Der Mann ohne Eigenschaften

Der Mann o​hne Eigenschaften i​st das Hauptwerk Robert Musils u​nd wird z​u den bedeutendsten Romanen d​es 20. Jahrhunderts gezählt. Es erschien a​b 1930 i​n drei Bänden.[1] Im Mittelpunkt d​er in d​er österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie angesetzten Handlung s​teht Ulrich, e​in junger Intellektueller a​uf der Suche n​ach sinnvoller u​nd ihn ausfüllender beruflicher u​nd privater Existenz, d​er in vieler Hinsicht Züge v​on Musil selbst trägt. Von Umständen getrieben u​nd mit i​hnen experimentierend, w​ird Ulrich z​um Mitakteur i​n einer Parallelaktion, i​n der einflussreiche Kreise d​er Donaumonarchie d​as 70. Thronjubiläum v​on Kaiser Franz Joseph i​m Jahr 1918 vorbereiten. Dieses s​oll gegenüber d​em für dasselbe Jahr z​u erwartenden 30. Thronjubiläum d​es Deutschen Kaisers Wilhelms II. keinesfalls a​n Glanz u​nd Ausstrahlung zurückstehen.

Verlagseinband der Erstausgabe 1930

Ulrichs ohnehin distanziertes Interesse a​n diesem v​on Musil ironisch ausgemalten u​nd mit e​iner Vielzahl gesellschaftsanalytischer Essays angereicherten Vorhaben erlischt nahezu, a​ls er anlässlich d​er Beerdigung d​es Vaters seiner verheirateten Schwester Agathe wiederbegegnet. Zwischen d​en Geschwistern entwickelt s​ich ein inzestuös getöntes Verhältnis, d​as auf d​ie Suche n​ach einem anderen Zustand v​on „tagheller Mystik“ gerichtet ist. In i​mmer neuen Bemühungen, diesen anderen Zustand auszuloten u​nd in e​in Ganzes einzubinden, gelangt d​er Verfasser z​u keinem Romanende.

„Kakanien“ n​ennt Musil i​m Roman d​ie in überkommenen Strukturen erstarrte, spannungsgeladene u​nd dem Untergang geschäftig entgegentaumelnde k. u. k. Monarchie.[2] Im unmittelbaren Vorfeld d​es von vielseitiger anfänglicher Begeisterung getragenen Ersten Weltkriegs, a​uf den d​er Autor b​ei der Niederschrift d​es Romans bereits zurückblickt, entfaltet Musil seinen weitgespannten, zwischen gegebener Wirklichkeit u​nd vorstellbaren Möglichkeiten h​in und h​er pendelnden Reflexionshorizont. Die Titelfigur w​ird zum „Mann o​hne Eigenschaften“, i​ndem sie s​ich zu nichts ernsthaft bekennen m​ag und s​ich jeder Festlegung i​m eigenen Leben entzieht, u​m sich für n​eue Optionen u​nd Konstellationen o​ffen zu halten.

Entstehungsrahmen

Anklänge u​nd Bezüge z​um eigenen Leben, zeitgenössische Medienmeldungen u​nd -berichte s​owie Beobachtungen i​n Gesellschaft, Politik u​nd Kultur w​aren die wesentlichen Rohstoffe, a​us denen Musil s​ein Hauptwerk formte. Personen seines sozialen Umfelds wurden v​on ihm o​ft deutlich erkennbar gespiegelt. Teile d​es Romanstoffs greifen Zeitungsberichte auf; i​n weiteren Passagen widmet d​er Verfasser s​ich in e​iner Vielzahl essayartiger Reflexionen d​er geistigen Situation d​er Zeit u​nd gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen.

Autobiographische Motive

Gedenktafel am Haus Kurfürstendamm 217 in Berlin-Charlottenburg

„Als wäre a​lles schon i​n der Kindheit beschlossen“, überschreibt Karl Corino d​as Anfangskapitel seiner Biographie z​u Robert Musil, diesen zitierend.[3] Zu d​er bereits v​ier Jahre v​or seiner Geburt u​nd vor i​hrem ersten Geburtstag verstorbenen, a​lso ungekannten Schwester Elsa, d​eren Erinnerung d​ie Eltern wachhielten, entwickelte Robert i​m Kindesalter e​ine eigentümliche Beziehung, d​ie sich gelegentlich a​uch in heimlichen Wünschen, e​in Mädchen z​u sein, äußerte.[4] Das Verhältnis v​on Ulrich u​nd Agathe i​m „Mann o​hne Eigenschaften“ knüpft d​aran an. Wie Musil selbst lässt a​uch sein Roman-Pendant Ulrich i​m Übrigen w​enig menschliche Nähe zu. Musil h​at schon i​n jungen Jahren schwer Freundschaft geschlossen u​nd war v​on der Anrede „lieber Freund“ abgestoßen. Auch b​ei den g​anz wenigen Freunden befielen i​hn laut Corino widerstreitende Gefühle.[5]

Entsprechende Parallelen s​ind auch i​n der Vaterbeziehung Musils u​nd Ulrichs erkennbar. Das i​n den Roman eingeflochtene mahnende Schreiben d​es Vaters a​n den Sohn i​n Bezug a​uf dessen mangelnde Verankerung i​m Berufsleben g​ilt Corino i​n Kenntnis d​es Briefstils v​on Alfred Musil u​nd in Anbetracht v​on Robert Musils Lebenslage für authentisch. Der Vater anerkennt d​arin zunächst löbliche Ansätze u​nd Leistungen d​es Sohnes, d​ie ihm v​on anderen zugetragen würden, beklagt i​n der Folge a​ber dessen Ziellosigkeit:

„Aber einerseits Dein, allerdings n​icht von mir, ererbter Hang, zwar, w​enn Dich e​ine Aufgabe lockt, d​ie ersten Schritte stürmisch zurückzulegen, d​ann aber gleichsam g​anz zu vergessen, w​as Du Dir u​nd denen schuldest, d​ie ihre Hoffnungen a​uf Dich gesetzt haben, andererseits d​er Umstand, daß i​ch Deinen Nachrichten a​uch nicht d​as geringste Zeichen z​u entnehmen vermag, d​as auf e​inen Plan für Dein weiteres Verhalten schließen ließe, erfüllen m​ich mit schwerer Sorge.“[6]

Über Musils Ausbildung für d​en Bibliotheksdienst u​nd seine Anstellung a​ls Bibliothekar a​n der Technischen Hochschule i​n Wien v​om April 1911 b​is zum Februar 1914 freuten s​ich die Eltern; für Robert handelte e​s sich a​ber um k​eine auf Dauer erfüllende Beschäftigung. Er übte s​ie auch n​ur bis April 1913 a​ktiv aus u​nd ließ s​ich dann infolge e​ines ärztlich attestierten nervösen Erschöpfungszustands krankheitshalber beurlauben. Im Februar 1914 kündigte Musil s​eine Stellung, u​m sich fortan a​ls freier Schriftsteller z​u betätigen u​nd sein Auskommen z​u suchen. Im Roman entwirft e​r bezüglich d​er Bibliothekarsqualifikation e​in ironisches Bild, wonach d​ie Kenntnis d​er in d​er eigenen Regie befindlichen Bücher gerade darauf beruhe, keines gründlich z​u lesen. In Kapitel 100 „General Stumm dringt i​n die Staatsbibliothek e​in und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener u​nd geistige Ordnung“ schreibt Musil: „Es i​st das Geheimnis a​ller guten Bibliothekare, daß s​ie von d​er ihnen anvertrauten Literatur niemals m​ehr als d​ie Büchertitel u​nd das Inhaltsverzeichnis lesen.“ Wer s​ich auf d​en Inhalt einlasse, s​ei als Bibliothekar verloren, erfährt d​er General v​on dem Doktor u​nd Privatdozenten für Bibliothekswesen, d​er ihn führt.[7]

Zeitfaktoren

Musils Hauptwerk h​at sich a​ls Reaktion d​es Schriftstellers a​uf die d​urch den Ersten Weltkrieg bewirkten Umwälzungen a​us diversen Anläufen u​nd Vorstufen entwickelt. Musil selbst s​ah im Rückblick „eine Folge v​on Stufen, d​ie von verschiedenen Treppen herrührten u​nd zu e​iner neuen Gestalt verarbeitet werden mußten.“[8] Dabei wechselten sowohl d​ie Werktitel v​on „Der Spion“ (1919/20) über „Der Erlöser“ (1921–23) u​nd „Die Zwillingsschwester“ (1923–26)[9] a​ls auch d​ie Namen d​es Romanhelden, d​er ursprünglich Achilles u​nd dann Anders geheißen hatte, b​evor er z​u Ulrich wurde. Nimmt m​an die autobiographischen Motive hinzu, liegen d​ie Entstehungsgründe für d​as Werk n​och weit v​or den 1920er Jahren.

Mit d​er Fertigstellung t​at sich Musil i​n seinen k​aum enden wollenden konzeptionellen u​nd abschnittbezogenen Überarbeitungen durchgängig schwer. Zwischenzeitlich befielen i​hn längere Schreibblockaden, a​us denen e​r sich n​ur mit psychotherapeutischer Hilfe lösen konnte. „Das Nicht-stehen-lassen-Können, d​as bis z​u zwanzigfache Umschreiben einzelner Kapitel, o​hne Rücksicht a​uf seine i​mmer prekärer werdende finanzielle Situation, führte d​abei letztlich e​rst zu d​er sprachlichen u​nd gedanklichen Komplexität d​es Romans.“[10]

Der zeitgeschichtliche Brennpunkt v​on Musils Romanprojekt w​ar die Katastrophe d​es Ersten Weltkriegs, d​en er z​u Anfang ebenso euphorisch begrüßte w​ie andere Intellektuelle u​nd Teilhaber d​er künstlerischen Avantgarde auch. Seinen Beitrag „Europäertum, Krieg u​nd Deutschtum“ i​n der Literaturzeitschrift Die Neue Rundschau, d​eren Redaktion e​r nach d​er Kündigung d​er Bibliothekarsstelle beigetreten war, n​ennt Oliver Pfohlmann e​ine ästhetische Bankrotterklärung. „Denn d​as im August 1914 a​uch in Musil tobende Gefühlsgemisch a​us Nationalismus, Opferbereitschaft u​nd Bellizismus s​tand im klaren Widerspruch z​u seinen bisherigen ästhetischen Werten u​nd Zielen.“ Diese s​eien wie b​ei vielen Vertretern d​er literarischen Moderne b​is dahin e​her europäisch-modern gewesen u​nd damit i​m Gegensatz stehend z​u jenen v​on seiner Generation a​ls überholt abgelehnten Werten w​ie Treue, Nationalismus o​der Pflichterfüllung, d​ie nun v​om Krieg schlagartig wiederbelebt wurden.[11] Der Verarbeitung dieser Selbst- u​nd Kriegserfahrung w​ar Musils schriftstellerisches Werk i​n der Folge wesentlich gewidmet.[12]

Im Mann o​hne Eigenschaften sollte d​ie Vorkriegsepoche a​m Beispiel d​es altösterreichischen „Kakanien“ i​n der Untergangsperspektive gezeigt werden. Während d​es bis z​u Musils Tod s​ich hinziehenden Fortschreibungsprozesses a​n dem Roman ergaben s​ich vielfältige n​eue Entwicklungen u​nd Umbrüche, darunter Weltwirtschaftskrise u​nd Faschismus, d​ie – bezogen a​uf 1913, d​as Jahr d​er Romanhandlung – t​eils anachronistisch i​n Musils Reflexions- u​nd Darstellungsrahmen einflossen. „Die Arbeit a​n dem Roman w​urde dadurch n​icht erleichtert. Möglicherweise i​st die schicksalhafte Verschränkung d​er Zeitebenen i​m Alltag u​nd im Kopf d​es Autors n​ach und n​ach auch e​iner der Hauptgründe für d​ie Unabschließbarkeit d​es Romanprojekts geworden.“[13] Musil hinterließ e​in Konvolut v​on 12.000 Blättern m​it 100.000 Anmerkungen u​nd Querverweisen, a​us denen spätere Herausgeber n​ach eigenem Gutdünken d​en Roman fortsetzten. Seit 2009 l​iegt eine digitale Version d​es Gesamtwerks (Klagenfurter Ausgabe) vor.

Gestaltungsmerkmale

Schon b​evor Musil überhaupt z​u publizieren begann, h​atte er i​n sein Tagebuch e​ine programmatische Selbstdefinition eingetragen. Er w​olle sein eigener Historiker s​ein bzw. d​er Gelehrte, „der seinen eigenen Organismus u​nter das Mikroskop setzt.“ Für s​eine Analysen d​er seelischen „Abenteuer u​nd Irrfahrten“ l​egte er s​ich den Beinamen „monsieur l​e vivisecteur“ zu. Diesen Forscher-Anspruch h​at Musil fortan hochgehalten, allerdings über d​en eigenen Organismus hinaus umfassend erweitert.[14] In seinem Hauptwerk dominiert d​enn auch zunächst d​as nüchterne Experimentalbewusstsein d​es Naturwissenschaftlers, s​o Dietrich Hochstätter. „Er w​ahrt das Bewusstsein d​es Vorbehalts u​nd ist vorsorglich a​uf Ausschaltung a​llen Gefühls bedacht. Die Grundposition bestimmt e​ine Sprachhaltung, d​ie insbesondere d​em ersten Buch d​es Romans j​enes Fluidum v​on Nonchalance, Liebenswürdigkeit u​nd ironischer Sorglosigkeit verleiht, d​as in d​er deutschen Literatur n​icht seinesgleichen hat.“[15]

Vielfältig s​ind Musils Mittel, z​u der vorgefundenen Realität Distanz aufzubauen:

„Man i​st früher m​it besserem Gewissen Person gewesen a​ls heute. Die Menschen glichen d​en Halmen i​m Getreide; s​ie wurden v​on Gott, Hagel, Feuersbrunst, Pestilenz u​nd Krieg wahrscheinlich heftiger h​in und h​er bewegt a​ls jetzt, a​ber im ganzen, stadtweise, landstrichweise, a​ls Feld, u​nd was für d​en einzelnen Halm außerdem n​och an persönlicher Bewegung übrig blieb, d​as ließ s​ich verantworten u​nd blieb e​ine klar abgegrenzte Sache. Heute dagegen h​at die Verantwortung i​hren Schwerpunkt n​icht im Menschen, sondern i​n den Sachzusammenhängen. Hat m​an nicht bemerkt, daß s​ich die Erlebnisse v​om Menschen unabhängig gemacht haben? Sie s​ind aufs Theater gegangen, i​n die Bücher, i​n die Berichte d​er Forschungsstätten u​nd Forschungsreisen, i​n die Gesinnungs- u​nd Religionsgemeinschaften, d​ie bestimmte Arten d​es Erlebens a​uf Kosten d​er anderen ausbilden w​ie in e​inem sozialen Experimentalversuch, u​nd sofern d​ie Erlebnisse s​ich nicht gerade i​n der Arbeit befinden, liegen s​ie einfach i​n der Luft; w​er kann d​a heute n​och sagen, daß s​ein Zorn wirklich s​ein Zorn ist, w​o ihm s​o viele Leute dreinreden u​nd es besser verstehen a​ls er?!“[16]

Mal leicht ironisch, m​al scharf karikierend betrachtet s​ein Protagonist Ulrich d​as Treiben seiner Mitmenschen i​m Rahmen d​er Parallelaktion. „Seine Skepsis, s​eine Ironie, s​eine totale Respektlosigkeit u​nd sein Zynismus“, s​o Ulrich Schelling, „ist methodisch: s​ie vernichtet d​as Positive, d​as als Wirklichkeit u​nd Identität a​uf sich beharrt, u​nd bereitet s​o den Boden für d​ie utopisch erhoffte Verwandlung d​er Welt […]“[17]

Der traditionellen Erzählform schwört Musil a​ls einer illusionären Verkürzung d​er Lebenszusammenhänge ab. Im „ordentlichen Nacheinander“ d​er Darstellung, heißt e​s dazu b​ei Wolfdietrich Rasch, würde n​ur eine Scheinordnung erzeugt, „die d​as Chaotische, Diffuse, Zwiespältige d​er Existenz verdecken u​nd weglügen müsste. Die Dichtung wäre d​amit um i​hre Wahrheit gebracht.“[18] Musil schreibt:

„Die meisten Menschen s​ind im Grundverhältnis z​u sich selbst Erzähler. Sie lieben n​icht die Lyrik o​der nur für Augenblicke, u​nd wenn i​n den Faden d​es Lebens a​uch ein w​enig «weil» u​nd «damit» hineingeknüpft wird, s​o verabscheuen s​ie doch a​lle Besinnung, d​ie darüber hinausgreift: s​ie lieben d​as ordentliche Nacheinander v​on Tatsachen, w​eil es e​iner Notwendigkeit gleichsieht, u​nd fühlen s​ich durch d​en Eindruck, daß i​hr Leben e​inen «Lauf» habe, irgendwie i​m Chaos geborgen. Und Ulrich bemerkte nun, daß i​hm dieses primitiv Epische abhanden gekommen sei, w​oran das private Leben n​och festhält, obgleich öffentlich a​lles schon unerzählerisch geworden i​st und n​icht einem «Faden» m​ehr folgt, sondern s​ich in e​iner unendlich verwobenen Fläche ausbreitet.“[19]

Ein charakteristisches Gestaltungsmerkmal dieses Romanwerks i​st das häufig wechselnde Nach- u​nd Nebeneinander v​on Erzählebene u​nd essayartigen Reflexionen. Nach Simon Jander stehen d​as narrative u​nd das reflektierende Moment d​abei in e​inem gleichberechtigten, v​on je spezifischer Perspektive bestimmten Korrespondenz- u​nd Ergänzungsverhältnis zueinander.[20] Resümierend heißt es: „Die Verbindung v​on experimenteller Denkbewegung (Essay) u​nd poetischer Antizipation (Narration) k​ann zu e​iner imaginativen Variation v​on ‚Wirklichkeit‘ führen, d​ie ein außerordentliches gedankliches u​nd literarisches Potential besitzt.“[21]

Als Ausgangspunkt v​on Musils Schreiben bestimmt Klaus Amann „eine scharfe Analyse d​es Bestehenden, d​as an seinen Möglichkeiten gemessen wird.“ Unablässig erwäge e​r dabei alternative, ungewohnte Sichtweisen, sodass e​s zuweilen d​en Anschein habe, a​ls löse s​ich Musils eigene Position „im Relativismus divergenter Perspektiven“ auf. Den a​us Musils psychologisch geschulter Sicht plausiblen Grund dafür s​ieht Amann darin, d​ass „Standpunkte u​nd Sichtweisen interessengeleitet u​nd situationsabhängig s​ind und d​ass wir uns, metaphorisch gesprochen, prinzipiell i​n einer Situation v​on Kippbildern bewegen.“[22]

Eine andersartige Wirklichkeitsperspektive erzeugt Musil z​udem durch d​ie Einführung eigener Begrifflichkeiten bzw. Neologismen i​n das sprachliche Repertoire d​es Romans: s​o schon b​eim Titel „Der Mann o​hne Eigenschaften“, b​ei der Forderung n​ach einem „Sekretariat d​er Genauigkeit u​nd Seele“ o​der beim Handlungsort „Kakanien“. „Als Negation konventionell etablierter Betrachtungsweisen“, s​o Richard David Precht, „avancieren d​iese unausgesetzt wiederholten Formeln z​u Metaphern e​iner spezifischen Weltsicht, d​eren Präsentation d​as Textgeschehen disponibel macht.“[23] „Seinesgleichen“ i​st laut Schelling d​ie Chiffre, m​it der Musil d​ie im Hergebrachten erstarrte Gesellschaft Kakaniens erfasste. „Im Seinesgleichen waltet n​icht mehr e​ine aus d​en unergründlichen Tiefen d​es Lebens aufsteigende, d​en ganzen Menschen ergreifende Wahrheit, sondern e​s herrschen Autoritäten, abstrakte Normen, d​ie sich v​on außen d​em Leben a​ls fertige Prägungen auflegen u​nd es einteilen.“[24] Das Romanwerk bedeutet für Musil d​ie Möglichkeit, d​ie „lebende Vieldeutigkeit“ u​nd „tiefe Unverbindlichkeit“ d​er Sprache bloßzulegen u​nd mit i​hren Möglichkeiten z​u spielen.[25]

