Zikavirus-Epidemie 2015/2016
Die Zikavirus-Epidemie 2015/2016 war eine Erkrankungswelle in Lateinamerika mit anfangs grippe-artigen Symptomen, als deren Folge jedoch bei Schwangeren erhebliche Schädigungen des Fötus auftraten. Überregionale Aufmerksamkeit erregte das Infektionsgeschehen erstmals Anfang 2015, nachdem in der brasilianischen Großstadt Camaçari (Bundesstaat Bahia) 39 Menschen neben Fieber über eine bis dahin unbekannte Symptomatik mit Hautausschlägen, Juckreiz und Schmerzen am gesamten Körper klagten. Erkrankungen wie Dengue, Chikungunyafieber, Röteln und Masern konnten als Ursache ausgeschlossen werden.[1][2] Am biologischen Institut der Universidade Federal da Bahia in Salvador wurde am 29. April 2015 mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion aus Blutproben von Patienten das Zika-Virus nachgewiesen.
Bekannt ist das Zika-Virus seit dem Jahr 1947 aus Afrika. Damals wurde es aus einem Rhesusaffen isoliert, der zum Auffinden von Gelbfieber-Viren in einer Forschungsstation im Zika Forest von Entebbe, Uganda, gehalten worden war; später wurde das Virus nach diesem Wald benannt.[3][4] Nachdem die Infektionen mit dem Zika-Virus („Zika-Fieber“) und die mit dem Virus in Zusammenhang gebrachten Schädigungen von Föten seit Anfang 2015 erstmals und zugleich gehäuft in Lateinamerika beobachtet wurden, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 1. Februar 2016 die Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite.[5] Die Notlage wurde von der WHO am 18. November 2016 für beendet erklärt.[6]
Verlauf der Ausbreitung
Erstmals im Menschen nachgewiesen wurde das Zika-Virus im Jahr 1952 in Uganda und Tansania.[7][8] In den folgenden Jahrzehnten breitete sich das Virus in Afrika und Asien weiträumig aus.[9][10] Bis 2007 waren jedoch weniger als 15 Infektionen beim Menschen bekannt, die alle in Afrika oder Südostasien nachgewiesen wurden.[11]
Ozeanien
Die ersten Infektionen von Menschen durch Zika-Viren außerhalb Afrikas und Asiens wurden im Jahr 2007 aus Ozeanien bekannt, und zwar auf den Yap-Inseln Mikronesiens.[12] Eine 2009 durchgeführte Analyse von Antikörpern der Bewohner von Yap ergab, dass 73 Prozent der Bevölkerung infiziert worden waren, ohne dass es jedoch zu Krankenhausaufenthalten gekommen war.[11] Daraufhin wurde das Zika-Virus als sogenanntes Emergent Virus eingestuft, das heißt als Krankheitserreger, der sich möglicherweise noch weiter über die Welt ausbreiten könne.[13]
2013/14 kam es zu einem Ausbruch in Französisch-Polynesien, in dessen Verlauf 30.000 Personen – 10 Prozent der Einwohner – infiziert wurden; vermutlich durch Reisende wurden die Viren danach auch auf die Cookinseln, nach Neukaledonien und Vanuatu verschleppt.[11] Zwischen Januar und Mai 2014 wurden Infektionen auf der Osterinsel gemeldet, deren auslösende Zika-Viren vermutlich aus Französisch-Polynesien stammten.[14]
Lateinamerika
Als Ursache für die erstmalige Manifestation des Virus auf dem amerikanischen Kontinent Anfang 2015 vermutet der Leiter des Zentrums, Gúbio Soarez, die intensive Reisetätigkeit während der Fußballweltmeisterschaft 2014 in das brasilianische Salvador da Bahia.[15][16] Bis Ende April 2015 waren dann auch in Salvador bereits bis zu 500 erkrankte Personen gemeldet.[17] Die in Südamerika auftretenden Virusstämme sind vom Asien-Typ des Zika-Virus. Die größte Ähnlichkeit weisen sie zu polynesischen Stämmen auf, mit 99,7 Prozent Identität der RNA-Sequenz und 99,9 Prozent Identität der Aminosäuresequenzen.[18]
