Vega (Rakete)
Vega (italienisch Vettore Europeo di Generazione Avanzata „fortgeschrittene Generation einer europäischen Trägerrakete“) ist eine italienische vierstufige Trägerrakete für kleine Satelliten, die im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) ab 1998 von Avio entwickelt wurde. Ihren erfolgreichen Erstflug absolvierte sie am 13. Februar 2012.[1] Sie ist die bislang kleinste europäische Trägerrakete und kann bis zu 2,5 Tonnen in eine erdnahe Umlaufbahn bringen.
Entwicklung und Vertrieb
Vega ergänzt als leichte Trägerrakete die mittelschwere russische Sojus und die schwere Ariane 5, die beide ebenfalls in Kourou starten. Durch ihre einfache Bauweise als Feststoffrakete erhofft man sich eine erhöhte Zuverlässigkeit und eine drastische Reduzierung der Startkosten auf unter 20 Millionen Euro. An Vega sind insgesamt sieben Nationen beteiligt: Italien (65 %), Frankreich (12,43 %), Belgien (5,63 %), Spanien (5 %), die Niederlande (NIVR, 3,5 %), die Schweiz (EKWF, 1,34 %) und Schweden (0,8 %). Deutschland war bei der Entwicklung nicht beteiligt, da das DLR keinen Markt für einen neuen Träger sah und auf die verfügbaren russischen Träger verwies. Nachdem deren Startpreise stark angestiegen waren, wurde vor dem Jungfernflug angekündigt, sich bei einer Weiterentwicklung zu beteiligen. In den letzten Jahren wurden dazu im DLR-Institut SART unter der Bezeichnung VENUS I+II Studien durchgeführt.[2]
Vermarktet wird Vega von Arianespace. Weil die bisher vorgesehene vierte Stufe von russischen bzw. ukrainischen Herstellern zugeliefert wird, hat das DLR bei Airbus Defence and Space eine Studie für eine mögliche neue vierte Stufe aus Deutschland in Auftrag gegeben.[3] Das ESA-Entwicklungsprogramm VERTA (Vega Research and Technology Accompaniment) fördert die ersten fünf Flüge der Vega. Ursprünglich gehörte auch der Start von ADM-Aeolus dazu.
Die Entwicklung der Rakete wurde von der italienischen Raumfahrtagentur ASI und der italienischen Raumfahrtindustrie als nationales Vorhaben gestartet und 1998 mit Hilfe des damaligen ESA-Generaldirektors Antonio Rodotà ein ESA-Projekt.[4] Ein Prototyp des italienischen P80-Triebwerkes wurde am 4. Dezember 2007 in Kourou erfolgreich getestet und lieferte dabei über 111 Sekunden einen Schub von 190 Tonnen.[5][6] Am 28. April 2009 erfolgte der finale zweite Test des Vega-Raketenmotors der dritten Vegastufe im italienischen Salto di Quirra.[7]
Ende 2004 wurde mit dem Umbau der Startrampe ELA-1 begonnen, um von dieser nun ELV (l’Ensemble de Lancement Vega) genannten Startrampe aus die Vega starten zu können. Der erste Start der Rakete erfolgte am 13. Februar 2012. Die Nutzlast bestand aus dem 390 kg schweren Satelliten LARES sowie acht Kleinstsatelliten (12,5 kg und 7 Mal etwa 1 kg).
