Schweizer Parlamentswahlen 1899

Die Schweizer Parlamentswahlen 1899 fanden am 29. Oktober 1899 statt. Zur Wahl standen 147 Sitze des Nationalrates. Die Wahlen wurden nach dem Majorzwahlrecht vorgenommen, wobei das Land in 52 unterschiedlich grosse Nationalratswahlkreise unterteilt war. Trotz leichter Verluste konnte die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) ihre Position als stärkste Kraft klar behaupten und eroberte erneut die absolute Mehrheit der Sitze. Das neu gewählte Parlament trat in der 18. Legislaturperiode erstmals am 4. Dezember 1899 zusammen.

1896Gesamterneuerungswahlen
des Nationalrats 1899
1902
Wahlbeteiligung: 54,5 %
 %
50
40
30
20
10
0
49,7
20,8
14,1
9,6
4,9
0,9
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu
 %p
   4
   2
   0
  -2
  -4
+1,0
−2,2
−0,4
+2,8
−0,5
+0,9
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Wahlkampf

Die katholische Luzerner Tageszeitung Vaterland bezeichnete die Wahlen von 1899 als «lustlos». Einerseits lasse das Wahlsystem kaum grössere Veränderungen zu, andererseits seien Auseinandersetzungen während der vergangenen Legislaturperiode weitgehend ausgeblieben und es sei eine Tendenz zur Entschärfung politischer Gegensätze feststellbar. Der zweitgrössten politischen Gruppierung, den Katholisch-Konservativen, mangelte es an einem einheitlichen Programm und an einer nationalen Parteiführung. Hinzu kamen ideologische Flügelkämpfe und der Widerspruch, gleichzeitig Oppositions- und Regierungspartei sein zu wollen. Die FDP wiederum verstand sich immer mehr als «Hegemonialpartei», die möglichst viele Bevölkerungsschichten ansprechen wollte. Sie identifizierte sich so stark mit dem bestehenden System, dass sie sich scharf gegen die äusserste Linke abgrenzte. Dementsprechend war ihr Wahlprogramm überwiegend defensiv ausgerichtet.[1]

Viel stärker als früher gingen politische Impulse von wirtschaftlichen Organisationen aus, die die Parteien bei der Kandidatenauswahl und der Formulierung der Programme beeinflussten. Die stark verbesserte Konjunkturlage ermöglichte es, aussichtsreiche materielle Forderungen zu stellen. So strebte die Arbeiterschaft danach, durch möglichst breite gewerkschaftliche Aktivität einen grösseren Anteil am steigenden Volkseinkommen zu sichern. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund kompensierte seine fehlende Massenbasis durch eine Vereinigung mit dem mitgliederstarken, aber wenig aktiven Arbeiterbund. Als Vorbild dienten den Arbeitern die Bauern, die 1897 mit dem Schweizerischen Bauernbund eine Interessenvertretung moderner Prägung gegründet hatten. Eine weitere organisatorische Bereinigung gab es im Kanton Zürich mit dem Zusammengehen von Sozialdemokraten und Grütliverein, die eine gesamtschweizerische Fusion vorwegnahm.[2]

Während der 17. Legislaturperiode hatte es aufgrund von Vakanzen zwölf Ersatzwahlen in zehn Wahlkreisen gegeben, dabei musste die FDP drei Sitzverluste hinnehmen. 1899 gab es insgesamt 63 Wahlgänge (zwei mehr als drei Jahre zuvor). In 44 von 52 Wahlkreisen waren die Wahlen bereits nach dem ersten Wahlgang entschieden. Mit dem letzten Wahlgang am 21. Januar 1900 war der Nationalrat komplett. Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 1896 um 1,4 Prozentpunkte. Den höchsten Wert wies üblich der Kanton Schaffhausen auf, wo aufgrund der Wahlpflicht 86,4 % ihre Stimme abgaben. Über 80 % Beteiligung verzeichnete sonst nur der Kanton Aargau. Am tiefsten war die Beteiligung im Kanton Obwalden, wo nur 21,3 % an den Wahlen teilnahmen. Die FDP und die Liberalen verloren einige wenige Sitze, leicht zulegen konnten die Katholisch-Konservativen und die Sozialdemokraten.

Ergebnis der Nationalratswahlen

Gesamtergebnis

Von 737'696 volljährigen männlichen Wahlberechtigten nahmen 401'750 an den Wahlen teil, was einer Wahlbeteiligung von 54,5 % entspricht.[3]

Die 147 Sitze im Nationalrat verteilten sich wie folgt:[4][5]

Insgesamt 147 Sitze
ParteiSitze
1896
vor Auf-
lösung
Sitze
1899
+/−Wähler-
anteil
+/−
FDP868384−249,7 %+1,0 %
KK303132+220,8 %−2,2 %
LM232320−314,1 %−0,4 %
DL797±004,9 %−0,5 %
SP114+309,6 %+2,8 %
Diverse00,9 %−0,7 %

Hinweis: Eine Zuordnung von Kandidaten zu Parteien und politischen Gruppierungen ist nur bedingt möglich (mit Ausnahme der Freisinnigen und Sozialdemokraten). Der politischen Wirklichkeit des späten 19. Jahrhunderts entsprechend kann man eher von Parteiströmungen oder -richtungen sprechen, deren Grenzen teilweise fliessend sind. Die verwendeten Parteibezeichnungen sind daher eine ideologische Einschätzung.