Im Juni 2015 wurde unter Erkrankten Salvadors das Zika-Virus mit dem Guillain-Barré-Syndrom in Verbindung gebracht.[19] Im Oktober und November 2015 kam es zu Erkrankungen in Kolumbien und Suriname.[11] Im Dezember 2015 erkrankten in Martinique und Französisch-Guayana zwei Personen.[20] Ende Januar 2016 wurden bereits aus insgesamt 23 mittel- und südamerikanischen sowie karibischen Ländern und Territorien Erkrankungen gemeldet.[21] Die Organización Panamericana de la Salud, eine regionale Organisation der Weltgesundheitsorganisation, erklärte am 25. Januar 2016, dass ein Auftreten des Zika-Virus im gesamten regionalen Verbreitungsgebiet der Aedes-Stechmücken zu erwarten sei – das beträfe den gesamten amerikanischen Doppelkontinent mit Ausnahme von Kanada und Chile.[22][23]
Rekordwärme, die vor dem Hintergrund eines besonders starken El-Niño-Ereignisses und der globalen Erwärmung in der zweiten Jahreshälfte 2015 im nördlichen und östlichen Südamerika auftrat, begünstigte die Ausbreitung der Krankheit. Bei höheren Temperaturen vergrößert sich das Verbreitungsgebiet der Aedes-Mücken, die die Krankheit übertragen, weibliche Mücken stechen häufiger und die Entwicklungszeit der Krankheitserreger verkürzt sich.[24][25]
Von Oktober 2015 bis Mitte Januar 2016 wurde in Brasilien eine deutliche Zunahme der Fälle von Mikrozephalie registriert, was auf Zika-Infektionen der Mütter zurückgeführt wurde; rund 3900 Verdachtsfälle von Mikrozephalie sollen in dieser Zeitspanne dem brasilianischen Gesundheitsministerium gemeldet worden sein (zum Vergleich: zuvor rund 200 Fälle pro Jahr).[26] Auch wenn noch kein direkter Zusammenhang zwischen der Häufung von Mikrozephalie und Zika-Infektionen zu erkennen sei, empfahlen Ende Januar 2016 die Gesundheitsbehörden von Kolumbien, Ecuador, El Salvador und Jamaica, Schwangerschaften in den nächsten Monaten zu vermeiden.[23] Bis Januar 2016 stieg die Zahl der Erkrankungen in Kolumbien auf mehr als 13.500.[27]
In Folge der Berichterstattung gebe es „jetzt verstärkt Abtreibungen“, berichtete Anfang 2016 die Süddeutsche Zeitung gemäß Deutscher Presseagentur (dpa). Viele Frauen würden gar nicht erst die Prognose abwarten, ob ihre Babys mit Mikrozephalie auf die Welt kommen würden, zitierte die brasilianische Tageszeitung Folha de São Paulo mehrere Ärzte.[28]
Laut dem Virologen Jan Felix Drexler stammen 95 % der gemeldeten Mikrozephalie-Fälle aus dem Nordosten Brasiliens, wohingegen es auch in anderen Gegenden ähnliche Zika-Infektionsraten gegeben hat. Die Gründe für diese Häufung sind unklar.[29]
Olympia in Rio de Janeiro
Am 27. Mai 2016 wurden in einem Schreiben an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Gefahren einer durch Touristen verursachten und verbreiteten weltweiten Ausbreitung des Zika-Virus erläutert. In diesem Schreiben forderten 151 Wissenschaftler aus aller Welt eine Verlegung der Olympischen Sommerspiele 2016 innerhalb des Landes beziehungsweise des Kontinents oder zumindest eine zeitliche Verlegung derselben, denn es sei unverantwortlich, die Spiele stattfinden zu lassen und damit eine globale Epidemie zu riskieren.[30] Die Folgen wären katastrophal. Deshalb solle die WHO eine Expertengruppe zusammenstellen, die das Internationale Olympische Komitee beratschlagen soll.
Laut der WHO besteht allerdings keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Das Zika-Virus breite sich durch die Olympischen Spiele nicht schneller aus, auch weil im August auf der Südhalbkugel Winter herrsche.
