St. Michaelis (Lüneburg)
St. Michaelis ist eine der Hauptkirchen in Lüneburg. Die Klosterkirche des ehemaligen Benediktinerklosters St. Michael stammt aus dem 14. Jahrhundert und wird auch durch den Abschluss Johann Sebastian Bachs an der dortigen Michaelisschule „Bachkirche St. Michaelis“ genannt.
Geschichte
Die älteste Urkunde, die von der Kirche und dem Kloster St. Michaelis in Lüneburg zeugt, stellt zugleich den ältesten Beleg für die Existenz der Stadt dar: Otto I. (der Große) gesteht im Jahre 956 dem Michaeliskloster die Zolleinnahmen aus den Verkäufen der Saline zu. Das Salzvorkommen bildete schon damals den Reichtum der Stadt. Das Michaeliskloster stand in der Burg der Billunger auf dem Lüneburger Kalkberg, der einzigen größeren Erhebung der Umgebung. Es war das Hauskloster der Billunger, und die Kirche wurde für die fürstlichen Begräbnisse genutzt. Im späten 10. Jahrhundert übernahm der Konvent die Benediktinerregel. Das „weiße Gold“ sorgte aber auch für ein steigendes Selbstbewusstsein der Stadtherren im Konflikt mit dem Landesherrn. Die Konkurrenz nahm bis zum Jahr 1371 zu: Die Städter stürmten die Burg und zerstörten sie. Das Kloster St. Michaelis wurde auf dem Kalkberg aufgelöst und in unmittelbarer Nähe, allerdings nun innerhalb der Stadtmauern, neu aufgebaut.
Das Kloster wurde anlässlich der Reformation nicht aufgehoben und bestand als einziges Männerkloster im Fürstentum Lüneburg weiter. Zunächst wirkten am Kloster ab 1528 neben den Benediktinern auch evangelische Prediger, die der letzte katholische Abt Boldewin von Marenholtz einstellen musste. Ab 1532 war das Kloster schließlich ganz evangelisch. Der evangelische Konvent wurde 1655 aufgelöst, das Kloster und die dazugehörenden Schulen, die Ritterakademie und die bürgerliche Michaelisschule wurden allerdings erst zum 1. Oktober 1850 aufgehoben. Bis dahin blieb auch der Titel eines Abtes von St. Michael bzw. Herr vom Hause St. Michael bestehen, den seit 1673 die Landschaftsdirektoren der Lüneburgischen Landschaft trugen. Das Klostervermögen mit der Kirche fiel bei der Aufhebung 1850 dem Hannoverschen Klosterfonds zu, der heutigen Klosterkammer Hannover. Während die meisten Klostergebäude an weltliche Institutionen abgetreten wurden, blieb die Kirche bis heute im Besitz der Klosterkammer. Sie bestreitet aus ihrem Vermögen den Unterhalt der Kirche.
Baugeschichte
Die Grundsteinlegung für die heutige Kirche geschah im Jahr 1376. 1379 war die Unterkirche fertig. Als Baumeister wurde Heinrich von Bremen genannt, der nach 1381 an der Nikolaikirche (Wismar) wirkte.[1] Die Hauptkirche mit der ursprünglich nicht geplanten Abtskapelle wurde 1412 vollendet. An dem Turm wurde bis 1434 gebaut. Ein Problem des Baus war offenbar schon von Anfang an die Statik: Die Kirche steht auf der Abbruchkante eines Salzstocks, und dadurch sind die mächtigen Rundpfeiler bis zu 70 cm aus dem Lot geraten.
Gebäude
Bei der Kirche handelt es sich um eine Hallenkirche aus Backsteinen. Sie besitzt sechs Joche und einen 5/10 Chorschluss mit Halbjoch und ist 52,58 Meter lang. Die Kirche ist 26,29 Meter breit, die größte Innenhöhe beträgt 20,45 Meter. Die Hanglage erforderte im Osten starke Substruktionsbauten, welche in Form einer Unterkirche ausgeführt sind. Im Westen schließt der 79,00 Meter hohe Kirchturm an das Bauwerk.
