Schachweltmeisterschaft 1908
Bei der Schachweltmeisterschaft 1908 verteidigte Weltmeister Emanuel Lasker seinen Titel erfolgreich gegen Siegbert Tarrasch.
Emanuel Lasker | Siegbert Tarrasch | |||
Nation |
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Status | Titelverteidiger | Herausforderer | ||
Alter | 39 Jahre | 46 Jahre | ||
16 gespielte Partien | ||||
Siege | 8 | 3 | ||
Remisen | 5 | |||
◄ 1907 | 1910 ► |
Vorgeschichte
Schon kurz nach Laskers Sieg beim Revanchekampf 1896/97 gegen Wilhelm Steinitz hatte Tarrasch Lasker herausgefordert. Lasker aber hatte abgelehnt. Ein für den Herbst 1904 bereits vereinbarter Wettkampf konnte nicht stattfinden, weil Tarrasch sich nach eigenen Angaben bei einem Unfall verletzt hatte.
Tarrasch hatte seine herausragende Stärke durch diverse Erfolge unter Beweis gestellt, wie den klaren Sieg (+8 =8 −1) im Match gegen den Herausforderer im WM-Kampf 1907, Frank Marshall (1905) und den Sieg im Turnier von Ostende im Sommer 1907.
Organisation und Regeln
Der Wettkampf drohte zunächst an Laskers finanziellen Forderungen zu scheitern. So verlangte er ein fixes Honorar unabhängig vom Ergebnis und erhielt es schließlich auch, während Tarrasch darauf verzichtete. Die Oberbürgermeister von Düsseldorf und München, Wilhelm Marx und Wilhelm von Borscht, brachten größere Geldmittel auf; daher fand der vor allem durch Spenden finanzierte[1] Wettkampf in diesen Städten statt. Sieger sollte derjenige sein, der als Erster acht Partien gewonnen hätte. Als Siegprämie waren 4.000 Mark ausgelobt, während der Verlierer eine Entschädigung von 2.500 Mark erhielt. Weiterhin erhielt Lasker ein Spielhonorar von 7.500 Mark. Tarrasch verzichtete auf ein Honorar und spielte so nur um das Preisgeld.[2] Erlöse durch etwaige Eintrittsgelder wurden zunächst zur Deckung des von Tarrasch garantierten Fehlbetrags und dann in Höhe von bis zu 500 Mark für die Kosten des Deutschen Schachbunds verwendet. Überschüssige Einnahmen wurden danach gleichmäßig unter den beiden Spielern verteilt.[3] Vor dem Wettkampf wurde von beiden Spielern jeweils ein Reuegeld von 2.000 Mark eingezahlt, das bei einem Rücktritt eines Spielers verfallen wäre und nach der ersten Partie zurückerstattet wurde.[3]
Der Wettkampfbeginn war auf Montag, den 17. August 1908 um 14:45 Uhr in Düsseldorf festgelegt und fand ab dem 31. August 1908 in München statt. Falls am 26. August 1908 eine Partie beendet würde, sollte am 27. August keine neue begonnen, sondern eine in Wiesbaden gespielt werden. In jeder Woche wurde an sechs Tagen zu je sechs Stunden nachmittags und abends gespielt, wobei keine weitere Partie am selben Tag begonnen wurde, an dem eine andere beendet worden war. Jedem Spieler stand fünfmal das Recht auf einen Urlaubstag zu, der bis spätestens eine Stunde vor Partiebeginn mitgeteilt werden musste. Spielzeiten in Düsseldorf waren am ersten Tag von 15 bis 19 Uhr, ansonsten von 12:30 Uhr bis 16:30 Uhr und von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr.[3]
Unter Gutschrift ersparter Zeit war eine Bedenkzeit von einer Stunde für jeweils 15 Züge vereinbart. Bei vier Stunden ununterbrochenen Spiels fand die erste Zeitkontrolle nach 30 Zügen statt, wobei die Zeitüberschreitung den Partieverlust zur Folge hatte. Der Schiedsrichter wurde von beiden Parteien gemeinsam Otto Rosenfeld, Vorsitzender des Schachklubs Stuttgart, gewählt, der die Wahl annahm. Als Punkt 12 des Vertrags wurde die 50-Züge-Regel ausdrücklich erwähnt. Hängepartien durften nicht in Gegenwart Dritter analysiert oder angesehen werden. Dabei wurde „Gegenwart“ als „die tätige Teilnahme eines anerkannt guten Spielers“ definiert. Ein Verstoß gegen dieses Verbot hatte bei ausreichender Beweislage den Partieverlust zur Folge. Das Eigentumsrecht an den Partien stand laut Vertrag den Spielern zu, wobei Tarrasch auf seines zugunsten des Deutschen Schachbunds verzichtete.[4] Ansonsten galten die „Spielregeln des Deutschen Schachbundes, abgedruckt in Ranneforths Schachkalender“.[3]
An jedem Spielort musste ein Sekundant von jedem Spieler ausgewählt werden, wobei bis zu zwei gegnerische Sekundanten abgelehnt werden durften. Der Sekundant hatte die Aufgabe, „bei Meinungsverschiedenheiten den Tatbestand festzustellen“. Er musste auch vor jeder Runde überprüfen, ob die Schachuhr korrekt eingestellt war.[3] Tarrasch wählte für den gesamten Wettkampf den Nürnberger Mediziner Heinrich Renner als Sekundant. Lasker wählte in Düsseldorf den Coburger Herrn Appun und in München abwechselnd Herrn Ingenieur Schropp und Herrn Privatier Kollmann aus München.[5]
Vorbereitung
Vor dem Zweikampf unternahm Siegbert Tarrasch eine Badereise nach Ostende. Einen Wettkampf um drei Beratungspartien gegen Spieler aus dem Kölner Schach-Klub (Bürgergesellschaft), den Tarrasch am 7. Juni 1908 „en passant spielte“,[6] verlor Tarrasch bei nur einem Remis.
