YF-Raketentriebwerke
Die YF-Raketentriebwerke (chinesisch YF系列火箭發動機 / YF系列火箭发动机, Pinyin YF Xìliè Huǒjiàn Fādòngjī) sind eine von der chinesischen Akademie für Flüssigkeitsraketentriebwerkstechnik und ihren Tochterunternehmen hergestellte Serie von Flüssigkeitsraketentriebwerken für Mittelstreckenraketen und zivile Trägerraketen. Soweit die Triebwerke mit kryogenen Treibstoffen arbeiten, werden sie in Peking hergestellt. Alle übrigen YF-Triebwerke – betrieben mit bei Raumtemperatur lagerbaren, hypergolen Treibstoffmischungen oder mit Kerosin und Flüssigsauerstoff – werden in Xi’an gebaut. Die Tests der Triebwerke finden in abgelegenen Tälern des Qinling-Gebirges statt.
Wichtige Triebwerke
YF-1
Erstes Triebwerk der Serie war das „Flüssigkeitsraketentriebwerk 1“ (液体火箭发动机, Pinyin Yètǐ Huǒjiàn Fādòngjī, daher kurz „YF-1“) für die erste Stufe der Mittelstreckenrakete Dongfeng 3. Es wurde auf der 1965 gegründeten Basis 067 in Baoji in der Provinz Shaanxi entwickelt. Das nach dem Nebenstromverfahren arbeitende Triebwerk, von dem vier Stück in einem 1180 kg schweren Modul mit der Bezeichnung „YF-2“ zusammengefasst waren,[1] verwendete Ethanol mit den Oxidatoren Salpetersäure (73 %) und Distickstofftetroxid (27 %), auch bekannt als „AK-27“, als Treibstoff.[2] Bei einem Mischungsverhältnis von Oxidator zu Brennstoff von 2,46 erzeugte es auf Meereshöhe einen Schub von 255 kN – also 1020 kN Startschub für die Rakete – und lieferte einen spezifischen Impuls von 2354 m·s−1.[3] In der ersten Stufe der zivilen Rakete Changzheng 1 kam dasselbe Triebwerk zum Einsatz. Das für die zweite Stufe von Dongfeng 3 und Changzheng 1 entwickelte Triebwerk YF-3 war deutlich leistungsstärker. Dieses Triebwerk, von dem nur eines in der Stufe zum Einsatz kam, erzeugte mit AK-27 und 1,1-Dimethylhydrazin, auch bekannt als „UDMH“, im Mischungsverhältnis von 2,48 einen Vakuumschub von 320 kN und lieferte einen spezifischen Impuls von 2815 m·s−1.[4][5]
Diese Grundtriebwerke wurden im Laufe der Zeit weiter verbessert. So konnte zum Beispiel mit dem YF-1A, das mit UDMH statt Ethanol[6] einen Schub von 275 kN und einen spezifischen Impuls von 2383 m·s−1 erzeugte, die maximale Reichweite der 1985 erstmals gestarteten Dongfeng 3A von 2660 km auf 2810 km erhöht werden.[7] Dasselbe Triebwerk bzw. das Vier-Triebwerk-Modul YF-2A kam bei der 1995 erstmals für einen suborbitalen Testflug gestartete Changzheng 1D zum Einsatz. Zusammen mit einem Treibstoffwechsel beim Zweitstufentriebwerk YF-3 konnte so die Nutzlast der Rakete von 300 auf 740 kg erhöht werden.[8][9]
YF-20
