Bayerische Tracht
Bayerische Tracht meint die traditionelle Tracht im alpenländischen, bairischen Sprachraum in Bayern und Österreich. Typische Bestandteile sind die Lederhose und das Dirndl, die insbesondere auf dem Oktoberfest getragen werden. Ihr heutiges Aussehen entstand aufbauend auf Darstellungen der bäuerlichen Lebenswelt der Barockzeit und auf noch erhaltenen Traditionen in entlegenen Dörfern im 19. Jahrhundert im Zuge der Konstituierung des Königreichs Bayern und wird seitdem durch Trachtenvereine gepflegt. Eine einheitliche bayerische Tracht gab es nie und widerspricht dem Wesen einer bodenständigen Trachtenvielfalt, vielmehr gibt es zahlreiche Varianten.
Varianten
Heute kann man sechs Typen von Gebirgstrachten unterscheiden:
- Miesbacher Tracht
- Werdenfelser Tracht
- Inntaler Tracht
- Chiemgauer Tracht
- Berchtesgadener Tracht
- Isarwinkler Tracht
Seit dem 19. Jahrhundert wurde in vielen Gegenden Bayerns nicht nur die oberbayerische Gebirgstracht gepflegt, sondern auch versucht, lokale Trachten und Eigenheiten am Leben zu erhalten (Alttracht) bzw. wiederzubeleben (erneuerte Tracht) oder historische Traditionen in Erinnerung zu rufen (Historische Tracht). Eine lokale Tracht ist beispielsweise die Dachauer Tracht.[1] Darüber hinaus betreiben auch zahlreiche Heimatvertriebene Trachtenpflege.
Zur Erforschung und zur Beratung der meist ehrenamtlichen Initiativen wurden Informations- und Beratungsstellen eingerichtet, erstmals 1986 die „Trachtenforschungs- und beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken“ in Schwabach.[2]
Geschichte
Als 1806 das Königreich Bayern gegründet wurde, verband die darin vereinten Franken, Schwaben, Pfälzer und Bayern wenig.[3] Das regierende Geschlecht der Wittelsbacher suchte nach einem Weg, dem neu entstandenen Volk eine gemeinsame Identität zu geben.[4] Auf dem ersten Oktoberfest 1810 ließ Maximilian I. Joseph dazu Kinder in unterschiedlichen regionalen Trachten auflaufen, angeführt von Felix Joseph von Lipowsky. Joseph von Hazzi hatte bereits 1798 im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor begonnen, in seinen Bänden der statischen Aufschlüsse neben wirtschaftlicher und statistischer Daten auch die Kleidung der Bewohner einzelner Regionen zu beschreiben. Nun sammelte Lipowsky Abbildungen vermeintlich typischer und traditioneller Kleidungsweisen, die er ab 1825 in der Sammlung Baierischer National-Costüme herausbrachte.[5][6] Zu Ehren der Silberhochzeit von König Ludwig I. von Bayern und Königin Therese fand 1835 erstmals ein Trachtenumzug statt. Schon 1818 hatte er die ihn umgebenden Künstler in Rom gezwungen, eine „nationale Kleidung“ zu tragen.[7] Sein Nachfolger Maximilian II. Joseph machte die Tracht hoffähig. Per Erlass vom 1. Juni 1853 ließ er die Tracht als scheinbar ländliche Alltagskleidung zur „Hebung des bayerischen Nationalgefühls“ fördern.[3] Tatsächlich entsprach aber die Lederhose vielmehr dem Jägergewand in Bergregionen um 1850 und das Dirndl dem modisch-ländlichen Sommerkleid einer Städterin auf Landurlaub, nicht einer Bauern- oder Mädgekleidung.[3] Maximilian II. band Trachtenträger offiziell in sein Hofzeremoniell ein, trug selbst Trachtenjanker mit Lederhosen bei der Jagd und schrieb 1849, dass er in der Erhaltung der Volkstrachten für das Nationalgefühl eine „große Wichtigkeit“ sehe. Seine Nachfolger führten dies fort und auch im benachbarten Österreich wurden Trachten beliebt: Prinzregent Luitpold von Bayern und der österreichische Kaiser Franz Joseph I. waren als Trachtenträger bekannt, bei der Jagd waren sie oft in kurzer Lederhose zu sehen.[8]
