Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite
Eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite (kurz: GNIT,[1] auch Internationaler Gesundheitsnotstand, englisch Public Health Emergency of International Concern kurz: PHEIC) ist ein von dem Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Artikel 12 der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) festgestelltes Ereignis.[2][3]
Definition
Voraussetzung für einen internationalen Gesundheitsnotstand ist ein „außergewöhnliches Ereignis“, bei dem sich eine Krankheit über Landesgrenzen hinweg auszubreiten droht und so zum Gesundheitsrisiko für andere Länder und den internationalen Verkehr wird, als „ernst, ungewöhnlich oder unerwartet“ eingestuft wird und möglicherweise ein sofortiges international koordiniertes Handeln erfordert.[4]
Verfahren
Für die Übermittlung der betreffenden Angaben im Bereich der übertragbaren Krankheiten an die WHO ist in Deutschland das Robert Koch-Institut zuständig (§ 12 Abs. 1 Satz 4 IfSG),[5] für den Bereich chemischer Gefahren das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und für den Bereich radionuklearer Gefahren das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (§ 4 Abs. 1 Nr. 1–3 IGV-Durchführungsgesetz).[6]
Für die Bewertung und Meldung von Ereignissen, die eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite darstellen können, enthält Anlage 2 zu den IGV ein Entscheidungsschema, nach dem die nationalen Behörden verfahren.[7]
Der Generaldirektor der WHO berät sich mit dem Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet ein Ereignis eingetreten ist und ersucht den mit Sachverständigen aller relevanten Fachbereiche besetzten Notfallausschuss (International Health Regulations Emergency Commitee - IHR Emergency Commitee) binnen 48 Stunden um geeignete vorläufige Empfehlungen (Art, 12, 47, 48 IGV).[8] Zu dem Ausschuss gehören unter anderem Virologen, Experten für Seuchenbekämpfung, Impfstoffentwickler oder auch spezialisierte Epidemiologen.
Der Generaldirektor entscheidet endgültig aufgrund der Stellungnahme der Sachverständigen und teilt seine Entscheidung den Vertragsstaaten mit (Art. 49 Abs. 5, 6, Art. 11 Abs. 2 Buchstabe a) IGV). Er informiert außerdem die natürlichen oder juristischen Person, die im internationalen Reiseverkehr für eine Beförderung mit Luftfahrzeugen, Schiffen, Eisenbahnen, Straßenfahrzeugen oder anderen Beförderungsmitteln verantwortlich sind (Art. 49 Abs. 6 Satz 2 IGV).
Konsequenzen
Ist eine gesundheitliche Notlage festgestellt worden, so gibt die WHO zeitlich befristete Empfehlungen, um die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern oder zu verringern und eine unnötige Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs zu vermeiden.[9] Die Empfehlungen können Gesundheitsmaßnahmen umfassen, die von dem Vertragsstaat durchgeführt werden sollten, der sich in einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite befindet oder von anderen Vertragsstaaten und sich auf Personen sowie Gepäck, Fracht, Container, Beförderungsmittel, Güter und/oder Postpakete beziehen (Art. 15 IGV).[3]
Von der WHO in Bezug auf Personen gegebene Empfehlungen an die Vertragsstaaten können nach Art. 18 Abs. 1 IGV folgende Ratschläge beinhalten:
- den Reiseverlauf in betroffenen Gebieten überprüfen;
- den Nachweis von ärztlichen Untersuchungen und Laborergebnissen überprüfen;
- ärztliche Untersuchungen verlangen;
- den Nachweis einer Impfung oder einer anderen Prophylaxe überprüfen;
- eine Impfung oder eine andere Prophylaxe verlangen;
- verdächtige Personen einer Beobachtung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit unterziehen;
- Quarantäne- oder andere Gesundheitsmaßnahmen für verdächtige Personen durchführen;
- eine Absonderung betroffener Personen und nötigenfalls deren Behandlung durchführen;
- eine Nachverfolgung der Kontakte verdächtiger oder betroffener Personen durchführen;
- die Einreise verdächtiger und betroffener Personen verweigern;
- die Einreise nicht betroffener Personen in betroffene Gebiete verweigern und
- bei der Ausreise von Personen aus betroffenen Gebieten ein Screening durchführen und/oder Beschränkungen auferlegen.
