Emil Possehl
Johannes Ludwig Emil Possehl (* 13. Februar 1850 in Lübeck; † 4. Februar 1919 ebenda) war ein deutscher Kaufmann, Unternehmer und Mäzen des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts.
Leben
Emil Possehl kam 1850 als erstes Kind von Ludwig Possehl und dessen Ehefrau Dorothe Euphrosine Mathilde Possehl geb. von Melle, einer Enkelin der Bibliothekars Johann Hermann von Melle, zur Welt. Nach der Schulzeit und einer Lehre im Holzgroßhandel leistete er seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei den Bonner Husaren ab. 1873 wurde ihm vom Vater die Leitung des Handelshauses L. Possehl & Co. übertragen. 1889 war er Alleininhaber.
Possehl erkannte angesichts des neuen Thomas-Verfahrens rasch die Bedeutung phosphorhaltiger Eisenerze aus Schweden. Er erwarb Beteiligungen an skandinavischen Hochofen- und Grubengesellschaften (Erz, Schwefel- und Kupferkies); eigene Dampfer liefen seit 1898 die Erzhäfen Luleå und Narvik an. Seitdem zählte Possehl zu den wichtigsten Erzagenten Europas. Seine Abnahmegarantien begünstigten wesentlich den Bau der Ofotbahn (1896–1903). Ab 1896 war er als Ritter des schwedischen Wasaordens berechtigt, dessen Ordenszeichen in seinem Wappen zu führen. Von 1897 bis 1901 ist er zudem als ehrenamtlicher Handelskonsul von Österreich-Ungarn in Lübeck.
Emil Possehl war seit der Jahrhundertwende Lübecks bedeutendster Unternehmer und reichster Bürger. Sein energisches Wirken in Handelskammer, Bürgerschaft und Senat seit 1901 galt vor allem den wirtschafts- und verkehrspolitischen Interessen Lübecks. Er war Mitgründer des lokalen Industrievereins, tatkräftiger Befürworter des 1900 fertiggestellten Elbe-Trave-Kanals und Vorkämpfer der erst 1963 verwirklichten Vogelfluglinie. Auf der Grundsteinlegung des Kanals am 31. Mai 1895 beschlug er mit dem silbernen Hammer nach Alfred Stooß und vor Friedrich Eduard Schacht den Granitstein.[1]
Zu Lebzeiten machte Possehl sich als Stifter verdient und schenkte Lübeck etwa das Stadttheater-Grundstück an der Beckergrube. Auf Anregung seines Anwalts Ernst Wittern engagierte Possehl 1903 den belgischen Architekten Henry van de Velde für den Umbau seines Sommerhauses an der Travemünder Strandpromenade. Wittern versuchte angeblich auch, van de Velde in den Architekturwettbewerb für den Neubau des Stadttheaters mit einzubeziehen, der allerdings von Martin Dülfer gewonnen wurde. 1905 hatten sich van de Velde und Possehl wegen der von Possehl vorgenommenen Veränderungen des Sommerhauses zerstritten. Zwei getäfelte, teilmöblierte Kabinette aus dessen Einrichtung befinden sich heute im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.[2]
Possehl zählte zu den Gründern des Allgemeinen Deutschen Verbandes[3] (ab 1894 „Alldeutscher Verband“) und war vor dem Krieg, obwohl er in dem Verband kein Amtsträger war, eng mit dessen Vorsitzenden Heinrich Claß verbunden. Sowohl er als auch das lübeckische Verbandsmitglied Senator Johann Martin Andreas Neumann spendeten 1916 je 50000 Mark für den Ankauf und Aufbau der „Deutschen Zeitung“.[4][5] Beide waren 1912 in Berlin auch Mitgründern des Wehrvereins.