Im Herbst 1969 begann man im 2. Büro für Maschinenbau und Elektrotechnik Shanghai (heute Shanghaier Akademie für Raumfahrttechnologie) mit der Entwicklung der zweistufigen Trägerrakete Feng Bao 1.[10] Ab 1970 arbeitete parallel dazu die 1. Akademie des Siebten Ministeriums für Maschinenbau (第七机械工业部第一研究院, heute „Chinesische Akademie für Trägerraketentechnologie“) unter Ren Xinmin auf der Grundlage der Interkontinentalrakete Dongfeng 5 an einer ähnlichen Trägerrakete mit der Bezeichnung „Changzheng 2“, später „Changzheng 2A“ genannt.[11] Für diese beiden Raketen wurde von der Basis 067 das ebenfalls nach dem Nebenstromverfahren arbeitende Triebwerk YF-20 entwickelt. Anders als das YF-1 verwenden die Triebwerke dieser bis heute eingesetzten Serie reines Distickstofftetroxid als Oxidator. Der Treibstoff blieb mit 1,1-Dimethylhydrazin unverändert. Ein YF-20 erzeugte einen Schub von 696,25 kN und einen spezifischen Impuls von 2540 m·s−1. Für die erste Stufe der FB-1 und der CZ-2 wurden vier dieser Motoren in einem „YF-21“ genannten, 2850 kg schweren Modul zusammengefasst. So erreichten diese Raketen einen Startschub von 2785 kN, mehr als doppelt soviel wie beim YF-1-Antrieb. Für die zweite Stufe der Feng Bao 1 wurde das YF-22 mit einer für den Betrieb im Vakuum optimierten Düse entwickelt.[12][13] Dieses Triebwerk erzeugte einen Vakuumschub von 719,8 kN und einen spezifischen Impuls von 2834 m·s−1.[14]
Bei der Changzheng 2 war die zweite Stufe lenkbar. Dazu wurden um das YF-22-Triebwerk herum vier schwenkbare Vernierdüsen vom Typ YF-23 angebracht. Hierbei handelt es sich um kleine Triebwerke mit einem Vakuumschub von jeweils 46,1 kN, die wie das Haupttriebwerk die hypergole Treibstoffmischung UDMH/Distickstofftetroxid verwenden. Die Antriebseinheit aus YF-22 und vier YF-23-Vernierdüsen ist als „YF-24“ bekannt.[15] Wie die anderen Triebwerke der YF-20-Serie wird das YF-24 in verbesserter Form bis heute verwendet, so zum Beispiel als YF-24B bei der Changzheng 2C oder als YF-24D in der zweiten Stufe der Changzheng 3B.[16]
YF-75
Die mit hypergolen, bei Raumtemperatur lagerbaren Treibstoffmischungen arbeitenden Triebwerke wurden hauptsächlich auf der Basis 067 in Shaanxi entwickelt. Parallel dazu arbeitete man jedoch in Peking auf Anregung von Qian Xuesen, damals stellvertretender Leiter des 5. Forschungsinstituts, seit Januar 1961 an Triebwerken, die die kryogene Treibstoffkombination flüssiger Wasserstoff/flüssiger Sauerstoff verwendeten. Diese ermöglicht einen höheren spezifischen Impuls als UDMH/Distickstofftetroxid und ist weitaus ungiftiger. In Zusammenarbeit mit dem damaligen Forschungsinstitut für Mechanik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften wurde im März 1965 eine Brennkammer entworfen und gebaut, die zwar mit gasförmigem Wasserstoff, aber schon Flüssigsauerstoff als Oxidator einen Schub von 2 kN erzeugte und mehrmals erfolgreich gezündet werden konnte. 1970 wurde trotz Kulturrevolution und Spannungen mit der Sowjetunion eine Brennkammer für flüssigen Wasserstoff und Sauerstoff konstruiert, die einen Schub von 8 kN erzeugte. Dies gilt heute als Durchbruch bei der Entwicklung der chinesischen LOX/LH2-Triebwerke.
