Russischer Friedhof von Sainte-Geneviève-des-Bois
Der Russische Friedhof von Sainte-Geneviève-des-Bois (französisch Cimetière russe, auch Cimetière de Liers) ist ein Friedhof in Sainte-Geneviève-des-Bois, einem südlichen Vorort der französischen Hauptstadt Paris.
Allgemeines
Sainte-Geneviève-des-Bois gehört zum Arrondissement Palaiseau des Départements Essonne und liegt etwa 25 Kilometer vom Pariser Stadtzentrum entfernt. Der Friedhof befindet sich dort am Westrand des Gemeindewaldes (Forêt Communale) an der Rue Léo Lagrange.
Die Geschichte des russischen Friedhofs beginnt im nahen Château de la Cossonnerie, dem im 19. Jahrhundert erweiterten Hauptgebäude einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden Farm. Hier siedelten 1926 sich weiße Emigranten an, die Russland bzw. die Sowjetunion nach der Oktoberrevolution 1917 verlassen hatten. Wenig später wurde das Gebäude von der englischen Adligen und Philanthropin Dorothy Wyndham Paget (1905–1960) erworben, die durch Bekanntschaft mit der Fürstenfamilie Meschtschorski auf Schicksal und Lebensumstände der Emigranten aufmerksam geworden war. Paget richtete im Château ein Altenheim für russische Emigranten ein. In Folge wurde ein Teil des seit 1879 bestehenden Gemeindefriedhofs dazugekauft. Der erste verstorbene Emigrant wurde hier 1927 beerdigt; regelmäßige Beisetzungen fanden ab 1929 statt.
Auf dem Friedhof wurden in 5220 Gräbern etwa 15.000 Personen beigesetzt. Heute finden aus Platzgründen keine weiteren Beerdigungen statt.
2008 beglich der russische Staat die privaten Schulden von insgesamt knapp 700.000 Euro der Besitzer von 648 Gräbern des Friedhofs, um diese zu erhalten.[1]
Kirche
Die russisch-orthodoxe Mariä-Entschlafens-Kirche (französisch Notre-Dame-de-l'Assomption; russisch Успенская церковь/Uspenskaja zerkow) des Friedhofs wurde ab 1938 im Nowgoroder Stil des 15. Jahrhunderts nach Entwürfen des Architekten und Malers Albert Benua errichtet, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Margarita auch die Fresken in der Kirche malte. Die Weihe der Kirche fand am 14. Oktober 1939 statt.
Friedhof und Kirche sind als ein für Frankreich einzigartiges Ensemble und „weltweit größter russischer Emigrantenfriedhof“ seit 2006 als „Monument historique“ eingestuft.[2]
Literatur und Musik
Die russische Schriftstellerin Marina Judenitsch (* 1959; entfernte Verwandte des weißen Generals und Emigranten Nikolai Judenitsch, 1862–1933) schrieb 1999 ihren bekanntesten Roman Sainte-Geneviève-des-Bois. Bereits in den 1970er Jahren hatte der sowjetische Dichter Robert Roschdestwenski (1932–1994) ein gleichnamiges Gedicht geschrieben, das später von Alexander Malinin vertont und gesungen wurde. Auch von russischen Liedermachern verschiedener Generationen stammen Lieder zu diesem Thema, so von Alexander Gorodnizki (* 1933) und Sergei Trofimow (* 1966).