Als Friedrich von Esmarch anlässlich seines Vortrages 1885 Emmy Türk persönlich seine große Sache ans Herz legte, begriff sie, die als Tochter eines Schiffsreeders mit den seemännischen Kreisen seit frühester Jugend vertraut war, umgehend, welcher Segen dem Seemannsstand aus den Unterweisungen erwüchse. Als sie im April 1885 auf der Generalversammlung des Hauptvereins vom Vaterländischen Frauenverein in Berlin war, unterbreitete sie der Kaiserin den Vorschlag an allen Seemannschulen der deutschen Küste diese Unterweisung verbindlich zu machen. Die Kaiserin ergriff daraufhin die Initiative und übersandte dem Lübecker Zweigverein Geld zur Beschaffung der Lehrapparate.[6]
Kaiser Wilhelm II. stiftete im Oktober 1898 die Rote Kreuz-Medaille in drei Klassen; aus Anlass seines Geburtstags am 27. Januar wurde sie an die Lübecker Bürger in 2. Klasse Fräulein Julie Kierulff, Frau Konsul Bahncke (geborene Fehling), Frau Oberarzt Türk sowie Herrn Landrichter a. D. Priess[7] und in 3. Klasse an Frau Konsul Possehl, Frau Wichmann, Herrn Rechtsanwalt Priess[8], Konsul Rehder[9], Konsul Marty[10], Dr. Hammerich[11], Dr. Hofstaetter[12], Physikus Riedel, Dr. Schorer sowie dem Kaufmann Schetelig verliehen.[13]
Als erster Senator besuchte er im November 1914 das Lübecker Regiment der 162er im Felde. Während des Ersten Weltkriegs wurde er wegen Landesverrats angeklagt, von der schuldhaften Vorschubleistung feindlicher Mächte (§ 89 StGB) jedoch 1916 freigesprochen. Ende 1916 errichtete er eine Stiftung in Höhe von 500.000 Mark, deren Einkünfte für die Kriegsbeschädigten der beiden Lübecker Bataillone des 162. Regiments und für die Hinterbliebenen der Gefallenen bestimmt waren. Nach Kriegsende begrüßte er das heimkehrende Regiment im Lübecker Hauptbahnhof.[14]
Seine Frau Wilhelmine Possehl geb. Schönherr starb am 15. November 1922.
Grabmal
Wie jeder Verstorbene erhielt zunächst auch Possehl ein einfaches Grab auf dem allgemeinen Gottesacker. Nachdem im Senat ein entsprechender Antrag gestellt und bewilligt wurde, sollte ein des Toten würdiges Grabmal errichtet werden. Der aus Lübeck stammende, in Berlin lebende Bildhauer Hermann Joachim Pagels sowie der in der Hansestadt aufgewachsene Architekt Erich Blunck wurden mit einem gemeinsamen Entwurf betraut.
Aus gelblich getöntem Stein erhebt sich das wuchtige, monumental wirkende Mausoleum. Die Grundform schließt sich an Gruftgewölbe und Erbbegräbnisse an, wie sie auf dem Friedhof zu finden sind. Über der Erde befindet sich der Bau für die Sarkophage. Das Mausoleum ist durch die flach geschwungene Kuppel betont, auf der sich als Krönung eine stilisierte Flamme befindet. Acht große Relieffiguren, je zwei um die Ecken des Grabs, sind ihm als Hüter beigegeben. In der Mitte der Stirnseite ist ein Medaillon mit den charakteristischen Zügen des Senators im Profil angebracht mit je einer männlichen Engelsgestalt zu seinen Seiten. An den beiden anstoßenden Seiten weisen vier allegorische Gestalten – sie verkörpern Bergbau, Schifffahrt, Handel und industrielle Arbeit – auf sein Wirken in jenen Bereichen hin. In die Wand gegenüber dem Portraitrelief ist die Pforte mit der einzigen Inschrift, seinem Namen, über ihr eingelassen. Zu beiden Seiten wird es von trauernden Frauengestalten flankiert.[15][16]
Possehl-Stiftung
Die testamentarisch errichtete Possehl-Stiftung, Alleingesellschafterin des Unternehmens, fördert bis in die Gegenwart soziale und kulturelle Einrichtungen in der Hansestadt; ihre besondere Leistung ist die Erhaltung historischer Bauten der Hansestadt. Possehl schrieb als obersten Stiftungszweck in sein Testament „Die Förderung alles Guten und Schönen in Lübeck“.
Bedeutung
In der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ist Possehl mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg nahezu unbekannt. In wirtschaftsgeschichtlichen Darstellungen werden Hinweise auf das einstmals bedeutende Handelshaus vermisst, obwohl dessen Aktivitäten nicht nur der europäischen Schwerindustrie den schwedischen Erzmarkt erschlossen, sondern auch der deutschen Rüstungsindustrie während des Ersten Weltkriegs den Bezug schwedischer Erze und Halbfabrikate sicherten.