Im Oktober 1970, als Ren Xinmin gerade mit der Entwicklung der noch mit UDMH/Distickstofftetroxid arbeitenden Trägerrakete Changzheng 2 begonnen hatte, erteilte er dem Pekinger Forschungsinstitut für Raumfahrtantriebe den Auftrag, einen Prototyp eines kryogenen Triebwerks mit einer Schubkraft von etwa 40 kN zu entwickeln. Gut vier Jahre später war besagter Prototyp, der nach dem Nebenstromverfahren arbeitete, fertig; am 25. Januar 1975 lief er erstmals für 20 Sekunden auf dem Prüfstand. Am 31. März 1975 genehmigte Mao Zedong den Plan, einen geostationären Kommunikationssatelliten, später Dong Fang Hong 2 genannt, in eine 36.000 km hohe Umlaufbahn zu befördern; ein Projekt, das nach dem Datum allgemein als „Projekt 331“ bekannt ist. Hierfür benötigte man eine dreistufige Rakete, die Changzheng 3. Die ersten beiden Stufen der neuen Rakete wurden einschließlich der Triebwerke der YF-20-Serie von der Changzheng 2 übernommen. Für die dritte Stufe wurde dagegen nun in Peking das YF-73 entwickelt. Dieses Triebwerk wog 236 kg und erzeugte mit einem Sauerstoff-Wasserstoff-Verhältnis von 5,0 einen Schub von etwas über 11 kN bei einem spezifischen Impuls von 4119 m·s−1, also 45 % mehr als das YF-22. Auch hier wurden wieder vier Triebwerke zu einem Antriebsmodul zusammengefasst.[17] Wiederzündbar und einzeln um jeweils eine Achse schwenkbar erzeugten sie zusammen einen Vakuumschub von 44,15 kN.[18][19]
Das YF-73 hatte seinen ersten Einsatz am 29. Januar 1984 bei dem – fehlgeschlagenen – Versuch, den Kommunikationssatelliten Dong Fang Hong 2-1 in eine geostationäre Umlaufbahn zu bringen. Insgesamt wurde das Triebwerk bei 13 Flügen eingesetzt. Drei davon scheiterten (1984, 1991, 1996), was jeweils auf ein Versagen des YF-73 zurückzuführen war, in zwei Fällen (1984 und 1991) einige Sekunden nach dessen zweiter Zündung. Nach einem letzten Flug am 25. Juni 2000 wurde das Triebwerk wegen seiner mangelnden Zuverlässigkeit und dem Wunsch nach einem noch stärkeren Antrieb außer Dienst gestellt.
Bereits 1982, als die Probleme mit dem YF-73 noch nicht bekannt waren, hatten Ingenieure des Pekinger Forschungsinstituts für Raumfahrtantriebe mit der Entwicklung eines Nachfolgemodells für höhere Nutzlasten begonnen. Das Triebwerk mit der Bezeichnung „YF-75“ war für den Einsatz in der dritten Stufe der verbesserten Trägerrakete Changzheng 3A gedacht. Angesichts der immer anspruchsvolleren Kommunikationssatelliten sollte damit die Transportkapazität für geostationäre Orbits von 1,5 t auf 2,6 t erhöht werden. Nachdem die chinesische Regierung im Oktober 1985 die Erlaubnis erteilt hatte, kommerzielle Satellitenstarts mit Trägerraketen vom Typ Changzheng 2 und Changzheng 3 auf dem internationalen Markt anzubieten,[20] wurden die Entwicklungsarbeiten intensiviert.
Auch das YF-75 arbeitet nach dem Nebenstromverfahren (siehe die Abbildung oben); seine Treibstoffpumpen werden also mit heißem Abgas angetrieben, das in einer separaten kleinen Brennkammer, dem Vorbrenner, erzeugt wird. Anders als alle bisherigen Triebwerke desselben Herstellers verwendet das YF-75 aber zwei Turbinen für den Antrieb der Wasserstoff- und der Sauerstoffpumpe, sodass beide mit verschiedener, jeweils optimaler Geschwindigkeit arbeiten können.[21] Die schnellere der beiden, die Wasserstoffpumpe, rotiert mit 42.000/min. Für den Einbau in die Rakete sind zwei der jeweils 78,45 kN Vakuumschub erzeugenden Triebwerke in einem Modul zusammengefasst, wo sie der Raketenstufe einen Schub von 156,9 kN verleihen. Der spezifische Impuls dieses Antriebs beträgt 4286 m·s−1. Die Pumpen sind fest an die Brennkammern montiert, die zur Schubvektorsteuerung jeweils um zwei Achsen geschwenkt werden können.