Verlauf
Der Wettkampf dauerte vom 17. August bis zum 30. September. Die ersten vier Partien wurden im Kunstpalast von Düsseldorf gespielt,[7] die übrigen in München. Nach fünf Partien lag Tarrasch bereits mit 1:4 im Hintertreffen, ein Rückstand, den er nicht mehr aufholen konnte. Den Schlusspunkt zur deutlichen 3:8-Niederlage setzte die letzte Partie, in der Tarrasch eine elementare Wendung übersah und eine Figur verlor.
Tarrasch führte den frühen Rückstand auf die knappe Vorbereitungszeit zurück. Vierzehn Tage vorher habe er im Gegensatz zu seinem Kontrahenten nicht gewusst, ob der Wettkampf stattfinden würde. Außerdem äußerte Tarrasch, dass ihm das von „von Seewinden geprägte Klima“ Düsseldorfs nicht behagt habe.[8]
Schachweltmeisterschaft 1908 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Siege Punkte Lasker 1 1 0 1 1 ½ 1 ½ ½ 0 1 0 1 ½ ½ 1 8 10½ Tarrasch 0 0 1 0 0 ½ 0 ½ ½ 1 0 1 0 ½ ½ 0 3 5½
Rezeption in der Presse
Nach Angaben von Max Hofschläger sei bereits lange bekannt gewesen, „daß die Herren Kontrahenten einander nicht liebten“, weshalb sich die Schachspieler in die Anhänger Tarraschs und Lasker gespalten hätten, während der Wettkampf auch von vielen Nichtschachspielern aus sportlichem Interesse verfolgt worden sei. Die Turnier- und Zweikampfergebnisse Tarraschs und Laskers seien „ebenbürtig“ gewesen, sodass Tarrasch als gefährlichster Gegner Laskers galt. Um den eigentlichen Wettkampf schrieb Hofschläger, dass Tarrasch zwar in der achten bis zwölften Partie das bessere Spiel zeigte, jedoch zu diesem Zeitpunkt aufgrund des großen Punkteunterschieds bereits keine realen Gewinnchancen mehr besessen habe. Durch einen mehrtägigen Gebirgsausflug habe Lasker nach der zwölften Partie, obwohl nie ein Formtief zeigend, neue Kräfte gesammelt, um in der dreizehnten Partie ein Damengambit zu gewinnen. Tarrasch habe sich zwar noch gewehrt und in der vierzehnten Partie „das Heft in den Händen“ gehabt, erreichte jedoch nach 15 Stunden und 119 Zügen trotz Gewinnversuchen nur ein Remis. Nach einem weiteren Remis entschied Lasker in der sechzehnten Runde den Zweikampf für sich. Hofschläger meinte, dass Tarrasch gute Chancen gehabt hätte, wenn er von Anfang an wie in der zweiten Wettkampfhälfte gespielt hätte. Es habe, wie Tarrasch auch selbst in einem Interview bemerkte, an Übung gefehlt. Dennoch sei Lasker der stärkere Spieler gewesen, der Tarrasch habe besiegen müssen.[2]
In einem Bericht über den Wettkampf ging die Wiener Schachzeitung Anfang 1909 hingegen darauf ein, dass der Wettkampf weiterhin „Gegenstand zahlreicher Diskussionen“ sei, und druckte eine Wettkampfanalyse des Moskauers Dr. Falk ab, der die Schachrubrik der Moskauer Deutschen Zeitung führte. Falk gab an, der Wettkampf habe „nicht die Erwartungen der Schachfreunde befriedigt“, was auf die Leistung der Spieler zurückzuführen sei. Laskers Spieltypus, der komplizierte Stellungen vereinfachen wolle, sei „nicht interessant“, woran auch die Zeitkontrollen einen Anteil hätten, durch die unnötiger Zeitaufwand vermieden und „lieber klare, lichtvolle Stellungen [...] als verwickelte Stellungen“ gewählt würden. Tarrasch habe dabei manchmal die Bedenkzeit vergessen und sich in komplizierte Varianten verloren. In der Folge des Artikels ging Falk auf Fehler in den einzelnen Partien ein. Falk prophezeite am Ende seines Artikels, ein baldiger weiterer Wettkampf sei wegen der hohen Forderungen Laskers ausgeschlossen und der Zweikampf habe „jedenfalls die Erkenntnis gezeigt, daß Lasker nicht mehr der alte ist, und daß unter der zahlreichen Schar der jungen, emporstrebenden Schachtalente bald der zukünftige Besieger Laskers zu suchen sein wird.“[9]
Folgen
Nach dieser unerwartet hohen Niederlage konnte Tarrasch nicht mehr an seine Erfolge vor dem WM-Kampf anknüpfen und war fortan bei Turnieren nur noch im geschlagenen Feld zu finden. Lasker spielte 1910 noch zwei Weltmeisterschaftszweikämpfe, gegen Carl Schlechter und Dawid Janowski, und anschließend bis 1921, als er seinen Weltmeistertitel an den Kubaner José Raúl Capablanca verlor, keine Weltmeisterschaftskämpfe mehr.
In der 14. Partie versuchte Tarrasch 47 Züge lang, ein im 72. Zug erreichtes Endspiel Turm und Läufer gegen Turm zu gewinnen. Mit 119 Zügen hielt diese Partie für viele Jahre den Rekord der längsten Partie in einer Schachweltmeisterschaft, bis sie durch die 20. Partie der Schachweltmeisterschaft 1961 zwischen Michail Tal und Michail Botwinnik mit 121 Zügen überboten wurde.[10]
Literatur
- Siegbert Tarrasch: Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908. Verlag von Veit & Comp. Leipzig 1908.
- Raymund Stolze: Umkämpfte Krone – Die Duelle der Schachweltmeister von Steinitz bis Kasparow. Sportverlag, Berlin 1992, ISBN 3-328-00526-9.
Weblinks
Einzelnachweise
- Tarrasch, S. 24–26.
- Max Hofschläger: Der Schachwettkampf um die Weltmeisterschaft. Hamburger Nachrichten 1908. Nachdruck in: Wiener Schachzeitung 12/1908, S. 370–377.
- Vertrag zwischen dem Deutschen Schachbund, e. V., vertreten durch seinen 1. Vorsitzenden, Dr. Gebhart-Coburg und, seinen Schriftführer J. Schenzel-Nürnberg, einerseits und den Herren Dr. Em. Lasker aus New York und Dr. S. Tarrasch aus Nürnberg. Düsseldorf. 17. August 1908. Nachdruck in: Tarrasch, S. 21–23.
- Tarrasch, S. 22, Fußnote 1 zu Vertragspunkt 15
- Tarrasch, S. 23, Fußnote 1 zu Vertragspunkt Nachtrag 5
- Georg Marco (Chefredakteur): Wiener Schachzeitung, Ausgabe „Dezember und Supplement 1908“ Nr. 12/1908. S. 361–370.
- Vor hundert Jahren in Düsseldorf: Hier spielten 1908 Lasker und Tarrasch. PDF-Datei im Portal kwabc.org, abgerufen am 22. November 2013
- Friedrich-Karl Hebeker: Vor hundert Jahren in Düsseldorf: Lasker führt mit 3:1 gegen Tarrasch! In: Düsseldorfer Schach, 52. Jahrgang, Nr. 531/532, August/September 2008, S. 6, PDF-Datei im Portal schachbezirk-duesseldorf.de, abgerufen am 22. November 2013
- Der Wettkampf Lasker-Tarrasch. In: Wiener Schachzeitung, Nr. 1/1909. S. 1–4.
- Federico Rossini: Scacchi: Carlsen-Nepomniachtchi, le 136 mosse record in un match mondiale! Solo 9 partite oltre le 100 in queste sfide. www.oasport.it, 3. Dezember 2021, abgerufen am 4. Dezember 2021.