Technik
Vega
Die Gesamthöhe der Rakete beträgt 30 Meter bei maximal drei Meter Durchmesser, einer Startmasse von 137 Tonnen und einem Startschub von 2700 Kilonewton. Das hohe Schub-zu-Gewichts-Verhältnis bewirkt eine im Vergleich zu anderen Trägern auffallend hohe Beschleunigung. So schafft es die Rakete mit der ersten Stufe in 105 Sekunden auf über 6000 km/h (Beschleunigung etwa 16 m/s²).[8]
Die drei unteren Raketenstufen werden mit festem Treibstoff betrieben, der Antrieb wurde gegenüber den Feststoffboostern der Ariane 5 weiterentwickelt. So wurde durch die Bauweise aus gewickelten Faserverbundwerkstoffen erheblich Masse eingespart. Die Stufen arbeiten mit höherem Brennkammerdruck und die Düsen werden elektromechanisch anstatt hydraulisch bewegt. Die dabei gewonnenen technologischen Erkenntnisse waren der Grund, warum Frankreich nach anfänglicher Ablehnung der Vega sich doch an der Trägerrakete beteiligte. Es war einmal geplant, die Technologie der ersten Stufe auf die Ariane-5-Booster zu übertragen, um die Nutzlast zu steigern und die Fertigungskosten zu senken.[9] Die Boostertechnologie kommt nun jedoch erstmals bei der Ariane 6 zum Einsatz.
Die vierte Stufe ist mit einem Triebwerk für Flüssigtreibstoff ausgestattet. Dieses Triebwerk mit dem Namen VG 143 basiert auf dem sowjetischen RD 869, welches für die Interkontinentalrakete R-36M entwickelt worden war. 2008 wurde das erste Exemplar an Avio ausgeliefert.[10] Es lässt sich mehrfach zünden und platziert die Nutzlast in dem vorgesehenen Orbit. Die Technologie der Nutzlastverkleidung, die nach dem Verlassen der dichteren Atmosphärenschichten abgeworfen wird, beruht auf der der Ariane 5.
Version | Erste Stufe | Zweite Stufe | Dritte Stufe | Vierte Stufe |
---|---|---|---|---|
Triebwerk | P80 | Zefiro 23 | Zefiro 9 | AVUM |
Typ | Feststoff | Flüssigkeit | ||
Treibstoff | HTPB 1912 | UDMH / N2O4 | ||
Höhe | 10,5 m | 7,5 m | 3,85 m | 1,74 m |
Durchmesser | 3 m | 1,9 m | ||
Treibstoffmenge | 88 t | 23,9 t | 10,1 t | 0,55 t |
Schub (max.) | 3040 kN | 1200 kN | 213 kN | 2,45 kN |
Entspannungsverhältnis (nozzle expansion ratio) | 16 | 25 | 56 | – |
Brenndauer | 107 s | 71,6 s | 117 s | 315,2 s |
Vega-C – Vega Consolidated
Bei dieser in Entwicklung befindlichen Version der Vega wird die erste Stufe P80 durch die verlängerte Stufe P120 ersetzt, die auch als Booster für die Ariane 6 vorgesehen ist. Als zweite Stufe kommt statt der Z23 die neu entwickelte Stufe Zefiro 40 mit größerem Durchmesser zum Einsatz.[11] So soll die Nutzlastkapazität von 1500 kg auf 2200 kg in eine niedrige Erdumlaufbahn erhöht werden. Der Erstflug ist für 2022 geplant.[12] Ein Test der P120-Erststufe wurde im Sommer 2018 erfolgreich durchgeführt.[13]
Version | Erste Stufe | Zweite Stufe | Dritte Stufe | Vierte Stufe |
---|---|---|---|---|
Triebwerk | P120 | Zefiro 40 | Zefiro 9 | AVUM |
Typ | Feststoff | Flüssigkeit | ||
Treibstoff | HTPB 1912 | UDMH / N2O4 | ||
Höhe | 11,7 m | 7,6 m | 3,85 m | 1,74 m |
Durchmesser | 3,4 m | 2,3 m | 1,9 m | |
Treibstoffmenge | 143,6 t | 36,2 t | 10,1 t | 0,55 t |
Schub (max) | 4500 kN | 1304 kN | 213 kN | 2,45 kN |
Entspannungsverhältnis (nozzle expansion ratio) | 14,56 | 37 | 56 | – |
Brenndauer | 132,8 s | 92,9 s | 117 s | 315,2 s |
Vega-E – Vega Evolution