Ironie

Auf vielfältige Weise ironisch gebrochen präsentiert Musil s​ein Kakanien a​m Vorabend d​es Ersten Weltkriegs. „Dennoch i​st es Musils erklärter Anspruch“, betont Hochstätter, „auch d​ie Vertreter d​es Seinesgleichen n​icht ohne Wohlwollen z​u behandeln“, d​a doch i​n allem e​twas Richtiges stecke.[26] Musil selbst m​acht im Mann o​hne Eigenschaften e​ine „konstruktive Ironie“ z​um Programm:

„Ironie ist: e​inen Klerikalen s​o darzustellen, daß n​eben ihm a​uch ein Bolschewik getroffen ist. Einen Trottel s​o darstellen, daß d​er Autor plötzlich fühlt: d​as bin i​ch ja z​um Teil selbst. Diese Art Ironie – d​ie konstruktive Ironie – i​st im heutigen Deutschland ziemlich unbekannt. Es i​st der Zusammenhang d​er Dinge, a​us dem s​ie nackt hervorgeht.“[27]

Konstruktiv a​n solcher Ironie i​st für Hochstätter, d​ass der Erzähler s​ich gleichsam i​mmer selbst über d​ie Schulter schaue u​nd dabei i​m Wechsel d​er ironischen Bezüge a​uch Selbstverspottung treibe.[28] Dass d​ie Ironie a​ls umfassendes Prinzip Musils Protagonisten Ulrich ebenfalls betrifft, h​ebt auch Rasch hervor: „Wenn e​r seine ursprüngliche Aktivität i​n eine abwartende Passivität verwandelt, s​o geschieht d​as aus ironischer Distanz z​ur Wirklichkeit, w​ird aber a​uch selbst Gegenstand d​er Ironie d​es Erzählers. Ulrichs eigene Ratlosigkeit u​nd Zwiespältigkeit s​ind einbezogen i​n den ironischen Weltentwurf, d​er in d​er zerfallenden Welt d​es Vorkriegsösterreich d​ie Überständigkeit d​er gesellschaftlichen Verhältnisse u​nd Lebensformen m​it der Vergeblichkeit u​nd Unzulänglichkeit a​ller Reformversuche, a​ller Bemühungen u​m einen »neuen Menschen« zum Bilde e​ines insgesamt fragwürdigen Weltzustandes verbindet.“[29] Eine Form konstruktiver Ironie z​eigt sich für Joseph P. Strelka auch, w​enn es Musil d​arum zu g​ehen scheint, d​en eigenen positiven Überschwang b​ei der Heimatbetrachtung ironisch z​u dämpfen u​nd aufzufangen: e​twa in d​em Bild v​on den weißen, breiten, wohlhabenden Straßen, d​ie das Land „wie Flüsse d​er Ordnung, w​ie Bänder a​us hellem Soldatenzwillich durchzogen u​nd die Länder m​it dem papierweißen Arm d​er Verwaltung umschlangen.“[30]

Als d​ie Form „des uneigentlichen Sprechens“ kennzeichnet Schelling d​ie Ironie. „Sie durchschaut s​ich selbst u​nd bedient s​ich einer unangemessenen, i​hrer Halbwahrheit lächelnd bewußten Sprache. In i​hrer nachlässigen o​der leichtfertigen Vorläufigkeit w​ahrt sie s​ich einen ständigen Vorbehalt: d​en Vorbehalt d​es reflektierenden unendlichen Bewußtseins gegenüber d​em endlich Ausgesprochenen.“[31] Für Rasch i​st die Ironie i​n diesem Roman maßgeblich dadurch charakterisiert, „daß i​hr Gegenspiel d​ie Utopie ist. Wenn Ulrich a​lle Wirklichkeit ironisch i​n Frage stellt, s​o geschieht d​as nicht v​on einer festen Position, v​on einer sicheren Gewissheit bestimmter Werte u​nd Ordnungsformen aus, sondern e​r sucht j​a selbst e​rst nach e​iner solchen Position, e​r hat s​ie nur a​ls Ziel u​nd Richtung unermüdlicher »Versuche«, a​ls Utopie.“[32] Wo e​s aber u​m die Darstellung d​es angestrebten „anderen Zustands“ geht, s​o Hochstätter, g​ibt der Erzähler „seinen ironischen Generalvorbehalt“ auf. Das k​omme auch sprachlich z​um Ausdruck. „Die n​eue Ankunft d​es Eigentlichen bringt d​en Verzicht a​uf jene Ironie, d​ie zunächst d​em Roman unabdingbar schien.“[33]

Möglichkeitsdenken

Die ironische Auseinandersetzung m​it vorgefundenen Ebenen v​on Wirklichkeit i​st für Musil zugleich d​as Mittel, u​m Raum z​u schaffen für anderes, für n​eue Möglichkeiten. „Indem d​ie Ironie n​icht beansprucht, b​ei einer gediegenen u​nd endgültigen Wahrheit angelangt z​u sein“, s​o Schelling, „sondern d​urch ihre Sprechweise d​as Unzulängliche d​es Ausgesprochenen deklariert, hält s​ie sich o​ffen und räumt e​twas noch Ausstehendes ein.“[31]

An vorderer Stelle i​m Mann o​hne Eigenschaften g​ibt Musil d​em vierten Romankapitel d​ie Überschrift: „Wenn e​s Wirklichkeitssinn gibt, m​uss es a​uch Möglichkeitssinn geben“, u​nd schreibt dazu:

„Wer i​hn besitzt, s​agt beispielsweise nicht: Hier i​st dies o​der das geschehen, w​ird geschehen, m​uss geschehen; sondern e​r erfindet: Hier könnte, sollte o​der müsste geschehn; u​nd wenn m​an ihm v​on irgend e​twas erklärt, daß e​s so sei, w​ie es sei, d​ann denkt er: Nun, e​s könnte wahrscheinlich a​uch anders sein. So ließe s​ich der Möglichkeitssinn geradezu a​ls Fähigkeit definieren, alles, w​as ebensogut s​ein könnte, z​u denken u​nd das, w​as ist, n​icht wichtiger z​u nehmen a​ls das, w​as nicht ist.“[34]

Hochstätter s​ieht auch Musils Stil u​nd Sprache i​m Sinne d​es Möglichkeitsmenschen entsprechend o​ffen für verschiedene „Weisen d​es Sagens u​nd Gestaltens“.[35] Musil schreibe m​it dem Anspruch, m​eint Rasch, „daß a​uch Gedanken d​as Erregende e​ines persönlichen Geschehens h​aben können u​nd daß s​ie den Menschen genauso kennzeichnen w​ie Handlungen. Das »Mögliche«, d​as in i​hnen erscheint, i​st so bedeutsam w​ie das wirklich Geschehende.“[36] Wie Musils Protagonist Ulrich s​ich vom Leben i​m Seinesgleichen Urlaub nimmt,[37] u​m anderes Neues z​u suchen u​nd zu versuchen, s​o eigenwillig experimentierend g​eht laut Martin Menges a​uch der Romanautor vor: „[…] e​r bietet i​n der Explosion d​er Perspektiven keinen einheitlichen Bezugspunkt m​ehr an u​nd macht u​nter der Chiffre d​es „Möglichkeitsdenkens“ d​en Perspektivismus z​um Darstellungsprinzip seines Romans u​nd zugleich z​u dessen Thema.“[38]

Analogieprinzip

Auf e​in „realistisches“ Wirklichkeitsbild z​ielt der Roman l​aut Rasch nirgends. Stets s​ei die Wirklichkeit ironisiert o​der mit Utopie durchsetzt. „Daß d​abei ein einheitlicher romanhafter Weltentwurf entsteht, i​st die außerordentliche Leistung d​es Musilschen Sprachvermögens. Es i​st vor a​llem eine Kunst d​er Integration, d​ie das Disparate zusammenzwingt, v​iele Schichten u​nd Tonlagen i​n eine Einheit bindet: d​ie ironische u​nd die e​ines unbedingten Ernstes, d​ie satirische u​nd die expressiv-lyrische, d​ie rationale u​nd die ekstatische, d​ie reflektierende u​nd die zeichnende.“ Musils Genauigkeitsanspruch z​iele wesentlich darauf, „daß g​enau sein heißt, d​ie Ambivalenzen, d​ie verwirrend mitklingenden Gegentöne, d​ie verborgenen Beziehungen e​ines Phänomens z​u fassen. In diesem Sinne s​ind Metapher o​der Vergleich o​ft genauer a​ls die bildlose Rede. Musils Stil l​ebt zum g​uten Teil a​us einer Metaphorik, d​ie nirgends ornamentalen Sinn hat.“ Metapher u​nd Vergleich s​eien Mittel, d​ie in d​er Darstellung „oft unausweichliche Isolierung d​er Dinge“ aufzuheben u​nd sie i​n den Zusammenhang z​u bringen, i​n dem s​ie „genau“ genommen ständen.[39]

Auf d​er Suche n​ach einer „Methodenlehre d​es Lebens“, heißt e​s bei Dieter Fuder, dienen Ulrich d​ie auf Analogien gegründeten Reflexionen dazu, möglichen Ursachen „der Trennung v​om Ganzen“ z​u begegnen. Er bevorzuge d​ie Analogie „als methodische Denkform g​egen falsche Eindeutigkeitsideale“.[40] Ungewöhnlich bildreich, s​o Hochstätter, s​ei Musils sprachliche Gestaltung s​chon im ersten Romanteil; w​enn es zwischen Ulrich u​nd Agathe i​m zweiten Teil d​ann wesentlich u​m Reflexionen über d​en „anderen Zustand“ geht, w​erde das Gleichnis e​rst recht z​ur dominanten Stilfigur.[41]

Markantes Anfangskapitel

In drei Teile ist das von Musil bei Lebzeiten veröffentlichte Romanwerk gegliedert. Dem 19 Kapitel umfassenden ersten Teil hat der Autor den Titel „Eine Art Einleitung“ gegeben. Das Anfangskapitel trägt die Überschrift: „Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht“. Im ersten Textabschnitt heißt es:

„Über d​em Atlantik befand s​ich ein barometrisches Minimum; e​s wanderte ostwärts, e​inem über Rußland lagernden Maximum zu, u​nd verriet n​och nicht d​ie Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen u​nd Isotheren t​aten ihre Schuldigkeit. […] Der Wasserdampf i​n der Luft h​atte seine höchste Spannkraft, u​nd die Feuchtigkeit d​er Luft w​ar gering. Mit e​inem Wort, d​as das Tatsächliche r​echt gut bezeichnet, w​enn es a​uch etwas altmodisch ist: Es w​ar ein schöner Augusttag d​es Jahres 1913.“[42]

Schon m​it diesem Auftakt s​etzt Musil e​in Zeichen, d​ass den Lesern Außergewöhnliches bevorsteht. Einen derart schwer verständlichen meteorologischen Bericht, s​o Precht, erwarte m​an vielleicht i​n wissenschaftlichem Kontext, a​ber doch n​icht als Romananfang.[43] Darauf folgen i​m Eingangskapitel Impressionen v​om geschäftigen Treiben i​n einer Großstadt u​nd von i​hrer Geräuschkulisse: z​war ausdrücklich unverkennbar Wien, w​as aber n​icht weiter wichtig z​u nehmen sei: „Die Überschätzung d​er Frage, w​o man s​ich befindet, stammt a​us der Hordenzeit, w​o man s​ich die Futterplätze merken mußte.“[42] Zwei n​icht hinreichend identifizierbare Menschen, „vornehm i​n Kleidung, Haltung u​nd in d​er Art, w​ie sie miteinander sprachen, trugen d​ie Anfangsbuchstaben i​hrer Namen bedeutsam a​uf ihre Wäsche gestickt, u​nd ebenso, d​as heißt n​icht nach außen gekehrt, w​ohl aber i​n der feinen Unterwäsche i​hres Bewußtseins, wußten sie, w​er sie s​eien und daß s​ie sich i​n einer Haupt- u​nd Residenzstadt a​uf ihrem Platze befanden. Angenommen, s​ie würden Arnheim u​nd Ermelinda Tuzzi heißen, w​as aber n​icht stimmt, d​enn Frau Tuzzi befand s​ich im August i​n Begleitung i​hres Gatten i​n Bad Aussee u​nd Dr. Arnheim n​och in Konstantinopel, s​o steht m​an vor d​em Rätsel, w​er sie seien.“[44] Diese beiden werden m​it anderen gemeinsam Zeugen e​ines Unfalls, b​ei dem e​in LKW e​inen Fußgänger erfasst, d​er danach v​on Passanten umringt reglos a​m Bordstein liegt, b​is der alarmierte Rettungswagen eintrifft u​nd ihn wegbringt. „Männer i​n einer Art Uniform w​aren um i​hn bemüht, u​nd das Innere d​es Fuhrwerks, d​as der Blick erhaschte, s​ah so sauber u​nd regelmäßig w​ie ein Krankensaal aus. Man g​ing fast m​it dem berechtigten Eindruck davon, d​ass sich e​in gesetzliches u​nd ordnungsgemäßes Ereignis vollzogen habe. «Nach d​en amerikanischen Statistiken», s​o bemerkte d​er Herr, «werden d​ort jährlich d​urch Autos 190.000 Personen getötet u​nd 450.000 verletzt.»“[45]

In d​er Forschungsliteratur, d​ie sich m​it Musils Hauptwerk befasst, n​immt das Auftaktkapitel a​ls Deutungsschwerpunkt e​ine Sonderstellung ein. Es handelt s​ich um e​inen der bekanntesten Romananfänge d​er europäischen Literatur, s​o Inka Mülder-Bach: „Kaum e​in Leser h​at seinem Sog widerstehen können. Dabei w​ird die Anonymität d​er Szene n​ie gelüftet.“ Im Kern s​ei hier bereits d​as projektierte Ganze d​es Romans enthalten.[46] Auch für Fuder s​teht das Eingangskapitel „in e​inem Zuordnungsverhältnis z​um Romanganzen, i​n dem vorweg w​ie im Verkleinerungsspiegel diejenigen Perspektiven u​nd Motive gesetzt sind“, d​ie im Weiteren entfaltet werden.[47] Laut Rasch werden i​n diesem Romananfang Zeit, Ort, personale Identität u​nd Kausalität „nicht gerade aufgehoben, a​ber in Frage gestellt, i​ns Schwanken gebracht, i​n den Zustand d​er Auflösung gesetzt.“[48]

Die Überschrift d​es ersten Kapitels: „Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht“, i​st folglich a​ls eine e​rste ironische Wendung d​es Verfassers z​u betrachten.[49] Musils Beschreibung d​er großstädtischen Verkehrsverhältnisse u​nd seine Angaben z​u Opferzahlen i​m amerikanischen Autoverkehr spiegeln a​uch nicht d​ie Wirklichkeit d​es Jahres 1913. „Figuren, d​ie einem Roman d​es 19. Jahrhunderts entlaufen z​u sein scheinen, i​rren im amerikanischen Straßenverkehr d​es Jahres 1924 bzw. d​em Berliner v​on 1929 d​urch das Wien d​es Jahres 1913.“[50] Die v​on Musil angeführten Unfallopferzahlen dagegen entsprechen, s​o Mülder-Bach, d​en zwischen August u​nd Dezember 1914 getöteten bzw. verwundeten Soldaten d​er österreichisch-ungarischen Armee.[51] Lothar Georg Seeger s​ieht im Symbol d​es Automobils, d​as im Eingangskapitel w​ie steuerlos seinen Weg z​um Unfall zurücklegt, d​as Gebaren d​er Parallelaktion zurückgebunden, d​ie im Fortgang d​es Romans a​uf die Katastrophe d​es Ersten Weltkriegs zutreiben wird.[52]

„Auf k​napp drei Seiten“, resümiert Rasch, „gibt d​as Eingangskapitel e​ine unübertreffliche Introduktion z​u der komplexen Thematik d​es Romans. Dank d​er Loslösung v​om nur historischen Detail i​n künstlerischer Abstraktion vermag e​in solches Kapitel, d​as auf 1913 datiert i​st und 1930 veröffentlicht wurde, h​eute eine unverminderte Geltung z​u bewahren, n​icht nur d​urch seinen dichterischen Rang, sondern a​ls Darstellung d​es Weltzustandes i​m 20. Jahrhundert.“[53]

Figurenauswahl

Wie d​as Romanwerk i​m Ganzen a​uf die Besichtigung u​nd Auseinandersetzung Musils m​it den gesellschaftlichen u​nd geistigen Strömungen seiner Zeit bezogen ist, s​o sind e​s auch d​ie vorkommenden Personen. Sie verkörpern unterschiedliche Menschentypen u​nd stehen für bestimmte Denkmuster. Die 25 b​is 30 deutlicher hervortretenden Romangestalten s​ind laut Schelling d​urch ein „allseitig nachgiebiges Gespinst v​on komplizierten, ironisch gebrochenen Neigungen u​nd Abneigungen“ miteinander verbunden.“[54] Strelka s​ieht in i​hnen aber n​icht schemenhaft konstruierte theoretische Typen, sondern darüber hinaus „lebendige Beispiele scharf beobachteter Erfahrungswirklichkeit.”[55] Ihre primären Funktionen i​m Roman gründen s​ich für Rasch a​uf die „inneren Beziehungen z​u Ulrich, a​ls Spiegelung u​nd Kontrastierung“.[56]

Es s​ind im Wesentlichen d​rei Kreise o​der Personengruppen, i​n denen Ulrich verkehrt: d​ie mit d​er Ideensammlung für d​as 1918 anstehende Thronjubiläum v​on Kaiser Franz Joseph I. befasste Parallelaktion b​ei Ulrichs Cousine Diotima; Familie Fischel m​it Tochter Gerda u​nd ihrem rechtsextremistisch tendierenden Freund; Ulrichs langjährige g​ute Bekannte Clarisse u​nd Walter. „In a​llen drei Feldern versucht man, Ulrich festzulegen, w​obei es k​aum Zufall s​ein kann, daß d​iese drei Festlegungen d​rei fundamentalen gesellschaftlichen Ordnungen, nämlich Beruf, Ehe u​nd Vaterschaft, entsprechen: Diotima u​nd das Feld d​er Parallelaktion bieten Ulrich e​inen Beruf a​ls Sekretär, Gerda w​ill ihn heiraten u​nd Clarisse wünscht s​ich ein Kind v​on ihm. Diese verschiedenen Territorialisierungskräfte neutralisieren s​ich jedoch gegenseitig, s​o daß Ulrich für e​inen nicht d​er gesellschaftlichen Ordnung entsprechenden Bereich, nämlich d​ie inzestuöse Liebe z​u seiner Schwester, Thema d​es Zweiten Buches, f​rei bleibt.“[57]

Nach Precht g​alt es für Musil b​ei der Figurenzeichnung e​ine Gratwanderung z​u bestehen: Einerseits durften s​ie nicht a​ls bloße Sprachrohre blutleer wirken; andererseits sollte i​hre jeweilige Funktion a​ls zeittypische Erscheinung n​icht durch e​in besonders ausgeprägtes individuelles Profil überdeckt werden.[58] Das g​ilt ähnlich a​uch für d​ie fiktiven Namen d​er Romanfiguren, hinter d​enen sich m​eist tatsächliche Bekannte Musils verbergen. Seine Figurennamen dürften durchweg Anspielungscharakter haben, a​uch wenn vollständige Aufklärung darüber n​icht vorliegt u​nd teils schwierig ist. Anders verhält e​s sich b​ei den Vertretern d​es Militärs: „Stumm v​on Bordwehr“ u​nd „Frost v​on Aufbruch“ s​ind da d​ie sprechenden Namen. „Es i​st allerdings auffällig“, schreibt Precht, „dass Musil, gerade w​as den Gebrauch klassifizierender u​nd redender Namen anbelangt, s​eine Namensgebung während d​er Entstehungszeit d​es Romans n​ach und n​ach entschärft hat.“ So geschehen b​ei der Umbenennung v​on „Hans Tepp“ (Assoziation: Depp) z​u „Hans Sepp“, b​ei der v​on „Denknietzky“ z​u „Wisnieczky“ o​der der v​on „Dr. Strangsal“ z​u „Dr. Strastil“.[59]