Die beidseitig neben dem Chor angeordneten Chorkapellen hatten früher einen zum Schiff abgesenkten Boden und waren nur vom Hochchor aus zugänglich. Beide Kapellen besitzen zwei Joche und einen fünfseitig geschlossenen gewölbten Chorabschluss. In der nördlichen Kapelle ist der Fußboden noch abgesenkt. Hier befindet sich auch noch der ursprüngliche Bodenbelag, der abwechselnd aus glasierten und unglasierten Fliesen besteht. Der Fußboden der südlichen Seitenkapelle wurde nachträglich auf das Niveau des Kirchenschiffes gebracht. Der erhöhte Chorbereich erstreckte sich bis zum Umbau im 19. Jahrhundert bis zum dritten Joch des Kirchenschiffs. Die an der Nordseite angebaute Abtskapelle war ursprünglich zum Kirchenschiff hin geöffnet. Sie ist zweigeschossig ausgeführt, wobei der Fußboden der unteren Ebene gegenüber dem des Kirchenschiffes abgesenkt ist.
Unter dem Chor befindet sich die Unterkapelle mit zwei Seitenkapellen
Ausstattung
Die Ausstattung war einst bedeutend. Das wichtigste Stück bildete der Hochaltar: Um die goldene Tafel, ein Antemensale aus dem 11. Jahrhundert, wurde nach dem Neubau der Kirche durch den Meister der Goldenen Tafel ein Reliquienschrein und ein bedeutender Klappaltar errichtet, der insgesamt als die Goldene Tafel berühmt wurde. Das Retabel vom Anfang des 15. Jahrhunderts stammt möglicherweise aus der gleichen Werkstatt wie zwei Lübecker Hochaltäre der gleichen Zeit, die mit dem Notnamen Meister des (ehem.) Hochaltars der Marienkirche in Lübeck bezeichnet wird.
Von der alten Pracht ist nicht mehr viel übrig. Die goldene Tafel wurde im Jahr 1698 von einer Räuberbande um Nikol List gestohlen und eingeschmolzen, die Reliquien und der Klappaltar wurden im Jahr 1796 bei einem umfassenden Umbau des Kircheninneren verkauft und bilden heute die Prunkstücke zweier Museen in Hannover. Geblieben sind die Kanzel, die der Bildhauer Daniel Schwencke aus Pirna aus Elbsandstein schuf, aus dem Jahr 1602 und der Orgelprospekt von Matthias Dropa aus dem Jahr 1708, vor allem aber die großartige Raumwirkung.
Kunstwerke in der Kirche
In der Turmhalle, an der Nordseite gegenüber dem Eingang, hängt ein Kruzifix. Der Korpus entstand im späten 15. Jahrhundert, das Kreuz wird ins 17. Jahrhundert datiert.
Das Epitaph für den Abt Herbord von Holle († 1555), seines Zeichens der erste evangelische Abt, wird Jürgens Spinnrad zugeschrieben. Es befindet sich an der südlichen Wand des westlichen Kirchenschiffs.
Die vier in den Chorpolygonen hängenden Ölgemälde der vier Evangelisten wurden 1793 aufgehängt. Sie gelten als Werke des Martin de la Belle (* 1744-† 1800), der zu dieser Zeit Zeichenlehrer an der Ritterakademie war.
Abgegangene, erhaltene Kunstwerke
Von dem ehemaligen Hochaltar sind die bemalten Außenflügel vorhanden. Diese befinden sich im niedersächsischen Landesmuseum.
Vom ehemaligen Benediktzyklus, der vermutlich über 40 Tafeln umfasste, sind die letzten beiden bekannten Tafeln in der Niedersächsischen Landesgalerie aufbewahrt. Der Zyklus wurde um 1495 angefertigt.
Das Denkmal der Fürstengruft, wie es heute genannt wird, war als Monument in Form eines Nischensarkophags zur Abdeckung der sich im westlichen Teil des Kirchenschiffs befindlichen Fürstengruft angefertigt worden. Er wurde 1432 erstellt und zeigt auf den beiden Stirnseiten Wappen und auf den Seitenseiten je sieben Figuren. Die Wappen stellen in verkürzter Form die Stammreihe der welfischen Fürsten und Ehefrauen dar. Die Figuren sind Gruppen von je drei Personen, die sich um den Kirchenpatron Erzengel Michael bzw. Maria gruppieren. Ursprünglich waren auf der Oberseite die beiden aus der Kalkbergkirche geretteten Messing-Grabplatten eingefügt. Diese wurden 1830 entfernt und sind heute durch Rekonstruktionen ersetzt. Das Kunstwerk wird dem Lüneburger Bildhauer Hans Snitger d. J. zugeschrieben. Üblicherweise liegt es im Museum für das Fürstentum Lüneburg. Wegen dessen Renovierung befand es sich vorübergehend wieder in der Kirche.
