Evangelische Kirche (Flensungen)
Die evangelische Kirche ist ein denkmalgeschütztes Kirchengebäude in Flensungen, einem Ortsteil von Mücke im Vogelsbergkreis (Hessen). Die Saalkirche aus dem 14. Jahrhundert im Stil der Gotik wurde 1932 an der Südseite erweitert. Sie hat einen mittig aufgesetzten Dachreiter und im Osten einen Dreiachtelschluss.
Geschichte
Bei der Kirchenrenovierung im Jahr 1931 wurde der Altar abgebrochen und in einem Hohlraum ein elfenbeinartiges Reliquiar aus fränkischer Zeit entdeckt (8.–10. Jahrhundert). Das Kästchen ist an den Seiten und auf dem Deckel mit Linien- und Punktkreismustern verziert. Es ist im Darmstädter Landesmuseum als Leihgabe ausgestellt.[1]
In vorreformatorischer Zeit waren die Filialdörfer Stangenrod und Lehnheim bei Flensungen eingepfarrt,[2] im 15. Jahrhundert bei Grünberg.[3] Flensungen war dem Archidiakonat St. Johann in der Erzdiözese Mainz zugeordnet. Dass die Kirche im 14. Jahrhundert errichtet wurde, legen nicht zuletzt die erhaltenen Türbeschläge aus dieser Zeit und die Marienglocke (um 1325) nahe.
Mit Einführung der Reformation wechselte die Kirchengemeinde zum evangelischen Bekenntnis, vermutlich unter Johannes Mengel, der ab 1526 Pfarrer in Grünberg war.[4] Ein lutherisch gewordener „Chorpriester“ aus Grünberg versorgte Flensungen zusammen mit Ilsdorf und Stockhausen geistlich. 1553 wurde Flensungen nach Merlau eingepfarrt.[5]
Im Jahr 1738 wurden Teile des Mauerwerks und das Kirchendach erneuert, 1879 ein Stück der Mauer am Nordportal und die sich über Orgel und Altar abgesenkte Decke. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfiel die Kirche zusehends, sodass Neubaupläne ins Auge gefasst wurden. Aufgrund von Baufälligkeit wurde die Kirche am 27. November 1927 polizeilich geschlossen. Die Gottesdienste fanden seitdem in einem Schulsaal statt.[6]
Im Jahr 1931/1932 wurde die Kirche nach Süden hin erweitert. Der mächtige Holzpfosten, der bis dahin den Unterzug gestützt hatte, wurde südlich zwischen Anbau und dem alten Kirchenschiff versetzt und die Kanzel von der Süd- an die Nordseite umgesetzt. Bei der Innenrenovierung wurden Inventarstücke in Stil des Expressionismus erneuert.[7]
Von 1970 bis 1974 wurde der Friedhof aufgelassen und in eine Grünfläche umgewandelt. Die Außenwände der Kirche wurden mithilfe von Drainage trockengelegt, isoliert und neu verputzt, das Kirchendach saniert, das Geläut elektrifiziert und westlich eine Zufahrt mit einem kleinen Parkplatz geschaffen. Ein Steinkreuz des 13. oder 14. Jahrhunderts, das in einer scheibenförmigen Vertiefung ein kleines Kreuz aufweist, stand ursprünglich an einer Böschung des alten Weges nach Stockhausen und wurde 1973 in die Grünanlagen westlich der Kirche umgesetzt.