Gräber prominenter Personen
- Andrei Amalrik (1938–1980), Publizist und Dissident
- Afrikan Bogajewski (1873–1934), Kosakenataman und General
- Sergei Botkin (1869–1945), Diplomat
- Sergei Bulgakow (1871–1944), Theologe, Philosoph und Ökonom
- Iwan Bunin (1870–1953), Schriftsteller, Literaturnobelpreisträger 1933
- Kirill Fotijew (1928–1990), orthodoxer Priester, Theologe und Publizist
- Alexander Galitsch (1918–1977), Dichter, Liedermacher und Dramaturg
- Gaito Gasdanow (1903–1971), ossetisch-russischer Schriftsteller
- Sinaida Hippius (1869–1945), Schriftstellerin
- Georgi Iwanow (1894–1958), Dichter, Schriftsteller
- Grigori Jelissejew (1865–1949), Unternehmer, Besitzer der Jelissejew-Feinkostläden in Moskau und Sankt Petersburg bis 1918
- Nikolai Jewreinow (1879–1953), Theaterregisseur und -theoretiker
- Felix Jussupow (1887–1967), russischer Fürst, Drahtzieher der Ermordung von Rasputin
- Ihor Kistjakiwskyj (1876–1940), Rechtsanwalt und Innenminister des Ukrainischen Staates
- Konstantin Korowin (1861–1939), Maler
- Matilda Kschessinskaja (1872–1971), Tänzerin
- Alexei von Lampe (1885–1967), General
- André Lanskoy (1902–1976), Maler
- Sergei Lifar (1904–1986), Tänzer und Choreograf
- Nikolai Lochwizki (1867–1933), General
- Nikolai Losski (1870–1965), Philosoph
- Wladimir Losski (1903–1958), Theologe
- Georgi Lwow (1861–1925), Politiker
- Wassili Maklakow (1869–1957), Jurist und Politiker
- Sergei Makowski (1877–1962), Kunstkritiker und Dichter
- Dmitri Mereschkowski (1865–1941), Schriftsteller
- Iwan Mosschuchin (1889–1939), Stummfilmschauspieler
- Wiktor Nekrassow (1911–1987), Schriftsteller
- Rudolf Nurejew (1938–1993), Tänzer und Choreograf
- Dmitri Panin (1911–1987), Physiker[3], Prototyp der Figur des Dmitri Sologdin in Solschenizyns Roman Im ersten Kreis der Hölle
- Zinovi Pechkoff (Sinowi Peschkow, 1884–1966), General der französischen Fremdenlegion und Diplomat
- Anton Pewsner (1884–1962), Bildhauer
- Boris Poplawski (1903–1935), Dichter
- Sergei Prokudin-Gorski (1863–1944), Pionier der Farbfotografie, Chemiker und Erfinder
- Alexei Remisow (1877–1957), Schriftsteller
- Gawriil Romanow (1887–1955), russischer Fürst
- Irina Romanowa (1895–1970), russische Prinzessin, Ehefrau von Felix Jussupow
- Boris Saizew (1881–1972), Schriftsteller
- Wassili Senkowski (1881–1962), Philosoph, Theologe und Pädagoge
- Sinaida Serebrjakowa (1884–1967), Malerin
- Konstantin Somow (1869–1939), Maler und Grafiker
- Juri Karlowitsch Stark (1878–1950) Seeoffizier und Admiral
- Théodore Strawinsky (1907–1989), Maler, Sohn von Igor Strawinsky
- Peter Struve (1870–1944), Ökonom, Philosoph und Herausgeber
- Andrei Tarkowski (1932–1986), Filmregisseur
- Teffi (Nadeschda Alexandrowna Butschinskaja, geb. Lochwizkaja; 1872–1952), Schriftstellerin
- Alexei Tschitschibabin (1871–1945), Chemiker
- Sergei Ulagai (1875–1944), Kosakengeneral
- Odile Versois (1930–1980), französische Schauspielerin russischer Abstammung
Ehemalige Gräber
Einige der auf dem Friedhof Bestatteten wurden in den letzten Jahren nach Russland umgebettet, beispielsweise der Schriftsteller Iwan Schmeljow (1873–1950) und der Komponist und Dirigent Nikolai Tscherepnin (1873–1945), beide auf den Moskauer Donskoi-Friedhof.
Gedenksteine
Auf dem Friedhof befinden sich auch verschiedene Gedenksteine, hauptsächlich für Militärangehörige. Dazu gehören Monumente zum Gedenken an Gallipoli, wo sich 1920/21 in Militärlagern ein großer Teil der geschlagenen weißen Wrangel-Armee aufhielt, für die im Russischen Bürgerkrieg gefallenen Donkosaken und Angehörigen des russischen Kadettenkorps, für die weißen Generäle Michail Alexejew (1857–1918) und Michail Drosdowski (1881–1919) sowie ein Kenotaph für den von sowjetischen Agenten entführten und unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen General Alexander Kutepow (1882–1930).
Einzelnachweise
- Begraben bei Paris in der Rossijskaja gaseta, 17. Januar 2008 (russisch)
- Eintrag in der Base Mérimée (französisch)
- Panin im Internetportal GULAG des Memorial Deutschland e. V.
Weblinks
- Cimetière de Sainte-Geneviève-des-Bois bei Find a Grave (englisch)
- Liste bekannter Grabstätten des Friedhofs (französisch)
- Website der Mariä-Entschlafens-Kirche (russisch, französisch)