Allerdings weist die WHO ausdrücklich darauf hin, dass schwangere Frauen generell das Gebiet um Rio de Janeiro meiden sollten. Auch soll lange, helle Kleidung getragen werden und Mückenschutzmittel aufgetragen werden, um Mückenstiche zu vermeiden. Beim Sexualverkehr sollten wegen der Ansteckungsgefahr Kondome verwendet werden.[31]
Deutschland
Im ersten Monat nach der Einführung einer amtlichen Meldepflicht für das Zika-Virus im Mai 2016 haben die Behörden in Deutschland zwölf Krankheitsfälle registriert. Zwischen Oktober 2015 und Anfang Juni 2016 stieg die Zahl der behördlich erfassten Zika-Erkrankungen in Deutschland auf 56.[32]
Andere Gebiete
Im Dezember 2015 wurden Infektionen aus der Karibik (Puerto Rico, Haiti) gemeldet,[33] über die erste Virusinfektion auf den Amerikanischen Jungferninseln berichtete die Weltgesundheitsorganisation am 29. Januar 2016.[34]
Reisende, die sich in Regionen aufgehalten hatten, in denen Zika-Viren verbreitet auftreten, wurden wiederholt erst nach Rückkehr in ihre Heimat als infiziert registriert. Beispielsweise erkrankte im Mai 2013 eine Kanadierin nach einem Aufenthalt in Thailand.[35] Im März 2014 wurde bei einer australischen Urlauberin nach einem Aufenthalt auf den Cookinseln eine Zika-Virus-Infektion nachgewiesen.[36] Im Juni 2015 wurde das Virus bei einem finnischen Rückkehrer aus den Malediven nachgewiesen.[37] Diverse weitere verschleppte Fälle wurden seit 2013 auch aus anderen Staaten Europas bekannt.[38] Im Juli 2016 wurde ein Neugeborenes mit mutmaßlich Zikavirus-assoziierter Mikrozephalie in Spanien registriert. Die Mutter hatte sich auf einer Reise durch Lateinamerika infiziert und sich nicht zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen. Dies war zwar nicht der erste Fall einer möglichen Zikavirus-bedingten Mikrozephalie in Europa, jedoch die erste Geburt eines geschädigten Kindes.[39]
Im Juli 2016 wurden vier Fälle einer Zikavirus-Infektion in den Counties Miami-Dade und Broward in Süd-Florida diagnostiziert. Alle vier Fälle waren keine importierten Reiseinfektionen, so dass es möglich schien, dass das Zikavirus durch einheimische Stechmückenpopulationen übertragen worden war.[40] Die CDC beurteilten es als „wahrscheinlich“, dass das Virus in den genannten vier Fällen einige Wochen zuvor in Miami durch Aedes aegypti-Stechmücken übertragen worden war. Die Regierung von Florida kündigte verstärkte Maßnahmen zur Mückenbekämpfung an.[41] Im November 2016 wurde eine lokale Übertragung aus Cameron County, Texas, bekannt.[42]
Ende August 2016 wurde aus Singapur ein Ausbruch mit mehreren Dutzend lokalen Übertragungen berichtet.[43]
Globale Perspektiven und Pandemie-Warnung der Weltgesundheitsorganisation
In einem am 27. Januar 2016 in der medizinischen Fachzeitschrift The Journal of the American Medical Association (JAMA) erschienenen Artikel warfen die Autoren, zwei angesehene US-amerikanische Epidemiologen und Virologen, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu große Passivität vor und warnten vor einer Zika-Virus-Pandemie. Es drohe eine weltweite Ausbreitung zumindest auf die tropischen Länder, z. B. auch in Zusammenhang mit weltweit besuchten Großveranstaltungen wie den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro im August 2016. Es müsse deswegen von der WHO erwogen werden, einen „öffentlichen Gesundheitsnotstand internationalen Ausmaßes“ (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC) auszurufen. Eine Schutzimpfung gegen das Zika-Virus sei dagegen auch bei intensivierter Forschung in frühestens drei Jahren, vielleicht aber auch erst viele Jahre später zu erwarten.[44]
Tags darauf kündigte die Weltgesundheitsorganisation an, umgehend ein internationales Notfallkomitee (International Health Regulations Emergency Committee) für die Zika-Epidemie einzuberufen.[45] Zugleich wurde bekannt, dass die WHO drei bis vier Millionen Erkrankungen vorhersagt.[46] Aufgrund der Beratungen des Notfallkomitees erklärte die WHO am 1. Februar 2016 den „Öffentlichen Gesundheitsnotstand internationalen Ausmaßes“.[47][5] Dies hatte zur Folge, dass die WHO Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Regionen sowie Forschungsprojekte koordinieren und finanzielle Zuwendungen verstärkt einwerben und verteilen konnte.[48] Insbesondere der damals nur vermutete, aber noch nicht streng wissenschaftlich bewiesene Zusammenhang zwischen dem erhöhten Auftreten von Mikrozephalie bei Neugeborenen und der Zika-Virus-Infektion sollte genauer untersucht werden. Auch der mögliche Zusammenhang zwischen Zika-Virus-Infektion und neurologischen Erkrankungen wie dem Guillain-Barré-Syndrom sollte geklärt werden.[5]
