Etmal
Ein Etmal (aus dem Mittelniederdeutschen: Etmal = wiederkehrende Periode) ist die von einem Schiff von Mittag zu Mittag zurückgelegte Wegstrecke. Mittag ist dabei der lokale Sonnenhöchststand (Schiffsmittag).[1]
Der Schiffsmittag muss für die Standortbestimmung nach der astronomischen Navigation festgestellt werden. Damit hat man nur mit der Bestimmung des Sonnenhöchststandes, also ohne Uhr, eine tägliche feste Mittagszeit an Bord. So bot es sich an, die Strecke zwischen zwei aufeinanderfolgenden Mittagen als Maß für den Reisefortschritt des Tages festzuhalten.
In dieser Bedeutung hat sich das Etmal bis heute erhalten. So erwarten und erhalten die meisten Reedereien der Handelsschifffahrt täglich die Mittagsposition und das Etmal des vergangenen Tages per Funk oder Telefon. Diese beiden Werte, das Etmal und die Mittagsposition, sind immer noch die wichtigsten täglichen Daten eines Schiffes für die Reederei.
Feinheiten
Bei einer Reise nach Westen kann man mit einer Uhr, insbesondere einem zur Navigation geeigneten Chronometer, erkennen, dass die Sonne ihren Höchststand jeden Tag etwas später erreicht. Zwischen zwei sogenannten Schiffsmittagen vergehen dann etwas mehr als 24 Stunden, bei Fahrt nach Osten entsprechend etwas weniger. Bei Fahrt nach Westen hat man so ein paar Minuten mehr Zeit, das Etmal zu fahren. Der Zeitunterschied hängt ab von der Fahrtrichtung, der Geschwindigkeit und dem Breitengrad. Alle 15 Längenminuten verändert sich die Tagesdauer um eine Zeitminute. Am Äquator muss man für eine Zeitminute also 15 Seemeilen nach Westen oder Osten fahren. Auf 60° nördlicher oder südlicher Breite, also z. B. in Norddänemark oder bei Kap Hoorn, braucht man dazu nur 8 Seemeilen. Bei schnellen Reisen nahe der Polargebiete, selbst mit traditionellen Segelschiffen, kann regelmäßig eine halbe Stunde gewonnen oder verloren werden und sich das Etmal um fünf bis zehn Seemeilen verändern. Bei der Überfahrt von Hamburg nach New York auf einem modernen Containerschiff mit über 20 Knoten verlängert sich die nutzbare Zeit pro Etmal sogar um etwa 50 Minuten. Und auf einer Fahrt von Bergen nach Südgrönland mit 30 Knoten würde man 100 Minuten gewinnen, was das Etmal um 50 Seemeilen erhöht. Beides verliert man auf der gleich schnellen Rückfahrt.
Eine weitere, jedoch geringere, Abweichung entsteht unabhängig von der Reiserichtung dadurch, dass die wahre Länge eines Sonnentages nur viermal im Jahr exakt 24 Stunden ist (siehe dazu auch Zeitgleichung). Dieser Effekt hängt allein von der Exzentrizität der Erdumlaufbahn um die Sonne und der Neigung der Ekliptik ab und ist auch unabhängig vom geographischen Ort. Dadurch wird der wahre Sonnentag um den 1. Januar herum etwa 30 Sekunden und Ende Juni 12 Sekunden länger, dagegen Anfang April und Mitte September jeweils etwa 20 Sekunden kürzer. Die in dieser kurzen Zeit (nicht) zurückgelegte Strecke ist in der Regel mittels astronomischer Navigation nicht zuverlässig messbar.
In der Praxis zur Ermittlung des Etmals werden diese veränderlichen Meßzeiten aber ausdrücklich, gemäß der Definition, nicht eingearbeitet, so dass sich das Etmal nur zur ungefähren Berechnung der (Tages-)Durchschnittsgeschwindigkeit eignet. In der traditionellen Segelschifffahrt war der Fehler in der Regel kleiner als 1 % und damit in der Größenordnung der Messungenauigkeit der astronomischen Ortsbestimmung, in der modernen Seefahrt ist er aber leicht 5 %.