Orgeln
Die Orgel von St. Michaelis geht zurück auf ein Instrument, das 1708 von Matthias Dropa, einem Schüler von Arp Schnitger, erbaut wurde. Im Laufe der Jahre wurde das Instrument mehrfach verändert, überarbeitet und umgebaut. Bei einem Umbau 1871 ging ein Großteil des originalen Pfeifenbestandes verloren. 1931 erfolgte ein Neubau des Orgelwerkes durch die Werkstatt P. Furtwängler & Hammer in Zusammenarbeit mit Christhard Mahrenholz hinter dem historischen Gehäuse unter Verwendung des noch vorhandenen historischen Pfeifenmaterials. Klangliche Überarbeitung erfolgten 1956 durch Emanuel Kemper und 1974 durch die Werkstatt Gebrüder Hillebrand Orgelbau. Von dem ursprünglichen Instrument sind daher heute nur noch der Prospekt und einige wenige Register erhalten. Das Instrument wurde 1999 durch Christian Scheffler renoviert und auf den Klangzustand von 1931 zurückgeführt.[2]
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- Anmerkungen:
- D = Register von 1708 (Matthias Dropa)
- F = Register von 1931 (P. Furtwängler & Hammer)
- H = Register von 1974 (Gebrüder Hillebrand Orgelbau)
- K = Register von 1956 (Emanuel Kemper)
- S = Register von 1999 (Christian Scheffler)
- X = Register von 1871 (unbekannter Erbauer)
In der Unterkirche ist eine Orgel von Emil Hammer Orgelbau aufgestellt, die 1942 mit mechanischer Traktur gebaut wurde (II/P/11). Der Prospekt und etwa ein Viertel der Pfeifen wurden von der Vorgängerorgel von Furtwängler & Hammer (1899) übernommen. Die Chororgel stammt von Martin ter Haseborg aus dem Jahr 2000 (I/5). Es handelt sich um die Rekonstruktion eines in St. Michaelis ab etwa 1800 verschollenen Positivs, dessen Disposition sich an einem Kostenvorschlag von Johann Balthasar Held (1701) orientiert. Die jüngste Orgel von Michael Braun (2012) ist eine fahrbare Truhenorgel (I/4).[3]
Glocken
In den Jahren 1491/92 erhielt der niederländische Meister Gerhard van Wou den Auftrag, zwei bestehende Glocken c1 (1427) und d1 (um 1325) zu ergänzen; er goss vier Glocken in den Schlagtönen b0, es1, f1 und g1. Alle mit Ausnahme der g1- und der es1-Glocke sind verlorengegangen.[4] Letztere bildet die Basis des heutigen Geläuts und stellt eine außergewöhnlich schwerrippige und klangschöne Glocke dar, die zu den besten des Meisters gezählt wird.[5] Die Burgglocke ist eine bienenkorbförmige Glocke mit einem durch ihre Form bedingten dissonanten Klangbild und nicht klar zeichnendem Schlagton. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Geläutetorso zu einem teilweise chromatischen Skalen-Geläut erweitert. Dank Hermann Wrede, einem Gärtner, kamen 6 neue Glocken hinzu. Später, im Jahre 1975, kam die Hermann-Billung-Glocke hinzu. Über ein Stockenklavier können die Glocken als Glockenspiel verwendet werden. Alle Glocken hängen in einem großen historischen Holzglockenstuhl.[6] Außerdem existieren noch zwei Schlagglocken für den Uhrschlag.
Nr. |
Name |
Gussjahr |
Gießer |
Durchmesser (mm) |
Masse (kg) |
Schlagton (HT-1/16) |
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1 | Große St.-Michaelis-Glocke | 1492 | Gerhard van Wou | 1.384 | ≈1.800 | es1 +6 |
2 | Kleine St.-Michaelis-Glocke | 1926 | Petit & Gebr. Edelbrock | 1.180 | ≈1.000 | f1 +9 |
3 | Kolumbusglocke | 1492 | Gerhard van Wou | 1.080 | ≈750 | g1 +10 |
4 | Schöpfungsglocke | 1930 | Glockengießerei Bachert | 1.000 | ≈600 | as1 +11 |
5 | Heilandsglocke | 1928 | Glockengießerei Bachert | 860 | ≈350 | b1 +12 |
6 | Lutherglocke | 1932 | Glockengießerei Bachert | 760 | ≈250 | c2 +10 |
7 | Evangelistenglocke | 1934 | Glockengießerei Bachert | 730 | ≈200 | des2 +10 |
8 | Hermann-Wrede-Gedächtnisglocke | 1939 | Glockengießerei Bachert | 690 | ≈190 | d2 +10 |
9 | Hermann-Billung-Glocke | 1975 | Heidelberger Glockengießerei | 640 | 177 | es2 +10 |
10 | Burgglocke | Ende 12. Jh. | unbekannt | 760 | 437 | um f2 |
I | Stundenglocke | 1976 | Heidelberger Glockengießerei | 980 | 661 | as1 –6 |
II | Viertelstundenglocke | um 1200 | unbekannt | ≈150 | um fis2 |
Siehe auch
Touristische Bedeutung
Wie die Kirchen St. Johannis und St. Nicolai ist auch St. Michaelis von hohem touristischen Interesse. Alle drei Kirchen sind bedeutende Bauwerke der Backsteingotik und bilden Stationen auf der Europäischen Route der Backsteingotik. Als verlässlich geöffnete Kirchen sind sie tagsüber, außer zu Gottesdienstzeiten, für Besucher geöffnet.