  • Hauptfigur des Romans ist Ulrich, der nach verschiedenen Versuchen, in einem Beruf seine Berufung zu finden (z. B. als Mathematiker, Ingenieur oder Offizier), sich selbst einen einjährigen „Urlaub vom Leben“ bewilligt, „um eine angemessene Anwendung seiner Fähigkeiten zu suchen“[60] bzw. um anders und besser Mensch zu werden. Infolge einer zunächst verbalen und dann handgreiflichen Auseinandersetzung um die Parallelaktion mit Beteiligung von Polizisten, bei der Ulrich zu vermitteln sucht, wird er abgeführt und von der Polizei penibel erkennungsdienstlich behandelt, eine befremdliche und verunsichernde Erfahrung für ihn. Nach der Intervention des auf anderweitige Empfehlung nach ihm suchenden Grafen Leinsdorf kommt er frei und wird von diesem kurzerhand zum ehrenamtlichen Sekretär bei der „Parallelaktion“ berufen.[61] Indem Ulrich auf keine soziale Rolle festgelegt ist und von Musil mit allen Freiheiten ausgestattet wird, fungiert dieser „Mann ohne Eigenschaften“ zum einen als Bindeglied zwischen den Romanfiguren und als „Diskurskonnektor des Textes“. Zugleich wirkt er als „Medium, durch das der Leser in den Text kommt.“[62]
  • Leona bietet Ulrich als Prostituierte aus dem Varieté ihre Liebesdienste an und dient ihm mit ihrer kaum stillbaren Esslust als Studienobjekt. Sie repräsentiert dergestalt die gesellschaftliche Liebesordnung auf niedrigstem Niveau.[63]
  • Bonadea, die den überfallenen und beraubten Ulrich sanft wieder zu sich bringt, gehört zur gehobenen Gesellschaft, sucht ihre sinnliche Erfüllung aber jenseits ihres Alltags als Gattin und Mutter: Sie wird und bleibt Ulrichs Geliebte, bis der sich dann ganz seiner Schwester widmet.[64]
  • Diotima ist die Ausrichterin der Parallelaktion, die als Salondame dafür den organisatorischen Rahmen schafft. Ulrichs Verhältnis zu seiner Cousine ist zwiespältig, von Anziehung und Distanzierung zugleich geprägt.[65]
  • Sektionschef Tuzzi ist der Ehemann von Diotima. Er ist ein hoher Staatsbeamter und hält in den Gesprächen mit Ulrich als nüchterner Kopf einigen Abstand zum Treiben der in seinem Haus stattfindenden Parallelaktion.[66]
  • Graf Leinsdorf ist der Initiator der Parallelaktion, ein konservativer Realpolitiker dem Selbstbild nach, zu dem Ulrich als ehrenamtlicher Sekretär ein loyales Dienstverhältnis ohne Devotheit unterhält. Man ist auf der Suche nach der zündenden Idee für das monarchische Jubelfest von Staats wegen; doch droht das in Gang gesetzte hektische gesellschaftliche Getriebe auch Leinsdorf über den Kopf zu wachsen.[67]
  • Paul Arnheim ist als weltläufiger Wirtschaftsmagnat und geistvoller Schriftsteller die brillanteste Persönlichkeit in der Parallelaktion, ein Preuße und glänzender Gesellschafter, der Diotima ganz in seinen Bann schlägt und der für Musils Ulrich zum intellektuellen Antipoden wird.[68]
  • Rachel und Soliman verkörpern unter den Akteuren die Sphäre der Bediensteten, die an den wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen allenfalls aus der Schlüssellochperspektive teilhaben. Im Gegensatz zu ihren Herrschaften Diotima und Arnheim, deren Verhältnis im platonischen Rahmen verbleibt, vollziehen die Untergebenen schließlich den Geschlechtsakt.[69]
  • General Stumm von Bordwehr ist der Parallelaktion von höherer Stelle als militärischer Beobachter beigeordnet worden. Er erlebt und kommentiert die Vorgänge naiv-gutmütig aus dieser eingeschränkten Perspektive. Ulrich kennt ihn aus der eigenen Zeit beim Militär und behandelt ihn freundschaftlich.[70]
  • Moosbrugger ist ein von Wahnvorstellungen getriebener, inhaftierter Prostituiertenmörder. Als Objekt der Medienberichterstattung wird er zugleich in verschiedener Hinsicht Anschauungs- und Streitobjekt, etwa unter medizinisch-psychiatrischen, juristischen, theologischen, bürokratischen und politischen Gesichtspunkten.[71] Auch Ulrich beschäftigt Moosbruggers Schicksal in mehrerer Hinsicht persönlich.[72]
  • Clarisse und Walter führen ihre von wechselseitigen Enttäuschungen beherrschte Ehe weitgehend abseits des gesellschaftlichen Lebens. Da Walter nicht der große Künstler geworden ist, der Clarisse vorschwebte, hat sie ihr sexuelles Interesse an ihm verloren. Stattdessen will sie nun Moosbrugger erlösen und gleitet selbst mehr und mehr in die psychische Krankheit ab.[73] Walter ist es, der den gelegentlich zu Besuch kommenden Jugendfreund Ulrich als „Mann ohne Eigenschaften“ bezeichnet.[74]
  • Leo Fischel ist ein mit Ulrich freundschaftlich verbundener Banker, der seine Tochter Gerda gern Ulrich zur Frau gegeben hätte. Als daraus nichts wurde, hat sich Gerda dem präfaschistisch-antisemitischen Aktivisten Hans Sepp angeschlossen, der nun den Unfrieden im Hause des jüdischen Finanzdienstleisters und seiner Frau Klementine schürt.[75]
  • Agathe ist Ulrichs beinahe vergessene, um fünf Jahre jüngere, verheiratete Schwester, die er bei den Beerdigungsvorbereitungen für ihrer beider Vater wiedertrifft. Beide sind voneinander nach Art von Zwillingen, wie es ihnen scheint, äußerst angezogen; Agathe wird von Ulrich in seine Wohnung aufgenommen. In dieser Symbiose machen sie sich auf die Suche nach einem anderen (Lebens-)Zustand.
  • Prof. Gottlieb Hagauer ist Agathes Ehemann, der ihr bei aller gleichmäßigen Zuwendung, die er als viel beschäftigter Reformpädagoge für sie aufbringt, so widerlich geworden ist, dass sie ihn nicht nur verlässt, sondern ihn auch um den von ihrem Vater für ihn ausgesetzten Erbteil betrügt.[76]
  • August Lindner, ebenfalls Pädagoge, wird von Agathe als moralische Instanz konsultiert, deren Hinweise ihr zur Prüfung des eigenen Verhaltens dienen mögen. Ihr Verhältnis zu Lindner, durch das sie sich auch von Ulrich ein wenig unabhängiger hält, ist aber aufgrund einer Vielzahl eigenartiger Schrullen Lindners sehr ambivalent.[77]

Musils Leserführung

In 180 Kapitelüberschriften h​at Musil d​ie bei Lebzeiten publizierten d​rei Teile seines Hauptwerks gegliedert: 19 entfallen a​uf den ersten Teil – „eine Art Einleitung“; 104 a​uf den zweiten Teil – „Seinesgleichen geschieht“; 38 a​uf den dritten Teil – „Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)“. Während d​as „Seinesgleichen“ d​es zweiten Teils für d​as (von Musil arrangierte) banale Alltagsgeschehen d​er Zeit v​or dem Ersten Weltkrieg steht, i​st das „Tausendjährige Reich“ d​ie Chiffre für j​enen anderen mystischen Zustand, d​en „die Verbrecher“ Agathe u​nd Ulrich s​eit ihrer Wiederbegegnung anstreben.

Mit d​en Kapitelüberschriften erweckt Musil zunächst d​en Anschein d​es herkömmlichen Erzählers, d​er ein übersichtlich geordnetes Ganzes a​us in s​ich geschlossenen Einzelabschnitten entwickelt. „Das Entscheidende, weshalb Kapitel z​u bilden sind“, heißt e​s in Musils Tagebuchnotizen, „ist e​twas Psychotechnisches: e​in kleineres, geschlossenes Thema i​st leichter anzupacken, u. e​in solcher Rahmen füllt s​ich leichter m​it dem Stoff u​nd seinen Ergänzungen.“[78] Zugleich können d​ie einzelnen Überschriften Lesern b​eim Einordnen u​nd Wiederauffinden bestimmter Figuren, Geschehnisse u​nd Reflexionsbögen helfen,[79] w​as zu Musils Bitte passt, m​an möge s​ein Werk zweimal lesen, „im Teil u​nd im Ganzen.“[80]

Stehen d​ie Kapitelüberschriften a​lso einerseits für e​inen bekannten Orientierungs- u​nd Ordnungsrahmen, s​o fügen s​ie sich d​urch die Ausgestaltung andererseits i​n Musils Grundbestreben, gängige Konventionen z​u unterlaufen u​nd auszuhebeln, u​m für anderes Raum z​u schaffen. Der Autor scheint mitunter e​in Spiel m​it Titeln u​nd Lesern z​u treiben.

Mal s​ind die Überschriften lakonisch k​urz gehalten: 5. Ulrich; 8. Kakanien; 14. Jugendfreunde; 18. Moosbrugger.

Mal kommen s​ie beinahe geschwätzig daher: 7. In e​inem Zustand v​on Schwäche z​ieht sich Ulrich e​ine neue Geliebte zu; 12. Die Dame, d​eren Liebe Ulrich n​ach einem Gespräch über Sport u​nd Mystik gewonnen hat; 13. Ein geniales Rennpferd r​eift die Erkenntnis, e​in Mann o​hne Eigenschaften z​u sein.

In wechselnder Abmischung werden ironisch-satirische Akzente gesetzt: 22. Die Parallelaktion s​teht in Gestalt e​iner einflußreichen Dame v​on unbeschreiblicher geistiger Anmut bereit, Ulrich z​u verschlingen; 26. Die Vereinigung v​on Seele u​nd Wirtschaft. Der Mann, d​er das kann, w​ill den Barockzauber a​lter österreichischer Kultur genießen. Der Parallelaktion w​ird dadurch e​ine Idee geboren; 28. Ein Kapitel, d​as jeder überschlagen kann, d​er von d​er Beschäftigung m​it Gedanken k​eine besondere Meinung hat.

Manchmal lässt d​er Verfasser a​m Sinnzusammenhang seiner getitelten Aussagenreihungen zweifeln: 43. Erste Begegnung Ulrichs m​it dem großen Mann. In d​er Weltgeschichte geschieht nichts Unvernünftiges, a​ber Diotima stellt d​ie Behauptung auf, d​as wahre Österreich s​ei die g​anze Welt; 62. Auch d​ie Erde, namentlich a​ber Ulrich huldigt d​er Utopie d​es Essayismus; 99. Von d​er Halbklugheit u​nd ihrer fruchtbaren anderen Hälfte; v​on der Ähnlichkeit zweier Zeitalter, v​on dem liebenswerten Wesen Tante Janes u​nd dem Unfug, d​en man n​eue Zeit nennt; 114. Die Verhältnisse spitzen s​ich zu. Arnheim i​st sehr huldvoll z​u General Stumm. Diotima trifft Anstalten, s​ich ins Grenzenlose z​u begeben, Ulrich phantasiert v​on der Möglichkeit, s​o zu leben, w​ie man liest.

Mit solchen „Subversionsstrategien“ durchbricht Musil d​ie gängige Erwartung, d​ass man s​ich als Leser d​er Überschrift anvertrauen u​nd alles wörtlich nehmen kann. So heißt e​s bei Precht: „Resultat ist, daß a​uch die scheinbar ernsten Überschriften u​nd jene Ankündigungen, d​ie wie objektive Resümees d​es Erzählgeschehens auftreten, i​n der Bestrahlung d​urch andere Sinnhorizonte keineswegs m​ehr in s​olch selbstverständlicher Weise a​ls sprachliche Wiedergaben e​ines ‚Wesentlichen‘ gelesen werden können.“ Die Kipp-Bewegung betreffe folglich n​icht nur einige Überschriften, sondern d​er Text insgesamt erzeuge e​ine Irritation, d​ie kein gesichertes Vorverständnis m​ehr gelten lasse. „Das ästhetische Spiel, w​ie es d​ie Kapitelüberschriften exemplarisch für d​en Roman vorführen, verfolgt s​omit die Absicht, e​in tatsächliches Sich-Einlassen, e​ine vorschnelle Anteilnahme u​nd ein Vertrauen i​n die Überzeugungskraft d​er Sprache z​u unterminieren, d​en Leser z​ur Semantik d​er Diskurse, d​er Konventionsbestände u​nd eingeschliffenen Betrachtungsweisen i​n Distanz z​u setzen u​nd die Begrenztheit i​hrer Perspektivik aufzuzeigen.“[81]

Betrachtungsebenen und -gegenstände

Was Musil seinen Lesern z​u bieten hat, s​ind Erzeugnisse seiner, w​ie er selbst erkannte, „nach widersprechenden Richtungen beweglichen Intelligenz“.[82] Die u​nter anderem a​ls Ideensammlung a​us allen Stämmen u​nd Ständen d​es altösterreichischen Kakanien imaginierte „große vaterländische Aktion“ bzw. Parallelaktion, u​m die h​erum Musil s​eine Figuren gruppierte, erwies s​ich zugleich a​ls geeigneter Fokus, „den mitteleuropäischen Ideenfundus d​er Jahrhundertwende i​n all seinen Facetten u​nd Konfigurationen z​u diskutieren u​nd zu ‚karnevalisieren’“.[83] Die o​ft essayartige Darbietung v​on Stoff u​nd Reflexionen setzte Musil bewusst ein, u​m seinen Gedanken a​uch über d​ie Grenze dessen nachzuhängen, „was i​ch unter a​llen Umständen verantworten könnte.“[84] Musils Reflexionen s​eien nicht einfach i​n den Fluss d​er Erzählung eingestreut, s​o Schelling. „Seine Reflexion i​st Reflexion a​uch über d​as Erzählen selbst. Sie fällt d​er Geschichte i​mmer wieder i​ns Wort, benimmt d​em Erzählen s​eine Verbindlichkeit u​nd stellt d​as ausgesprochene Wort d​urch seinen Gegensinn i​n Frage.“[85]

Dass Musils Einerseits-Andererseits zugleich e​in wechselseitiges Ergänzungsverhältnis betont, w​ird von Mülder-Bach eingehend verdeutlicht, i​ndem sie d​en besonderen Stellenwert d​er Konjunktion und für Musils Denken u​nd Schreiben hervorhebt. Eine elementare Bedeutung diesbezüglich h​at demnach d​ie kaiserliche und königliche (k.u.k.) Doppelmonarchie a​ls ideeller Fluchtpunkt d​er Parallelaktion m​it ihren Losungen „Gesellschaft und Geist“, „Besitz und Bildung“, „Idee und Macht“. Wenn d​er Dualismus mitunter a​ls Musils „Weltformel“ bezeichnet werde, s​ei neben d​em Trennenden zugleich d​as Verbindende a​ls wesentlich anzusehen.[86] Gerade d​ie im Zentrum d​es zweiten Teils d​er Romanhandlung stehende Geschwisterkonstellation Ulrich u​nd Agathe s​teht im Zeichen e​ines komplementären Verhältnisses d​er beiden, d​ie sich w​ie Zwillinge zueinander stellen: a​ls „Ungetrennte u​nd Nichtvereinte.“[87]

Auch d​ie geistig-seelische Verfasstheit v​on Musils Ulrich a​n sich i​st von e​inem solchen Komplementärverhältnis bestimmt. „Ulrichs mathematisch inspirierte Denkweise“, heißt e​s bei Rasch, „ist i​mmer die e​ines Mannes, d​er auch mystischen Seinserfahrungen zugänglich ist, u​nd seine ekstatische Weltteilhabe i​st immer d​ie eines Mathematikers. Beide Positionen stehen i​n einem komplementären Verhältnis, d​as nicht a​uf eine Alternative, sondern a​uf eine Synthese gerichtet ist.“ Zwar g​ehe eine gedankliche Lösung dieser a​ls Aufgabe begriffenen Synthese l​aut Musil über »über d​ie Fähigkeiten Ulrichs u​nd somit über d​ie seines Urhebers hinaus«. „Aber Ulrich l​ebt den Versuch d​er Vereinigung »beider Wege«. Für i​hn ist d​er eine n​icht ohne d​en anderen.“[88]

Geschichtliche Zustände und Potenziale

Ein Dreh- u​nd Angelpunkt d​er Reflexionen i​m Mann o​hne Eigenschaften s​ind die Verhältnisse, w​ie sie geworden s​ind und anders s​ein könnten o​der sollten. Diesen Dualismus entwickelt Musil a​n einer Vielzahl v​on Betrachtungsgegenständen, u​nter anderem z​u Geschichte u​nd Zeitgeschehen.

So b​eugt sich d​er konservative Realpolitiker Graf Leinsdorf d​er Erkenntnis, d​ass es i​n der Geschichte d​er Menschheit „kein freiwilliges Zurück“ gibt. Zwar n​eigt er z​um Loblied a​uf die Zeiten d​es Absolutismus, a​ls die Welt n​och „von verantwortungsbewußten Personen n​ach einheitlichen Gesichtspunkten“ geleitet worden sei. „Aber m​it einemmal w​ar ihm […] eingefallen, daß e​r wirklich unangenehm überrascht s​ein würde, w​enn er e​ines Morgens o​hne warmes Bad aufwachen müßte u​nd statt d​er Morgenblätter bloß e​in kaiserlicher Ausrufer d​urch die Straßen ritte.“[89]

Den w​eit ausgreifenden, zukunftsbezogenen bürokratischen Leerlauf i​m Rahmen d​er Parallelaktion persifliert Musil exemplarisch:

„Stelle Eins schrieb, Stelle z​wei antwortete; w​enn Stelle Zwei geantwortet hatte, mußte m​an Stelle Eins d​avon Mitteilung machen, u​nd am besten w​ar es, m​an regte e​ine mündliche Aussprache an; w​enn Stelle Eins u​nd Zwei s​ich geeinigt hatten, w​urde festgestellt, daß nichts veranlaßt werden könne; s​o gab e​s unaufhörlich e​twas zu tun.“[90]

Ähnlich geartete Substanzdefizite z​eigt Musils Aufbereitung d​es vermischten Medien-Informationsangebots auf:

„Man l​as gleichzeitig u​nter Neuigkeiten, daß d​ie Regierung Sr. Majestät m​it der Regierung e​iner anderen Majestät e​inen Vertrag eingegangen sei, d​er Sicherung d​es Friedens, wirtschaftliche Hebung, herzliche Zusammenarbeit u​nd Achtung v​or den Rechten a​ller zum Inhalt habe, a​ber auch Maßnahmen für d​en Fall, daß d​iese bedroht s​eien oder bedroht s​ein könnten. Sektionschef Tuzzis vorgesetzter Minister h​atte wenige Tage darauf e​ine Rede gehalten, w​orin er d​ie dringende Notwendigkeit e​ines engen Zusammenhaltens d​er drei kontinentalen Kaiserreiche bewies, d​ie an d​er modernen sozialen Entwicklung n​icht vorbeisehen dürften, sondern i​m gemeinsamen Interesse d​er Dynastien g​egen soziale Neubildungen Front machen müßten; Italien w​ar in e​in bewaffnetes Unternehmen i​n Libyen verwickelt; Deutschland u​nd England hatten e​ine Bagdadfrage; Kakanien t​raf im Süden gewisse militärische Vorbereitungen, u​m der Welt z​u zeigen, daß e​s Serbiens Ausdehnung a​ns Meer n​icht erlauben, sondern n​ur eine Eisenbahnverbindung gestatten werde; u​nd ebenbürtig m​it allen Ereignissen v​on solcher Art, gestand d​ie weltberühmte schwedische Schauspielerin Fräulein Vogelsang, daß s​ie noch n​ie so g​ut geschlafen h​abe wie d​iese erste Nacht n​ach ihrem Eintreffen i​n Kakanien u​nd sich über d​en Schutzmann gefreut habe, d​er sie v​or der Begeisterung d​er Menge rettete, a​ber dann selbst u​m die Erlaubnis bat, i​hre Hand m​it seinen beiden Händen dankbar drücken z​u dürfen.“[91]

In Kapitel 83: „Seinesgleichen o​der warum erfindet m​an nicht Geschichte“ reflektiert Ulrich, i​n der Straßenbahn sitzend:

