Reformator
Der Begriff Reformator bedeutet in der Geschichtswissenschaft und Theologie eine Person der Kirchengeschichte, die bei der Gründung und Ausformung der evangelischen Kirchen während der Reformation mitwirkte. Die Verwendung ist an die Reformationsgeschichte gebunden.
Allgemeines
Zur Zeit der Reformation hielt man es nicht für nötig, die Männer zu definieren, die den Reformatoren zuzuordnen waren. Erst als das Wesen der Reformation in seiner Komplexität nicht mehr verständlich vermittelbar war, benötigte man ein Maß, nach dem ein Reformator bestimmbar wurde.
Neben den Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon, Huldrych Zwingli, Martin Bucer und Johannes Calvin leisteten Matthäus Alber, Jakob Andreae, Johannes Brenz, Johannes Bugenhagen, Heinrich Bullinger, Martin Chemnitz, Jacob Heerbrand, Gottschalk Kruse, Joachim Mörlin, Andreas Osiander, Urbanus Rhegius, Nikolaus Selnecker sowie evangelisch gesinnte Fürsten wie etwa Georg von Anhalt oder Philipp I. von Hessen einen wesentlichen Beitrag zur Durchführung der Reformation. Für die außerhalb des territorialen Protestantismus stehenden Reformatoren wie Thomas Müntzer und Andreas Bodenstein wurde der Begriff Radikale Reformatoren geprägt. Hierzu werden auch spiritualistische Reformatoren wie Kaspar Schwenckfeld und täuferische Reformatoren wie Balthasar Hubmaier und Menno Simons hinzugerechnet.[1]
- Zur Geschichte der Reformation, siehe auch den Beitrag Protestantismus
Literaturgeschichte
Erstmals versuchte Matthias Flacius die Thematik in seinem „Catalogus Testium veritatis“ 1570 anzugehen, als er die Kontinuität der Kirche beweisen wollte. In Basel verfasste Théodore de Bèze Kurzbiographien, die 1580 unter dem Titel „Icones“ in Genf erschienen. Kurz darauf kam in Amsterdam eine weiter vervollständigte Sammlung heraus. Melchior Adam schrieb mit „Vitae theologorum germanicorum“ 1618 in Heidelberg für die damalige Zeit das wichtigste Werk auf diesem Gebiet.
Im 19. Jahrhundert mehrten sich die Lexika allgemeiner und spezifischer Art wie zum Beispiel das „Ketzerlexikon“ von B.P. Fritz, das „Konzilienlexikon“ von M. Diesch, die Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche und der Allgemeinen Deutschen Biographie etc. die hier nur vertretend genannt werden sollen. Diese Tendenz setzte sich im 20. Jahrhundert z. B. mit der Neuen Deutschen Biographie, der Theologische Realenzyklopädie und Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon fort, die einen größeren Teil von Personen der Kirchengeschichte fassten und die eine Zuordnung der Reformatoren darstellten.
Immer wieder wurde in diverser Fachliteratur wie Carl Ullmanns „Die Reformatoren vor der Reformation“ versucht, die Bezeichnung der Reformatoren als weitläufigen Ordnungsbegriff zu sehen, der Reformen als Maßstab zur Bewertung weitläufiger auslegen sollte. Jedoch setzte sich jene Tendenz nicht durch. Denn der Begriff des Reformators wird von der speziellen Reform der Reformation getragen, die sich in einem festgelegten Rahmen bewegt. Eine Reform ist zwar eine planmäßige und schrittweise Veränderung beziehungsweise Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse, jedoch wird die Reform der Reformationszeit in einem zeitlich begrenzten Rahmen gesehen.
Immer wieder gab es daher Bestrebungen eine spezifisch zuordnende Prosopographie auszuarbeiten. Robert Stupperich veröffentlichte 1984 sein Reformatorenlexikon und fasste den Kreis der als Reformator bestimmbaren Personengruppe weitgehend zusammen. Grundsätzlich schloss er dabei die oft fälschlicherweise als (Vor-)Reformatoren bezeichneten Reformer wie zum Beispiel John Wyclif und Jan Hus aus und schaffte damit eine feste Orientierung zu der Thematik.
Aspekte zur Begriffsbildung
Bei der Bildung des Begriffs Reformator wird im Allgemeinen das Wirken für die Reformation zum entscheidenden Kriterium. Aus dem Verständnis der Reformation ergibt sich daher eine zeitliche Grenze, die mit der Veröffentlichung der 95 Thesen beginnt und mit dem Abschluss des Konfessionsbildungsprozesses (das heißt die Zeit zwischen dem lutherischen Konkordienbuch 1580 und der reformierten Dordrechter Synode 1618/19) endet.