Dieses Konzept erwies sich als extrem erfolgreich. Vom 8. Februar 1994 bis zum 9. März 2020 wurden mit Raketen vom Typ Changzheng 3A, 3B und 3C, in deren dritter Stufe das Triebwerk verbaut ist, insgesamt 110 Flüge durchgeführt. Nur bei einem davon, dem Start des indonesischen Kommunikationssatelliten Palapa-D am 31. August 2009, gab es bei einem der YF-75 Triebwerke nach der zweiten Zündung eine Fehlfunktion. Der Satellit wurde dadurch in einer zu niedrigen Umlaufbahn ausgesetzt.[22][23] Erst am 9. April 2020 ereignete sich beim Start einer Changzheng 3B, die wieder einen indonesischen Kommunikationssatelliten in den Orbit befördern sollte, eine erneute Fehlfunktion der 3. Stufe.[24]
Der nächste Start einer Changzheng 3B war für den Vormittag des 16. Juni 2020 angesetzt. Während des Countdowns, kurz nach 8 Uhr abends am Vortag, bemerkten die Ingenieure abnormale Druckwerte am Druckminderungsventil in der Sauerstoffleitung eines der beiden Triebwerke im Antriebsmodul der dritten Stufe. Zunächst beschloss man, das Ventil gegen ein vor Ort vorrätiges Ersatzventil auszutauschen. Beim Ausbau des Ventils bemerkten die Techniker jedoch einen etwa drei bis vier Zentimeter langen, hühnerfußförmigen Haarriss im Gehäuse des Ventils.[25] Die rasch verständigte Akademie für Trägerraketentechnologie in Peking führte an einem zufällug ausgewählten Ventil desselben Produktionsloses eine gründliche Prüfung durch und entdeckte erneut einen Haarriss. Daraufhin schlug Wu Yansheng, der Vorstandsvorsitzende der China Aerospace Science and Technology Corporation, eine Verschiebung des Starts vor, eine Entscheidung, die der für die Mission zuständige Kommandant der Volksbefreiungsarmee vorbehaltlos unterstützte. Ein aus Peking herangeschafftes, einwandfreies Ersatzventil wurde zwei Tage später eingebaut, und am 23. Juni 2020 transportierte die Rakete für die Strategische Kampfunterstützungstruppe der Volksrepublik China den letzten ihrer Beidou-Navigationssatelliten in einen geostationären Orbit.[26]
YF-75D
Seit Mai 2001 hatte man bei der China Aerospace Science and Technology Corporation intensiv an einer modularen schweren Trägerrakete gearbeitet. Im August 2006 wurde dieses Konzept vom Staatsrat der Volksrepublik China genehmigt; später wurde es als „Changzheng 5“ bekannt. Für die zweite Stufe der größeren Varianten dieser Raketenfamilie war ein Wasserstoff/Sauerstoff-Antrieb mit zwei „YF-75D“-Triebwerken vorgesehen, einer Weiterentwicklung des YF-75. Dabei wurde das System der beiden getrennten Turbopumpen für Wasserstoff und Sauerstoff übernommen, die jedoch nicht mehr mit Heißgas aus einem Vorbrenner betrieben werden, sondern nach dem Expanderverfahren arbeiten: Der Wasserstoff wird durch die Wand der Brennkammer gepumpt, wobei er verdampft und zugleich die Kammer kühlt. Von dort wird der durch die Turbinen der Treibstoffpumpen geleitet und treibt diese an, bevor er in die Brennkammer gelangt. Um die gewünschte Erhitzung des Wasserstoffs zu gewährleisten, musste die Brennkammer im Vergleich zum YF-75 deutlich verlängert werden – sie ist beim YF-75D etwa doppelt so lang. Andererseits ersparte man sich hierbei den Vorbrenner, was das Triebwerk zuverlässiger macht und die Entwicklungszeit verkürzte.