Diese Weiterentwicklung befindet sich in der frühen Entwicklungsphase[14] und basiert auf der Vega-C. Eine oft wiederzündbare kryogene Drittstufe (MYRA) soll hierbei die dritte Stufe Zefiro-9 und die vierte Stufe AVUM ersetzen – dies würde sowohl die Leistung und Flexibilität steigern, als auch die Kosten reduzieren.[15] Avio entwickelt für diese neue Oberstufe in Zusammenarbeit mit der ESA das M10-Triebwerk, das mit Methan und Flüssigsauerstoff betrieben wird.[16] Der Erststart der Vega-E wird für 2024 angestrebt.[17]
Zwischenfälle
Der erste Fehlstart einer Vega ereignete sich am 11. Juli 2019 (MESZ) beim Start des Aufklärungssatelliten Falcon Eye 1 für die Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate. Es handelte sich um den 15. Vega-Flug. 14 Sekunden nach der ersten Stufentrennung trat am Z23-Triebwerk der Zweitstufe ein „heftiges Ereignis“ auf, vermutlich infolge eines hitzebedingten Strukturversagens des vorderen (oberen) Motorgehäuses. Dadurch trennte sich die Zweitstufe vom Rest der Rakete, welche vom Kurs abkam und gesprengt werden musste.[20] Es entstand ein versicherter Sachschaden von rund 370 Millionen Euro.[21]
Beim nachfolgenden Vega-Start am 3. September 2020 verblieben zwei Lemur-2-Cubesats in ihrer Starthalterung und fielen zusammen mit der oberen Raketenstufe zurück zur Erde.[22]
Auch die nächste Vega-Mission am 17. November 2020 mit den Erdbeobachtungssatelliten Ingenio und Taranis für Spanien bzw. Frankreich verlief nicht nach Plan.[23] Nach dem Start um 1:52 Uhr UTC arbeiteten die ersten drei Stufen der Rakete plangemäß. Acht Minuten nach dem Start wurde die AVUM-Oberstufe regulär abgetrennt und gezündet. Sofort danach begann sie jedoch unkontrolliert zu taumeln, der Fehler konnte nicht korrigiert werden und die Rakete wich rasch von der vorgesehenen Flugbahn ab, was letztendlich zum Absturz mit Verlust der beiden Satelliten führte. Eine Analyse der Telemetrie-Daten sowie der Produktionsprotokolle für die Oberstufe zeigte, dass die Kabel für zwei Schubvektor-Aktoren verwechselt worden waren. Steuersignale, die für den einen Aktor bestimmt waren, gingen an den anderen, was zu dem Kontrollverlust führte.[24] Als Ursache des Problems wurden eine „irreführende Vorgehensweise“ beim Zusammenbau der Stufe und Inkonsistenzen in den Anforderungen für die anschließende Qualitätskontrolle ermittelt.[25]
Startliste
Literatur
- Bernd Leitenberger: Die Vega: Europas jüngste Trägerrakete. BOD, Norderstedt, 2012, ISBN 978-3-8448-0619-9
- Vega. In: Bernd Leitenberger: Internationale Trägerraketen: Die Trägerraketen Russlands, Asiens und Europas, Edition Raumfahrt, 2016, ISBN 978-3-7386-5252-9, S. 367–380
- Bernd Leitenberger: Europäische Trägerraketen 2: Ariane 5, 6 und Vega, Edition Raumfahrt, 2. Auflage von 2015, ISBN 978-3-7386-4296-4
Weblinks
- ESA: Launchers / VEGA (englisch)
- Bernd Leitenberger: Die Vega
- Capcom Espace: La lanceur européen Vega (französisch)
- Vega Launcher (Memento vom 18. Juli 2012 im Internet Archive) (englisch)
- First stone for Vega at Europe’s Spaceport (englisch)
- Vega brochure (PDF; 122 kB, englisch)
- Vega Leaflet (Memento vom 22. April 2012 im Internet Archive) (PDF; 419 kB, englisch)
- Vega Nozzle (PDF; 1,1 MB, englisch)
Einzelnachweise
- Europäische Vega-Rakete erfolgreich gestartet. In: Die Welt. Axel Springer SE, 13. Februar 2012, abgerufen am 13. Februar 2012.