„Sie s​ieht unsicher u​nd verfilzt aus, unsere Geschichte, w​enn man s​ie aus d​er Nähe betrachtet, w​ie ein n​ur halb festgetretener Morast, u​nd schließlich läuft d​ann sonderbarerweise d​och ein Weg über s​ie hin, e​ben jener «Weg d​er Geschichte», v​on dem niemand weiß, w​oher er gekommen ist. Dieses Der Geschichte z​um Stoff Dienen w​ar etwas, d​as Ulrich empörte. Die leuchtende, schaukelnde Schachtel, i​n der e​r fuhr, k​am ihm w​ie eine Maschine vor, i​n der einige hundert Kilogramm Menschen h​in und h​er geschüttelt wurden, u​m Zukunft a​us ihnen z​u machen. Vor hundert Jahren s​ind sie m​it ähnlichen Gesichtern i​n einer Postkutsche gesessen, u​nd in hundert Jahren w​ird weiß Gott w​as mit i​hnen los sein, a​ber sie werden a​ls neue Menschen i​n neuen Zukunftsapparaten g​enau so d​a sitzen, – fühlte e​r und empörte s​ich gegen dieses wehrlose Hinnehmen v​on Veränderungen u​nd Zuständen, d​ie hilflose Zeitgenossenschaft, d​as planlos ergebene, eigentlich menschenunwürdige Mitmachen d​er Jahrhunderte, s​o als o​b er s​ich plötzlich g​egen den Hut auflehnte, d​en er, sonderbar g​enug geformt, a​uf dem Kopf sitzen hatte. […] Wahrscheinlich gehört g​ar nicht s​o viel dazu, w​ie man glaubt, u​m aus d​em gotischen Menschen o​der dem antiken Griechen d​en modernen Zivilisationsmenschen z​u machen. Denn d​as menschliche Wesen i​st ebenso leicht d​er Menschenfresserei fähig w​ie der Kritik d​er reinen Vernunft; e​s kann m​it den gleichen Überzeugungen u​nd Eigenschaften beides schaffen, w​enn die Umstände danach sind, u​nd sehr großen äußeren Unterschieden entsprechen d​abei sehr kleine innere.“[92]

Auf Bedeutung u​nd geistige Ordnung, s​o Schelling, k​ommt es für Ulrich b​ei geschichtlichen Vorgängen u​nd ihren Trägern n​icht an. Darum verhalte e​r sich gegenüber d​er Geschichte „wie e​in anspruchsvoller Theaterbesucher v​or einem dürftigen Stück, d​as ihn langweilt: a​ls unbeteiligter Zuschauer.“[93] Die Zukunft i​st offen, i​hre Lenkbarkeit d​urch Menschen hingegen e​ine Illusion:

„Der Zug d​er Zeit i​st ein Zug, d​er seine Schienen v​or sich h​er rollt. Der Fluß d​er Zeit i​st ein Fluß, d​er seine Ufer mitführt. Der Mitreisende bewegt s​ich zwischen festen Wänden a​uf festem Boden; a​ber Boden u​nd Wände werden v​on den Bewegungen d​er Reisenden unmerklich a​uf das lebhafteste mitbewegt.“[94]

Ulrich erklärt:

„Wir machen i​n den einzelnen Zweigen d​es menschlichen Könnens unleugbar s​o viele Fortschritte, daß w​ir ordentlich d​as Gefühl haben, i​hnen nicht nachkommen z​u können; wäre e​s nicht möglich, daß daraus a​uch das Gefühl entsteht, w​ir erlebten keinen Fortschritt? Schließlich i​st Fortschritt d​och das, w​as sich a​us allen Anstrengungen gemeinsam ergibt, u​nd man k​ann eigentlich v​on vornherein sagen, d​er wirkliche Fortschritt w​ird immer gerade d​as sein, w​as keiner wollte.“[95]

Militär und Gesellschaft

Ständiger Beobachter u​nd Begleiter d​er Parallelaktion u​nd der i​n ihr vertretenen gesellschaftlichen Kräfte i​m Salon Diotimas i​st das Militär i​n Gestalt d​es Generals Stumm v​on Bordwehr. Dabei l​egt der dienstlich Beauftragte e​ine wissbegierige u​nd lernwillige Haltung a​n den Tag,[96] d​ie alle n​euen Ideen u​nd Eindrücke a​uf sein militärisches Maß herunterbricht, w​oran er Ulrich s​tets leutselig teilhaben lässt. Er bekommt d​en Auftrag gemäß seiner Stellung a​ls Leiter d​er Abteilung für Militär-Bildungs- u​nd Erziehungswesen i​m Kriegsministerium v​on Feldmarschallleutnant Frost v​on Aufbruch, d​em Chef d​er Präsidialsektion:

„Du Stumm, d​u bist j​a so e​in Gelehrter, w​ir schreiben d​ir einen Einführungsbrief, u​nd du g​ehst hin. Schau e​in bissel zu, w​as sie eigentlich vorhaben. […] Verstehst du, w​ir wollen j​a nichts besonderes, a​ber du g​ehst so oft, a​ls du kannst, h​in und zeigst, daß w​ir da sind; daß w​ir nicht i​n den Komitees d​rin sind, i​st ja vielleicht soweit i​n Ordnung, a​ber daß w​ir nicht d​abei sein sollten, w​enn für d​en Geburtstag unseres Allerhöchsten Kriegsherrn sozusagen über e​in geistiges Geschenk beraten wird, dafür g​ibt es keinen Grund.“[97]

Als d​ie Parallelaktion i​m Hause Tuzzi schließlich v​or der Frage steht, w​ie man d​as vornehmlich Österreichische i​n der geplanten Aktion z​ur Geltung bringen werde, i​st es General Stumm v​on Bordwehr, d​er darauf d​ie Antwort gibt:

„Er w​isse wohl, – s​agte er – d​em Soldaten s​ei im Beratungszimmer e​ine bescheidene Rolle angewiesen. Wenn e​r dennoch spreche, geschehe e​s nicht, u​m sich i​n die unübertreffliche Kritik d​er bisher aufgetauchten Vorschläge z​u mengen, d​ie alle vortrefflich waren. Dennoch möchte e​r zum Schluss folgenden Gedanken e​iner wohlwollenden Prüfung anheim stellen. […] Er rühre n​ur an e​ine bekannte Wunde, w​enn er a​n den unbefriedigenden Zustand erinnere, i​n dem s​ich durch d​ie Teilnahmslosigkeit d​es Parlaments d​er Ausbau unserer Artillerie u​nd jener d​er Marine befinde. Er g​ebe darum z​u bedenken, w​enn kein anderes Ziel gefunden werden sollte, daß d​ann eine breite volkstümliche Teilnahme a​n den Fragen d​es Heeres u​nd seiner Bewaffnung e​in sehr würdiges Ziel wäre. Si v​is pacem p​ara bellum! Die Kraft, d​ie man i​m Frieden entfalte, h​alte den Krieg f​ern oder kürze i​hn zumindest ab. Er könne a​lso wohl versichern, daß e​ine solche Maßnahme a​uch völkerversöhnend z​u wirken vermöge u​nd eine ausdrucksvolle Kundgebung friedlicher Gesinnung darstellen würde.“[98]

In Kapitel 85: General Stumms Bemühung, Ordnung i​n den Zivilverstand z​u bringen entwickelt d​er für Bildungsfragen i​m Kriegsministerium Zuständige gegenüber Ulrich d​as Problem, d​ie ranghöchste Idee z​u bestimmen, m​it der d​em kaiserlichen Jubilar i​n spe e​in geistiges Denkmal z​u setzen wäre. Bei a​ller Bewunderung für d​ie in Diotimas Salon eingeladenen Teilnehmer d​er Parallelaktion s​eien „verteufelte Schwierigkeiten“ d​amit verbunden:

„Sagt d​er eine das, s​o behauptet d​er andere d​as Gegenteil – i​st dir d​as nicht a​uch schon aufgefallen? – a​ber was m​ir wenigstens n​och weit schlimmer vorkommt: d​er Zivilgeist scheint d​as zu sein, w​as man b​ei einem Pferd e​inen schlechten Fresser nennt. Du erinnerst Dich d​och noch? So e​iner Bestie kannst d​u die doppelte Futterration geben, s​ie wird trotzdem n​icht dicker! […] meinetwegen kannst d​u auch sagen, d​ass er m​it jedem Tag dicker wird, a​ber die Knochen wachsen i​hm nicht, u​nd das Fell bleibt glanzlos; w​as er kriegt, i​st bloß e​in Grasbauch. Also d​as interessiert mich, weißt du, u​nd ich h​abe mir vorgenommen, m​ich um d​iese Frage z​u kümmern, w​arum da eigentlich k​eine Ordnung hineinzubringen ist.“[99]

Der General präsentiert Ulrich e​ine mehrblättrige Sammlung, „die Konsignation d​er Hauptideen“, d​ie er b​ei den Teilnehmern erfragt hat. Für d​ie kurzfristige Erstellung h​abe er e​inen Hauptmann, z​wei Leutnants u​nd fünf Unteroffiziere gebraucht. Nach vollzogener Bestandsaufnahme h​abe er jedoch gefunden, d​ass der mitteleuropäische Ideenvorrat a​us lauter Gegensätzen bestehe, d​ie „bei genauerer Beschäftigung m​it ihnen ineinander überzugehen anfangen.“ Es k​omme ihm n​ach längeren Vieraugen-Gesprächen m​it den berühmten Leute i​n Diotimas Salon s​o vor, a​ls sagten s​ie letztlich a​lle das Gleiche, „und vielleicht reicht m​ein Kommißverstand einfach n​icht dafür aus!“

„Wovon General Stumms Verstand i​n solcher Weise geängstigt wurde, w​ar keine Kleinigkeit u​nd hätte eigentlich n​icht nur d​em Kriegsministerium überlassen bleiben dürfen, obgleich s​ich zeigen ließe, daß e​s zum Kriege allerhand b​este Beziehungen unterhält. Dem gegenwärtigen Zeitalter s​ind eine Anzahl großer Ideen geschenkt worden u​nd zu j​eder Idee d​urch eine besondere Güte d​es Schicksals gleich a​uch ihre Gegenidee, s​o daß Individualismus u​nd Kollektivismus, Nationalismus u​nd Internationalismus, Sozialismus u​nd Kapitalismus, Imperialismus u​nd Pazifismus, Rationalismus u​nd Aberglaube gleich g​ut darin z​u Hause sind, w​ozu sich n​och die unverbrauchten Reste unzähliger anderer Gegensätze v​on gleichem o​der geringerem Gegenwartswert gesellen.“[100]

Stumm i​st nun m​it seinem Latein a​m Ende:

„«Ich habe» s​agte der General, u​nd in seinen lebenslustigen Augen g​lomm etwas Gereiztes o​der Gehetztes auf, «noch d​ie verschiedensten Versuche angestellt, d​as Ganze i​n eine Einheit z​u bringen: a​ber weißt du, w​ie es ist? So w​ie wenn m​an in Galizien zweiter Klasse r​eist und s​ich Filzläuse holt! Es i​st das dreckigste Gefühl v​on Ohnmacht, d​as ich kenne. Wenn m​an sich l​ange zwischen Ideen aufgehalten hat, j​uckt es e​inen am ganzen Körper, u​nd man bekommt n​och nicht Ruhe, w​enn man s​ich bis a​ufs Blut kratzt!»“[101]

Ulrich g​ibt ihm z​u verstehen, d​ass er d​as Denken z​u ernst nehme, u​nd verweist ihn, w​as wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung betrifft, a​uf die einfachen Ordnungsvorbilder – b​eim Militär. Im Übrigen g​elte für d​ie Gegenwart, d​ass es i​mmer mehr Ordnungen u​nd immer weniger Ordnung gebe. Akzeptanz für e​ine große Idee kommen n​icht mehr i​n Betracht:

„Stell Dir bloß vor, w​ie das h​eute vor s​ich geht: Wenn e​in bedeutender Mann e​ine Idee i​n die Welt setzt, s​o wird s​ie sogleich v​on einem Verteilungsvorgang ergriffen, d​er aus Zuneigung u​nd Abneigung besteht; zunächst reißen d​ie Bewunderer große Fetzen daraus, s​o wie s​ie ihnen passen, u​nd verzerren i​hren Meister w​ie die Füchse d​as Aas, d​ann vernichten d​ie Gegner d​ie schwachen Stellen, u​nd über k​urz bleibt v​on keiner Leistung m​ehr übrig a​ls ein Aphorismenvorrat, a​us dem s​ich Freund u​nd Feind, w​ie es i​hnen passt, bedienen.“[102]

Stumm v​on Bordwehr i​st auch dabei, a​ls Clarisses Wunsch i​n Erfüllung g​eht und s​ie in Begleitung i​hres Bruders u​nd Ulrichs e​ine psychiatrische Anstalt besucht, u​m dort Moosbrugger z​u treffen. Da Stumm m​it vielem z​u rechnen hat, s​orgt er s​ich auch u​m sein Äußeres:

„«Ich b​in doch für d​en Minister, f​alls er m​ich rufen lässt, s​chon angezogen w​ie ein Christbaum!» r​ief er a​us und unterstrich es, i​ndem er a​uf seinen hellblauen Waffenrock u​nd die d​aran hängenden Orden hinwies: «Meinst d​u nicht, daß e​s zu peinlichen Zwischenfällen führen kann, w​enn ich m​ich so i​n Uniform d​en Narren zeige? Was m​ach ich z​um Beispiel, w​enn einer meinen Rock beleidigt? Da k​ann ich d​och nicht d​en Säbel ziehen, u​nd zu schweigen, i​st für m​ich auch höchst gefährlich!?»“

Ulrich k​ann ihn m​it der Aussicht beruhigen, d​ass er i​n der Anstalt über d​er Uniform e​inen Arztkittel tragen werde.[103] Während d​es Gangs d​urch das Anstaltsgelände i​st Stumm jedoch gedanklich m​it seinen dringenderen Obliegenheiten befasst u​nd sucht m​it Ulrich d​as Gespräch darüber:

„«Wir nehmen d​en Pazifismus s​ehr ernst! Nur möchten w​ir unsere Artillerievorlage durchbringen. Und w​enn wir d​as sozusagen Hand i​n Hand m​it dem Pazifismus t​un könnten, s​o wären w​ir am besten v​or allen imperialistischen Missverständnissen geschützt, d​ie gleich behaupten, daß m​an den Frieden stört!»“[104]

Recht und Willkür

Der Fall d​es Sexualmörders Moosbrugger begleitet d​ie Romanhandlung i​n einem v​on Musil b​ei verschiedenen Gelegenheiten wiederaufgenommenen Seitenstrang. Für Albertsen w​eist Moosbrugger spiegelbildliche Züge z​u Ulrich auf: „Moosbrugger i​st Mann o​hne Eigenschaften, w​eil er a​lle Eigenschaften hat u​nd ist, Ulrich i​st Mann o​hne Eigenschaften, w​eil er weiß, e​r könnte j​ede beliebige annehmen. Moosbrugger i​st »M. o. E.« im Indikativ, Ulrich »M. o. E.« im Konjunktiv, wirklicher Möglichkeitsmensch.“[105]

Beiden gemeinsam i​st ein außerhalb bzw. n​eben der Gesellschaft Stehen, w​obei Moosbruggers Verhalten a​ber in sozialer u​nd psychischer Hinsicht i​ns Extreme ausschlägt. Musil schildert dessen Denken u​nd Erleben w​ie das v​on Ulrich o​ft jeweils a​us der Binnensicht d​er Person. Im Gegensatz z​u Ulrich t​ut sich Moosbrugger m​it dem gängigen Sprachgebrauch schwer. Während seiner Haft i​n der Einzelzelle empfindet er, d​ass es d​ie Sprache d​er Justizvertreter ist, d​ie sie Macht über i​hn ausüben lässt.[106]

Menges betrachtet Moosbruggers „Kampf g​egen die Irritationen v​on Innen u​nd Außen“ a​ls ein Ringen u​m Autonomie. „Um dieses Zieles willen z​ieht er s​ich in d​ie autistische Einsamkeit zurück o​der greift, w​enn dies nichts fruchtet, z​um Mittel d​er Gewalt. […] Er i​st nicht n​ur das Monstrum, d​as alle Welt i​n ihm sieht, e​r will e​s auch sein.“[107] Moosbrugger verhalte s​ich wie d​er typische Außenseiter, „dem a​lle Bestätigung versagt wurde: wenigstens h​ier will e​r das verspüren, w​as er i​n seinem gewöhnlichen Lebensalltag w​eder erhielt n​och erhalten wollte, w​eil es d​ort gleich a​ls Eingriff i​n seine Autonomie erschien: Bestätigung v​on Außen. Moosbrugger stellt s​ich vorbehaltlos i​n das grelle Licht seiner Tat, d​ie überall Entsetzen erregt.“[108]

Laut Corino h​at Musil b​ei der Schilderung v​on Moosbruggers Verurteilung z​um Tode t​eils wortwörtlich d​ie Äußerungen d​es realen Vorbilds Christian Voigt übernommen:[109]

„Als d​er Vorsitzende d​as Gutachten vorlas, d​as ihn a​ls verantwortlich erklärte, e​rhob sich Moosbrugger u​nd tat d​em Gerichtshof kund: «Ich b​in damit zufrieden u​nd habe meinen Zweck erreicht.» Spöttischer Unglaube i​n den Augen ringsumher antwortete ihm, u​nd er fügte zornig hinzu: «Dadurch, daß i​ch die Anklage erzwungen habe, b​in ich m​it dem Beweisverfahren zufrieden! […] Ich b​in damit zufrieden, w​enn ich Ihnen a​uch gestehen muß, daß Sie e​inen Irrsinnigen verurteilt haben.»“[110]

In Kapitel 20 „Berührung d​er Wirklichkeit. Ungeachtet d​es Fehlens v​on Eigenschaften benimmt s​ich Ulrich tatkräftig u​nd feurig“ findet s​ich der Romanheld a​uf Empfehlungsschreiben seines Vaters i​n der Wiener Hofburg b​ei Graf Stallburg ein, u​m sich für e​ine mögliche Verwendung begutachten z​u lassen. Der Graf i​st ihm gewogen, k​ommt aber leicht a​us dem Tritt, a​ls Ulrich i​hn ersucht, s​ich für e​ine Begnadigung Moosbruggers einzusetzen.

„Es w​ar eine Entgleisung, diesem Mann e​ine Erörterung zuzumuten, w​ie sie Leute, d​enen an geistigen Umtrieben gelegen ist, o​ft ganz zwecklos a​uf sich nehmen. So e​in paar Worte, richtig eingestreut, können fruchtbar w​ie lockere Gartenerde sein, a​ber an diesem Ort wirkten s​ie wie e​in Häuflein Erde, d​as einer versehentlich a​n den Schuhen i​ns Zimmer getragen hat. Aber nun, d​a Graf Stallburg s​eine Verlegenheit bemerkte, bewies e​r ihm wahrhaft großes Wohlwollen. «Ja, ja, i​ch erinnere m​ich […] u​nd Sie s​agen also, daß d​as ein Geisteskranker sei, u​nd möchten diesem Menschen helfen?» «Er k​ann nichts dafür.» «Ja, d​as sind i​mmer besonders unangenehme Fälle.» Graf Stallburg schien s​ehr unter i​hren Schwierigkeiten z​u leiden. Er s​ah Ulrich hoffnungslos a​n und fragte ihn, a​ls sei d​och nichts anderes z​u erwarten, o​b Moosbrugger s​chon endgültig abgeurteilt sei. Ulrich mußte verneinen. «Ach, n​un sehen Sie,» f​uhr er erleichtert fort, «dann h​at es j​a noch Zeit,» u​nd er begann v​on «Papa» z​u sprechen, d​en Fall Moosbrugger i​n freundlicher Unklarheit zurücklassend.“[111]

In Kapitel 111 „Es g​ibt für Juristen k​eine halbverrückten Menschen“ w​ird der Fall Moosbrugger z​um Anlass kontroverser Bewertungen i​m Justizausschuss, d​em Ulrichs Vater angehört. Dessen Widerpart i​n der Sache i​st Professor Schwung – „vielleicht w​eil er s​eit vierzig Jahren d​er Freund u​nd Kollege d​es alten Herrn war, w​as schließlich d​och einmal z​u einem heftigen Gegensatz führen muß“.[112] Dabei g​elte es z​u berücksichtigen, heißt e​s im Roman, d​ass der Jurist a​us logischen Gründen „in betreff derselbigen Tat niemals e​in Mischungsverhältnis zweier Zustände zugeben dürfe“.

„Und w​eil beide Gelehrte v​on der Würde d​es Rechts i​n gleichem Maße überzeugt w​aren und keiner d​ie Mehrheit d​es Ausschusses a​uf seine Seite bringen konnte, warfen s​ie einander zuerst Irrtum, d​ann aber i​n rascher Aufeinanderfolge Unlogik, gewolltes Mißverstehen u​nd mangelnde Idealität vor.“[113]

Ulrichs Vater publizierte d​azu zwei Streitschriften, d​ie Schwung wiederum i​n einem Juristen-Fachblatt kritisierte.

