Tilo Jung
Tilo Jung (* 21. Oktober 1985[1] in Malchin) ist ein deutscher Journalist und Podcaster. Er ist Gründer und Moderator des Interview-Formats Jung & Naiv.
Biografie
Erste Schritte und Ausbildung
Jung arbeitete in seiner Jugend für einige Jahre bei seiner regionalen Heimatzeitung Nordkurier.[1][2] Nach dem Abitur leistete er Grundwehrdienst beim Panzerbataillon 403 in Schwerin.[3]
2006 begann Jung an der Berliner Humboldt-Universität Betriebswirtschaftslehre zu studieren, wechselte jedoch nach einigen Semestern das Studienfach. Schlussendlich entschloss er sich, auch die Rechtswissenschaft vorzeitig zu beenden. Während des Studiums arbeitete Jung bei diversen Internet- und Start-up-Unternehmen, beispielsweise beim sozialen Netzwerk studiVZ, der Jobbörse für junge Akademiker Absolventa, oder auch bei Onlineshops wie Spreadshirt, Zalando und DailyDeal in den Bereichen Kundendienst, Produktmanagement, Produkteinpflege und Marketing.[2][4] Nebenher arbeitete er gelegentlich auch als Model.[5]
Tätigkeit als Journalist
2011 wurde Jung freier Mitarbeiter beim Medienmagazin von Radio Eins vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. Als Radioreporter war er für Interviews und Reportagen über Social Media und internationale Politik zuständig, z. B. rund um die US-Präsidentschaftswahl.[6] 2012 betrieb er zusammen mit dem Journalisten Daniel Bröckerhoff den YouTube-Kanal „Penisdialoge“, der mittlerweile deaktiviert ist.[7]
Für seinen naiven Moderatoren-Charakter ließ sich Jung als 27-Jähriger von der rechtspopulistischen Kunstfigur "Stephen Colbert" aus dem Colbert Report des eher den US-Demokraten zuzuordnenden Fernsehmoderators Stephen Colbert inspirieren.[2]
Auf der Bertelsmann-Gala 2012 war Jung als „Social Media VIP Reporter“ eingesetzt, wo er unter dem Motto Ask Deutschlands VIPs anything prominenten Gästen wie Günther Jauch Fragen stellte, die zuvor auf Facebook gesammelt worden waren.[8][9] Diese Idee setzte er später unter dem Namen All you can ask mit der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach fort.[10] Bei einer Rede vor dem AGH-Medienausschuss forderte er eine staatliche Förderung für Journalisten wie etwa eine Recherchestiftung für investigativen Journalismus anstelle der derzeitigen Finanzierung von medialen Institutionen.[11] In Bezug auf die Debatte über die zunehmende Politikverdrossenheit vertrat er die Meinung: „Die Medien sind politikverdrossen, weil sie kein Interesse mehr haben, Sachverhalte erklärend darzustellen.“[12]
Anfang Februar 2013 spielte Jung zum ersten Mal die Rolle des naiven, unbedarften Reporters und stellte die Videoclips unter dem Namen Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte in seinem YouTube-Kanal ins Netz. Um das Projekt technisch zu verbessern, sammelte er das Geld für neues Equipment durch Crowdfunding über die Online-Plattform Krautreporter.[2] Ab August 2013 nahm der neu gegründete Privatsender Joiz Jungs Format ins Programm auf, die ungekürzten Interviews stellte er weiterhin nach Ausstrahlung bei YouTube online.[13]
Im Frühjahr 2014 wurde Jung offizielles Mitglied der Bundespressekonferenz.[14] Als Online-Journalist veröffentlichte er des Öfteren seine dort gestellten Fragen und die erhaltenen Antworten als Transkript in seinen Social-Media-Seiten, später auch als Videos auf seinem YouTube-Kanal, wobei er als Journalist und nicht als Youtuber wahrgenommen werden wollte.[15]
Die Bundestagsverwaltung wollte Jung erst keinen Presseausweis für den Bundestag ausstellen, erst als sich Bundestagsabgeordnete quer durch die Parteienlandschaft beschwerten, bekam Jung den Ausweis.[15]
Jung behandelt nicht nur innenpolitische Themen, sondern auch die Außenpolitik. Als aufgrund der Krimkrise die Euromaidan-Bewegung in den Hintergrund gerückt war, reiste das Team von Jung & Naiv Anfang März 2014 auf eigene Kosten in die Ukraine. Anlässlich der Europawahl 2014 entschloss sich Jung, Vertreter politischer Organisationen in Griechenland, Spanien und Italien zu interviewen. Diese Reisen wurden auch durch Crowdfunding finanziert. Im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt 2014 reiste er im Juli 2014 zudem nach Israel und Palästina.[16] Mit dem Untertitel The search for an end of a never-ending story entstanden 25 Filmbeiträge, in denen Aktivisten, Journalisten und politische Berater beider Seiten zu Wort kamen.[16][17]
Als Mitglied des Journalistenteams des Online-Magazins Krautreporter publizierte Jung ab Ende Oktober 2014 die neuen Interviews nicht nur als Videos, sondern auch in Textform. 2014 hatte er von allen Autoren in diesem Magazin die meisten Artikel.[18]
Anfang 2015 verlagerte Jung seinen Schwerpunkt auf die Berichterstattung in der Bundespressekonferenz (BPK) und veröffentlichte die dort aufgenommenen Folgen auf seinem YouTube-Kanal unter der Rubrik BPK für Desinteressierte. Im Gegensatz zu den anderen Hauptstadtjournalisten war sein „Ansatz … [zu] informieren, wie die Bundesregierung informiert“.[19] Ab Mitte April begann er, kurze Clips aus den sehr langen Folgen anzubieten, bald darauf auch themensortierte Zusammenschnitte verschiedener Folgen, sogenannte „Super-Cuts“.