Literatur
- Neuere Monographien und Abhandlungen
- Eckhard Michael: Ev.-luth. Pfarrkirche St. Michaelis Lüneburg (Schnell Kunstführer 2238). Regensburg 1995.
- Eckhard Michael: Die Inschriften des Lüneburger St. Michaelisklosters und des Klosters Lüne (= Band 24 der Reihe „Die Deutschen Inschriften“). Reichert, Wiesbaden 1984, ISBN 3-88226-226-5 (online).
- Eckhard Michael: Die Klosterkirche St. Michael in Lüneburg als Grablege der Billunger und Welfen. In: Konstanzer Arbeitskreis (Hrsg.): Fürstliche Residenzen im spätmittelalterlichen Europa. Thorbecke, Sigmaringen 1991, S. 293–310 (Digitalisat).
- Gustav Fock, Hans-Cord Sarnighausen: Zur Musik und Glasmalerei in St. Michaelis Lüneburg. Husum Verlag, Husum 2004, ISBN 3-89876-190-8.
- Hansjörg Rümelin (Hrsg.): Das Benediktinerkloster St. Michaelis in Lüneburg. Bau – Kunst – Geschichte. Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-86732-322-2.
- Ältere Schriften (vor 1900)
- Adolph Martini: Beiträge zur Kenntniß der Bibliothek des Klosters St. Michaelis in Lüneburg. Herold und Wahlstab, Lüneburg 1827 (Volltext).
- Nekrologium Monasterii S. Michaelis. Aus dem Original, im Archive des Klosters S. Michaelis zu Lüneburg, vollständig herausgegeben von Anton Christian Wedekind. Vieweg, Braunschweig 1833 (Volltext).
- Ludwig Albrecht Gebhardi: Kurze Geschichte des Klosters St. Michaelis in Lüneburg. Capaun-Karlowa, Celle 1857 (Volltext).
- Wilhelm von Hodenberg: Archiv des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg (= Lüneburger Urkundenbuch, Teil 7). Capaun-Karlowa, Celle 1861–1867 (Volltext).
- Arnold Freiherr von Weyhe-Eimke: Die Aebte des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg: Mit besonderer Beziehung auf die Geschichte des Klosters und der Ritterakademie. Schulze, Celle 1862 (Volltext).
Weblinks
- St. Michaelis-Kirche im Denkmalatlas Niedersachsen
- Internetpräsenz der Kirchengemeinde St. Michaelis zu Lüneburg
- Viaduk – Internetportal für Kirche und Diakonie in Lüneburg
- Beschreibung des Männerklosters St. Michaelis auf der Niedersächsischen Klosterkarte des Instituts für Historische Landesforschung
Einzelnachweise
- Antje Grewolls/Steven Ludwig: Die Bauorganisation an den Wismarer Pfarrkirchen im Mittelalter. In: WISMARER BEITRÄGE, Heft 12,1996, S. 38.
- Ausführlich zur wechselvollen Geschichte der Dropa-Orgel von 1708, abgerufen am 13. Januar 2019.
- Orgeln in St. Michaels auf der Homepage der Kirchengemeinde, abgerufen am 13. Januar 2019.
- Claus Peter: Die Glocken des Meisters Gherardus de Wou. In: Dr. Konrad Bund (Hrsg.): Frankfurter Glockenbuch, Kramer, Frankfurt a. M. 1986, S. 383.
- Claus Peter: Die Glocken des Meisters Gherardus de Wou. In: Dr. Konrad Bund (Hrsg.): Frankfurter Glockenbuch, Kramer, Frankfurt a. M. 1986, S. 376–377.
- Claus Peter: Die Glocken des Meisters Gherardus de Wou. In: Dr. Konrad Bund (Hrsg.): Frankfurter Glockenbuch, Kramer, Frankfurt a. M. 1986, S. 397.