El Niño
El Niño (spanisch für „der Junge, das Kind“, hier konkret: „das Christuskind“; pl. die el niños) nennt man das Auftreten ungewöhnlicher, nicht zyklischer, veränderter Meeresströmungen im ozeanografisch-meteorologischen System (El Niño-Southern Oscillation, ENSO) des äquatorialen Pazifiks. Das Phänomen tritt in unregelmäßigen Abständen von durchschnittlich vier Jahren auf. Der Name ist vom Zeitpunkt des Auftretens abgeleitet, nämlich zur Weihnachtszeit. Er stammt von peruanischen Fischern, die den Effekt aufgrund der dadurch ausbleibenden Fischschwärme wirtschaftlich zu spüren bekommen.
Ablauf
Zur Weihnachtszeit beträgt die normale Wassertemperatur im Pazifik vor Indonesien 28 °C, die vor der Küste Perus dagegen nur 24 °C. Durch die Passatwinde kommt es vor Peru zum Auftrieb von kühlem Wasser aus den Tiefen des Ozeans. Dieser Auftrieb ist Teil des Humboldtstroms vor der Küste Südamerikas. Bei El Niño kommt es zu einem geringeren Auftrieb durch die schwächeren Passatwinde und somit wird der kalte Humboldtstrom allmählich schwächer und kommt zum Erliegen. Das Oberflächenwasser vor der Küste Perus erwärmt sich so sehr, dass die obere Wasserschicht nicht mehr mit dem kühlen und nährstoffreichen Tiefenwasser durchmischt wird. Deshalb kommt es zum Absterben des Planktons, das zum Zusammenbruch ganzer Nahrungsketten führt. Außerdem führen die größeren Mengen verdunstenden Wassers vor der südamerikanischen Pazifikküste zu sehr starken Regenfällen an der Westseite der Anden, die zu Hangrutschungen und Überschwemmungen der Abflussgewässer führen; dadurch werden auch die Siedlungen der Bewohner betroffen.
Der Ostpazifik vor Südamerika erwärmt sich, während vor Australien und Indonesien die Wassertemperatur absinkt. Aufgrund der im Normalfall erhöhten Temperatur im Westpazifik kommt es zu einer Luftdruckabnahme und im kälteren Ostpazifik zur Bildung eines Hochdruckgebiets. Dadurch entstehen bodennahe Ostwinde, die warmes Oberflächenwasser aus dem Pazifik vor Südamerika in Richtung Westen nach Indonesien schieben. Während eines El Niños wird diese Luftzirkulation, genannt „Walker-Zirkulation“, umgekehrt. Dabei strömt innerhalb von ca. drei Monaten die Warmwasserschicht von Südostasien nach Südamerika. Die Ostwinde begünstigen die Kelvinwellen, die durch den schwachen Passat nun Wasser in östliche Richtung treiben und dort den Wasserstand um etwa 30 cm erhöhen. El Niño ist ein natürliches Klimaphänomen; in den letzten Jahren stoppt die warme Meeresschicht weiter vor der Küste. Ob dies im Zusammenhang mit dem anthropogenen Treibhauseffekt oder mit längerfristigen natürlichen Schwankungen des Pazifiks steht, der bei El Niño von einer warmen in eine kalte Phase umschwenkt, ist bisher nicht geklärt.
Fernwirkungen
Auf drei Vierteln der Erde werden die Wettermuster beeinflusst. Auf den Galápagos-Inseln und an der südamerikanischen Küste kommt es zu starken Regenfällen. Diese führen zu Überschwemmungen entlang der westlichen Küste Südamerikas. Selbst an der nordamerikanischen Westküste kommt es zu Überschwemmungen.
Der Regenwald im Amazonasgebiet leidet dagegen unter Trockenheit. Vor Mexiko können gewaltige Wirbelstürme entstehen, die enorme Schäden anrichten. In Südostasien und Australien kommt es durch den fehlenden Regen zu Buschfeuern und riesigen Waldbränden. Während es in Ostafrika in Ländern wie Kenia und Tansania mehr Regen gibt, ist es in Sambia, Simbabwe, Mosambik und Botswana (südliches Afrika) deutlich trockener.
