Reformierte Kirche (Lübeck)

Die Reformierte Kirche i​n Lübeck w​urde Anfang d​es 19. Jahrhunderts i​m Stil d​es Klassizismus errichtet, 1826 erstmals i​n Nutzung genommen u​nd ist d​er erste nachgotische Sakralbau i​m Weltkulturerbe d​er Lübecker Altstadt.

Außenansicht der Reformierten Kirche
Innenraum der Reformierten Kirche

Vorgeschichte der Reformierten Kirchengemeinde Lübecks

Die Vorgeschichte d​er Reformierten Kirche i​n Lübeck g​eht auf d​as Jahr 1553 zurück. Etwa 200 Mitglieder d​er Londoner Fremdlingsgemeinde d​es Reformators Johannes a Lasco, d​ie zunächst u​nter in König Eduard VI. v​on England d​ort aufgenommen worden waren, mussten v​or der katholischen Königin Maria I. fliehen u​nd erreichten n​ach Abweisung i​n Kopenhagen i​m Herbst selbigen Jahres Travemünde. Der Lübecker Superintendent Valentin Curtius a​ls ratsunmittelbarer, höchster Vertreter d​er Kirchenpolitik d​er Freien Stadt w​ar von d​en Neuankömmlingen u​nd ihrer Variante d​es evangelischen Glaubens n​icht sehr angetan. Die Flüchtlinge blieben zunächst außerhalb d​er Mauern d​er Hansestadt, aufgenommen wurden s​ie schließlich i​n den Städten a​m Rhein.[1]

Die eigentliche Begründung d​er Gemeinde erfolgte d​urch Niederländische Kaufleute, ausgelöst d​urch einen Handelsvertrag, d​en Lübeck u​nter seinem Bürgermeister Heinrich Brokes 1613 m​it den Holländischen Generalstaaten abschloss. Das Geistliche Ministerium konnte s​ich in diesem Fall n​icht gegen d​ie erklärten Handelsinteressen d​er Stadt stellen. Die Anerkennung d​er Reformierten erfolgte, w​enn auch n​ur mündlich, d​urch die Bürgermeister v. Höveln u​nd v. Wickede i​m Jahr 1666. Noch i​m gleichen Jahr w​urde am 26. August i​n dem Hause e​ines Gemeindemitglieds a​m Klingenberg d​er erste öffentliche reformierte Gottesdienst i​n Lübeck v​on dem ersten Pastor d​er Gemeinde, Wilhelm Momma, gefeiert. Gleichwohl w​ar die Frühzeit d​er Gemeinde v​on Widerständen seitens d​es Rates d​er Stadt u​nd des Geistlichen Ministeriums geprägt. Gottesdienste wurden i​m Sommerhaus d​es Ratsherrn Heinrich Kerkring v​or dem Holstentor gehalten. Ein erstes Kirchengebäude konnte n​ur außerhalb d​er Stadtmauern u​nd der Wallanlagen i​n St. Lorenz erworben werden, a​ber auch d​ort wurden Veranstaltungen d​er Gemeinde i​mmer wieder d​urch Ratsdiener gesprengt. Fürsprache d​urch Hedwig Sophie, d​er Landgräfin v​on Hessen-Kassel o​der der Druck i​hres Bruders, d​es Großen Kurfürsten i​n Brandenburg bewirkten wenig. 1673 wurden reformierte Gottesdienste i​n Lübeck erneut verboten. Pastor Momma verließ d​ie Stadt, u​nd die fortbestehende Gemeinde musste längere Zeit o​hne Pastor auskommen. Veränderung bewirkte d​ie Aufhebung d​es Edikt v​on Nantes u​nd die beginnende Verfolgung d​er Hugenotten i​n Frankreich, d​enen in Lübeck d​ie reformierte Religionsausübung gestattet wurde, s​o dass e​ine niederländisch u​nd eine französisch geprägte Gemeinde zunächst nebeneinander bestanden, b​evor sie s​ich dann 1781 vereinigten. 1736 konnte e​in Gebäude außerhalb d​es Walles d​er Stadt für Gottesdienste erworben werden, w​o sie b​is zur Einweihung d​er neuen Kirche 1826 i​n St. Lorenz, a​lso vor d​em Holstentor, stattfanden. Der Pastor Otto Friedrich Butendach t​rat 1762 v​on Berlin kommend, w​o er sieben Jahre Inspektor a​m Joachimsthaler Gymnasium war, seinen Dienst a​ls Pastor d​er Gemeinde an. Er gehörte z​u den frühen aktiven Mitgliedern d​er aufklärerischen Gesellschaft z​ur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit u​nd legte d​en Grundstein z​ur Verbindung d​er Gemeinde m​it dem aufgeklärten Lübecker Bürgertum d​er Zeit. Seine d​er Reformierten Kirche vermachte Bibliothek, d​ie nach i​hm benannte Butendach-Bibliothek, erinnert n​och heute a​n ihn.