Etwa zeitgleich startete er in Zusammenarbeit mit dem Soziologen und ehemaligen F.A.Z.-Journalisten Stefan Schulz ein mittlerweile eingestelltes Podcast-Format mit dem Titel Aufwachen! Darin besprachen und bewerteten sie regelmäßig die Fernsehnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.[20] Finanziert wurde das Format über Spenden. Der erste Podcast wurde am 13. April 2015 veröffentlicht, die letzte Folge erschien am 21. Juli 2020.[21]
Im Sommer 2017 drehten Tilo Jung und sein Freund und Kollege Alexander Theiler in Kooperation mit dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte die Dokumentation Follow Me: Arabische Videostars. Der Regisseur Farid Eslam wählte das Team des politischen YouTube-Kanals Jung & Naiv als Protagonisten, um YouTube-Stars aus der arabischen Welt zu interviewen. In der begleitenden Webserie I Follow standen die Follower der Vlogger im Mittelpunkt und deren Themenschwerpunkte wie Atheismus, Rolle der Frau, aber auch Zensur und Überwachung. Drehorte waren in der Türkei, an der syrischen Grenze, Ägypten und in den Vereinigten Arabischen Emiraten.[22] Die erstmalige Fernsehausstrahlung fand allerdings erst am 27. März 2018 statt.[23]
Rezeption und Resonanz
Peter Dausend (Die Zeit) kommentierte 2020, Tilo Jung als „demonstrativ unangepasste [...] Reizfigur im Politbetrieb“, der bezüglich Selbstliebe Steffen Seibert den Rang ablaufe. Bei seinen „pausenlos quälend-bohrende Nachfragen“ wisse man nie so genau, ob sie „nicht doch der Sache geschuldet sind oder allein der Selbstvermarktung des Fragestellers auf YouTube dienen.“ Andererseits entlarve er nicht selten das Floskelhaft-Inhaltsleere einer politischen Kommunikation..., die auf Fehlervermeidung, Klartextscheu und verbales Ballhalten im politischen Niemandsland trainiert ist. Das oft beklagte Desinteresse an der Politik erzeugt die Politik durch die Art, sich mitzuteilen und öffentlich zu präsentieren, zu einem Großteil selbst. Kein anderer macht das Problem so deutlich wie Jung.[24]
Sonstiges
Im TTIP-Thriller Tödliche Geheimnisse, der 2016 in der ARD ausgestrahlt wurde, hatte er einen Cameo-Auftritt.[25]
Am 14. Dezember 2016 wählte die Fraktion der Piratenpartei des Landtages Nordrhein-Westfalen Tilo Jung zu einem Mitglied der 16. Bundesversammlung.[26]
Am 9. Januar 2018[27] produzierte Tilo Jung zusammen mit dem Unternehmen Seapoint die politische Late-Night-Show „Richtig & Wichtig“. Sie fand im Pilotformat auf ZDFneo statt und wurde um 4:55 Uhr morgens beim Sender ausgestrahlt – eine Veröffentlichung in der ZDFmediathek fand nicht statt. Das Pilotformat wurde nach kürzester Zeit wieder eingestellt und blieb bei einer einzigen Episode, der Pilot wurde auf YouTube von Tilo Jung selbst hochgeladen und veröffentlicht.[28]
Nominierungen und Auszeichnungen
Auszeichnungen
- 2013: „Top 30 unter 30“, Preis des Medium Magazin für Nachwuchstalente im Journalismus[1]
- 2013: Pädi 13 Gütesiegel, Pädagogischer Interaktiv-Preis des SIN – Studio im Netz[29]
- 2014: Axel-Springer-Preis, 2. Platz Kategorie Internet[30]
- 2014: Grimme Online Award in der Kategorie Information[31]
Nominierungen
- 2012: Goldener Blogger des Jahres[32]
- 2014: Deutscher Fernsehpreis in der Kategorie Beste Information[33]
Weblinks
- Tilo Jung auf YouTube
- Tilo Jung in der Internet Movie Database (englisch)
- Harald Welzer, Peter Unfried: Tilo Jung im Interview: Angekotzt vom Stillstand. In: Taz.FUTURZWEI Nr. 6. 11. September 2018, S. 38–43 .
Einzelnachweise
- Die Top 30 bis 30 – Nachwuchstalente 2013. In: Medium Magazin. 12. September 2013, abgerufen am 21. Oktober 2014.