Eine Sanierung folgte 2011/2012, bei der der schadhafte Dachstuhl instand gesetzt und die Dachflächen neu verschalt und verschiefert wurden. Die Außenfassade wurde mit Kalkputz erneuert.[8]
Die Kirchengemeinde Flensungen ist mit Merlau pfarramtlich verbunden und gehört zum Dekanat Gießener Land in der Propstei Oberhessen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.[9]
Architektur
Die geostete und weiß verputzte Kirche steht erhöht im alten Ortszentrum am Lutherweg 1521. Sie ist mit einem steilen verschieferten Satteldach bedeckt. Der mittig aufgesetzte Dachreiter und die Spitze des Westgiebels sind ebenfalls verschiefert. Grundmauern, Chorfenster, Dachstuhl und Dachreiter stammen aus der Bauzeit der Kirche. Im Süden und Norden des Dachreiters sind auf dem kubusförmigen Schaft die Zifferblätter der Turmuhr angebracht, im Osten und Westen befinden sich je zwei kleine hochrechteckige Schalllöcher für das Dreiergeläut. Neben zwei Glocken aus der Nachkriegszeit ist die alte Marienglocke aus der Zeit um 1325 erhalten. Sie tragen in den Inschriften in linksläufigen, teils seitenverkehrten und auf den Kopf gestellten Majuskeln die Namen der vier Evangelisten und den verkürzten Gruß Ave Maria: „X SƎMHAhOhI + VSETAW + SACVL + AΛƎ + SACRAM“. Der achtseitige Spitzhelm wird von Turmknauf, Kreuz und Wetterhahn bekrönt.
In die Kirche führen baugleiche flachspitzbogige Portale aus Lungstein mit Fasen im Norden und Westen. Sie haben später erneuerte hölzerne Türen, deren eiserne Beschläge aus dem 14. Jahrhundert stammen. Oberhalb des Westportals ist ein kleines hochrechteckiges Fenster eingelassen. Der Innenraum wird an der Nordseite durch drei hohe Rechteckfenster belichtet, die im 19. Jahrhundert eingebrochen wurden. Der südliche Anbau, der von zwei Walmdächern bedeckt ist, hat in zwei Ebenen je vier kleine Rechteckfenster mit Sprossengliederung. Der dreiseitige Chorabschluss hat spätgotische Spitzbogenfenster mit Lungsteingewänden. Die Ostseite ist fensterlos.
Innenausstattung
Die Flachdecke im Innenraum ist im Chor niedriger als im Schiff. Deckenleisten gliedern die Decke in quadratische Felder mit einzelnen Rauten in der Mitte des Chors. Im Westen und Süden sind hölzerne Winkelemporen eingebaut, die im Westen ruht auf zwei vierseitigen Holzpfosten. Die kassettierten Brüstungsfelder sind mit floralen Girlanden bemalt. Eine Treppe in der Südwestecke führt auf die Empore. Durch die Innenrenovierung 1931/1932 erhielt die Ausstattung durch die dunkelblaue Farbgebung, den Freipfeifenprospekt der Orgel und die Deckenleisten einen expressionistischen Charakter.[10]
Aus vorreformatorischer Zeit stammen zwei quadratische Sakramentsnischen in der nördlichen Chorwand, die mit eisenbeschlagenen Türen und einem alten Vorhängeschloss gesichert sind.
Die Holzstütze zwischen den beiden Schiffen, auf der bis 1931 der Unterzug ruhte, stammt aus dem 16. Jahrhundert, vielleicht von 1563, als die Emporenschwellen eingebaut wurden.[11]
Die Schnitzkanzel im Knorpelstil auf quadratischem Grundriss datiert im Grunde aus dem 17. Jahrhundert. In den Kanzelfeldern ruhen die Rundbögen auf Kapitellen über Schuppenpilastern.
Zwischen Kanzel und Nordportal ist ein Grabdenkmal aus rotem Sandstein von 1773 in die Wand eingemauert, das an ertrunkene Frauen und Kinder bei einem Hochwasserunglück am 23. Juli 1773 erinnert. Der Seenbach war zu einem reißenden Strom angeschwollen, als bei der Flensunger Brücke ein Pferd mit Wagen und sieben Personen in die Fluten stürzte. Das Bildrelief zeigt links unter dem Kreuz über Wasserwellen vier Frauen und rechts eine einzelne Frau. Bei der Auflassung des Friedhofs (1970–1974) wurde der Grabstein zum Schutz vor Verwitterung in die Kirche versetzt.
Das Taufbecken mit der vorhandenen Taufschale aus Messing wurde im Jahr 2016 von Drechsler- und Schnitzermeister Johann Zimmermann aus Wertheim gefertigt. Der vierseitige Fuß und die Beckenwandung sind mit reichem Schnitzwerk ausgestattet. Auf dem hölzernen Deckel ist ein fein geschnitztes Kruzifix des Dreinageltypus angebracht, das von der Holzschnitzerei Albl aus Oberammergau stammt. Die Schale trägt auf dem Rand den Bibelvers „LASSET DIE KINDLEIN ZU MIR KOMMEN“ (Mk 10,14 ).