Es kommt zu einem Massensterben von Meerestieren, Seevögeln und Korallen. Durch die Erwärmung des Meereswassers kommt es zum Absterben des Planktons vor der peruanischen Küste. Hier gab es in normalen Jahren bis zu zehnmal so viel Fisch wie an anderen Küsten. Bei El Niño finden die Fische nichts mehr zu fressen und wandern ab. Die Robbenkolonien finden keine Nahrung mehr und viele Tiere verhungern. Der wirtschaftliche Schaden für die Menschen ist kaum zu beziffern.
Durch die hohen Temperaturen tritt auch in den Gebieten die Korallenbleiche in den Riffen auf, die bisher davon verschont blieben.
Europa blieb bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa dem in Europa ungewöhnlich kalten Winter 1941/42, von den Fernwirkungen El Niños verschont. Allerdings wurde eine Auswirkung auf den kalten und schneereichen Winter 2009/10 in Europa und Nordamerika diskutiert.[1] Außerdem führt das El-Niño-Phänomen zu Auswirkungen auf den Indischen Monsun – in El-Niño-Jahren ist der Niederschlag stark erhöht, wohingegen der Monsun in La-Niña-Jahren geringeren Niederschlag mit sich bringt.
Häufigkeit und Geschichte
Bedingungen für das Auftreten von El Niño stellten sich innerhalb der letzten 300 Jahre in Zeitabschnitten von 2 bis 7 (oder 8) Jahren ein. Jedoch sind die meisten Niños eher schwach ausgeprägt. Es gibt Hinweise auf sehr starke El-Niño-Ereignisse zu Beginn des Holozäns vor etwa 11.700 Jahren.
Größere El-Niño-Ereignisse wurden für die Jahre 1790–93, 1828, 1876–78, 1891, 1925/26 und 1972/73 notiert. In der jüngsten Vergangenheit kam es in den Jahren 1982/83 und 1997/98 zu größeren Ereignissen, während das Ereignis 2015/16 das drittstärkste seit 65 Jahren sein dürfte.[2]
Historische Auswirkungen
El Niño beeinträchtigte die vorkolumbianischen Inka und mag sogar zum Untergang der Moche und anderer kolumbianischer und peruanischer Kulturen beigetragen haben. Die erste echte Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 1726. Eine weitere frühe Aufzeichnung erwähnt sogar den Ausdruck El Niño in Bezug auf Klimaereignisse im Jahr 1892. Sie stammt von Captain Camilo Carrillo aus seinem Bericht auf dem Kongress der geografischen Gesellschaft in Lima, in dem er sagte, dass peruanische Seeleute diese warme nördliche Strömung El Niño nannten, da sie in der Zeit um Weihnachten auftrete.
Das Phänomen war von langfristigem Interesse, da es sich auf die Guanoindustrie auswirkte und auch auf andere Industriezweige, die biotische Produkte des Meeres nutzten.
Charles Todd beobachtete im Jahr 1893, dass Trockenzeiten in Indien und Australien gleichzeitig mit dem Phänomen eintraten. Dasselbe hielt auch Norman Lockyer im Jahr 1904 fest. Eine Verbindung mit Überflutungen wurde 1895 von Pezet und Eguiguren ins Feld geführt. 1924 prägte Gilbert Walker (Namensgeber für die Walkerzirkulation) den Begriff Südliche Oszillation.
In den meisten Jahren ist es unwahrscheinlich, dass das Phänomen Auswirkungen bis nach Europa hat. Jedoch gibt es Jahre, in denen das Klima Europas mit einem ENSO-Ereignis zu korrelieren scheint. So sehen manche Studien eine Beziehung zwischen dem besonders harten Winter 1941/42 beim deutschen Russlandfeldzug und El Niño. Hierbei sind möglicherweise eher langskalige Zyklen wie die Pazifische Dekaden-Oszillation zu berücksichtigen als El Niño selbst.