Während das YF-75 Turbinen mit radialer Anströmungsrichtung verwendet (das Wassermühlen-Prinzip), wurde für das YF-75D nach Tests mit beiden Turbinentypen die axiale Bauart gewählt. Die Wasserstoffpumpe rotiert hierbei mit 65.000/min. Das Mischungsverhältnis von Sauerstoff zu Wasserstoff beträgt ungefähr 6,0 und kann über ein Ventil in der Sauerstoffleitung angepasst werden. Im Gegensatz zum YF-75 kann das YF-75D mehr als zweimal gezündet werden. Jeweils zwei dieser Triebwerke sind zu einem Modul zusammengefasst und dort einzeln kardanisch aufgehängt. Das YF-75D erzeugt einen spezifischen Impuls von 4335 m·s−1 und einen Vakuumschub von 88,26 kN, was der zweiten Stufe der Changzheng 5 einen Gesamtschub von 176,52 kN verleiht.[27]
YF-77
Bereits im Januar 2002 hatte die Kommission für Wissenschaft, Technik und Industrie für Landesverteidigung die Genehmigung erteilt, für die erste Stufe der Changzheng 5 ein starkes Wasserstoff/Sauerstoff-Triebwerk zu entwickeln. Da zu diesem Zeitpunkt bereits ausgefeilte Software zur Verfügung stand, um die Ingenieure bei den Berechnungen mit Computersimulationen zu unterstützen, konnte bereits Mitte 2002 ein erster Entwurf vorgelegt werden. Als Arbeitsprinzip wurde hier das Nebenstromverfahren wie beim YF-75 gewählt, wieder mit einem gemeinsamen Vorbrenner aber zwei getrennten Turbopumpen für Wasserstoff und Sauerstoff. Anders als beim YF-75, wo das Heißgas nach Durchlaufen der beiden Turbinen über ein gemeinsames Rohr ins Weltall entlassen wird, hat bei dem „YF-77“ genannten Triebwerk jede Turbine ein eigenes Auspuffrohr. Zwei dieser Triebwerke mit einem unteren Düsendurchmesser von 1,45 m sind einzeln auslenkbar in einem Rahmengestell aufgehängt und bilden mit diesem ein 4,2 m hohes und 2,7 t schweres Antriebsmodul. Das YF-77 erzielt einen Schub von 510 kN auf Meereshöhe bei einem spezifischen Impuls von 4295 m·s−1.
Die anspruchstvollsten Komponenten an einem Triebwerk sind die Turbopumpen, die daher besonders sorgfältig konstruiert und ausgiebig getestet wurden. Die Turbinen, die im YF-77 die Kreiselpumpen für Wasserstoff (35.000/min) und Sauerstoff (18.000/min) antreiben, bestehen jeweils aus zwei Stufen, mit dem eigentlichen Laufschaufelrad und einem Austrittsleitrad, das dem ausströmenden Heißgas seinen Rotationsdrall nimmt, sodass es gleichförmiger ausströmen kann. Die meisten Teile der Turbine bestehen aus der Nickelbasis-Superlegierung In 718 der amerikanischen Special Metals Corporation.[28] Dieses Material behält seine Festigkeit über einen breiten Temperaturbereich und ist daher für Anwendungen im Triebwerksbau besonders geeignet. Andererseits ist es sehr schwierig zu verarbeiten. Daher wurde für das Austrittsleitrad rostfreier Stahl als Material gewählt.[29]
Diese Sparmaßnahme erwies sich als folgenschwerer Fehler. Beim zweiten Start der Changzheng 5 am 2. Juli 2017 ergab sich bei einem der Triebwerke durch die hohe Temperatur des Abgasstroms ein Problem im Austrittsbereich einer der Turbinen, was 346 Sekunden nach dem Start zu einem Schubverlust und dem Absturz der Rakete führte.[30] Fehlersuche, Neukonstruktion der Turbine – das Material für das Austrittsleitrad wurde in In 718 geändert und in der Turbine fünf weitere Leitschaufeln hinzugefügt – Tests und erneute Umkonstruktionen dauerten insgesamt zwei Jahre. Erst am 27. Dezember 2019, genau 908 Tage nach dem Absturz, fand der nächste Start der Rakete statt.[31] Dadurch verschob sich unter anderem der ursprünglich für Ende 2019 angesetzte Starttermin der Mondsonde Chang’e 5 auf Ende 2020.[32] Auch der Bau der modularen Raumstation verzögerte sich.[33]
