeitpunkt – die genauen Umstände konnten nie geklärt werden, zog sich Löwenstein – wie viele andere Überlebende – eine Verletzung zu, die der einzige Arzt für das gesamte Lager kaum zeitnah behandeln konnte. Am 29. April 1945 erreichten schließlich britische Truppen das Lager Sandbostel, von dem die meisten Wachleute schon geflüchtet waren. Felix Löwenstein konnte vielleicht noch den Musikzug zu Ehren der Eingepferchten vernehmen, starb jedoch am Folgetag an seiner Blutvergiftung. Er wurde in einem Massengrab bei Sandbostel beigesetzt.[2]
In der Nachkriegszeit bemühten sich Anni Löwenstein und ihr Sohn Max jahrelang um eine Entschädigung für das erlittene Unrecht. Von Felix Löwenstein war den beiden nur seine Taschenuhr verblieben; sie trug nicht einmal seinen Namen, sondern nur die KZ-Nummer 87067.[2]
Löwensteins Sohn Max schied in den 1950er Jahren „in großer Verzweiflung“ durch Selbstmord aus dem Leben.[2]
Ehrungen und Gedenken
- Im Osnabrücker VfL-Museum findet sich eine deutlich hervorgehobene Informationstafel mit der Abbildung der in Familienbesitz verbliebenen Taschenuhr von Felix Löwenstein.[2]
- Vor dem Haus Neumarkt 4 in Osnabrück, dem letzten freiwilligen Wohnort von Felix Löwenstein, erinnert ein Stolperstein an den ehemaligen Mitbürger der Stadt.[2]
- 2019 wurde ein Weg in Osnabrück nach Felix Löwenstein benannt.[1]
Sonstiges
Am 30. April 2020, dem 75. Todestag von Felix Löwenstein, legte der VfL Osnabrück in Zusammenarbeit mit dem Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ im Wettbewerb um den Julius-Hirsch-Preis unter dem Motto „Gegen das Vergessen“ einen Kranz am Felix-Löwenstein-Weg an der Bremer Brücke nieder. Vorgesehen war ursprünglich ein Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der infolge der COVID-19-Pandemie ausfallen musste. Stattdessen wurde innerhalb einer Gedenkstunde zusätzlich ein Plakat mit Informationen zu Felix Löwensteins Biografie am Fanshop des VfL angebracht. Die beiden Organisationen kündigten weitere Aktionen unter dem Thema „Tradition lebt von Erinnerung“ an, mit denen die „bewusste Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten und der Rolle des VfL Osnabrück während der NS-Zeit am Beispiel der Biographie Felix Löwensteins“ gefördert werden soll.[3]
Weblinks
- Heiko Schulze: Die Uhr des Felix Löwenstein, illustrierter Artikel auf der Seite vfl.de
Einzelnachweise
- o. V.: Löwenstein, Felix in der Datenbank Niedersächsische Personen (Neueingabe erforderlich) der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek in der Version vom 1. November 2019, zuletzt abgerufen am 4. Juni 2021
- Heiko Schulze: Die Uhr des Felix Löwenstein, illustrierter Artikel auf der Seite vfl.de vom 30. April 2021, zuletzt abgerufen am 4. Juni 2021
- René Kemna: 75. Todestag von Felix Löwenstein, mit einem Foto der Aktion und einem Video auf der Seite des Vfl vom 30. April 2020, zuletzt abgerufen am 5. Juni 2021