Neuere Beobachtungen
Das große El-Niño-Ereignis von 1982/83 führte zu einer starken Belebung des Interesses durch die wissenschaftlichen Kreise. Die Zeit von 1990 bis 1994 war sehr auffällig, da El Niño in diesen Jahren in ungewöhnlich schneller Folge auftrat.
Über den Jahreswechsel 1982/83 und im Jahr 1997/98 war El Niño ungewöhnlich stark ausgeprägt. Die Wassertemperatur lag sieben Kelvin über der normalen Durchschnittstemperatur, so dass Wärmeenergie in die Erdatmosphäre abgegeben wurde. Bei diesem Ereignis wurde die Luft zeitweilig um bis zu 1,5 K erwärmt, viel im Vergleich zur üblichen Erwärmung von 0,25 K im Umfeld eines El Niño. 1997/98 kam es darüber hinaus zu einem geschätzten Absterben von einem Sechstel der weltweiten Riffsysteme. Seit dieser Zeit ist der Effekt der Korallenbleiche weltweit bekannt geworden; in allen Regionen wurden Bleichstellen gefunden.
Sang-Wook Yeh und Mitarbeiter äußerten 2010 die These, El Niño trete nicht mehr zungenförmig, sondern hufeisenförmig auf. Dieser Trend könnte durch den Klimawandel und/oder durch natürlich wiederkehrende Zyklen des Pazifiks möglicherweise in den kommenden Jahrzehnten stärker werden.[3]
Am 5. März 2015 prognostizierte die NOAA die Ankunft eines neuen El-Niño-Ereignisses in den nächsten Monaten.[4][5] Die Prognose bestätigte sich.[6] Die Auswirkungen gelten im südlichen Afrika und Ostafrika als die stärksten seit mehreren Jahrzehnten und führten zu Viehsterben, Nahrungsmittelknappheit und politischer Instabilität.[7] Allein in Äthiopien waren 10 bis 20 Mio. Menschen von Hunger und akuter Wasserknappheit bedroht,[8] weltweit wurde die Zahl der Betroffenen auf über 60 Mio. geschätzt. Insgesamt erwies sich der El-Niño als einer der drei stärksten, die jemals beobachtet wurden (neben 1982/83 und 1997/98) und gilt neben der Globalen Erwärmung als Hauptursache für den 2015 aufgetretenen weltweiten Hitzerekord.[9]
Vorhersagemöglichkeiten und SOI-Metrik
Einigen Studien zufolge könnten El-Niño-Ereignisse genauer als bisher angenommen voraussagbar sein[10][11] (siehe hierzu auch Witterungsprognose).
Ein Vorhersageverfahren beruht auf der Auswertung charakteristischer Luftdruckanomalien im südpazifischen Raum. Grundlage sind Luftdruckmessungen aus Tahiti und Darwin (Australien). Ergebnis dieser Auswertung ist der Southern Oscillation Index (SOI).
Ein verwandtes Phänomen im Atlantik ist etwa die dekadische Nordatlantische Oszillation, die durch Telekonnektion über den Nordpol (Arktische Oszillation) und die amerikanischen Landmassen auch zeitverzögert mit El-Niño-/La-Niña-Phasen ursächlich zusammenhängen könnte.
La Niña
Im Gegensatz zu El Niño ist La Niña eine außergewöhnlich kalte Meeresströmung im äquatorialen Pazifik, also sozusagen ein Anti-El-Niño, worauf auch die Namensgebung (spanisch: „Mädchen“) beruht. Durch diese kalte Strömung entwickelt sich über Indonesien ein besonders starkes Tiefdruckgebiet. Die Passatwinde wehen stark und lang anhaltend. Dadurch kühlt sich der östliche Pazifik weiter ab und es gibt in Indonesien besonders viel Regen. Dagegen ist es in Peru sehr trocken und es fällt kaum Niederschlag. Durch die globale Erwärmung sind jedoch mittlerweile auch außergewöhnlich kalte La-Niña-Jahre wärmer als der langjährige Durchschnitt des 20. Jahrhunderts.[12]
Literatur
- César N. Caviedes: El Niño: Klima macht Geschichte. Darmstadt: Primus, 2005. ISBN 3-89678-528-1.