- Bernd Leitenberger: Die Vega: Europas jüngste Trägerrakete. BOD, Norderstedt, 2012, ISBN 978-3-8448-0619-9, S. 85–90.
- DLR vergibt Studie für neue europäische Vega-Trägerrakete an Astrium. In: flugrevue.de. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG, 23. Juli 2007, archiviert vom Original am 11. Juli 2015; abgerufen am 12. Oktober 2010.
- VEGA fact sheet. (PDF; 54 kB) In: esa.int. Europäische Weltraumorganisation, abgerufen am 10. Mai 2013 (englisch).
- FlugRevue 2/2008, S. 80.
- Vega main engine test in Kourou. In: esa.int. Europäische Weltraumorganisation, 5. Dezember 2007, abgerufen am 6. Juli 2019 (englisch).
- Second firing test for Vega’s Zefiro 9A solid rocket motor. In: esa.int. Europäische Weltraumorganisation, 30. April 2009, abgerufen am 6. Juli 2019 (englisch).
- Vorletzter Start von Kourou in diesem Jahr. In: DLR Blogs. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, abgerufen am 13. Februar 2017.
- Bernd Leitenberger: Die Vega: Europas jüngste Trägerrakete. BOD, Norderstedt, 2012, ISBN 978-3-8448-0619-9, S. 13–29.
- FliegerRevue Mai 2010, S. 42–46, Raketen vom Dnepr – Raumfahrtmacht Ukraine.
- Main Characteristics of the VEGA-C Launcher. In: Avio.com. Avio SpA, abgerufen am 9. November 2018 (englisch).
- Peter de Selding: Vega-C rocket delayed to early 2022 as current Vega customers, especially one, are given priority. In: Space Intel Report. 19. März 2021, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Hot firing proves solid rocket motor for Ariane 6 and VEGA-C. In: esa.int. Europäische Weltraumorganisation, 16. Juni 2018, abgerufen am 9. November 2018 (englisch).
- VEGA E. In: Avio.com. Avio SpA, abgerufen am 9. November 2018 (englisch).
- LYRA – VEGA evolution. In: asi.it. Agenzia Spaziale Italiana, archiviert vom Original am 22. September 2015; abgerufen am 3. November 2015 (englisch).
- Successfully tested the M10-methane engine prototype. In: Avio.com. Avio SpA, 13. November 2018, abgerufen am 2. September 2019 (englisch).
- ESA pours $107 million into Vega E and a reusable spaceplane. In: spacenews.com. SpaceNews Corp., 30. November 2017, abgerufen am 9. November 2018 (englisch).
- Caleb Henry: Vega rocket-builder Avio sees revenue jump, new rockets progressing. In: spacenews.com. SpaceNews Corp., 15. März 2019, abgerufen am 16. März 2019 (englisch).
- Avio expanding Vega launch abilities, mulls “light” mini-variant. In: spacenews.com. SpaceNews Corp., 28. Dezember 2017, abgerufen am 16. März 2019 (englisch).
- Chris Bergin: Inquiry finds Vega failed after violent event during early second stage flight. In: Nasaspaceflight.com. NASASpaceflight LLC, 5. September 2019, abgerufen am 5. September 2019 (englisch).
- Munich Re among insurers for Vega rocket, UAE satellite. In: reuters.com. Thomson Reuters, 12. Juli 2019, abgerufen am 15. Juli 2019 (englisch).
- auf Gunter’s Space Page, abgerufen am 16. Februar 2021.
- Tariq Malik: European Vega rocket suffers major launch failure, satellites for Spain and France lost. In: space.com. 17. November 2020, abgerufen am 17. November 2020 (englisch).
- Jeff Foust: Human error blamed for Vega launch failure. In: spacenews.com. 17. November 2020, abgerufen am 17. November 2020 (englisch).
- Loss of Vega Flight VV17: Independent Enquiry Commission announces conclusions. Arianespace-Pressemeldung vom 18. Dezember 2020.