Die Reformation war kein ausschließlich auf die Kirche beschränkter Vorgang, sondern eine Bewegung, die sich über die Gesamtheit aller Lebensbereiche erstreckte. Sie durchdrang daher im Kern die gesamte kirchliche und politische Bewegung und drang in alle Lebensbereiche ein. Deshalb wird die Reformation auch als kirchenpolitische Reformation bezeichnet. Des Weiteren breitete sich die Reformation schnell über die Grenzen der alten deutschen Staaten aus. Möchte man alle reformistischen Persönlichkeiten mit der Bezeichnung Reformator versehen, verschöben sich die Grenzen der Definition, so dass hier eine Begrenzung bei der Begriffsbildung stattfinden musste.
Betrachtet man die Hauptvertreter der Reformation, über die es keinen Zweifel gibt, dass sie Reformatoren sind, erkennt man, dass es sich vorrangig um theologische Vertreter handelt. Melanchthon bildet hierbei als Reformator des Schulwesens eine prägnante Ausnahme. Leitet man im Bezug zu den zweifelsfreien Reformatoren eine Formulierung ab zu den Reformatoren, ergibt sich der sensitive Kontext, dass zu den Reformatoren jene zu zählen sind, die im Auftrag der großen Initiatoren die Verkündigung in Predigt und Unterricht weitergetrieben haben.
Häufig trifft man auch auf das Argument, dass die Reformation auch eine kirchenpolitische Reform war und daher die politischen Größen der Reformationszeit mit einzuschließen sind. Es ist zweifellos, dass Regenten und ihre Vertreter maßgeblich an der Reformation mitgewirkt haben. Oft haben sie die Weichen gestellt, so dass ohne ihre fördernde Kraft die Reformation nicht möglich gewesen wäre. Jedoch sollte man auch bedenken, dass dies nicht aus der theologischen Einstellung im reformistischen Sinne entstanden ist, sondern dabei vor allem dem Eigennutz nahestehende Beweggründe nahe liegen. Nicht zuletzt lehnte Luther eine Politisierung seiner theologischen Lehre ab. Daher können Regenten und politische Größen nicht als Reformatoren im eigentlichen Sinne betrachtet werden.
Der im Nordwesten aufkommende „terminus Semilutheranismus“ zeigt schließlich, dass es Gruppen gab, die zwar vom Geist der Reformation berührt waren, aber doch nicht zur Reformation durchgedrungen sind. Die Reformation war eine Bewegung der christlichen Kirche und nicht gleichzusetzen beispielsweise mit dem Humanismus, der sich nicht auf den einzelnen Menschen bezog, sondern auf die Gesamtheit aller Lebensbereiche erstreckte. Daher können solche Randerscheinungen im Zusammenhang mit den Reformatoren nur vereinzelt benannt werden, wenn sie in einer anderen Beziehung bedeutsam gewesen sind.
Fazit
Da die Begriffsbezeichnung scheinbar recht eng gefasst wurde, erscheint es häufig schwierig, eine fachgerechte Zuordnung des Begriffs durchzuführen. In der Regel werden damit Theologen bezeichnet, die in ihren Amtsbereichen die evangelische Lehre während der Reformationszeit eingeführt haben. Bewährt hat sich bei der Zuordnung des Begriffs, dass es sich um Personen handelt, die an den kirchenpolitischen Ereignissen wie zum Beispiel an der Wittenberger Konkordie, dem Reichstag zu Augsburg 1530 etc., auf der Seite der evangelischen Theologen beteiligt waren. Einzig dort, wo der Grundaspekt zur theologischen Umsetzung der Reformation verschwimmt, können Personen den Reformatoren zugeordnet werden, wenn sie aus der theologischen Notwendigkeit prägend an den Ereignissen der Reformationsgeschichte mitwirkten.
Siehe auch
Literatur
- Kurt Aland: Die Reformatoren. Luther – Melanchthon – Zwingli – Calvin, mit einem Nachwort zur Reformationsgeschichte; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 19802; ISBN 3-579-03964-4
- Robert Stupperich: Reformatorenlexikon; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1984; ISBN 3-579-00123-X
- Carl Ullmann: Die Reformatoren vor der Reformation, 2 Bde.; Hamburg 18421; Gotha 18662
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Radikale Reformatoren. 21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer bis Paracelsus. München 1978.