Abweichender Sprachgebrauch
Rennyachten
Auf modernen Rennyachten wird die Mittagsposition nicht mehr festgestellt, die Standortbestimmung findet ausschließlich per GPS statt. Damit hat sich die Verwendung von Etmal für die in beliebigen 24 Stunden zurückgelegte Strecke im Sprachgebrauch der Rennyachten etabliert. Im Englischen werden sie korrekter als 24 hour distance bezeichnet. In beliebigen 24 Stunden legt man im Allgemeinen längere Strecken zurück als genau von Mittag bis Mittag.
Fahrtenyachten
Auf Fahrtenyachten mit Übernachtungen im Hafen oder vor Anker hat sich ein abweichender Sprachgebrauch etabliert. Bei Navigation unter Land spielt die Mittagsposition keine Rolle, vielmehr bilden hier die Übernachtungen die Fixpunkte der Reise und entsprechend wird die Wegstrecke eines Tages als Etmal bezeichnet.
Herausragende Etmale für Segelschiffe
Das Etmal, die Tagesstrecke, wird aus dem Abstand der Mittagspositionen errechnet oder in der Seekarte gemessen und im Logbuch vermerkt. Herausragende Etmale werden publiziert und sind geeignet, der Reederei, dem Schiff oder dem Schiffsführer zu einem gewissen Ansehen zu verhelfen.
Die schnellsten Segelschiffe des 19. Jahrhunderts waren die Klipper. So fuhr im Dezember 1854 die 259 Fuß lange Champion of the Seas im südlichen Indischen Ozean unter dem Kommando von Kapitän Alexander Newlands ein Etmal von atemberaubenden[2] 465 Seemeilen (862 km, Durchschnittsgeschwindigkeit 19,4 Knoten)[3]. Dies wird für die folgenden 130 Jahre für die größte Tagesstrecke gehalten, die je von einem Segelschiff bewältigt wurde.
Erst die Hochseerennyachten des späten 20. Jahrhunderts konnten die Etmale der Klipper übertreffen. Obwohl sie wesentlich kleiner als die Klipper sind, können sie aufgrund neuer Materialien und neuer Erkenntnisse der Strömungslehre und Navigation (z. B. Wetter-Routing) auch über lange Distanzen mehr als doppelt so schnell segeln. Des Weiteren wird wegen der wesentlich besseren Bergungs- und Überlebenschancen mit faktisch unsinkbaren Booten viel risikofreudiger gesegelt.
Im August 1984 fuhr der 80-Fuß-Katamaran Formale TAG[4] unter dem kanadischen Skipper Mike Birch ein Etmal von 512,5 Seemeilen (24 hour distance record)[5][6]. Das erste Einrumpfboot, das den Rekord der Champion of the Seas brach, war am 7. Mai 2002 die deutsche Yacht Illbruck Challenge (Skipper John Kostecki), die während des Volvo Ocean Race 2001/02 484 Seemeilen[7] in 24 Stunden fuhr und damit gleichzeitig die „20-Knoten-Schallmauer“ durchbrach.
Seit dem 1. August 2009 steht der Rekord bei 908,2 Seemeilen[7] (Durchschnittsgeschwindigkeit 37,8 Knoten), als dem französischen 40-Meter-Trimaran Banque Populaire V eine Rekordatlantiküberquerung von New York nach Lizard Point gelang. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der gesamten 3 Tage 15 Stunden und 25 Minuten dauernden Fahrt betrug 33 Knoten (61 km/h)[8], was schneller war als alle Atlantiküberquerungen zu Wasser vor 1952 einschließlich der jeweiligen Gewinner des Blauen Bandes[9]. Das längste Etmal für Einhandsegler hält seit Juli 2016 François Gabart auf dem Trimaran Macif[10], der seinen Rekord von 783,46 Seemeilen (Durchschnitt 32,6 Knoten)[7][11] am 15. November 2017 auf 851 Seemeilen verbesserte.[12] Erst kurz vor Gabarts erstem Rekord hatte Thomas Coville am 8. Juni 2016 auf Sodebo erstmals einhand eine 24-Stunden-Distanz von mehr als 700 Seemeilen erreicht, und zwar 718,5 sm mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 29,93 Knoten.[7]
Das Rekordetmal für Einrumpfschiffe lag bisher bei 596,6 Seemeilen[7], gehalten von der Volvo Open70 Ericsson 4, erreicht beim Volvo Ocean Race 2008/09 am 29. Oktober 2008. Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug dabei 25,11 Knoten (= 46,5 Kilometer pro Stunde). Der Rekord wurde am 11. Juli 2015 von der 100 Fuß langen Yacht Comanche unter Skipper Ken Read während des Transatlantik Race von Newport (Rhode Island, USA) nach Portsmouth (GBR) auf 618 Seemeilen erhöht. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25,75 Knoten.[13] Für Einhandsegler mit Einrumpfbooten wurde das Rekordetmal am 16. Januar 2017 mit 536,81 Seemeilen (Durchschnitt 22,36 Knoten) von dem Briten Alex Thomson während der Vendée Globe 2016/17 gesegelt.