YF-100
Im Zusammenhang mit dem damals diskutierten Projekt zur Entwicklung einer schweren Trägerrakete (der heutigen Changzheng 5) begann das Xi’aner Forschungsinstitut für Raumfahrtantriebe Anfang 2000 mit der Arbeit an dem leistungsstarken Triebwerk „YF-100“. Das YF-100 sollte nach dem Hauptstromverfahren arbeiten und mit einer diergolen Treibstoffkombination aus Raketenkerosin und Flüssigsauerstoff betrieben werden. Auf Meereshöhe sollte es einen Schub von 1200 kN liefern.[34]
Bei dieser Neuentwicklung hatte man zunächst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen: von den ersten vier hergestellten Triebwerken explodierten zwei auf dem Prüfstand, zwei gerieten in Brand. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis die Ingenieure die Ursache für die Fehlfunktion gefunden hatten. Mittels Computersimulation erarbeiteten sie eine verbesserte Zündsequenz für das Triebwerk, und von da an lief es einwandfrei.[35] Am 30. Oktober 2005 fand auf dem Prüfstand für auslenkbare Triebwerke des Xi’aner Prüfinstituts für Raumfahrtantriebe im Kreis Feng der erste, 300 Sekunden dauernde Langzeittest eines Prototyps statt. Die für den regulären Einsatz in den Changzheng-Boostern geplante Brennzeit von 173 Sekunden wurde damit deutlich überschritten. Bei dem Test waren Zhang Yunchuan (张云川, * 1946), der Leiter der Kommission für Wissenschaft, Technik und Industrie für Landesverteidigung, sowie Chen Deming (陈德铭, * 1949), Gouverneur der Provinz Shaanxi, und weitere Prominenz anwesend.[36]
Nachdem das Xi’aner Forschungsinstitut insgesamt 61 Exemplare des Triebwerks hergestellt und auf die verschiedensten Arten getestet hatte, wurde das YF-100 am 28. Mai 2012 von der Nationalen Behörde für Wissenschaft, Technik und Industrie in der Landesverteidigung abgenommen.[37] Anders als die Triebwerke der 70er-Reihe besitzt das YF-100 nur eine Turbine, die über eine gemeinsame Achse sowohl die Sauerstoff- als auch die Kerosinpumpe antreibt; die Regelung des Treibstoffgemisches (2,7 ± 10 %) erfolgt einzig über Ventile. Auch die Steuerung des Schubkraftvektors erfolgt anders als sonst. Ursprünglich war zwar vorgesehen, Vorbrenner und Turbopumpe fest an der Brennkammer zu montieren und das gesamte Triebwerk zu schwenken.[38] Um die zu bewegende Ruhemasse zu reduzieren, änderte man dies jedoch zu einer post-Pumpen-Schwenkung wie bei dem YF-100K in nebenstehendem Bild, wo die mit Kerosin als Hydraulikflüssigkeit betriebenen Hydraulikzylinder am oberen Rand der Düse ansetzen und diese um bis zu 8° aus der Vertikalen auslenken.[39] In den Boostern der Changzheng 5, Changzheng 7 und Changzheng 8 kann das Triebwerk nur um eine Achse geschwenkt werden, bei einer Verwendung in der Kernstufe der Changzheng 7 oder Changzheng 8 um zwei Achsen.[40]
Die Düse des YF-100 hat am unteren Rand einen Durchmesser von 1,34 m. Auf Meereshöhe erzeugt das Triebwerk eine Schubkraft von 1224 kN und liefert einen spezifischen Impuls von 2942 m·s−1. Für die Anwendung in der zweiten Stufe der Changzheng 6 und Changzheng 7 gibt es eine kleinere Version, das YF-115, mit einem Düsendurchmesser von 97 cm, einem Vakuumschub von 180 kN und einem spezifischen Impuls von 3354 m·s−1.[41][42] Für die Booster der Bemannten Rakete der neuen Generation, die 2025 ihren Erstflug absolvieren soll, wurde die Version YF-100K entwickelt.[43] Die Düse dieses Triebwerks hat am unteren Rand einen Durchmesser von 1,15 m, es erzeugt auf Meereshöhe eine Schubkraft von 785 kN und liefert einen spezifischen Impuls von 2981 m·s−1.[40]