Ergebnisse in den Kantonen

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Verteilung der errungenen Sitze auf die Kantone.[6][7]

KantonSitze
total
Wahl-
kreise
Betei-
ligung
FDPKKLMDLSP
Kanton Aargau Aargau10482,0 %712
Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden3168,3 %3
Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden1179,7 %1
Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft3143,4 %2−11+1
Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt4147,6 %1−12+11
Kanton Bern Bern27746,4 %24−11−12+2
Kanton Freiburg Freiburg6340,0 %15
Kanton Genf Genf5155,3 %31−11+1
Kanton Glarus Glarus2155,7 %11
Kanton Graubünden Graubünden5367,9 %1+112−11
Kanton Luzern Luzern7328,9 %25
Kanton Neuenburg Neuenburg5149,5 %41
Kanton Nidwalden Nidwalden1137,3 %1
Kanton Obwalden Obwalden1121,3 %1
Kanton Schaffhausen Schaffhausen2186,4 %2
Kanton Schwyz Schwyz3158,3 %3
Kanton Solothurn Solothurn4149,8 %31
Kanton St. Gallen St. Gallen11577,2 %36+1−12
Kanton Tessin Tessin6234,2 %4−22+2
Kanton Thurgau Thurgau5175,4 %4+2−31+1
Kanton Uri Uri1142,1 %1
Kanton Waadt Waadt12340,5 %93
Kanton Wallis Wallis5343,1 %14
Kanton Zug Zug1174,2 %1
Kanton Zürich Zürich17465,6 %8−1621+1
Schweiz1475254,5 %84−232+220−37±04+3

Ständeratswahlen

Die Wahlberechtigten konnten die Mitglieder des Ständerates in 16 Kantonen selbst bestimmen: In den Kantonen Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Genf, Graubünden, Schwyz, Solothurn, Tessin, Thurgau, Zug und Zürich an der Wahlurne, in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri an der Landsgemeinde. In allen anderen Kantonen erfolgte die Wahl indirekt durch die jeweiligen Kantonsparlamente. In vielen Kantonen fanden die Ständeratswahlen damals zudem nicht gleichzeitig mit den Nationalratswahlen statt.

Sitzverteilung

Die Sitzverteilung im Ständerat sah wie folgt aus:

Insgesamt 44 Sitze
Partei Mandate
FDP 26
KVP 16
LPS 1
DP 1

Gewählte Ständeräte

Kanton 1. Ständeratssitz 2. Ständeratssitz
Kanton Aargau Aargau Peter Emil Isler, FDP Armin Kellersberger, FDP
Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden Johann Jakob Hohl, FDP nur 1 Sitz
Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden Johann Baptist Edmund Dähler, KVP nur 1 Sitz
Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft Johann Jakob Stutz, FDP nur 1 Sitz
Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt Paul Scherrer, FDP nur 1 Sitz
Kanton Bern Bern Johannes Ritschard, FDP Franz Bigler, FDP
Kanton Freiburg Freiburg Georges Python, KK Louis Cardinaux, KK
Kanton Genf Genf Adrien Lachenal, FDP Marc-Eugène Richard, LM
Kanton Glarus Glarus Leonhard Blumer, DL Peter Zweifel, FDP
Kanton Graubünden Graubünden Felix Calonder, FDP Franz Peterelli, KK
Kanton Luzern Luzern Edmund von Schumacher, KK Josef Winiger, KK
Kanton Neuenburg Neuenburg Jean-Édouard Berthoud, FDP Arnold Robert-Tissot, FDP
Kanton Nidwalden Nidwalden Jakob Konstantin Wyrsch, KK nur 1 Sitz
Kanton Obwalden Obwalden Theodor Wirz, KK nur 1 Sitz
Kanton Schaffhausen Schaffhausen Albert Ammann, FDP Johannes Müller, FDP
Kanton Schwyz Schwyz Karl Kümin, KK Karl Reichlin, KK
Kanton Solothurn Solothurn Casimir von Arx, FDP Oskar Munzinger, FDP
Kanton St. Gallen St. Gallen Johannes Geel, FDP Arthur Hoffmann, FDP
Kanton Tessin Tessin Rinaldo Simen, FDP Antonio Battaglini, FDP
Kanton Thurgau Thurgau Johann Georg Leumann, FDP Jakob Albert Scherb, FDP
Kanton Uri Uri Florian Lusser, KK Gustav Muheim, KK
Kanton Waadt Waadt Adrien Thélin, FDP Henri Simon, FDP
Kanton Wallis Wallis Charles de Preux, KK Achille Chappaz, KK
Kanton Zug Zug Philipp Meyer, KK Josef Hildebrand, KK
Kanton Zürich Zürich Othmar Blumer, FDP Johannes Stössel, FDP

Literatur

  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 1, erster Teil. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1442-9.
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 1, zweiter Teil. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1443-7.
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 2. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1444-5 (Anmerkungen).
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 3. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1445-3 (Tabellen, Grafiken, Karten).

Einzelnachweise

  1. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 743–745.
  2. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 746–747.
  3. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 369.
  4. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 750.
  5. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 485.
  6. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 249–259
  7. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 362.
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