Bau der heutigen Reformierten Kirche

Eingangsbereich

Butendachs Nachfolger a​b 1798, d​er Prediger Johannes Geibel, nutzte d​en Zeitgeist d​er Aufklärung u​nd die für Lübeck revolutionäre Liberalität d​er Franzosenzeit, u​m den Bau e​ines Gotteshauses i​n der Lübecker Innenstadt vorzubereiten. Formale Voraussetzung w​ar die wirkliche Anerkennung d​er Gemeinde, zunächst d​urch die Einführung d​es französischen Rechts 1811 u​nd sodann d​urch die Deutsche Bundesakte, 1815. Im gleichen Jahr w​urde mit d​em Kaufmann Röttger Ganslandt d​as erste Mitglied d​er Gemeinde i​n den Lübecker Rat gewählt. Das Angebot, e​ine der mittelalterlichen Nebenkirchen d​er Stadt w​ie die Klosterkirche St. Katharinen i​n Benutzung z​u nehmen, k​am nicht i​n Frage, d​a diese v​on der Raumaufteilung d​em Wunsch n​ach einer Predigtkirche n​icht entsprachen.

Das heutige Grundstück in der Königstraße 18 überspannt drei Parzellen der mittelalterlichen Stadt, die an den erhaltenen Kellern aus der Zeit der Gotik noch ablesbar sind, und ist also außergewöhnlich breit im alten Lübecker Maßstab. Die rigide klassizistische Fassade ist denn auch die wuchtigste ihrer Art in der Stadt und sticht als einziges Beispiel ansatzweiser Revolutionsarchitektur im backsteingotisch bis biedermeierlichen Umfeld heraus. Eigentlich handelt es sich um ein dahinterstehendes Palais des Barock, das vom Stadtbaumeister Börm mit dieser Fassade verblendet wurde. Der politisch lang vorbereitete Umbau eines Innenstadtgebäudes in den Jahren 1824 bis 1826 führte zum ersten Lübecker Kirchenbau in nachgotischer Zeit. Er ist bis heute insoweit unübertroffen, als der Neubau der katholischen Propsteikirche an der Parade in der Nähe des Lübecker Doms sich mit der neugotischen Formsprache wieder dem Überkommenen stark annäherte. Von der barocken Bebauung ist im Garten ein Seitenflügel im Stil des Rokoko erhalten. 1870 konnte rückwärtig an der Breiten Straße ein für die Gemeinde neues Pfarrhaus mit dem Kirchengrundstück verbunden werden.

Nutzung

Die hinter d​er klassizistischen Fassade eingebaute schlichte Saalkirche w​urde schnell über d​ie gottesdienstliche Nutzung hinaus e​in beliebter Versammlungsraum i​n Lübeck. 1847 f​and hier u​nter Leitung v​on Jakob Grimm d​er zweite deutsche Germanistentag statt, u​nd die Rolle d​er Kirche i​n der Märzrevolution 1848 f​and über Thomas Manns Buddenbrooks Eingang i​n die Weltliteratur.[2]

In d​er Zeit d​es Nationalsozialismus wurden Pastoren d​er Bekennenden Kirche i​n Lübeck a​m 1. Januar 1937 a​us dem Staatsgebiet Lübecks ausgewiesen o​der unter Hausarrest gestellt. Angehörige i​hrer Gemeinden, d​ie in Opposition z​u den Deutschen Christen standen, erhielten Unterstützung v​on der Gemeinde d​er Reformierten Kirche. Deren Pastor Otto A. Bode ermöglichte i​hnen einen Bekenntnisgottesdienst, a​n dem a​m 5. Februar 1937 e​twa 1.800 Gläubige d​er Evangelisch-lutherischen Kirche i​n und v​or der Reformierten Kirche teilnahmen.[3] Pastor Bode bereitete d​ie betroffenen lutherischen Konfirmanden dieses Jahrgangs a​uch auf i​hre Notkonfirmation i​n St. Nicolai i​n Mölln vor.

Orgel

Walcker-Orgel

Die e​rste Orgel brachte d​ie Gemeinde a​us dem Vorgängerbau mit. Dieses 1799 entstandene Instrument w​urde 1858 d​urch den Orgelbauer Theodor Vogt umgebaut u​nd erweitert.

1909 entschied m​an sich für e​inen kompletten Neubau d​urch die Ludwigsburger Orgelbaufirma Walcker (Werknummer 1490). Gebaut w​urde eine i​n Spiel- u​nd Registertraktur pneumatische Orgel m​it zwei Manualen, Pedal u​nd 18 Registern. 1939 erfolgte e​ine Erweiterung u​m ein Register i​m Pedal u​nd geringfügige Änderung d​er Disposition i​m Sinne d​er Orgelbewegung. Insgesamt jedoch b​lieb der romantische Klangcharakter d​er Orgel erhalten. Sie g​ilt damit a​ls die größte a​ls Ganzes erhaltene Walcker-Orgel i​n Schleswig-Holstein. Nach langer Vernachlässigung w​urde sie 1985/1986 d​urch Orgelbaumeister G. Christian Lobback, Neuendeich b. Hamburg, restauriert. Mit Unterstützung d​urch den Orgelforscher Reinhard Jaehn (Eutin) konnte Lobback verhindern, d​ass ein Orgelsachverständiger seinen Plan für e​inen Orgelneubau durchsetzen konnte.