Orgel
Bereits im Jahr 1673 erhielt die Kirche ein kleines Positiv. Im Jahr 1803 war allerdings keine Orgel mehr vorhanden. 1863 wurde eine neue Orgel genehmigt und 1864 von der Witwe von Friedrich Wilhelm Bernhard eine gebrauchte, aber völlig überholte Orgel aus Rendel mit fünf Manual- und einem Pedalregister erworben. Der Erbauer ist unbekannt, vermutet wird Johann Friedrich Macrander.[12]
Die heutige Orgel wurde 1934 im Zuge der Kirchenerweiterung von Förster & Nicolaus Orgelbau mit pneumatischen Kegelladen hinter einem Freipfeifenprospekt im Stil des Expressionismus gebaut.[13] Sie steht hinter dem Altar und hat zehn Register auf zwei Manualen und Pedal. Der freistehende Spieltisch, der zunächst am Übergang zum Seitenschiff stand, wurde später hinter den Altar umgesetzt, um die zeitliche Verzögerung der Traktur zu reduzieren. Die Orgel hat folgende Disposition:[14]
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- Koppeln: II/I, I/P, II/P
Literatur
- Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I: Regierungsbezirke Gießen und Kassel. Bearbeitet von Folkhard Cremer und anderen. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2008, ISBN 978-3-422-03092-3, S. 233.
- Wilhelm Diehl: Baubuch für die evangelischen Pfarreien der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. (= Hassia sacra; 5). Selbstverlag, Darmstadt 1931, S. 474–475.
- Georg Kratz (Hrsg.): Der Kreis Alsfeld. Konrad Theiss, Stuttgart/Aalen 1972, ISBN 3-8062-0112-9.
Weblinks
- Flensungen. Historisches Ortslexikon für Hessen. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (HLGL), abgerufen am 18. Januar 2017.
Einzelnachweise
- Kratz (Hrsg.): Der Kreis Alsfeld. 1972, S. 101.
- Willi Pfeffer: Die Lehnheimer und Stangenröder Kirchengeschichte. In: Arbeitskreis Dorf, Helmut Grün (Hrsg.): Damals – heute. Geschichte(n) eines Dorfes. Druckhaus Lauterbach, Grünberg-Lehnheim 1998, S. 55.
- Heinz P. Probst: Die Bau- und Kunstdenkmäler in der Großgemeinde Grünberg. Heft 1. Kirchen. (= Schriftenreihe des Verkehrsvereins 1896 Grünberg e. V. Heimatkundliche Reihe, Bd. 2). Grünberg-Queckborn: Heinz Probst, 2001, S. 58.
- Flensungen. Historisches Ortslexikon für Hessen. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (HLGL), abgerufen am 18. Januar 2017.
- Wilhelm Diehl: Hessen-Darmstädtisches Pfarrer- und Schulmeisterbuch. (= Hassia sacra; 1). Selbstverlag, Friedberg 1921, S. 419.
- Diehl: Baubuch für die evangelischen Pfarreien. 1931, S. 475.
- Kratz (Hrsg.): Der Kreis Alsfeld. 1972, S. 107.
- Architekturbüro Seidel + Muskau, abgerufen am 23. Januar 2017.
- Internetpräsenz der Kirchengemeinde auf der Website des Dekanats, abgerufen am 27. Januar 2022.
- Kratz (Hrsg.): Der Kreis Alsfeld. 1972, S. 123.
- Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I. 2008, S. 233.
- Franz Bösken, Hermann Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins (= Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte. Band 29,2). Band 3: Ehemalige Provinz Oberhessen. Teil 2: M–Z. Schott, Mainz 1988, ISBN 3-7957-1331-5, S. 794.
- Kratz (Hrsg.): Der Kreis Alsfeld. 1972, S. 110.
- Franz Bösken, Hermann Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Band 3: Ehemalige Provinz Oberhessen. Teil 1: A–L (= Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte. Band 29,1). Schott, Mainz 1988, ISBN 3-7957-1330-7, S. 939–940.