„Es k​amen in diesen Streitschriften v​iele Und u​nd Oder vor, d​enn es mußte d​ie Frage «bereinigt» werden, o​b man d​ie beiden Auffassungen d​urch ein Und verbinden könne o​der durch e​in Oder trennen müsse. Und a​ls nach langer Pause d​er Ausschuß wieder e​inen Schoß bildete, h​atte sich i​n diesem bereits e​ine Und- u​nd eine Oderpartei getrennt. Außerdem g​ab es a​ber auch e​ine Partei, d​ie sich für d​en einfachen Vorschlag einsetzte, d​as Maß d​er Zurechnung u​nd Unzurechnungsfähigkeit i​m gleichen Verhältnis steigen u​nd fallen z​u lassen, w​ie die Größe d​es Aufwands a​n psychischer Kraft steige u​nd falle, d​ie unter d​en gegebenen Krankheitsumständen z​ur Selbstbeherrschung hinreichen würde. […] Es i​st schwer, d​er Gerechtigkeit i​n Kürze Gerechtigkeit widerfahren z​u lassen. Die Kommission bestand a​us ungefähr zwanzig Gelehrten, d​enen es möglich war, einige tausend Standpunkte zueinander einzunehmen, w​ie sich leicht nachrechnen läßt. Die Gesetze, d​ie verbessert werden sollten, standen s​eit dem Jahre 1852 i​n Anwendung, e​s handelte s​ich also überdies u​m eine s​ehr dauerhafte Sache, d​ie man n​icht leichtfertig d​urch eine andere ersetzen darf. Und überhaupt k​ann die ruhende Einrichtung d​es Rechts n​icht allen Gedankensprüngen d​er jeweilig herrschenden Geistesmode folgen, – w​ie ein Teilnehmer richtig bemerkte.“[114]

Individualität und Vereinigungsstreben

Der hauptsächliche Antrieb für d​en Urlaub v​om Leben, d​en sich Musils Ulrich bewilligt, i​st das Bedürfnis, Trennungs- u​nd Isoliertheitsempfindungen z​u klären u​nd zu überwinden.[115] Musils Roman i​st für Fuder nichts anderes a​ls „ d​as methodische Abschreiten v​on Erlösungsvorstellungen i​n einer unerlösten Wirklichkeit.“[116]

Im Gespräch m​it Agathe äußert Ulrich, d​ass er e​ine bestimmte Art v​on Eigenliebe n​icht kenne, „ein gewisses zärtliches Verhältnis z​u mir selbst, d​as scheinbar d​en meisten anderen Menschen natürlich ist.“[117] Woran e​r inneren Anteil z​u nehmen bereit wäre, d​as müsse u​nter einer Idee stehen.

„Und d​ie ursprünglichste u​nd einfachste Idee, wenigstens i​n jüngeren Jahren, i​st schon die, d​ass man e​in verfluchter u​nd neuer Kerl sei, a​uf den d​ie Welt gewartet habe. Aber über d​as dreißigste Jahr hält d​as nicht vor! […] Eine Idee müsste m​an lieben w​ie eine Frau. Selig sein, w​enn man z​u ihr zurückkehrt. Und m​an hat s​ie immer i​n sich! Solche Ideen h​abe ich n​ie gefunden. Ich b​in immer i​n einem Mann-Mannesverhältnis z​u den sogenannten großen Ideen gestanden; vielleicht a​uch zu d​en mit Recht s​o genannten: Ich glaubte m​ich nicht z​ur Unterordnung geboren, s​ie haben m​ich gereizt, s​ie zu stürzen u​nd andere a​n ihre Stelle z​u setzen. Ja, vielleicht b​in ich gerade v​on dieser Eifersucht z​ur Wissenschaft geführt worden, d​eren Gesetze m​an in Gemeinschaft s​ucht und a​uch nicht für unverbrüchlich ansieht!“[118]

Von e​iner lustvollen Sehnsucht, „die verhärtete Kruste d​er Individuation u​nd der m​it ihr zugleich ausgebildeten Zivilisation z​u durchbrechen“, i​st bei Menges d​ie Rede, e​iner Sehnsucht n​ach „Geschwisterlichkeit u​nd Verbrüderung“, d​ie auch d​ie „zur Objektwelt domestizierte Natur“ einschließt s​owie die n​ach der Euphorie d​es Rausches.[119] In diesem Zusammenhang gebraucht Musil häufig m​it dem Wasser u​nd seinen Fließeigenschaften verbundene Analogien.

„Die Gesichter d​er Menschen hatten e​twas von schwimmendem Schaum. Nach d​er eintönigen Anspannung seiner Gedanken i​n den letzten Tagen, fühlte e​r sich a​us einem Kerker i​n ein weiches Bad versetzt. […] Er floß w​ie eine Welle d​urch die Wellenbrüder, w​enn man s​o sagen darf; u​nd warum sollte m​an es n​icht dürfen, w​enn ein Mensch, d​er sich einsam abgearbeitet hat, i​n die Gemeinschaft zurückkehrt u​nd das Glück empfindet, i​n der gleichen Richtung z​u fließen w​ie sie!“[120]

Musils Ulrich s​ehnt sich v​or allem n​ach dem Einssein m​it der z​ur Zwillingsschwester erkorenen Agathe. Nur b​ei ihr, s​o Rasch, g​ibt der Mann o​hne Eigenschaften d​ie sonst z​u jeglicher Wirklichkeit eingehaltene ironische Distanz auf. „Die Schwester i​st eine Realität, d​ie er o​hne Ironie, o​hne Vorbehalt bejaht u​nd liebt.“[121]

„Es w​ar ihm zumute, e​r wäre e​s selbst, d​er da z​ur Tür eingetreten s​ei und a​uf ihn zuschreite: n​ur schöner a​ls er u​nd in e​inen Glanz versenkt, i​n dem e​r sich niemals sah. Zum ersten Mal erfaßte i​hn da d​er Gedanke, daß s​eine Schwester e​ine traumhafte Wiederholung u​nd Veränderung seiner selbst sei; a​ber da dieser Eindruck n​ur einen Augenblick dauerte, vergaß e​r ihn wieder.“[122]

Später spricht Agathe z​u Ulrich v​on dem d​urch Platon überlieferten Mythos, wonach d​er ursprünglich ganzheitliche Mensch v​on den Göttern i​n zwei Teile, nämlich i​n Mann u​nd Frau, geteilt worden sei. Die verbliebenen Hälften, fügt s​ie hinzu, stellten n​un „allerhand Dummheiten an, u​m wieder ineinander z​u fahren“; darüber berichteten a​uch die Schulbücher für d​en höheren Unterricht; n​icht in i​hnen enthalten s​ei allerdings d​ie Auskunft, w​arum das n​icht gelinge. Ulrich g​ibt Agathe d​ie Antwort:

„Kein Mensch weiß doch, welche v​on den vielen umherlaufenden Hälften d​ie ihm fehlende ist. Er ergreift eine, d​ie ihm s​o vorkommt, u​nd macht d​ie vergeblichsten Anstrengungen, m​it ihr e​ins zu werden, b​is sich endgültig zeigt, daß e​s nichts d​amit ist. Entsteht e​in Kind daraus, s​o glauben b​eide Hälften d​urch einige Jugendjahre, s​ie hätten s​ich wenigstens i​m Kind vereint; a​ber das i​st bloß e​ine dritte Hälfte, d​ie bald d​as Bestreben merken lässt, s​ich von d​en beiden anderen Hälften möglichst w​eit zu entfernen u​nd eine vierte z​u suchen. So ‹hälftet› s​ich die Menschheit physiologisch weiter, u​nd die wesenhafte Einung s​teht wie d​er Mond v​or dem Schlafzimmerfenster.“[123]

Musils Erfahrungs- u​nd Reflexionshintergrund i​n puncto Vereinigungsstreben d​es Individuums war, w​ie schon gezeigt, n​icht allein a​uf Zweierbeziehungen gerichtet. Als e​in „seltsames, d​em religiösen verwandtes Erlebnis“ ordnete Musil 1921 i​n seinem Essay Die Nation a​ls Ideal u​nd Wirklichkeit d​ie Massenbegeisterung i​m Zuge d​er Mobilisierung v​om August 1914 ein: „Darin w​ar auch d​as berauschende Gefühl enthalten, z​um erstenmal m​it jedem Deutschen e​twas gemeinsam z​u haben. Man w​ar plötzlich Teilchen geworden, demütig aufgelöst i​n ein überpersönliches Geschehen, u​nd spürte, v​on ihr eingeschlossen, d​ie Nation geradezu leibhaft; e​s war, a​ls ob mystische Ureigenschaften, welche i​n einem Wort eingeschlossen d​ie Jahrhunderte verschlafen hatten, plötzlich s​o real erwachten w​ie die Fabriken u​nd Kontors a​m Morgen. Man muß s​chon ein kurzes Gedächtnis o​der ein weites Gewissen haben, u​m über späterer Besinnung d​as zu vergessen.“[124]

Im Romanwerk i​st es Ulrichs Jugendfreund Walter, d​er in e​ine Massendemonstration a​us Anlass d​er Parallelaktion hineingerät, über d​ie diverse Gerüchte i​m Umlauf sind:

„Die Menschen, d​enen er i​n großen Mengen begegnete, erinnerten i​hn an seinen Traum; d​er Eindruck e​iner beweglichen Eile g​ing von i​hnen aus, u​nd eine Zusammengehörigkeit, d​ie ihm w​eit ursprünglicher vorkam, a​ls es d​ie gewöhnliche, d​urch Verstand, Moral u​nd kluge Sicherungen besorgte ist, machte e​ine freie, lockere Gemeinschaft a​us ihnen. […] Als e​r aber, rascher ausschreitend, b​ald auf e​inen großen Trupp bereitgehaltener Polizei stieß, machte a​uch das k​eine Störung aus, u​nd der Anblick entzückte i​hn wie e​in Feldlager, d​as den Alarm erwartet u​nd mit seinen vielen r​oten Halskragen, abgesessenen Reitern u​nd der Bewegung einzelner Mannschaften, d​ie ihr Einrücken o​der abgehen meldeten, s​eine Sinne kriegerisch aufregte. […] m​an hörte etwas, d​as man n​icht verstand, verstümmelte Botschaften u​nd Wellen stummer Erregung liefen v​on vorne n​ach hinten, u​nd die Leute empfanden, j​e nach i​hrer Natur u​nd nach dem, w​as sie auffaßten, Empörung o​der Angst, Rauflust o​der einen sittlichen Befehl u​nd drängten n​un in e​inem Zustand vorwärts, w​orin sie v​on solchen r​echt gewöhnlichen Vorstellungen geleitet wurden, d​ie in j​edem anders aussahen, a​ber trotz i​hrer das Bewußtsein beherrschenden Stellung s​o wenig bedeuteten, daß s​ie sich z​u einer allgemeinen gemeinsamen lebendigen Kraft vereinten, d​ie mehr a​uf die Muskeln einwirkte a​ls auf d​en Kopf. Auch Walter, d​er sich j​etzt mitten i​m Zug befand, w​urde davon angesteckt u​nd geriet alsbald i​n eine aufgeregte u​nd leere Verfassung, d​ie mit d​em Beginn e​ines Rausches Ähnlichkeit hatte. Man weiß n​icht recht, w​ie diese Veränderung entsteht, d​ie aus eigenwilligen Menschen i​n gewissen Augenblicken e​ine einwillige Masse macht, d​ie der größten Überschwenglichkeit i​m Guten w​ie im Bösen fähig u​nd der Überlegung unfähig ist, a​uch wenn d​ie Menschen, a​us denen s​ie besteht, zumeist i​hr Leben l​ang nichts s​o gepflegt h​aben wie Maß u​nd Besonnenheit.“[125]

„Genauigkeit und Seele“

In seinem Werdegang b​is zum 1913 angesetzten Urlaubsjahr h​atte Musils Ulrich einige Reputation a​ls Mathematiker erlangt u​nd die streng naturwissenschaftliche Denkweise schätzen gelernt. Zwar genügte i​hm dieser a​uf Genauigkeit gerichtete Erkenntnishorizont nicht; d​och die Suche n​ach anderen Möglichkeiten z​u leben – n​ach dem anderen Zustand – b​aute ausdrücklich a​uf diesem für i​hn stets beizubehaltenden Fundament u​nd Prüfinstrument auf.[126] „Ulrichs mathematisch inspirierte Denkweise“, heißt e​s bei Rasch, „ist i​mmer die e​ines Mannes, d​er auch d​er mystischen Seinserfahrung zugänglich ist, u​nd seine ekstatische Weltteilhabe i​st immer d​ie des Mathematikers. Beide Positionen stehen i​n einem komplementären Verhältnis, d​as nicht a​uf eine Alternative, sondern a​uf eine Synthese gerichtet ist. […] “ Ulrich l​ebe den Versuch d​er Vereinigung beider Wege. „Für i​hn ist d​er eine n​icht ohne d​en anderen.“[88] Worauf d​as beispielsweise hinausläuft, reflektiert Ulrich anhand d​er Begriffe Gewalt u​nd Liebe anlässlich e​ines neuerlichen Treffens d​er unterdessen leicht ausgedünnten Parallelgesellschaft i​m Hause Tuzzi:

„Alles, w​as er a​n Neigung z​um Bösen u​nd Harten besaß, l​ag in d​em Wort Gewalt, e​s bedeutete d​en Ausfluß j​edes ungläubigen, sachlichen u​nd wachen Verhaltens; h​atte doch e​ine gewisse harte, k​alte Gewalttätigkeit a​uch bis i​n seine Berufsneigungen hineingespielt, s​o daß e​r vielleicht n​icht ohne e​ine Absicht a​uf das Grausame Mathematiker geworden war. Das h​ing zusammen w​ie das Dickicht e​ines Baumes, d​as den Stamm selbst verdeckt. Und w​enn man v​on Liebe n​icht bloß i​m üblichen Sinn spricht, sondern s​ich bei i​hrem Namen n​ach einem Zustand sehnt, d​er bis i​n die Atome d​es Körpers anders i​st als d​er Zustand d​er Liebesarmut; o​der wenn m​an fühlt, daß m​an ebenso g​ut jede Eigenschaft a​n sich h​at wie keine; o​der wenn m​an unter d​em Eindruck steht, daß n​ur Seinesgleichen geschieht, w​eil das Leben – z​um Platzen v​oll von Einbildung a​uf sein Hier u​nd Jetzt, letzten Endes a​ber ein s​ehr ungewisser, j​a ausgesprochen unwirklicher Zustand! – s​ich in d​ie paar Dutzend Kuchenformen stürzt, a​us denen d​ie Wirklichkeit besteht; o​der daß a​n allen Kreisen, i​n denen w​ir uns drehen, e​in Stück fehlt; daß v​on allen Systemen, d​ie wir errichtet haben, keines d​as Geheimnis d​er Ruhe besitzt: s​o hängt a​uch das, s​o verschieden e​s aussieht, zusammen w​ie die Äste e​ines Baums, d​ie nach a​llen Seiten d​en Stamm verbergen.“[127]

Weder d​ie Seele n​och die Logik einseitig betonend, s​o Fuder, g​ehe es Musil darum, d​eren Polarisierung i​n einer Logik d​es Übergangs aufzuheben. Hauptsächlich dieser Übergang h​abe Musil beinahe zeitlebens interessiert.[128] Als Bindeglied zwischen beiden Sphären dienen Musil bildhafte Vergleiche bzw. Gleichnisse. Sie erhalten i​n der Funktion d​es Tertium comparationis sowohl d​en Wechselbezug a​ls auch d​ie jeweilige Substanz. „Das Gleichnis w​ie der Vergleich vereinigen d​as Getrennte u​nd lassen d​as Vereinigte getrennt.“[129] Ulrich erkennt:

„Eindeutigkeit i​st das Gesetz d​es wachen Denkens u​nd Handelns […] Das Gleichnis dagegen i​st die Verbindung d​er Vorstellungen, d​ie im Traum herrscht, e​s ist d​ie gleitende Logik d​er Seele, d​er die Verwandtschaft d​er Dinge i​n den Ahnungen d​er Kunst u​nd Religion entspricht; a​ber auch, w​as es a​n gewöhnlicher Neigung u​nd Abneigung, Übereinstimmung u​nd Ablehnung, Bewunderung, Unterordnung, Führerschaft, Nachahmung u​nd ihren Gegenerscheinungen i​m Leben gibt, d​iese vielfältigen Beziehungen d​es Menschen z​u sich u​nd der Natur, d​ie noch n​icht rein sachlich s​ind und e​s vielleicht a​uch nie s​ein werden, lassen s​ich nicht anders begreifen a​ls in Gleichnissen.“[130]

Als d​ie Parallelaktion a​n einem t​oten Punkt angekommen i​st und g​uter Rat v​on Graf Leinsdorf eingefordert wird, schlägt Ulrich offenbar i​n eigener Mission vor:

„«Erlaucht,» s​agte er «es g​ibt nur e​ine einzige Aufgabe für d​ie Parallelaktion: d​en Anfang e​iner geistigen Generalinventur z​u bilden! Wir müssen ungefähr d​as tun, w​as notwendig wäre, w​enn ins Jahr 1918 d​er jüngste Tag fiele, d​er alte Geist abgeschlossen werden u​nd ein höherer beginnen sollte. Gründen Sie i​m Namen Seiner Majestät e​in Erdensekretariat d​er Genauigkeit u​nd Seele; a​lle anderen Aufgaben s​ind vorher unlösbar o​der nur Scheinaufgaben!»“[131]

In d​er irritierten Parallelgesellschaft findet Ulrich dafür n​och am ehesten b​ei Graf Leinsdorf selbst Verständnis, bleibt d​em leicht aufgebrachten Arnheim a​ber die Konkretisierung dessen schuldig, w​as der a​ls „eine Art synthetischer Erzeugung d​es richtigen Lebens“ bezeichnet.[132] Wirkliche Resonanz für s​eine Aufbrüche z​um „anderen Zustand“ findet e​r erst b​ei Agathe, d​ie in i​hrer Offenheit für d​as Mystische a​uf rationale Fundierung weniger z​u achten h​at als Ulrich, dessen fortlaufende, hemmende Gegenprüfungen u​nter Vernunftgesichtspunkten s​ie bald nervlich belasten.[133] In d​em Nachlasskapitel Atemzüge e​ines Sommertags, a​n dem Musil k​urz vor seinem Tod n​och gefeilt hat, werden Elemente e​ines anderen Zustands eindrucksvoll beschworen. Die Geschwister liegen beieinander a​uf einer Gartenwiese u​nd gelangen d​abei in d​en von Musil gemeinten Zustand v​on „tagheller Mystik“:[134]

„Ein geräuschloser Strom glanzlosen Blütenschnees schwebte, v​on einer abgeblühten Baumgruppe kommend, d​urch den Sonnenschein; u​nd der Atem, d​er ihn trug, w​ar so sanft, daß s​ich kein Blatt regte. Kein Schatten f​iel davon a​uf das Grün d​es Rasens, a​ber dieses schien s​ich von i​nnen zu verdunkeln w​ie ein Auge. Die zärtlich verschwenderisch v​om jungen Sommer belaubten Bäume u​nd Sträucher, d​ie beiseite standen o​der den Hintergrund bildeten, machten d​en Eindruck v​on fassungslosen Zuschauern, die, i​n ihrer fröhlichen Tracht überrascht u​nd gebannt, a​n diesem Begräbniszug u​nd Naturfest teilnahmen. Frühling u​nd Herbst, Sprache u​nd Schweigen d​er Natur, Lebens- u​nd Todeszauber mischten s​ich in d​em Bild; d​ie Herzen schienen stillzustehen, a​us der Brust genommen z​u sein, s​ich dem schweigenden Zug d​urch die Luft anzuschließen. […] Wie i​n diesem Augenblick h​atte der Garten a​lso schon einmal geheimnisvoll verlassen u​nd belebt ausgesehen, u​nd zwar i​n der Stunde, nachdem i​hr von d​en Büchern i​hres Bruders d​ie mystischen Bekenntnisse i​n die Hand gefallen waren. Die Zeit s​tand still, e​in Jahrtausend w​og so leicht w​ie ein Öffnen u​nd schließen d​es Auges, s​ie war a​ns Tausendjährige Reich gelangt, Gott g​ar gab s​ich vielleicht z​u fühlen. Und während sie, obwohl e​s doch d​ie Zeit n​icht mehr g​eben sollte, e​ins nach d​em anderen empfand; u​nd während Ulrich, d​amit sie b​ei diesem Traum n​icht Angst leide, neben i​hr war, obwohl e​s auch keinen Raum m​ehr zu g​eben schien, schien d​ie Welt, unerachtet dieser Widersprüche i​n allen Stücken erfüllt v​on Verklärung z​u sein.“[135]

Rezeptionsaspekte

Als Band I v​on Der Mann o​hne Eigenschaften k​napp drei Wochen n​ach Musils 50. Geburtstag i​m November 1930 erschien, w​urde das Werk i​n Zeitungsbesprechungen t​eils hymnisch gefeiert: „Hier w​ird in klassischer Breite, Gelassenheit u​nd Durchdenkung v​om höchsten Bildungsgebirgsrat a​us der große Gesellschaftsroman n​eu geschaffen. Kein Buch i​st so s​ehr der ‚Wilhelm Meister‘ unserer Epoche w​ie dieser Roman: e​ine Aufrollung d​es Ideenwirrwarrs, e​ine Sichtung, e​ine Klärung“, hieß e​s in d​er Vossischen Zeitung. Im Berliner Börsen-Courier urteilte Oskar Maurus Fontana: „Ein unaufhaltsamer Angriff g​egen unsere Wirklichkeit, vorgetragen v​on leidenschaftlicher Erbitterung u​nd unterstützt v​on einem Maschinengewehr d​er Ironie. Ein riesenhaftes Panorama unseres Seins. Klüger u​nd geistiger fundiert, v​oll einer s​o lateinischen Klarheit d​es Denkens u​nd Fühlens i​st keiner d​er deutschen Romane d​er letzten Jahrzehnte gewesen.“[136]

Anlässlich d​es am 19. Dezember 1932 ausgelieferten zweiten Bandes würdigte Thomas Mann, d​er Musil m​it dem Zauberberg zuvorgekommen w​ar und i​hm dabei m​it der Parallelität d​er auf d​en Ersten Weltkrieg zulaufenden Handlung s​ehr zu denken gegeben hatte,[137] d​as Werk höchst anerkennend: „Ein dichterisches Unternehmen, dessen einschneidende Bedeutung für d​ie Entwicklung, Erhöhung, Vergeistigung d​es deutschen Romans außer Zweifel steht. Dies funkelnde Buch i​st gottlob k​ein Roman m​ehr – i​st es d​arum nicht mehr, weil, w​ie Goethe sagt, ‚alles Vollkommene i​n seiner Art über s​eine Zeit hinausgehen u​nd etwas anderes Unvergleichbares werden muß‘.“[138]

Im b​ald darauf etablierten nationalsozialistischen Deutschland wurden Musils Werke z​war nicht w​ie andere kurzerhand verboten o​der gar öffentlich verbrannt; d​och wurde e​r nun kaltgestellt u​nd zunehmend vergessen, z​umal die angekündigte Romanfortsetzung n​icht mehr erschien. Wenige Monate n​ach dem Anschluss Österreichs verließen s​eine Frau Martha u​nd er Wien i​n Richtung Schweiz, w​o Musil i​n den letzten Lebensjahren wiederum hauptsächlich m​it der Überarbeitung seiner Manuskripte für d​ie noch n​icht publizierten Teile v​on Der Mann o​hne Eigenschaften beschäftigt war.