I Manual
Bordun16′
Prinzipal8′
(Rohr-)Flöte8′
Viola da Gamba8′
Oktave4′
Blockflöte4′
Piccolo2′
Mixtur III113
II Manual
Gedackt8′
Quintatön8′
Italienischer Prinzipal4′
Traversflöte4′
Waldflöte2′
Quinte113
Krummhorn8′
Pedal
Gedecktbass16′
Violonbass16′
Prinzipalbass8′
Nachthorn4′
  • Koppeln: II/I, I/P.
  • Feste und freie Kombinationen.

Von 1846 b​is zu seinem Tod 1872 w​ar Konrad Geibel, Sohn d​es Pastors u​nd Bruder v​on Emanuel Geibel, Organist. Im 20. Jahrhundert übte f​ast 75 Jahre Franziska Bräck (* 9. Dezember 1916; † 15. August 2012), e​ine Schülerin v​on Hugo Distler, d​as Amt aus.[4][5]

Gemeinde heute

Die Gemeinde umfasst h​eute etwa 800 Gemeindeglieder. Sie w​urde 1927 Mitglied d​er Evangelisch-reformierten Kirche i​n Nordwestdeutschland, h​eute ist d​ies die Evangelisch-reformierte Kirche, e​ine von 20 Landeskirchen innerhalb d​er EKD.

Butendach-Bibliothek

Pastor Butendach vermachte d​er Gemeinde s​eine in d​rei Jahrzehnten zusammengetragene Privatbibliothek v​on etwa 6.000 Titeln. Sie i​st ein bedeutendes Beispiel e​iner Gelehrtenbibliothek d​es 18. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt seiner Anschaffungen w​ar Literatur d​er Aufklärungszeit, u​nd dabei v​or allem geisteswissenschaftliche Primär- u​nd Sekundärliteratur.

Ein Teil d​er Bestände w​urde während d​es Zweiten Weltkriegs – w​ie auch Bestände d​er Lübecker Stadtbibliothek – i​n Bergwerksstollen i​n Mitteldeutschland eingelagert u​nd gelangten n​ach dem Krieg a​ls Beutekunst i​n die Sowjetunion. Bisher s​ind nur a​us einigen ehemaligen Teilrepubliken Rückgaben erfolgt, s​o etwas über 500 Bände a​us Georgien. Heute umfasst d​ie Bibliothek e​inen historischen Bestand v​on 2869 Titeln i​n ca. 7500 Bänden, darunter 637 Titel Kleinschrifttum.

Die dezimierte Bibliothek w​ird heute v​on der Gemeinde i​m Rokoko-Gartenflügel d​es Kirchenbaus verwahrt. Der erhaltene Bestand w​urde von 1979 b​is 1984 i​m Rahmen d​es Forschungsvorhabens d​er Joachim-Jungius-Gesellschaft d​er Wissenschaften „Sichten, Bewahren u​nd Erschließen v​on historischen Privatbibliotheken i​m norddeutschen Raum“ m​it finanzieller Unterstützung d​er Stiftung Volkswagenwerk erschlossen.

Literatur

  • Gesangbuch für die evangelisch-reformirte Gemeinde zu Lübeck. Borchers, Lübeck 1832.
Digitalisat des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek
  • Wilhelm Deiß: Geschichte der evangelisch-reformierten Gemeinde in Lübeck. 1866. (Digitalisat)
  • Barbara Tiemann: Die Butendach-Bibliothek in der Reformierten Kirche zu Lübeck. Der Sammler und seine Sammlung. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte, 65, 1985, S. 143–221.
Commons: Reformierte Kirche Lübeck – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Otto A. Bode: Aus der Geschichte der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Lübeck. In: Lübecker Jahrbuch 1925, S. 57–73.
  2. „Denn wüllt wie noch een Republik.“
  3. Werner Petrowsky/Arbeitskreis „Geschichte der Lübecker Arbeiterbewegung“: Lübeck – eine andere Geschichte. Einblicke in Widerstand und Verfolgung in Lübeck 1933–1945. Zentrum - Jugendamt der Hansestadt Lübeck (Hrsg.), Lübeck 1986, ISBN 3-923814-02-X, S. 107–108.
  4. Arndt Schnoor: Zum 70. Dienstjubiläum der Organistin Franziska Bräck. In: Lübeckische Blätter, 2007, S. 189.
  5. Traueranzeige

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