Die bayerische Bevölkerung, sowohl Bildungsbürgertum wie Landbevölkerung, griff die königlichen Anregungen schnell auf: Am 4. April 1859 kam es zur Anmeldung der „Gesellschaft Gemüthlichkeit“ in Miesbach, dem Vorläufer des 1884 gegründeten Trachtenvereins Miesbach. Zahlreiche regionale Trachtenvereine entstanden, die jeweils eigene Trachten entwarfen und deren Erhaltung pflegten.[4] Der erste war der 1883 gegründete „Verein zur Erhaltung der Volkstracht im Leitzachthal“ von Josef Vogl. 1890 wurde auf Anregung von Thomas Bacher in Bad Feilnbach der Gauverband I als erste Dachorganisation der Trachtenvereine gegründet.
1895 fand zum Oktoberfest ein von dem Münchner Schriftsteller Maximilian Schmidt organisierter Volkstrachten-Festzug statt, der den Höhepunkt eines dreitägigen „Historisch-Bayerischen Volkstrachten-Festes“ darstellte. Für diesen wurden Trachten und Einzelstücke historischer Kleidung aus allen bayerischen Kreisen zusammengeholt und teilweise nach Vorbildern neu geschneidert. Der Zug war das Vorbild für den heutigen Trachtenzug am mittleren Wiesenwochenende und er war außergewöhnlich einflussreich für die aufkommende Volkskunde-Bewegung. Alle teilnehmenden Gruppen des Festzuges wurden mindestens dreifach fotografiert, die Bilder verbreiteten sich in verschiedenen Alben und Ausgaben und waren Gegenstand umfangreicher Berichterstattung. Auch die auf den Festveranstaltungen vorgestellten Tänze und Musikdarbietungen wurden vielfach publiziert. All diese Veröffentlichungen standen in den nächsten Jahrzehnten den Trachten- und Volkskunde-Forschungen zur Verfügung.[9]
1900 eröffneten die aus Bielefeld stammenden Brüder Moritz und Julius Wallach in München ein Trachtenmoden-Geschäft, in dem sie ihre eigene Trachtenmodelinien verkauften und den Hof, Künstlerinnen und Künstler sowie Intellektuelle belieferten.[4] 1909 wurde der Landesverband Bayerischer Heimat- und Volkstrachtenvereine gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg und Bayerns Verlust der Eigenstaatlichkeit in der Weimarer Republik bekamen Trachten erstmals einen politisch reaktionären Charakter und wurden von Bürgerwehren und bayerischen Monarchisten getragen, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.[4] Am 25. Oktober 1925 gründeten sich die „Vereinigten Trachtenverbände des bayerischen Oberlandes“ (heute: Bayerischer Trachtenverband e.V.) im Hackerkeller in München. Er umfasste 10 Gründungsgauverbände zusammen mit 303 Vereinen und 19.135 Mitgliedern. Unter der Herrschaft des NS-Regimes wurden Trachten schließlich ein wichtiger Teil der nationalen Propaganda.[4] Die Trachtenvereine wurden gleichgeschaltet. Kurz nach der Wiederzulassung der Trachtenvereine 1948 gab es 500 Trachtenvereine mit rund 45.000 Mitgliedern. In der Nachkriegszeit wurden Trachten Teil einer romantisierten Darstellung von Heimat, was sich insbesondere in zahlreichen Heimatfilmen spiegelte.[4] Weltweit wurde Tracht zum Tourismusfaktor, so etwa bei den Olympischen Spielen 1972 in München oder bei Folklore-Veranstaltungen außerhalb Europas. In Deutschland verfestigte sich die Konnotation von politischem Konservatismus und Tracht durch den Umstand, dass Mitglieder der CDU und CSU häufig in Tracht auftraten.