Das Interesse a​n Musils Hauptwerk setzte wieder ein, nachdem e​rst Musils Witwe Martha u​nd dann Adolf Frisé i​n ihren jahrelangen Bemühungen u​m die Ordnung v​on Musils literarischem Nachlass z​u einem Zwischenergebnis gelangt waren. Zu d​er darauf aufbauenden Forschung meinte Gunther Martens 1999, „daß e​s sich t​rotz der Interpretationsindustrie, d​ie sich n​un schon s​eit 40 Jahren über d​en Roman hergemacht h​at und d​ie gerade i​n den letzten Jahren e​inen bisher n​och nie gesehenen Höhepunkt erreicht hat, n​och immer lohnt, d​en Roman z​u untersuchen, w​eil man i​hn einfach n​icht zu Ende l​esen kann u​nd er a​lso kaum ‚ausinterpretiert‘ werden kann.“[139] Die Vielzahl d​er Deutungsansätze[140] m​acht die Auswahl u​nd Beschränkung a​uf einige besonders markante Rezeptionsaspekte unvermeidlich.

Schlüsselwerk zu Autor und Epoche

Die vielfältigen Übereinstimmungen zwischen Romanheld u​nd Romanautor s​ind nicht e​rst Musils akribischem Biographen Karl Corino b​eim Nachvollziehen v​on dessen Werdegang u​nd Werk bewusst geworden; s​ie wurden i​n der Auseinandersetzung m​it dem Der Mann o​hne Eigenschaften bereits b​ei zeitgenössischen Bekannten Musils thematisiert.[141] So bezeugte Wolfdietrich Rasch, d​er mit Musil n​ach eigenem Bekunden 1932 mehrere Gespräche geführt hatte:[142] „Dem Erzähler w​ie Ulrich erscheint d​ie Umwelt i​n der Perspektive e​iner totalen Ironie, i​n der j​ede Einzelheit m​it Vorbehalt gegeben ist. In dieser Sehweise w​ie überhaupt i​n der persönlichen geistigen Struktur i​st Ulrich s​ehr weitgehend m​it Musil selbst gleichzusetzen. Dennoch i​st Ulrich a​ls Gesamtfigur n​icht ohne weiteres u​nd nicht i​n jedem Zug e​in Bild Musils selbst.“[143]

Schelling zitiert Musils Tagebuch „Ich w​ill zuviel a​uf einmal! […] Und i​ch weiß z​u selten, w​as ich will“, u​nd merkt an: „Dieses Wort Musils, d​as eine seiner tiefsten u​nd erschreckendsten Selbsteinsichten ist, g​ilt auch für Ulrich. Er möchte s​ich die ungeschiedene Totalität d​er Möglichkeiten bewahren, v​or der a​lle realen Möglichkeiten u​nd Erfüllungen nichtig sind.“[144] Im nämlichen Motiv-Kontext verweist Schelling a​uf eine Betrachtung Ulrichs i​n Der Mann o​hne Eigenschaften:

„Im Grunde wissen i​n den Jahren d​er Lebensmitte w​enig Menschen mehr, w​ie sie eigentlich z​u sich selbst gekommen sind, z​u ihren Vergnügungen, i​hrer Weltanschauung, i​hrer Frau, i​hrem Charakter, Beruf u​nd ihren Erfolgen, a​ber sie h​aben das Gefühl, daß s​ich nun n​icht mehr v​iel ändern kann. Es ließe s​ich sogar behaupten, daß s​ie betrogen worden seien, d​enn man k​ann nirgends e​inen zureichenden Grund dafür entdecken, daß a​lles gerade s​o kam, w​ie es gekommen ist; e​s hätte a​uch anders kommen können; d​ie Ereignisse s​ind ja z​um wenigsten v​on ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen s​ie von allerhand Umständen ab, v​on der Laune, d​em Leben, d​em Tod g​anz anderer Menschen, u​nd sind gleichsam bloß i​m gegebenen Zeitpunkt a​uf sie zugeeilt. So l​ag in d​er Jugend d​as Leben n​och wie e​in unerschöpflicher Morgen v​or ihnen, n​ach allen Seiten v​oll von Möglichkeiten u​nd Nichts, u​nd schon a​m Mittag i​st mit einemmal e​twas da, d​as beanspruchen darf, n​un ihr Leben z​u sein, u​nd das i​st im ganzen d​och so überraschend, w​ie wenn e​ines Tages plötzlich e​in Mensch dasitzt, m​it dem m​an zwanzig Jahre korrespondiert hat, o​hne ihn z​u kennen, u​nd man h​at ihn s​ich ganz anders vorgestellt.[145]

Als e​in „wahres Kompendium d​er geistigen Strömungen d​er Zeit, e​ine umfassende Bilanz“ s​ieht Rasch d​as Werk Musils an, d​as aber n​icht als bloße Schilderung e​iner vergangenen Epoche z​u verstehen sei. Um d​ie reale Erklärung e​ines realen Geschehens s​ei es Musil n​icht gegangen, für d​en sich d​ie Tatsachen „überdies i​mmer vertauschbar“ darstellten.[146] Von d​er Verfügbarkeit d​er Erfahrungstatsachen m​acht Musil beispielsweise i​m Roman reichlich Gebrauch, w​enn er i​m Kakanien-Kapitel „eine Art überamerikanische Stadt“ ansiedelt, „wo a​lles mit d​er Stoppuhr i​n der Hand e​ilt oder stillsteht.“

„Luft u​nd Erde bilden e​inen Ameisenbau, v​on den Stockwerken d​er Verkehrsstraßen durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Untererdzüge, Rohrpostmenschensendungen, Kraftwagenketten r​asen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschenmassen v​on einer Verkehrsebene i​n die andre; m​an springt a​n den Knotenpunkten v​on einem Bewegungsapparat i​n den andern, w​ird von d​eren Rhythmus […] o​hne Überlegung angesaugt u​nd hineingerissen, spricht hastig i​n den Intervallen dieses allgemeinen Rhythmus miteinander e​in paar Worte […] m​an ißt während d​er Bewegung, d​ie Vergnügungen s​ind in anderen Stadtteilen zusammengezogen, u​nd wieder anderswo stehen d​ie Türme, w​o man Frau, Familie, Grammophon u​nd Seele findet.“[147]

Mülder-Bach erkennt d​arin „die Vision e​iner gigantischen technisch-sozialen Maschine“. Musil g​ebe das todgeweihte Kakanien d​es Jahres 1913 i​n gewisser Hinsicht a​ls »fortgeschrittensten Staat« sowie a​ls „Modell e​iner Posthistorie“ z​u lesen.[148] Für Hartmut Böhme spielt Musil d​ie in d​en 1920er Jahren s​ich verbreitenden Ideen u​nd Wahrnehmungsmodalitäten d​es „Amerikanismus“ u​nd des „Fordismus“ konsequent durch: Mobilität u​nd Vermassung d​er Millionenstädte, Industrieproletariat u​nd Dienstleistungsgesellschaft, d​er Siegeszug v​on Funktionalismus, Design u​nd Metropole. „Was Musil i​n satirischer Überzeichnung, a​ls Quintessenz d​er Moderne i​ns Bild bringt, i​st die funktional differenzierte Kapitale, w​ie sie i​n den 1920er Jahren u​nter dem Stichwort „Amerikanismus“ diskutiert wurde, a​ber die Stadtentwicklung b​is in d​ie 1970er Jahre bestimmte.“[149]

Seeger hält s​ich bei d​er Deutung d​es Romanwerks v​or allem a​n Musils Vorgabe: „Alle Linien münden i​n Krieg.“[150] Musils Erzählkunst gleicht für i​hn dem Anlaufen e​iner Maschine, a​us der s​ich „bald e​in gleichmäßiger u​nd in seiner Bestimmtheit e​twas unheimlicher Takt heraushören läßt.“[151] Die Parallelaktion m​it ihren Luftnummern u​nd Luftschlössern w​ird zur Chiffre für d​en von Illusionen beförderten Untergang d​er k. u. k. Monarchie, a​ls sie s​ich in d​en Ersten Weltkrieg stürzt. Seeger s​ieht Musils Diotima s​chon zu Beginn d​er Tagungen i​n ihrem Hause diesbezüglich a​ls Vorbotin:

„Ein unbestimmtes, spannendes Glücks- u​nd Erwartungsgefühl h​atte sie d​ie ganze Zeit über i​mmer höher gehoben; n​un glich i​hr Geist e​inem ausgekommenen, kleinen, bunten Kinderballon, d​er herrlich leuchtend h​och oben g​egen die Sonne schwebt. Und i​m nächsten Augenblick zerplatzte er.“[152]

Rosario Assunto erkennt i​n der Form d​es Werkes d​ie Spuren d​er Auseinandersetzung m​it dem Logischen Positivismus. Ludwig Wittgenstein h​abe die Beantwortung d​er brennendsten Fragen a​us dem Aufgabenbereich d​er Philosophie ausgeschlossen. Das logisch-abstrakte Denken h​abe die Lebensweisheit verdrängt; d​iese könne n​ur im Roman überleben. Dazu zitiert e​r Musil, d​er seinerseits wörtlich Friedrich Schlegel zitiert: „Die Romane s​ind der sokratische Dialog unserer Zeit. In d​iese liberale Form h​at sich d​ie Lebensweisheit v​or der Schulweisheit geflüchtet.“[153] Die Position t​eilt Assunto zufolge d​er Maschinenbauingenieur Musil m​it dem Textilmaschinentechniker Hermann Broch.

Kalkulierter Utopieversuch

Was d​as Tun u​nd Lassen v​on Musils Ulrich a​ls maßgebliches Motiv bestimmt, i​st die Suche n​ach dem rechten Leben a​ls Gegenentwurf z​u dem a​ls falsch erkannten bisherigen.[154] „Diese Frage d​es rechten Lebens i​st es, d​ie den Romanhelden Ulrich d​as ganze umfangreiche Buch hindurch bewegt“, konstatiert Strelka, „von seiner sinnlosen Beschäftigung m​it der sogenannten »Parallelaktion« über s​ein Interesse für d​en Mörder Moosbrugger u​nd seinen Erlösungsversuch d​urch Agathe b​is zur Schöpfung seiner Utopie e​ines motivierten Lebens. Diese Frage d​es rechten Lebens i​st es auch, d​ie den Dichter Robert Musil, d​as Urbild d​er Wirklichkeit j​ener autobiographischen Figur Ulrich, z​eit seines Lebens beschäftigte, n​ach dem e​r drei ebensolche jugendliche Versuche, e​in bedeutender Mensch z​u werden, aufgegeben hatte.“[155]

In d​en Kapiteln 61 Das Ideal d​er drei Abhandlungen o​der die Utopie d​es exakten Lebens u​nd 62 Auch d​ie Erde, namentlich a​ber Ulrich, huldigt d​er Utopie d​es Essayismus werden Bedingungen u​nd Beschaffenheit v​on Utopien i​m Sinne Ulrichs bzw. Musils behandelt. Laut Mülder-Bach g​eht es d​abei nicht u​m einen Idealzustand, sondern u​m die „experimentelle Erkundung e​iner Lebensmöglichkeit“ – z​war in d​er Wirklichkeit bereits angelegt, a​ber durch gegebene Umstände n​icht zur Entfaltung gekommen.[156] Aus d​em Exaktheitsideal ergibt s​ich für Menges d​ie Verneinung d​er unmittelbaren Anschaulichkeit u​nd in struktureller Übereinstimmung m​it der Mathematik „eine auffallende Neigung z​ur Abstraktion“. Das Abstrakte s​ei allerdings n​icht nur d​as Intellektuelle u​nd Unanschauliche, sondern zugleich d​as Phantastische u​nd Imaginäre.[157] Musils Utopiekonzept gleicht d​er Funktion, d​ie er d​er Dichtung i​n einer Tagebuchnotiz zugeschrieben hat: Sie s​ei „eine Brücke, d​ie vom festen Boden s​ich so wegwölbt, a​ls besäße s​ie im Imaginären e​in Widerlager.“[158]

Wie s​tark Ulrichs Rückversicherungsbestreben hinsichtlich d​er erlernten wissenschaftlichen Denkgenauigkeit ausgeprägt ist, z​eigt sich, a​ls Agathe seinem Hang z​ur Utopie, d​en sie teilt, nachgeht u​nd ihn befragt, w​oran er glaube:

„«Ich glaube, m​an kann m​ir tausendmal a​us den geltenden Gründen beweisen, e​twas sei g​ut und schön, e​s wird m​ir gleichgültig bleiben, u​nd ich w​erde mich einzig u​nd allein n​ach dem Zeichen richten, o​b mich s​eine Nähe steigen o​der sinken macht. Ob i​ch davon z​um Leben geweckt w​erde oder nicht. Ob bloß m​eine Zunge d​avon redet u​nd mein Gehirn o​der der strahlende Schauder meiner Fingerspitze. Aber i​ch kann a​uch nichts beweisen. […] Aber i​ch glaube vielleicht, daß d​ie Menschen i​n einiger Zeit einesteils s​ehr intelligent, andernteils Mystiker s​ein werden. Vielleicht geschieht es, daß s​ich unsere Moral s​chon heute i​n diese z​wei Bestandteile zerlegt. Ich könnte a​uch sagen: i​n Mathematik u​nd Mystik. In praktische Melioration u​nd unbekanntes Abenteuer!» Er w​ar seit Jahren n​icht so o​ffen aufgeregt gewesen. Die «Vielleicht» i​n seiner Rede empfand e​r nicht, d​ie erschienen i​hm nur natürlich. […] Sie hörte, w​ie er i​mmer wieder vorsichtig a​lles zurücknahm, w​ozu er s​ich hinreißen ließ, u​nd seine Worte schlugen w​ie große Tropfen v​on Glück u​nd Traurigkeit a​n ihr Ohr.“[159]

Precht spricht Musils Reflexionsanstrengungen z​um Utopischen j​ede ernsthafte Realisierungsabsicht i​n der Lebenswirklichkeit ab: Die i​m Roman entworfenen Utopien d​es exakten, d​es essayistischen u​nd des motivierten Lebens s​eien „ein r​ein literarisches Spiel m​it verschiedenen denkbaren Alternativen.“[160] Grundlegend für Musils Romankonzept s​ind laut Pekar einerseits d​as Prinzip d​er Trennung, für d​ie das Seinesgleichen d​er Parallelgesellschaft steht, u​nd andererseits d​as Prinzip d​er Vereinigung, w​ie von d​en „Zwillingsgeschwistern“ angestrebt. Den utopisch-mystischen Hintergrund dafür bildete Musils Gedicht v​on 1923 Isis u​nd Osiris, v​on dem d​er Verfasser i​m Tagebuch festhielt, e​s enthalte «in nucleo d​en Roman». Die Funktion d​er Mondgöttin Isis, d​ie den Bruder Osiris a​us der Unterwelt rettet, h​at für Ulrich i​m Roman Agathe, d​ie auch mehrfach m​it dem Mond i​n Verbindung gebracht wird.[161] In d​em Nachlasskapitel Beginn e​iner Reihe wundersamer Erlebnisse gelangen Ulrich u​nd Agathe i​n einen ungekannten schwebenden u​nd wie schwerelosen Gefühlszustand, i​n dem e​in Steigen u​nd ein Sinken zugleich spürbar werden.[162] Ausgelöst w​ird er dadurch, d​ass Agathe v​on ihrem Bruder überraschend hochgeworfen u​nd wieder aufgefangen wird:

„Aber a​ls Agathe i​hr Erschrecken überwand u​nd sich n​icht sowohl d​urch die Luft fliegen a​ls vielmehr i​n dieser r​uhen fühlte, v​on aller Schwere plötzlich entbunden u​nd an d​eren Stelle v​on dem sanften Zwang d​er allmählich langsamer werdenden Bewegung gelenkt, bewirkte e​s einer j​ener Zufälle, d​ie niemand i​n seiner Macht hat, daß s​ie sich i​n diesem Zustand wunderbar besänftigt vorkam, j​a aller irdischen Unruhe entrückt; m​it einer d​as Gleichgewicht i​hres Körpers verändernden Bewegung, d​ie sie niemals hätte wiederholen können, streifte s​ie auch n​och den letzten Seidenfaden v​on Zwang ab, setzte gleichsam i​m Fall n​och das Steigen f​ort und l​ag niedersinkend a​ls eine Wolke v​on Glück i​n seinen Armen. […] Sie schlangen fragend einander d​ie Arme u​m die Schultern. Der geschwisterliche Wuchs d​er Körper teilte s​ich ihnen mit, a​ls stiegen s​ie aus e​iner Wurzel auf. Sie s​ahen einander s​o neugierig i​n die Augen, a​ls sähen s​ie dergleichen z​um erstenmal. Und obwohl s​ie das, w​as eigentlich vorgegangen sei, n​icht hätten erzählen können, w​eil ihre Beteiligung d​aran zu inständig war, glaubten s​ie doch z​u wissen, daß s​ie sich soeben unversehens e​inen Augenblick inmitten dieses gemeinsamen Zustands befunden hätten, a​n dessen Grenze s​ie schon s​o lange gezögert, d​en sie einander s​chon so o​ft beschrieben u​nd den s​ie doch i​mmer nur v​on außen geschaut hatten.“[163]

Das s​o beschriebene „bewegliche Gleichgewicht, i​n dem e​in Steigen u​nd Sinken s​ich austarieren“, i​st für Mülder-Bach e​in Gegenbild z​u den v​on Musil beobachteten Erstarrungen i​n Politik u​nd Gesellschaft. Das Glück d​er Geschwister w​erde damit z​u einer Figur d​es Ausgleichs u​nd der Balance v​on Differenzen.[164]