Etmal außerhalb der Seefahrt
Der Gebrauch des Wortes „Etmal“ ist nicht allein auf die Seefahrt beschränkt. In der Bedeutung „Tag und Nacht“ wird es in der Sage „Von König Karl und den Friesen“ der Brüder Grimm verwendet:
- Da standen sie ein Etmal (Zeit von Tag und Nacht) in der Runde.[14]
Weblinks
Einzelnachweise
- Ulrich Scharnow: Lexikon Seefahrt. 5. Auflage. Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin 1988, ISBN 3-344-00190-6, S. 140.
- Für die größten und schnellsten Klipper mit 60 bis 75 Meter langen Wasserlinien sind meistens nur auf ihrer Jungfernreise kurzzeitige, einmalige Höchstgeschwindigkeiten knapp unter ihrer jeweiligen theoretischen Rumpfgeschwindigkeit gemessen und auch für glaubwürdig befunden worden, hier also 19 bis 21 Knoten. Die Sovereign of the Seas, ein fast baugleiches Schiff der Champion of the Seas der gleichen Werft und erstes Schiff mit über 400 Seemeilen am Tag überhaupt, gilt mit einmalig 1854 gemessenen 22 Knoten als schnellster Rahsegler aller Zeiten. Durchschnittsgeschwindigkeiten von 17 und 18 Knoten sind zwar für einige Klipper belegt, aber über 19 Knoten und damit 95 % der Rumpfgeschwindigkeit müssen angezweifelt werden, da der Seegang zur nötigen Windstärke (ca. 40 Knoten, Beaufort 9, wenigstens in der zweiten Etmalhälfte 150 Meter lange und 6 Meter hohe Wellen) eine konstant maximale Geschwindigkeit nicht zulässt. Das Rekordetmal der moderneren, etwas größeren, leichteren, schlankeren aber weniger „schnittigen“ Gorch Fock liegt bei 323 Seemeilen (13,5 Knoten, 60 % der Rumpfgeschwindigkeit).
- Boehmer, W. Richard: TREP Analysis of Champion of the Seas One Day Record Run. Nautical Research Journal vol. 24, Washington, 1978. pp 69-71, ill.
- Archiv des Designers Nigel Irens (Memento vom 30. März 2010 im Internet Archive), unter dem Bootsnamen Daedalus
- Die Anerkennung eines 24 hour distance record erfolgt durch das World Sailing Speed Record Council WSSRC. Auch alte Rekorde sind dort gelistet. WSSRC
- Inoffizieller Rekord, da die Positionen nicht mit einem automatischen Navigationsprotokoll (z. B. GPS) dokumentiert wurde.
- Veröffentlichung des von der ISAF mit der Rekordverwaltung beauftragten WSSRC
- Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. September 2009
- Siehe Blaues Band
- Bootsinfo Macif
- Yacht.de: Neuer Solo-Rekord: 785 nm in 24 h, Abgerufen am 4. Juli 2016
- Yacht.de: François Gabart mit neuem 24-Stunden-Rekord
- Segelreporter.com: 24-Stundenrekord Comanche, Abgerufen am 13. Juli 2015
- Das Märchen Von König Karl und den Friesen bei Projekt Gutenberg