Während die bayerische Tracht in Bayern heute als Symbol für Heimat wahrgenommen wird, gilt sie im internationalen Kontext häufig als Symbol für Deutschland.[4]
Siehe auch
Literatur
- Uli Landsherr: Trachtler schee boarisch. Husumer Verlagsgesellschaft, Husum 2008, ISBN 978-3-89876-413-1.
- Paul Ernst Rattelmüller: Bayerische Trachten. Verlag Riedler, Rosenheim 1955.
- Vereinigte Bayerische Trachtenverbände (Hrsg.): Bayrisch Land, bayrisch Gwand, geschichtlicher Beitrag zur Trachten- und Heimatpflege in Bayern, anläßlich des 50. Gründungstages der Vereinigten Bayerischen Trachtenverbände. Chiemgauer Verlagshaus – Eigenverlag Vereinigte Bayerische Trachtenverbände, Traunstein 1976, OCLC 140201858.
- Simone Egger: Phänomen Wiesntracht. Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft. Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfest. Utz, München 2008, ISBN 978-3-8316-0831-7 (= Münchner ethnographische Schriften, Band 2).
Weblinks
- Bayerischer Trachtenverband e.V.
- Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken
- Trachten-Informationszentrum (TIZ) Oberbayern
- Informationsstelle für Tracht und Volkskultur Oberfranken
- Forschungs- und Beratungsstelle für Trachten in Schwaben
- Geschichte der Tracht und der Trachtenbewegung in Bayern auf helmut-zenz.de (Archivlink)
- „Phänomen Tracht“. Sonderheft EDITION BAYERN (Haus der Bayerischen Geschichte)
Einzelnachweise
- "Sitt und Tracht der Alten wollen wir erhalten". D'Ampertaler Dachau e. V. Abgerufen am 5. März 2021.
- Über uns. In: Trachtenforschung.de. Abgerufen am 5. März 2021.
- Daniela Wartelsteiner: Bayerische Tracht: Das Gewand der Heimat. Hrsg.: Bayerischer Rundfunk. 2. Januar 2015 (br.de [abgerufen am 5. März 2021]).
- Sarah Fritschi: Hype um Wasen, Dirndl und Lederhose. In: Medienwelten - Zeitschrift für Medienpädagogik. 30. August 2018, ISSN 2197-6481, S. 1–115, urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-313856.
- Meike Bianchi-Königstein: Kleidungswirklichkeiten: Mode und Tracht zwischen 1780 und 1910 in Oberfranken. Verlag Friedrich Pustet, 2019, ISBN 978-3-7917-7244-8 (google.de [abgerufen am 5. März 2021]).
- Illustration zu "Sammlung Bayerischer National-Costume..." (in 12 Heften erschienene Zeitschrift): Tracht von Nürnbergerinnen. In: Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Abgerufen am 5. März 2021.
- Hildegard Vieregg: Vorgeschichte der Museumspädagogik: dargestellt an der Museumsentwicklung in den Städten Berlin, Dresden, München und Hamburg bis zum Beginn der Weimarer Republik. LIT Verlag Münster, 1991, ISBN 978-3-88660-762-4, S. 197 (google.de [abgerufen am 5. März 2021]).
- Bayerischer Rundfunk: Tracht im Wandel: Wie die Tracht im Allgäu wieder Mode wurde. 30. Dezember 2016 (br.de [abgerufen am 5. März 2021]).
- Bärbel Keindurfer-Marx: … man hätte eichentlich den ganzen Zug für Nazionalmuseum behalten sollen. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, Jahrgang 2017, ISSN 0067-4729, S. 117–140