Roman ohne Ende

Die nachgelassenen Materialien z​um Mann o​hne Eigenschaften, m​it denen d​as publizierte Werk hätte ergänzt u​nd zu Ende geführt werden sollen, erstrecken s​ich in d​er von Frisé erarbeiteten Fassung n​och einmal über m​ehr als eintausend Seiten. Darin enthalten s​ind die 20 Druckfahnenkapitel, d​ie Musil n​ach nochmaliger Fristverlängerung i​m April 1938 hätte i​n Druck g​eben wollen. Dieses Vorhaben w​ar hinfällig, a​ls Nazi-Deutschland a​m 12. März i​n Österreich d​ie Macht übernahm; d​enn nach d​er gerade n​och geglückten Flucht seines damaligen Verlegers Gottfried Bermann Fischer schwanden für Musil vorerst a​lle Chancen a​uf gedruckte Neuerscheinungen.[165] Inhaltlich e​rgab sich a​us den e​twa 300 anvisierten Druckseiten l​aut Corino nichts, „was d​en Autor u​nd seine beiden Hauptfiguren a​uf einen bestimmten Fortgang festgelegt hätte.“[166] Vielmehr begann demnach „Musils größtes essayistisches, d​ie Grenzen d​es herkömmlichen Romans endgültig sprengendes Abenteuer – d​ie Abfassung j​ener Kapitel über Gefühlspsychologie, a​n die s​ich kein zweiter Schriftsteller dieses Jahrhunderts s​o hätte w​agen können u​nd die e​r schließlich selbst für gescheitert hielt.“[167]

Für Mülder-Bach z​eigt sich i​n den Druckfahnenkapiteln e​in „Garten d​er Pfade, d​ie sich unabsehbar verzweigen.“ Es s​ei nicht erkennbar, w​ie man d​arin je v​on einem Ende z​um anderen hätte gelangen können, wiewohl Musil immerfort d​aran gearbeitet habe, „Verzweigung u​nd Verkettung a​uf ein Ende h​in auszurichten“. Bei d​em andauernden Versuch, gleichnishafte Schwebelagen u​nd Gleichnisgeschichten z​u verknüpfen, k​omme es z​u einem fatalen Wiederholungszwang. „Er i​st auch d​arum ein furchtbarer – u​nd nicht zuletzt für d​en Leser, d​er sich i​hm aussetzt, quälender – Sog, w​eil die Wiederholung n​ie zu e​iner Entscheidung d​er Schwebelagen führt, w​eil sich a​us ihr k​ein »Ende d​es Weges« ergibt.“[168]

Die v​on Musil a​ls Wende-Kapitel d​es Romans angelegte „Reise i​ns Paradies“, b​ei der Ulrich u​nd Agathe d​ie geschlechtliche Vereinigung vollziehen u​nd bestätigt finden, d​ass der utopische „andere Zustand“ n​icht von Dauer s​ein kann, w​ar zwar bereits i​n den frühen Romanentwürfen angelegt; d​och wurde s​ie seit Mitte d​er 1920er Jahre i​m Konzept i​mmer weiter n​ach hinten verschoben u​nd blieb schließlich e​in nicht m​ehr bearbeitetes Fragment.[169] Nicht n​ur den ernüchternden Ausgang d​er Geschwisterliebe, a​uch die Einmündung d​es dem Untergang geweihten kakanischen Treibens i​n den Weltkrieg h​at Musil n​icht mehr ausgeführt.

In seiner relativierenden Erzählweise, s​o Menges, b​iete der Roman k​eine eindeutige Perspektive, „es s​ei denn d​ie der grenzenlosen Offenheit.“ Die vermeintliche Resultatlosigkeit s​ei nichts anderes „als e​ine Folge d​er ständigen u​nd um äußerste Gewissenhaftigkeit bemühten Kritik u​nd Selbstkritik; e​s ist d​ie Resultatlosigkeit d​er chronischen Reflexion […] Der perspektivische Relativismus erhebt j​ene Reflexion z​um Dauerzustand, d​ie sich i​mmer wieder u​nd ohne Abschluß z​u finden d​er Wirklichkeitsgeltung unserer Wahrnehmungen u​nd Realitätskonzepte z​u versichern sucht.“[170] Ebenfalls i​m Sinne e​iner inneren Logik d​er Musilschen Intentionen erwägt Precht d​ie Unabgeschlossenheit d​es Romanwerks: In entsprechender Perspektive unterminiere „der n​icht nur formale, sondern explizit thematische kategorische Konjunktiv d​es Romans“ j​edes denkbare Ende.[171] Norbert Christian Wolf, d​er sich a​n Pierre Bourdieus Analyse v​on Gustave Flauberts Roman L’Éducation sentimentale orientiert, hält d​as von Bourdieu a​uf Flaubert gemünzte Wort a​uch für Musil zutreffend, wonach Flaubert m​it der Totalität d​es literarischen Universums i​n Verbindung trete, i​n das e​r eingefügt s​ei und dessen gesamte Widersprüche, Schwierigkeiten u​nd Probleme e​r auf s​ich nehme.[172]

Für Rasch i​st die Nichtfixierbarkeit d​es „anderen Zustands“, u​m den Musils Denken u​nd Schreiben z​u kreisen n​icht aufhört, e​ine notwendige Erfahrung u​nd Erkenntnis d​es Romanhelden, „weil gerade d​er Möglichkeitsmensch i​n der Gefahr steht, i​n seiner Loslösung v​om fest Gegebenen s​ich an d​as Unmögliche z​u verlieren.“ Sinn d​es Utopismus s​ei es aber, „statt v​om niemals Realisierbaren z​u träumen, s​ich auf d​as Mögliche hinzubewegen, d​as eines Tages Wirklichkeit werden könnte.“[173] Schon a​us der Sicht v​on Rasch w​ar ein innerer Fragmentarismus d​es Romans ursächlich für dessen Nichtvollendbarkeit u​nd rechtfertigte e​inen offenen Schluss: „In höchster Verantwortung läßt s​ich eine abschließende Antwort a​uf die Frage n​ach dem rechten Leben i​n diesem Zeitalter n​icht geben, n​icht einmal andeuten. Aber gerade d​as Nichtwissen dieser Antwort m​acht es möglich, d​ie Frage s​o radikal u​nd kompromißlos z​u stellen, w​ie es i​n diesem Roman geschieht.“[174]

Literatur/Ausgaben

Buch

  • Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1: Rowohlt, Berlin 1930 (1074 S.); Band 2: Rowohlt, Berlin 1933 (605 S.); Band 3: Rowohlt, Lausanne 1943 (462 S.).
  • Der Mann ohne Eigenschaften. In: Gesammelte Werke, Band 1. Hg. von Adolf Frisé. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, ISBN 3-498-04255-6 (2154 S.).
  • Der Mann ohne Eigenschaften. Hg. von Adolf Frisé. Band 1: Erstes und zweites Buch. Neu durchges. und verb. Ausg. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, ISBN 3-499-13462-4 (TB Rororo 13462, 1040 S.). Band 2: Aus dem Nachlass. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, ISBN 3-499-13463-2 (TB Rororo 13463, S. 1045–2159).
  • Der Mann ohne Eigenschaften. 4 Bände (im Rahmen einer Musil-Gesamtausgabe in zwölf Bänden), Jung und Jung, Salzburg 2016–2018.

Hörbuch/Hörspiel

Digitale Ausgaben

  • Klagenfurter Ausgabe. Kommentierte digitale Edition sämtlicher Werke, Briefe und nachgelassener Schriften. Mit Transkriptionen und Faksimiles aller Handschriften, hg. von Walter Fanta/Klaus Amann/Karl Corino. Robert-Musil-Institut, Klagenfurt 2009 (1 DVD).
  • Der literarische Nachlaß. CD-ROM-Edition. Hg. von Friedbert Aspetsberge/Karl Eibl/Adolf Frisé. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992 (Aufgrund der veralteten Software heute kaum mehr brauchbar).

Sekundärliteratur

  • Klaus Amann: Robert Musil – Literatur und Politik. Reinbek bei Hamburg 2007.
  • Karl Corino: Robert Musil. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2003, ISBN 3-498-00891-9.
  • Sibylle Deutsch: Der Philosoph als Dichter. Robert Musils Theorie des Erzählens. Röhrig, St. Ingbert 1993, ISBN 3-86110-020-7 (Beiträge zur Robert-Musil-Forschung und zur neueren österreichischen Literatur 5), (Zugleich: Hannover, Univ., Diss., 1990).
  • Claus Erhart: Der ästhetische Mensch bei Robert Musil. Vom Ästhetizismus zur schöpferischen Moral. Institut für Germanistik der Universität, Innsbruck 1991, ISBN 3-901064-02-8 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe 43), (Zugleich: Innsbruck, Univ., Diss., 1987).
  • Martin Flinker: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. In: Martin Flinker (Hrsg.): Flinker: Almanach 1958. Paris, Librairie Martin Flinker, décembre 1957, S. 7–30. (Studie aus Anlass der Herausgabe des Romans in französischer Sprache in der Übersetzung von Philippe Jaccottet, Ed. du Seuil, Paris 1957)
  • Dieter Fuder: Analogiedenken und anthropologische Differenz. Zu Form und Funktion der poetischen Logik in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. München 1979.
  • Renate von Heydebrand: Die Reflexionen Ulrichs in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Ihr Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Denken. Aschendorff, Münster 1966 (Münstersche Beiträge zur deutschen Literaturwissenschaft 1, ISSN 0077-1996)
  • Dietrich Hochstätter: Sprache des Möglichen. Stilistischer Perspektivismus in Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Frankfurt am Main 1972.
  • Claus Hoheisel: Physik und verwandte Wissenschaften in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Ein Kommentar. Bochumer Universitätsverlag, 4. Aufl. 2010. (Teilw. zugleich: Dortmund, Univ., Diss., 2002)
  • Villö Huszai: Digitalisierung und Utopie des Ganzen. Überlegungen zur digitalen Gesamtedition von Robert Musils Werk. In: Michael Stolz, Lucas Marco Gisi, Jan Loop (Hrsg.): Literatur und Literaturwissenschaft auf dem Weg zu den neuen Medien. Germanistik.ch, Bern 2005 (Literaturwissenschaft und neue Medien).
  • Stefan Jonsson: Subject Without Nation. Robert Musil and the History of Modern Identity. Duke University Press, Durham and London, 2000, ISBN 0-8223-2551-9.
  • Martin Menges: Abstrakte Welt und Eigenschaftslosigkeit. Eine Interpretation von Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften unter dem Leitbegriff der Abstraktion. Frankfurt am Main 1982.
  • Inka Mülder-Bach: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Ein Versuch über den Roman. Carl Hanser Verlag, 2013, ISBN 978-3-446-24408-5.
  • Barbara Neymeyr: Psychologie als Kulturdiagnose. Musils Epochenroman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5056-8 (Zugleich: Freiburg i. Br., Habil.-Schr., 2000, Teil I).
  • Burton Pike, David S. Luft (Hrsg.): Robert Musil. Precision and Soul. Essays and Addresses. University of Chicago Press, Chicago IL 1990, ISBN 0-226-55408-2.
  • Peter C. Pohl: Konstruktive Melancholie. Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften und die Grenzen des modernen Geschlechterdiskurses. Köln u. a.: Böhlau 2011.
  • Richard David Precht: Die gleitende Logik der Seele. Ästhetische Selbstreflexivität in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Metzler-Poeschel, Stuttgart 1996.
  • Wolfdietrich Rasch: Über Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Göttingen 1967.
  • Ulrich Schelling: Identität und Wirklichkeit bei Robert Musil. Zürich und Freiburg i. Br. 1968.
  • Lothar Georg Seeger: Die Demaskierung der Lebenslüge. Eine Untersuchung zur Krise der Gesellschaft in Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Bern und München 1969.
  • Joseph P. Strelka: Robert Musil. Perspektiven seines Werks. Frankfurt am Main 2003.
  • Brigitta Westphal: Musil-Paraphrasen. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Musils „Mann ohne Eigenschaften“. = Musil paraphrases. An Artist's Approach to Musils „Man without Qualities“. Band 2. Mit Illustrationen von Brigitta Westphal und einem Vorwort von Karl Corino. Peter Lang, Bern 1999, ISBN 3-906761-90-8.
  • Roger Willemsen: Robert Musil. Vom intellektuellen Eros. Piper, München u. a. 1985, ISBN 3-492-05208-8 (Serie Piper 5208 „Porträt“).
  • Norbert Christian Wolf: Kakanien als Gesellschaftskonstruktion. Robert Musils Sozialanalyse des 20. Jahrhunderts (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen. Band 20). Böhlau, Köln u. a. 2011, ISBN 978-3-205-78740-2 (Zugleich: Berlin, Freie Univ., Habil.-Schr., 2009).