Diese Phase des „Gesundheitsnotstands“ wurde von der WHO am 18. November 2016 für beendet erklärt.[49]
Reisewarnungen
Am 8. März 2016 empfahl die WHO schwangeren Frauen, Zika-Epidemiegebiete zu meiden. Schwangere, deren Sexualpartner in den Epidemiegebieten lebten oder dorthin reisten, sollten nur geschützten Geschlechtsverkehr haben.[50]
Die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit sowie das deutsche Auswärtige Amt, das österreichische Bundesministerium für Gesundheit und das Expertenkomitee für Reisemedizin der Schweiz empfehlen Schwangeren, Reisen in bekannte Zika-Virus-Ausbruchsgebiete möglichst zu vermeiden und bei unvermeidlichen Reisen auf konsequenten Mückenschutz zu achten (Stand: Februar 2016).[51][52][53][54]
Frauen, die eine Schwangerschaft planen, rät das Robert Koch-Institut (RKI), von vermeidbaren Reisen in Zikavirus-Ausbruchsgebiete abzusehen. Jedoch gäbe es „[…] keinerlei Hinweise, dass eine überstandene Zikavirus-Infektion ein Risiko für spätere Schwangerschaften bedeutet. Es erscheint jedoch sinnvoll, nach einer Exposition mit einer neuen Schwangerschaft zu warten, bis die theoretische maximale Dauer der Virämie nach einer asymptomatischen Infektion beendet wäre. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA empfehlen hierfür – mit reichlich Puffer – acht Wochen nach letzter Exposition (oder bei symptomatischen Infektionen acht Wochen nach Symptombeginn).“[55] Das britische National Travel Health Network and Centre (NaTHNaC) empfiehlt hierfür vier Wochen (28 Tage).[56]
Am 2. August 2016 sprachen die CDC eine bislang historisch einmalige[57] Reisewarnung aus. Sie riet Schwangeren und ihren Partnern davon ab, Wynwood, eine kleine Gemeinde nördlich von Miami zu besuchen.[58]
Am 19. August 2016 gaben die CDC eine offizielle Reisewarnung für Süd-Florida heraus. Schwangeren Frauen und ihren Partnern wurde von Reisen nach Miami-Dade County einschließlich Miami Beach abgeraten. Personen, die nach dem 14. Juli 2016 dorthin gereist waren, wurde geraten, beim Sexualverkehr Kondome zu benutzen. Schwangeren, die dort lebten oder häufiger dorthin reisten, wurde ein Arztbesuch und ein Test auf Zikavirus-Infektion angeraten. Frauen mit Symptomen oder Nachweis einer Zikavirus-Infektion sollten mindestens 8 Wochen nach Beginn der Symptome warten, bevor sie eine Schwangerschaft anstrebten. Für Männer wurden 6 Monate Wartezeit nach Infektion vor der Zeugung eines Kindes empfohlen.[59]
Die Reisewarnungen für Schwangere in Bezug auf Risikogebiete wurden von der CDC aufrechterhalten, nachdem die WHO im November 2016 die Phase des „Gesundheitsnotstands“ für beendet erklärt hatte.[60]
Schutz
Es existieren bislang weder eine Impfung noch Medikamente zur Krankheitsprävention. Bis möglicherweise ein Impfstoff verfügbar ist, könnten nach Einschätzung vieler Wissenschaftler Jahre vergehen.[61] Im November 2016 soll es erste Tests eines möglichen Impfstoffes an Affen und Mäusen geben.[62] Als Schutzmaßnahmen gelten daher lediglich ein allgemeiner Schutz gegen Moskitostiche oder gar das Meiden entsprechender Klimazonen.[63] Aufgrund von Berichten über eine sexuelle Übertragung der Viren gelten die allgemeinen Schutzmaßnahmen vor sexuell übertragbaren Krankheiten, wie insbesondere der Gebrauch von Kondomen.
Es ist bislang nicht bekannt, ob eine einmal durchgemachte Infektion zumindest zu einer zeitlich begrenzten Immunität führt.[64]
Siehe auch
Weblinks
- Robert Koch-Institut: Zikavirus-Infektionen.
- Deutsches Auswärtiges Amt: Merkblatt für Beschäftigte und Reisende. (PDF)
- Deutsches Auswärtiges Amt: Verhütung von Infektionskrankheiten durch Schutz vor Insektenstichen (Expositionsprophylaxe). (PDF)
- Zika Virus in South America. Hinweise für Reisende, speziell für Schwangere, auf der Website der US-Gesundheitsbehörde CDC (englisch)
- Health topics: Zika virus. Weltgesundheitsorganisation
- Zika Situation Report. (PDF; 632 kB) Weltgesundheitsorganisation, 5. Februar 2015 (Sachstandsbericht zur Verbreitung des Virus und zu den Fallzahlen der Infektionen)
- Seuche aus der Südsee. Von Martin Enserink. sueddeutsche.de, 29. November 2015
Einzelnachweise
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