Literarisches Nachleben
Emil Possehl stand Pate für die Romanfigur des Jacob Bording in Ida Boy-Eds Ein königlicher Kaufmann (1910). Im Werk Heinrich Manns findet er sich als Spekulant Pidohn in Eugénie oder Die Bürgerzeit (1928) wieder. Auch in der Figur des namenlosen Kaufmanns in Heinrich Manns Eine Liebesgeschichte von 1946 ist Possehl deutlich zu erkennen.
Auszeichnungen und Ehrungen
- 1896: königlich schwedischer Wasaorden
- Zum Gedächtnis des im Vorjahr verstorbenen Senators beschloss der Senat am 4. Februar 1920, die beue Straße auf dem ehemaligen Bahndamms (Holstentor–Geniner Straße) als Possehlstraße zu benennen.[17]
- 2005 wurde die u. a. aus der Gewerbeschule III neben der St.-Matthäi-Kirche aus der Schwartauer Allee neuentstandene Schule nach ihm benannt.[18]
Schriften
- Rede des Herrn Großkaufmann E. Possehl über „Wehrmacht und Erwerbsleben“ in der 1. Gesamt-Vorstands-Sitzung des Deutschen Wehrvereins, ... (gehalten in Berlin am 11. Mai 1912) o. V., o. O. 1912.[19] / Max Schmidt, Lübeck 1917.[20]
- englischsprachige Ausgabe unter dem Titel An economical war will throw Germany on her knees. A speech made on the 11th May 1912. G. Delmas, Bordeaux 1912. (auch: London 1916.) (Digitalisat der University of Pennsylvania / Digitalisat der University of Toronto via Internet Archive)
Verweise
Literatur
- Jan-Jasper Fast: Vom Handwerker zum Unternehmer. Die Lübecker Familie Possehl. Schmidt-Römhild, Lübeck 2000, ISBN 3-7950-0471-3.
- Dörte Folkers, Cay Folkers: Henry van de Veldes Arbeiten für Ernst Wittern in Lübeck. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 28, Kunstgeschichte, Band 24.) Lang, Frankfurt am Main u. a. 1983, ISBN 3-8204-7647-4.
- Jan-Jasper Fast: Possehl, Emil. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 655 (Digitalisat).
- Karl-Ernst Sinner: Tradition und Fortschritt. Senat und Bürgermeister der Hansestadt Lübeck 1918–2007. (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, Reihe B, Band 46.) Lübeck 2008, S. #.
Weblinks
- Possehl, Johannes Ludwig Emil auf Deutsche Biographie
- Millionen für Lübeck - das Possehl-Erbe (Fernsehbeitrag des NDR)
Einzelnachweise
- Die Grundsteinlegung des Elbe-Trave-Kanals. In: Lübeckische Blätter, 37. Jahrgang 1895, Nummer 44 (vom 2. Juni 1895), S. 297–301.
- Fast, S. 154–159
- Hermann Bott: Lexikon zur Geschichte und Politik im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1971, S. 19.
- Johannes Leicht: Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen. Paderborn 2012, S. 231.
- Lemo, Lebendiges Museum Online, Heinrich Claß. Abgerufen am 20. August 2021.
- Krankenpflegerinnen auf dem Lande. von Emmy Türk in: Lübeckische Blätter, 41. Jahrgang, Nr. 32, Ausgabe vom 2. August 1889, S. 399–400.
- Joach. Ludo. Albr. sen. Priess
- Georg Albr. jr. Priess
- James Carl Rehder
- Wilhelm Martty
- Ad. Joh. Carl Hammerich
- Ed. Carl. Gust. Hofstaetter
- Lokale Notizen. In: Lübeckische Blätter, 41. Jahrgang, Nr. 6 (vom 5. Februar 1899), S. 67.
- Otto Dziobek: Geschichte des Infanterie-Regiments Lübeck (3. hanseatisches) Nr. 162. 1922.
- Das Grabmal Senator Possehls. In: Vaterstädtische Blätter, Jahrgang 1921/1922, Nummer 5 (vom 4. Dezember 1921), S. 18.
- Chromik. In: Vaterstädtische Blätter, Jahrgang 1921/1922, Nummer 7 (vom 1. Januar 1922), S. 28.
- Chronik. In: Vaterstädtische Blätter, Jahrgang 1919/1920, Nr. 11 (vom 29. Februar 1920), S. 44.
- Emil-Possehl-Schule
- im Katalog der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena ohne Angabe von Verlag und Verlagsort nachweisbar
- Datensatz zur Publikation von 1917 im OPAC der Deutschen Nationalbibliothek