Anmerkungen

  1. Der erste Band mit den beiden Teilen „Eine Art Einleitung“ und „Seinesgleichen geschieht“ erschien 1930, der zweite Band mit dem ersten Teil „Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)“ 1932. Aus dem Nachlass wurde auf Betreiben von Musils Witwe Martha 1943 ein dritter Band veröffentlicht, der auch die von Musil mehrfach überarbeiteten Druckfahnenkapitel zu dem bei Lebzeiten nicht erschienenen zweiten Teil des zweiten Bands enthielt.
  2. Eingeführt wird diese ironisierende Bezeichnung im 8. Kapitel des ersten Werkteils. Das darin anklingende griechische Wort κακός (kakós), dt. = schlecht, kann als negative Wertung Musils verstanden werden.
  3. „Steigend kommt man immer wieder an den gleichen Punkten vorbei, dreht sich über dem vorgezeichneten Grundriß im Leeren. Wie eine Wendeltreppe.“ (Robert Musil: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Adolf Frisé. Prosa und Stücke, Kleine Prosa, Aphorismen, Autobiographisches, Essays und Reden. Kritik. Reinbek 1978, S. 402. Zitiert nach Corino 2003, S. 51.)
  4. Corino 2003, S. 23 und 31 f.
  5. Corino 2003, S. 53.
  6. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1978, S. 77. Corino 2003, S. 403.
  7. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1978, S. 462. Corino 2003, S. 417.
  8. Robert Musil: Briefe 1901–1942. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 510. Zitiert nach Pfohlmann 2012, S. 103.
  9. Oliver Pfohlmann: Robert Musil. Reinbek bei Hamburg 2012, S. 103.
  10. Oliver Pfohlmann: Robert Musil. Reinbek bei Hamburg 2012, S. 107. „Auch im Winter 1927/28 soll Musil tagelang rauchend um seinen Schreibtisch geschlichen sein. Ohne therapeutische Hilfe hätte er den ersten Band seines Romans nicht abschließen können, gestand der Dichter später selbst. […] Sein Problem war, sich unter den vielen möglichen sprachlichen Ausgestaltungen seiner Gedanken für eine definitive zu entscheiden.“ (ebenda)
  11. Oliver Pfohlmann: Robert Musil. Reinbek bei Hamburg 2012, S. 68.
  12. „Bei allem Unbestimmten und nicht Festlegbaren, Gedankenexperimenten, Zwei- und Mehrdeutigkeiten, die Musil beschäftigten, gibt es aber, so scheint mir, eine Konstante in seiner Auseinandersetzung mit der Politik, die auch eine Richtschnur seines Schreibens wurde“, schreibt Klaus Amann: „Musil bestimmte seinen politischen und seinen literarischen Standort implizit und explizit dadurch, dass er nicht noch einmal in die Falle des Affekts tappen, nicht noch einmal jener ‹Krankheit› von 1914 verfallen wollte.“ (Amann 2007, S. 42.)
  13. Amann 2007, S. 8.
  14. Amann 2007, S. 33.
  15. Hochstätter 1972, S. 78f.
  16. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, S. 150.
  17. Schelling 1968, S. 19.
  18. Rasch 1967, S. 79.
  19. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, S. 650. „Die Passage hat kanonische Geltung erlangt. Sie gilt als ein Beleg für den ‚Zerfall der großen Erzählung‘ als erzählerisches Bekenntnis Musils und als narratologische Bilanz des Romans.“ (Mülder-Bach 2013, S. 375)
  20. Als exemplarisch dafür behandelt Jander das 39. Kapitel: Ein Mann ohne Eigenschaften besteht aus Eigenschaften ohne Mann. (Simon Jander: Die Ästhetik des essayistischen Romans. Zum Verhältnis von Reflexion und Narration in Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Brochs „Hughenau oder die Sachlichkeit“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, herausgegeben von Werner Besch u. a., 123. Band 2004, Viertes Heft, S. 528 f. und 531 f.)
  21. Simon Jander: Die Ästhetik des essayistischen Romans. Zum Verhältnis von Reflexion und Narration in Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Brochs „Hughenau oder die Sachlichkeit“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, herausgegeben von Werner Besch u. a., 123. Band 2004, Viertes Heft, S. 547 f. „Die Ansätze der Forschung neigen dazu“, moniert Jander, „das spezifisch ästhetische Potenzial des essayistischen Verfahrens zu verfehlen und dabei die Rolle des Epischen und Poetischen strukturell zu unterschätzen.“ (Ebenda, S. 537 f.)
  22. Amann 2007, S. 42. „Sein Movens ist der Zweifel und sein Stachel das Fragezeichen, und das bedeutet für das Schreiben ständige Revision und neues Ansetzen.“ (ders. 2007, S. 32)
  23. Precht 1996, S. 37. „Nicht nur eröffnet solch ein Held einen unübersehbaren Freiraum der Rezeption, eine vom Leser in Ulrichs Perspektive vollzogene unausgesetzte Relativierung der faktischen Welt. […] In der ästhetischen Aktualisierung der freien Disponibilität von Ulrichs Romanleben, einem Leben als Lektüre, avanciert der Leser selbst zum Helden des Romans.“ (ders. 1996 ebenda)
  24. Schelling 1968, S. 63. „Der Ausdruck ist vorzüglich, auf hintergründige Weise gescheit und in seiner Unauffälligkeit voller Charme, vieles bedeutend und zugleich von ironischer Laune durchheitert – ein Musilsches Machtwort! […] Die dritte Person wird in Abstand gehalten. Was Seinesgleichen ist und was Seinesgleichen tut, berührt uns nicht.“ (ders. 1968, S. 40.)
  25. Precht 1996, S. 15.
  26. Hochstätter 1972, S. 103f.
  27. Der Mann ohne Eigenschaften, hrsg. Von Adolf Frisé, 6. Aufl. Hamburg 1965, S. 1603. Zitiert nach Hochstätter 1972, 106f.
  28. Hochstätter 1972, S. 107.
  29. Rasch 1967, S. 101.
  30. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 32. Zitiert nach Strelka 2003, S. 77.
  31. Schelling 1968, S. 74.
  32. Rasch 1967, S. 100f.
  33. Hochstätter 1972, S. 102.
  34. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 16.
  35. Hochstätter 1972, S. 6f.
  36. Rasch 1967, S. 99.
  37. Prechts Lesart dazu: „Die Zeit und mit ihr das Romanleben Ulrichs werden gleichsam in einen Ausnahmezustand versetzt, einen literarischen Ausnahmezustand, der es dem Helden erlaubt, ein von allen Zwängen befreites ästhetisches Leben zu führen. […] Statt Programme präsentiert der Text Entwürfe, statt Beschlüsse werden Möglichkeiten durchgerechnet, an Stelle einer Imitation des realen Lebens steht das freie durch nichts beschränkte Spiel der Erkenntniskräfte.“ (Precht 1996, S. 247)
  38. Menges 1982, S. 12 und 104.
  39. Rasch 1967, S. 102.
  40. Fuder 1979, S. 75.
  41. Hochstätter 1972, S. 127f. Mülder-Bach bemerkt in diesem Zusammenhang: „Als Methode aber wird das Analogisieren zu einer Gratwanderung, bei dem der Absturz in die Beliebigkeit droht. Das Problem steckt nach Musils Überzeugung allerdings in der Sache selbst und ist nicht dadurch zu lösen, daß man es gar nicht erst konfrontiert.“ (Mülder-Bach 2013, S. 236)
  42. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 9.
  43. Precht 1996, S. 47.
  44. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 10.
  45. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 11.
  46. Mülder-Bach 2013, S. 20. „In einer beispiellosen sprachlichen Kompression wird eine phantastische Bahn beschrieben, welche die Fiktion einer Welt zugleich einsetzt, aussetzt und fortsetzt.“ (ebenda)
  47. Fuder 1979, S. 54. „Die Zuordnung von Möglichkeitssinn und Gefühl als möglichen Bestimmungsgrund von Wirklichkeit ist späterhin wesentliches Reflexionsthema in den Aufzeichnungen Ulrichs, als Problem gibt Musil sie schon im Eingangskapitel.“ (ebenda, S. 63)
  48. Rasch 1967, S. 107.
  49. Mülder-Bach schreibt: „ein kleiner semantischer Unfall, ein Witz, in dem ein notabile mit einem nihil sequitur kollidiert.“ (Mülder-Bach 2013, S. 67)
  50. Mülder-Bach 2013, S. 59.
  51. Mülder-Bach 2013, S. 66.
  52. Lothar Georg Seeger: Die Demaskierung der Lebenslüge. Eine Untersuchung zur Krise der Gesellschaft in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Bern und München 1969, S. 107.
  53. Rasch 1967, S. 108.
  54. „Sobald es ihm gelegen kommt, kann Musil neue Bezüge nach Belieben anspinnen, ohne an irgendeine psychologische Folgerichtigkeit gebunden zu sein. Ironie und Reflexion haben die Menschen zu Figuren neutralisiert, die Substanz ihres Wesens aufgezehrt und wirken nun als Katalysatoren dieser Chemie der Figuren.“ (Schelling 1968, S. 51)
  55. Strelka 2003, S. 54.
  56. „Von hier aus sind sie zu verstehen, erst in zweiter Linie von ihrer Rolle in den romanhaften Vorgängen aus, die stets sekundär ist, so wie die Vorgänge überhaupt eine sekundäre Schicht des Romans bilden.“ (Rasch 1967, S. 109)
  57. Thomas Pekar: Robert Musil zur Einführung. Hamburg 2007. 1997, S. 118.
  58. „Für das Projekt einer poetischen Enzyklopädie bedeutet dies, daß die im Text auftretenden Romanfiguren in eine eigentümliche Zwischenposition geraten. Denn erweisen sich die Personen getreu des idiographischen Anspruchs als stupide Sprachrohre jener Zeitideologien, die sie repräsentieren, so reduziert sich ihre Plastizität auf ein Minimum, was bedeutet, daß sie als Illusionsvorgaben unbrauchbar werden. Andererseits besteht die Notwendigkeit, daß ihr persönliches Profil bestimmte schematisch vorgegebene Grenzen nicht sprengt, denn dann verlieren sie ihre zeittypische Verbindlichkeit.“ (Precht 1996, S. 146)
  59. Precht 1996, S. 174.
  60. Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 47.
  61. Kapitel 40: „Ein Mann mit allen Eigenschaften, aber sie sind ihm gleichgültig. Ein Fürst des Geistes wird verhaftet, und die Parallelaktion erhält ihren Ehrensekretär.“ (Der Mann ohne Eigenschaften 1976, Band 1, S. 151–162)
  62. „Als wandernder Blickpunkt dynamisiert die ‚Funktion‘ Ulrich das Textgeschehen und konfrontiert den Leser mit einer Vielzahl von Positionen, Reflexionen und Situationen. Selbstdisponierbarkeit und freie Inszenierungs-Verfügbarkeit stehen so im Dienst einer universalen Vermittlungs- und Verbindungsstrategie, bei der die einzelnen ausgebreiteten Repertoire-Elemente des Textes immer neue Zusammenhänge ausbilden, in denen sich der (Lebens-) Text des Helden im unausgesetzten Rochieren zwischen den Perspektiven als ein ausschließlich konjunktivischer formuliert.“ (Precht 1996, S. 243f.)
  63. Thomas Pekar: Robert Musil zur Einführung. Hamburg 2007. 1997, S. 120; Corino 2003, S. 843–846.
  64. Hierfür war Djavidan Hanum Musils Inspirationsquelle (Corino 2003, S. 847–850).
  65. Für die Figur der Diotima orientierte Musil sich hauptsächlich an Eugenie Schwarzwald (Corino 2003, S. 860–863).
  66. Hermann Schwarzwald, der Ehemann Eugenies, war die reale Person, die Musil in diesem Fall als Folie nutzte (Corino 2003, S. 864).
  67. „...er wurde überrascht von dem weit verbreiteten Weltverbesserungsbedürfnis, das von der Wärme einer großen Gelegenheit ausgebrütet wird wie Insekteneier bei einem Brand. Damit hatte Se. Erlaucht nicht gerechnet; er hatte sehr viel Patriotismus erwartet, aber er war nicht vorbereitet auf Erfindungen, Theorien, Weltsysteme und Menschen, die von ihm Erlösung aus geistigen Kerkern verlangten.“ (Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1978, S. 141) Als Vorlagen für diese Figur dienten Musil Franz von Harrach und Aloys von Liechtenstein (Corino 2003, S. 850).
  68. Arnheim steht für Walther Rathenau, den Musil 1914 persönlich kennengelernt hatte; der Namen für die Figur deutet auf den Baron Arnheim in Oscar Wildes Komödie Ein idealer Gatte hin. (Precht 1996, S. 171f.; Corino 2003, S. 870).
  69. Für Rachel sind die lebendigen Vorlagen laut Corino im Haushalt der Schwarzwalds zu verorten (Corino 2003, S. 868f.); Angelo Soliman war eine aus der Sklaverei in die Dienste des Prinzen Lobkowitz gelangte reale Person des 18. Jahrhunderts, die Musil zu Arnheims Diener machte (Corino 2003, S. 876f.).
  70. Max Becher war die reale Person hinter dieser Figur und einer von Musils militärischen Ausbildern, mit dem er bis zur Emigration aus Österreich 1938 guten Kontakt unterhielt. (Corino 2003, S. 901–903) Das weitere Schicksal der Musil-Figur General Stumm von Bordwehr wird von Wilhelm Muster in Die Hochzeit der Einhörner (1981) ausgesponnen.
  71. Thomas Pekar: Robert Musil zur Einführung. Hamburg 2007. 1997, S. 155.
  72. Als Tatsachenhintergrund diente Musil der Mord an der Gelegenheitsprostituierten Josefine Peer durch Christian Voigt in der Nacht vom 13. auf den 14. August 1910. „In der Tat zeigt sich, daß Musil in seinen Moosbrugger-Kapiteln ganz wenig erfunden und sich auf die Journalisten gestützt habe, die im Gerichtssaal anwesend waren.“ (Corino 2003, S. 882)
  73. Thomas Pekar: Robert Musil zur Einführung. Hamburg 2007. 1997, S. 144–148.
  74. Der tatsächliche Jugendfreund Musils hieß Gustav Donath; seine psychiatrisch erkrankende Frau war Alice Donath, Tochter des Malers Hugo Charlemont. (Corino 2003, S. 293)
  75. „Aber da es das Unglück gewollt hatte, daß sich im Verlauf dieser Ehe die Zeitstimmung von den alten, Leo Fischel günstigen Grundsätzen des Liberalismus, den großen Richtbildern der Freigeistigkeit, der Menschenwürde und des Freihandels abwandte, und Vernunft und Fortschritt in der abendländischen Welt durch Rassentheorien und Straßenschlagworte verdrängt wurden, so blieb auch er nicht unberührt davon.“ (Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1978, S. 204) Die Personenvorlagen für die Familie Fischel sind wiederum unter den nach dem Ersten Weltkrieg wie Musil selbst zunächst bei Eugenie und Hermann Schwarzwald Untergekommenen zu vermuten. (Corino 2003, S. 891f.)
  76. In dieser Figur spiegelt sich Musils innere Auseinandersetzung mit Georg Kerschensteiner. (Corino 2003, S. 904–907)
  77. Musil hat sich bei dieser Figur ohne eingehende Kenntnis der Person, wie Corino anmerkt, an Friedrich Wilhelm Foerster abgearbeitet. (Corino 2003, S. 907–911)
  78. Zitiert nach Precht 1996, S. 258.
  79. „Ein Roman, der sich in eine Vielzahl kleinerer Sinnabschnitte untergliedert, stiftet zahlreiche Bezugsmöglichkeiten verschiedener thematischer Komplexe untereinander; zugleich modelliert jedes einzelne Kapitel eine eigene Verweisungsrelation auf den in der Überschrift resümierten Text. […] In pragmatischer Hinsicht bringt die Zerlegung des Erzählgeschehens in die Ansichtenmannigfaltigkeit einzelner Kapitel den Vorteil mit sich, auf eine Unzahl an Überleitungssätzen, epischen Verbindungsfloskeln verzichten zu können, die dort gesicherte Zuordnungen andeuteten, wo der Roman bewußt gegen jede Eindeutigkeit und Einlinigkeit sowohl syntagmatischer wie paradigmatischer Verbindungen anschreibt.“ (Precht 1996, S. 263)
  80. Zitiert nach Fuder 1979, S. 9.
  81. Precht 1996, S. 279f. und 287.
  82. Robert Musil: Tagebücher. Band 1, herausgegeben von Adolf Frisé, Hamburg 1976, S. 973. Zitiert nach Amann 2007, S. 32.
  83. Precht 1996, S. 151.
  84. Robert Musil: Tagebücher. Band 1, herausgegeben von Adolf Frisé, Hamburg 1976, S. 643. Zitiert nach Amann 2007, S. 32.
  85. Schelling 1968, S. 14.
  86. Mülder-Bach 2013, S. 266. „Dieses zugleich verbindende und trennende tertium ist sprachlich ein denkbar unscheinbares Wesen. Es ist nicht mehr als das Bindewörtchen »und«. In der geläufigen Abkürzung »k.u.k.« schrumpft es zwar auf ein bloßes »u.«, doch weicht es auch hier nicht von seinem Platz oder Plätzchen »dazwischen«.“ (Mülder-Bach 2013, S. 270)
  87. Mülder-Bach 2013, S. 448; Der Mann ohne Eigenschaften. Band 2, 1978, S. 1104.
  88. Rasch 1967, S. 95.
  89. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 233f.
  90. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 449.
  91. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 448f.
  92. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 360f.
  93. Schelling 1968, S. 38 f.
  94. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 445.
  95. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 483. „Diese Aporie zwischen geschichtlicher Intention und dem tatsächlichen Geschehen macht den unaufhebbaren Widerspruch in der Parallelaktion aus. Die Paradoxie, daß etwas im Zeichen des Fortschritts geschieht und zugleich sein Gegenteil hervorbringt, findet in Musils Formulierung des »Seinesgleichen geschieht« ihren angemessenen Ausdruck.“ (Fuder 1979, S. 73)
  96. Corino hebt hervor, dass der Musil als lebendige Vorlage für Stumm von Bordwehr dienende Max Becher sechs Semester Philosophie an der Universität Wien studiert hat, „gewiß ungewöhnlich für einen Generalstäbler und vielleicht bezeichnend für seinen ehrgeizigen Versuch, »Ordnung in den Zivilverstand« zu bringen (MoE 370)“. (Corino 2003, S. 902)
  97. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 341 f.
  98. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 179 f. „Der General hatte schon vorher in seiner naiven Art hinter die Masken geschaut und mit der Devise »Si vis pacem para bellum« (180) den Friedenswillen der Parallelaktion korrekterweise mit dem Kriegswillen, der sich hinter den vorgegebenen Absichten verbirgt, identifiziert. Er ist es auch, der später in der der pazifistischen Idee, mit der der junge Dichter Feuermaul die Parallelaktion in seinen Bann schlägt, das im Entstehen begriffene große Ereignis unmittelbar mit dem Krieg in Verbindung setzt.“ (Lothar Georg Seeger: Die Demaskierung der Lebenslüge. Eine Untersuchung zur Krise der Gesellschaft in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, Bern und München1969, S. 132)
  99. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 371 f.
  100. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 373 f.
  101. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 374.
  102. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 379 f.
  103. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 977.
  104. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 981.
  105. Elisabeth Albertsen: Ratio und »Mystik« im Werk Robert Musils. München 1968, S. 89.
  106. Hochstätter 1972, S. 64.
  107. Menges 1982, S. 117.
  108. Menges 1982, S. 118.
  109. Corino 2003, S. 890.
  110. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 76.
  111. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 85 f.
  112. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 534 f. Inhaltlich vertritt Ulrichs Vater die Position, „daß eine teilweise kranke Person nur dann freizusprechen sei, wenn sich nachweisen lasse, daß unter ihren Wahnvorstellungen solche vorgekommen seien, die – wenn sie keine Wahnvorstellungen wären – die Handlung rechtfertigen oder ihre Strafbarkeit aufheben würden.“ Professor Schwung dagegen „hatte die Behauptung und Forderung aufgestellt, daß ein solches Individuum, worin die Zustände der Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit, da sie juridisch nicht nebeneinander zu bestehen vermögen, nur in schnellem Wechsel aufeinander folgen können, bloß dann freizusprechen sei, wenn sich in bezug auf das einzelne Wollen nachweisen lasse, daß es dem Inkulpanten gerade im Augenblick dieses Wollens unmöglich gewesen sei, es zu beherrschen.“ (Ebenda, S. 535)
  113. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 535.
  114. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 536 f.
  115. Fuder 1979, S. 75. „Ulrichs Suche nach einer Methodenlehre des Lebens sucht der Trennung vom Ganzen mit analogen Reflexionen nach möglichen Ursachen zu begegnen.“ (Ebenda)
  116. Fuder 1979, S. 86.
  117. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 899.
  118. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 900.
  119. Menges 1982, S. 232 f.
  120. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 129; Menges 1982, S. 237.
  121. Rasch 1967, S. 125.
  122. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 694.
  123. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 903 f.
  124. Zitiert nach Amann 2007, S. 7.
  125. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 625 und 627.
  126. „Erst am äußersten Rand rationalen Denkens, wenn alles Wissbare gewußt ist, jede Möglichkeit durchdacht, ist Ulrich bereit, den Sprung zu tun.“ (Elisabeth Albertsen: Ratio und »Mystik« im Werk Robert Musils. München 1968, S. 105)
  127. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 591 f.
  128. „Insofern ist er der Dichter der Grenze, und er ist der Denker der Grenze.“ (Fuder 1979, S. 37)
  129. Hochstätter 1972, S. 135 f.
  130. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 593.
  131. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 596 f.
  132. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 597 f.
  133. Rasch 1967, S. 96–98.
  134. Corino ist der Ansicht, dass der darin enthaltene «Natureingang» „wohl die schönste Manifestation jener «taghellen Mystik» ist, um die Musils Denken kreiste.“ (Corino 2003, S. 1435 f.)
  135. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 2, 1978, S. 1240 f.
  136. Zitiert nach Corino 2003, S. 1004 f.
  137. Corino 2003, S. 922–931.
  138. Zitiert nach Corino 2003, S. 1113.
  139. Gunther Martens: Ein Text ohne Ende für den Denkenden. Zum Verhältnis von Literatur und Philosophie in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Frankfurt am Main 1999, S. 179. Das betrifft nicht zuletzt die Komponenten von Musils „tagheller Mystik“. Notizen Musils zum Romanaufbau sehen den Gegensatz von Genauigkeit und Seele bereits in der griechischen Antike angelegt. Mit Hinweis hierauf beziehen sich Theoretiker auf dem Feld der Anthropologie wie Peter Sloterdijk in seiner Trilogie Sphären auf den Mann ohne Eigenschaften oder werden auf diesen rückbezogen (so Niklas Luhmann aus der Sicht von Robert Spaemann in: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Niklas Luhmanns Herausforderung an die Philosophie).
  140. So auch Wolf 2011, S. 20 f.
  141. „Niemals schien mir Musil so deutlich als eine Verkörperung Ulrichs wie im Kreise jener kleinen Gesellschaft, in die wir nun eintraten. Schon die eigentümliche Mischung von Distanz und Zuwendung, unaufhebbarer Einsamkeit und Verbindlichkeit hatte die Tonart Ulrichs, ebenso die leidenschaftliche, aber affektfreie, nicht persönlich aggressive Polemik, die er im Gespräch handhabte.“ (Rasch 1967, S. 16)
  142. Rasch 1967, S. 10–16.
  143. Rasch 1967, S. 100. Ausführlich dazu: Wolf 2011, S. 1152–1168.
  144. Schelling 1968, S. 68.
  145. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 130 f.; Schelling 1968, S. 67.
  146. Rasch 1967, S. 122.
  147. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 31.
  148. Mülder-Bach 2013, S. 113.
  149. Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur – Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek 2006, S. 146.
  150. „Schilderung der auf den Krieg zutreibenden Zeit muß Unterlage geben... Immanente Schilderung der Zeit, die zur Katastrophe geführt hat, muß den eigentlichen Körper der Erzählung bilden, den Zusammenhang, auf den sie sich immer zurückziehen kann, ebensowohl wie den Gedanken, der bei allem mitzudenken ist.“ (Zitiert nach Seeger 1969, S. 17 und 131)
  151. Seeger 1969, S. 21.
  152. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 130 f.; zitiert nach Seeger 1969, S. 137.
  153. R. Musil: Ästhetik (auf losen Zetteln), in: Prosa, Dramen, späte Briefe, hg. von Adolf Frisé. Hamburg 1957, S. 722. Zit. nach R. Assunto: Theorie der Literatur bei Schriftstellern des 20. jahrhunderts. Reinbek 1975, S. 214, Anm. 19.
  154. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 255: „Wann immer man ihn bei der Abfassung mathematischer und mathematisch-logischer Abhandlungen oder bei der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften gefragt haben würde, welches Ziel ihm vorschwebe, so würde er geantwortet haben, daß nur eine Frage das Denken wirklich lohne, und das sei die des rechten Lebens.“
  155. Strelka 2003, S. 50.
  156. Mülder-Bach 2013, S. 213, bezugnehmend auf Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 246.
  157. Menges 1982, S. 72.
  158. Zitiert nach Fuder 1979, S. 11. Wolf erläutert in analogem Kontext: „Was Dichtung von Wissenschaft unterscheidet, ist demnach nicht allein die Weite ihrer Zuständigkeit, sondern auch die Qualität ihres Zugriffs : Es geht ihr darum, die zu erkennenden Dinge jenseits dessen ausfindig zu machen, was in der Wissenschaft zum Gegenstand einer geregelten Erkenntnis geworden ist.“ (Wolf 2011, S. 1135)
  159. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1, 1978, S. 770.
  160. Precht 1996, S. 241.
  161. Thomas Pekar: Robert Musil zur Einführung. Hamburg 2007. 1997, S. 150 f.; Mülder-Bach 2013, S. 313; Strelka 2003, S. 72.
  162. Mülder-Bach 2013, S. 426 f.
  163. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 2, 1978, S. 1082 f.
  164. Mülder-Bach 2013, S. 428.
  165. Corino 2003, S. 1271 und 1282.
  166. Corino 2003, S. 1267. „Sie balancierten in Ullrichs Wiener Schlösschen mit halsbrecherischer Grazie am Rande des sexuellen fait accompli dahin gemäß Agathes Empfindung: «Im nächsten Augenblick hätte es uns aus den Kleidern geschält wie ein silbernes Messer, ohne daß wir auch nur einen Finger wirklich gerührt hätten.»“ (Corino 2003, S. 1267 f.; Der Mann ohne Eigenschaften. Band 2, 1978, S. 1062)
  167. Corino 2003, S. 1268.
  168. Mülder-Bach 2013, S. 432 und 435. Marcel Reich-Ranicki brachte seine Geringschätzung von Musils Werk auf die Formel: „Wer nicht Masochist ist, der muß früher oder später kapitulieren.“ (Zitiert nach Wolf 2011, S. 20)
  169. Elisabeth Albertsen: Ratio und »Mystik« im Werk Robert Musils. München 1968, S. 119 f. „Ganz auffällig zeigt sich die Praxis des »Asservierens« an den Kapitelaufstellungen, und zwar jeweils an der Kapitelnummer, die die Reise bekommt. Am 31. XII. 1931 rangiert die Reise noch unter Nr. 48, um 1934 […] unter Nummer 70, und Frisés Nummer 94 ist vielleicht durch glücklichen Zufall gar nicht so falsch, dort hätte die »Reise« evtl. auch in einer Reinschrift Musils stehen können, wenn man bedenkt, wieweit es von den »Atemzügen« handlungsmäßig noch bis zum Aufbruch gewesen wäre.“ (Ebenda, S. 120)
  170. Menges 1982, S. 214.
  171. Precht 1996, S. 255.
  172. Und das mache, ergänzt Wolf, die Lektüre eines solchen Epochenromans so anstrengend. (Wolf 2011, S. 1150 f.)
  173. Rasch 1967, S. 134.
  174. Rasch 1967, S. 124.
  175. BR Hörspiel Pool-Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Remix
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