- Julia Nikschick: Tilo Jung revolutioniert den Journalismus auf YouTube. In: Der Tagesspiegel. 3. Juni 2013, abgerufen am 20. Oktober 2014.
- Simon Voigt: Wie Tilo Jung auf einem zwölf Jahre alten Symbolfoto auftauchte. In: Nordkurier. 20. Juli 2018, abgerufen am 14. September 2020.
- Stefan Schulz: Wer was zu sagen hat, kann ewig reden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 14. März 2014, abgerufen am 4. Juni 2015.
- Daniel Bouhs: Journalist Tilo Jung Frecher Frager. In: Berliner Zeitung. 8. Juli 2013, abgerufen am 28. Oktober 2017.
- Castingshow for president. In: World Wide Wagner. 22. Januar 2012, abgerufen am 2. Januar 2015.
- Die Causa Tilo Jung und der Kontext: der Shitstorm, den ich rief. In: meedia.de. 10. März 2015, abgerufen am 14. September 2020.
- Social Media VIP Reporter. In: vipreporter.tumblr.com. Abgerufen am 3. Januar 2015.
- Jung & Naiv: Günther Jauch beantwortet die Fragen der Facebook-User. In: videogold.de. Abgerufen am 2. Januar 2015.
- Erika Steinbach – Bund der Vertriebenen. In: Youtube.com. 14. November 2012, abgerufen am 4. Januar 2015.
- Entwicklung des Journalismus: Sitzung des Medienausschusses des Berliner AGH. (Nicht mehr online verfügbar.) In: storify.com. 21. November 2012, archiviert vom Original am 5. Januar 2015; abgerufen am 3. Januar 2015.
- Julia Friese: Politik für Naivlinge. In: Berliner Morgenpost. 17. März 2013, abgerufen am 4. Januar 2015.
- Ingrid Brodnig: Die Nähe muss sein. In: falter.at. 8. Juli 2014, abgerufen am 2. Januar 2015.
- Julian Heck: Tilo Jung – naiver Neuling in der Bundespressekonferenz. In: ausgeheckt.com. 15. Februar 2014, abgerufen am 21. Oktober 2014.
- Mareike Nieberding: „Jung & Naiv“-Macher Tilo Jung: Ein Typ zum Kuscheln. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. (faz.net [abgerufen am 22. August 2021]).
- YouTube-Channel "Jung & Naiv": Einfache Fragen, interessante Antworten. In: Deutschlandfunk. 16. August 2014, abgerufen am 21. Oktober 2014.
- Jung & Naiv in Israel & Palestine. In: YouTube.com. Abgerufen am 1. Dezember 2014.
- Kraut von Rüben sortiert – Krautreporter durchgezählt. In: verwickeltes.wordpress.com. 4. Januar 2015, abgerufen am 4. Januar 2015.
- Stefan Schulz, Tilo Jung: Viele betrübliche Nachrichten. In: aufwachen-podcast.de. 22. April 2015, S. 52:02 min – 52:18 min, abgerufen am 9. Mai 2015.
- Stefan Schulz, Tilo Jung: Wer wir sind. In: aufwachen-podcast.de. Abgerufen am 15. Juni 2015.
- aufwachen-podcast.de
- Simon Voigt: Follow Me: Arabische Videostars (2018). In: Nordkurier.de. 26. März 2018, abgerufen am 12. September 2018.
- Follow Me: Arabische Videostars (2018). In: IMDb. Abgerufen am 12. September 2018.
- Peter Dausend: Tilo Jung: Lieber "Jung & Naiv" als alt und weise. In: Die Zeit. 15. November 2020, abgerufen am 22. August 2021.
- Arno Frank: TTIP-Thriller "Tödliche Geheimnisse" in der ARD: "Das passiert wirklich!" In: Spiegel Online. 5. November 2016, abgerufen am 9. Juni 2018.
- Piratenpartei nominiert YouTuber für die Bundesversammlung. In: piratenpartei.de. Abgerufen am 11. Februar 2017.
- Richtig & Wichtig (S01E01): Überwachungsstaat. ZDFneo, 14. April 2019, abgerufen am 12. März 2020.
- Richtig & Wichtig (S01E01): Überwachungsstaat. ZDFneo, 14. April 2019, abgerufen am 14. April 2019.
- Liste und Jury-Beurteilung aller prämierten Produkte – SIN - Studio im Netz e.V. In: studioimnetz.de. 29. März 2019, abgerufen am 29. März 2019.
- Axel Springer Preis für Journalisten – 2. Preis „Internet“ (Memento vom 7. Dezember 2014 im Internet Archive), abgerufen am 21. Oktober 2014
- Preisträger 2014. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Grimme-Institut. Archiviert vom Original am 2. Juli 2014; abgerufen am 20. Oktober 2014.
- Thomas Knüwer: Die Goldenen Blogger 2012 – die Nominierungen. In: Indiskretion Ehrensache. 11. Dezember 2012, abgerufen am 3. Januar 2015.
- Die Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis 2014. In: DWDL.de. Abgerufen am 18. September 2014.