In Bezug auf Gepäck, Fracht, Container, Beförderungsmittel, Güter und Postpakete gegebene Empfehlungen beinhalten gem. Art. 18 Abs. 2 IGV:
- Ladeliste und Route überprüfen;
- den Nachweis von Maßnahmen bei der Abreise oder bei der Durchfuhr zur Beseitigung von Infektionen oder Verseuchungen überprüfen;
- eine Behandlung von Gepäck, Fracht, Containern, Beförderungsmitteln, Gütern, Postpaketen oder menschlichen Überresten durchführen, um Infektionen oder Verseuchungen einschließlich Vektoren und Herden zu beseitigen;
- besondere Gesundheitsmaßnahmen anwenden, um die sichere Handhabung und den sicheren Transport menschlicher Überreste zu gewährleisten;
- eine Absonderung oder Quarantäne durchführen;
- Beschlagnahme und Vernichtung infizierter oder verseuchter oder verdächtiger Gepäck- oder Frachtstücke, Container, Beförderungsmittel, Güter oder Postpakete unter kontrollierten Bedingungen vornehmen, wenn andere verfügbare Behandlungen oder Verfahren sonst erfolglos bleiben würden und
- die Ab- oder Einreise verweigern.
Bisherige Fälle
Seit dem Inkrafttreten der internationalen Gesundheitsvorschriften im Jahr 2005 wurden von tausenden Ereignissen, die seitdem an die WHO gemeldet wurden, folgende gesundheitliche Notlagen internationaler Tragweite festgestellt:
- Influenza A (April 2009)
- Poliomyelitis (Mai 2014)
- Ebola-Fieber (August 2014)
- Zikavirus (Februar 2016)
- Ebola-Fieber (Juli 2019)[10][11]
- COVID-19-Pandemie (30. Januar 2020).[12][13][14]
Der Ausbruch des MERS-CoV-Virus auf der Arabischen Halbinsel führte bislang nicht zur Feststellung einer gesundheitlichen Notlage.[15][16]
Die prognostizierten Risiken infolge der Nuklearkatastrophe von Fukushima für die Menschen in Japan und auch außerhalb des Landes sind nach Einschätzung der WHO gering.[17][18]
Weblinks
- International Health Regulations. (PDF) Weltgesundheitsorganisation, 2005, abgerufen am 31. Januar 2020 (englisch).
- WHO: Health Effects of the Chernobyl Accident and Special Health Care Programmes Genf 2006, englisch (zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl und den besonderen Gesundheitsprogrammen in der Ukraine, Weißrussland und der Russischen Föderation).
Einzelnachweise
- Gesundheitsvorschriften, Internationalen: Empfehlung des Robert Koch-Institutes nach Anhörung der obersten Landesgesundheitsbehörden. In: Bundesgesundheitsblatt 9 (2018)
- International Health Regulations. (PDF) Article 12: Determination of a public health emergency of international concern. Weltgesundheitsorganisation, 2005, abgerufen am 30. Januar 2020 (englisch).
- Deutsche Welle (www.dw.com): Was ist ein internationaler Gesundheitsnotstand? | DW | 30.01.2020. Abgerufen am 30. Januar 2020 (deutsch).
- Christiane Fux: Was ist ein Internationaler Gesundheitsnotstand? 21. Januar 2020.
- Die Internationalen Gesundheitsvorschriften der Weltgesundheitsorganisation RKI, abgerufen am 24. März 2020.
- BGBl. I S. 566
- BGBl. 2007 II S. 930, 977
- International Health Regulations. (PDF) Part IX: The IHR Roster of Experts, the Emergency Committee and the Review Committee. Weltgesundheitsorganisation, 2005, abgerufen am 30. Januar 2020 (englisch).
- Was die WHO-Erklärung einer gesundheitlichen Notlage bedeutet 30. Januar 2020.
- Statement on the meeting of the International Health Regulations (2005) Emergency Committee for Ebola virus disease in the Democratic Republic of the Congo WHO, 18. Oktober 2019 (englisch).
- Ebola im Kongo weiterhin gesundheitliche Notlage ärzteblatt.de, 13. Februar 2020.
- Florian Rötzer: WHO ruft international Notlage aus 30. Januar 2020.
- vgl. Country & Technical Guidance - Coronavirus disease (COVID-19) WHO, abgerufen am 24. März 2020 (englisch).
- Preparedness, prevention and control of COVID-19 in prisons and other places of detention WHO/Regionalbüro für Europa (PDF), 15. März 2020 (englisch).
- Wie gefährlich ist das Virus aus Saudi-Arabien? Stern, 9. März 2015
- Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) – Qatar WHO, Disease Outbreak News, 12. März 2020 (englisch).
- WHO-Report: Nur gering höheres Krebsrisiko nach Fukushima Der Spiegel, 28. Februar 2013.
- Sven Stockrahm: Bericht zum Atomunfall: WHO schätzt Strahlenfolgen nach Fukushima gering ein Die Zeit, 28. Februar 2013.