YF-102
Auf der Luft- und Raumfahrtausstellung Zhuhai 2021 stellte die Akademie für Flüssigkeitsraketentriebwerkstechnik das YF-102 vor. Dieses nach dem Nebenstromverfahren arbeitende Triebwerk verwendet Raketenkerosin und Flüssigsauerstoff als Treibstoff, es kann je nach Kundenwunsch mit einer Schubkraft auf Meereshöhe zwischen 620 kN und 835 kN hergestellt werden. Der spezifische Impuls auf Meereshöhe beträgt 2700 m·s−1, das Schub-Gewicht-Verhältnis liegt bei 130. Das Triebwerk ist 2,178 m hoch, es kann bis zu 6° aus der Vertikalen ausgelenkt werden. Fünf dieser Triebwerke können zu einem Modul zusammengefasst werden, das in Standard-Raketenstufen oder Booster von 3,35 m Durchmesser passt. Bei der Herstellung des Triebwerks wird in großem Umfang 3D-Druck genutzt, was die Kosten senkt. Bei Tests auf dem Prüfstand lief das Triebwerk für bis zu 200 Sekunden. Neben der Standardversion ist auch eine regelbare, mehrmals zündbare Vakuumversion des Triebwerks für den Einsatz in Oberstufen und wiederverwendbaren Raketen wie der Changzheng 8 angedacht.[44][45]
LOX/Methan-Triebwerke
Als preiswerte Alternative zu den Wasserstoff/Sauerstoff-Triebwerken arbeitet das Pekinger Forschungsinstitut für Raumfahrtantriebe seit einiger Zeit an einem nach dem Nebenstromverfahren arbeitenden, wiederverwendbaren Triebwerk mit einer Schubkraft von 600 kN auf Meereshöhe, das flüssigen Sauerstoff und Methan in einem Mischungsverhältnis von 2,88 als Treibstoff verwendet. In mehreren Versuchen mit verkleinerten Modellen und einzelnen Komponenten wurde das Verbrennungsverhalten von gasförmigem Methan mit Flüssigsauerstoff sowie flüssigem Methan mit Flüssigsauerstoff studiert. Der erste Prototyp des Triebwerks lief ab Januar 2011 in vier Tests insgesamt 67 Sekunden. Im September 2015 wurde eine verbesserte Version 13 Mal gestartet und abgeschaltet und lief dabei für 2103 Sekunden.[46] Bis Juni 2016 hatte man jenes Triebwerk dann 17 Mal gestartet, es war insgesamt 2173 Sekunden in Betrieb. Bei 10 dieser Testläufe war das Triebwerk jeweils 200 Sekunden im Dauerbetrieb gelaufen. Dieses Triebwerk soll in Zukunft bei wiederverwendbaren Flugkörpern eingesetzt werden.
Daneben entwickelt das Pekinger Institut auch ein kleineres LOX/Methan-Triebwerk mit 30 kN Schubkraft, das nach dem Expanderverfahren arbeitet. Mit hoher Zuverlässigkeit, hoher Effizienz und niederen Kosten soll dieses Triebwerk bei den Oberstufen von Raketen, Apogäumsmotoren und für komplizierte Bahnmanöver im Orbit eingesetzt werden. Am 15. September 2020 absolvierte ein Prototy des Triebwerks erstmals einen erfolgreichen Test auf dem Prüfstand.[47]
Weblinks
Einzelnachweise
- Norbert Brügge: Propulsion CZ-1 & CZ-1D. In: b14643.de. Abgerufen am 28. Februar 2020 (englisch).
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- Mark Wade: DF-3 in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 27. Februar 2020 (englisch).
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- 世界航天运载器大全编委会编: 世界航天运载器大全. 中国宇航出版社, 北京 1996.
- Mark Wade: YF-2A in der Encyclopedia Astronautica (englisch)
- Mark Wade: DF-3A in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 27. Februar 2020 (englisch).
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- Mark Wade: YF-2A in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 27. Februar 2020 (englisch).
- Mark Wade: Feng Bao 1 in der Encyclopedia Astronautica, abgerufen am 28. Februar 2020 (englisch).
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