- Brian Fagan: Die Macht des Wetters. Wie das Klima die Geschichte verändert. Düsseldorf: Patmos 2001. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hubert Pfau. ISBN 9783-4917-2445-7 (sehr viele Kapitel handeln ausschließlich von El Niño)
- Christian Eckert: Stichwort El Niño. Heyne 1998. ISBN 978-3-453-14332-6.
- Petra Demmler: Das Meer – Wasser, Eis und Klima. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 2011, ISBN 3-8001-5864-7, Kapitel: „Was das Christkind bringt – El Niño“.
- Kuenzer, C., Zhao, D.; Scipal, K.; Sabel, D.; Naeimi, V.; Bartalis, Z.; Hasenauer, S.; Mehl, H.; Dech, S.; Waganer, W.: El Niño southern oscillation influences represented in ERS scatterometer-derived soil moisture data. In: Applied Geography. 2009. doi:10.1016/j.apgeog.2009.04.004.
- Mark A. Cane, Edward Sarachik: The El Niño-Southern oscillation phenomenon, Cambridge UP 2010
- S. George Philander: Our Affair With El Niño: How We Transformed an Enchanting Peruvian Current into a Global Climate Hazard, Princeton UP 2006
Weblinks
- Hamburger Bildungsserver: Ozean und Klima – El Niño
- El-Niño-Infoseite
- das ENSO-Phänomen – Informationen zum Phänomen El Niño
- Material des „Science magazine“ (englisch)
- RealClimate.org: El Niño and Global Warming (englisch)
- philippinischer Wetterdienst mit täglich aktualisierten Wetterdaten, Taifun-Statistiken, Satellitenfotos und El-Niño-Status (englisch)
- über El Niño und La Niña von der australischen Regierung, Bureau of Meteorology (englisch)
- El Niño als Fernwirkung auf den europäischen Winter
- Niño, La Niña und die große Wippe Wissensplattform "Erde und Umwelt" ESKP
Einzelnachweise
- El Niño macht Europa kalt. Spiegel Online vom 13. Februar 2010.
- Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie: Das Ereignis 2015/16 und Hintergründe zum Phänomen (Memento vom 28. April 2016 im Internet Archive)
- Das Klimaphänomen El Niño hat sich verändert. Welt.de vom 13. Februar 2010
- Was braut sich da zusammen? FAZ.net 12. April 2015
- Details on the April ENSO Forecast. climate.gov 9. April 2015
- Joachim Müller-Jung: Neues Chaos zwischen Himmel und Meer. FAZ.net (der Artikel basiert unter anderem auf dem Artikel Six Tropical Cyclones At Once in the Pacific Ocean: How Rare Is That?)
- Dürre, Hunger und Konflikt – El Niño droht Teile Afrikas zu destabilisieren. domradio.de vom 10. Februar 2016, abgerufen am 20. Februar 2016
- Wasserkrise in Äthiopien - Die Regierung schämt sich für die Dürre, NZZ, 25. April 2016
- Das Monster stirbt, der Hungertod bleibt . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. April 2016, abgerufen am 12. April 2016.
- David Anderson: Meteorology: Testing time for El Niño. In: Nature. 428, Nr. 6984, 15. April 2004, S. 709–711. ISSN 0028-0836. doi:10.1038/428709a.
- J. Ludescher, A. Gozolchiani, M. I. Bogachev, A. Bunde, S. Havlin, H. J. Schellnhuber: Very early warning of next El Nino. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 111, Nr. 6, 11. Februar 2014, S. 2064–2066. ISSN 0027-8424. doi:10.1073/pnas.1323058111.
- 2016 setzt schon jetzt Klimarekorde. In: Scinexx, 16. Juni 2016, abgerufen am 16. Juni 2016.