Raffinerie Moosbierbaum
Die Raffinerie Moosbierbaum war ein chemischer Industriebetrieb in Moosbierbaum in der Gemeinde Atzenbrugg in Niederösterreich (Bezirk Tulln).
Geschichte
Im Jahr 1916 (andere Quellen: 1913) wurde der Betrieb von dem auf Rüstungsproduktion spezialisierten Škoda-Konzern gemeinsam mit dem Großindustriellen und Bankier Bernhard Wetzler (1839–1922)[1] als Pulverfabrik Skodawerke Wetzler AG errichtet und diente im Ersten Weltkrieg als Rüstungsbetrieb zur Erzeugung von Schießpulver.[2] Die monatliche Produktion sollte 40 Waggons Schießpulver entsprechen, welche ab 1917 begann.
Nach dem Krieg wurde das Werk auf verschiedene zivile Produkte umgestellt. Es war zu der Zeit die wichtigste Produktionsstätte im neuen kleinen Österreich für chemische Grundprodukte, wie verschiedene Säuren, wie Schwefel-, Phosphor- (ab 1935), Salpeter- und Salzsäure. Aber auch Kunstdünger (Superphosphat) wurde erzeugt. Die Aktienmehrheit des Unternehmens befand sich ab März 1922 im Besitz der Anglo-Austrian Bank.[3]
Ab 1926 führte Skoda-Wetzler auch pachtweise den Betrieb der Ammoniakfabriken in den städtischen Wiener Gaswerken Simmering und Leopoldau. Außerdem beteiligte sich die AG an der „Sprengstoffwerke Blumau AG“ und hatte dort die Betriebsführung inne. Auf Rechnung der Republik wurde in Blumau von der Skoda-Wetzler AG eine TNT-Fabrik (1928), eine Pulverfabrik (1930) und eine Nitroglycerinanlage (1933) errichtet.[4]
Knapp vor dem „Anschluss“ im Jahr 1938 übernahm die Donau Chemie die Aktienmehrheit. Nach dem „Anschluss“ wurde sie aber gleich der I.G. Farben eingegliedert.
Als im Krieg die deutschen Raffinerien immer mehr bombardiert wurden, wurde Moosbierbaum zur Herstellung von Flugbenzin ausgebaut. Dabei wurden niedrigoktanige Kraftstoffe mittels des HF-Verfahrens, einer Weiterentwicklung des Hydroforming-Verfahrens der Standard Oil Company, in hochoktanige Benzine konvertiert.
Daneben in Pischelsdorf, wo die Donau Chemie heute beheimatet ist, wurde eine erweiterte Schwefelsäureanlage errichtet. In den beiden Betrieben haben zu dieser Zeit 6.000 bis 8.000 Menschen gearbeitet, von denen eine große Anzahl auch Zwangsarbeiter waren,[5] ab 1943 wurden hier auch Strafgefangene aus dem Zuchthaus Stein beschäftigt. Politische Häftlinge, die bereits Erfahrung mit organisierter Tätigkeit in der Illegalität hatten, gründeten hier 1944 die Widerstandsgruppe Österreichische Freiheitsfront (ÖFF). Neben Sabotage im Werk und Propaganda, in der Missstände angeprangert wurden, strebte die ÖFF ab Herbst 1944 auch die Beseitigung der NS-Herrschaft und die Errichtung eines demokratischen Österreichs an.[6]
Gegen Ende des Krieges wurde auch Moosbierbaum stark bombardiert.[7][8][9] Allein am 1. Februar 1945 gingen 1.200 Bomben auf das Werk und die unmittelbare Umgebung. Durch den starken Schutz der Flak konnte das Werk aber bis zum Schluss, wenn auch stark eingeschränkt, arbeiten. Erst durch die sowjetische Besatzungsmacht wurde das Werk langsam stark demontiert. Es wurde auch Erdöl aus Zistersdorf destilliert, das als Reparation an die Sowjets geliefert wurde. Nach dem Staatsvertrag wurde die Raffinerie zwar noch von der OMV übernommen, der Bau der Raffinerie Schwechat bedeutete aber schließlich das Ende des Werkes. Im Jahr fiel das Gelände, das nur mehr aus Ruinen bestand, an den ursprünglichen Eigentümer, die Donau Chemie, zurück. Die Donau Chemie baute aber das Werk in Pischelsdorf weiter aus, sodass die brachliegenden Flächen zum Teil an das Kraftwerk Dürnrohr verkauft wurden. Auf dem restlichen Gelände besteht seit 2000 ein Golfplatz. Befestigte Splitterschutzgräben, Teile industrieller Anlagen, Fundamente und wenige intakte Gebäude sind heute noch zu sehen. Insider kennen Keller und Bauwerke in denen heute noch Filter von Atemschutzmasken, die bei Bombenangriffen von Bediensteten getragen wurden, zu finden sind. Auch Lieferscheine aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges, z. B. der Firma Siemens existieren noch. Für Interessierte ist es jedoch wichtig dass solche Funde an ihren Fundorten bleiben und nicht durch "Schnüffler" fortgetragen werden. In Foren findet man einiges über das damalige Werk und kann sich mit Geschichtsinteressierten und Leuten vom Fach austauschen. Das Heimatmuseum Zwentendorf bietet hier viel Aufschluss und weist vieles über die damalige Zeit in Moosbierbaum auf. Ein großer Teil des ehemaligen Südwerkes stellt heute die Altlast N64 (Industriegelände Moosbierbaum – Teilfläche Nord) des Umweltbundesamtes dar. Heute noch findet man Kanalsysteme, geflutet mit Rohölprodukten. Das Gelände ist zum Teil schwer verunreinigt und belastet durch Kohlenwasserstoffe sowie Kampfmittel.
- Splitterschutzgraben (Bunker)
- Anlagenteile
- Industrielle Anlagen
- Einstiegsschacht
Weblinks
- Großkombinat der IG Farben „Donau Chemie AG“ – Moosbierbaum bei geheimprojekte.at
- Altlast N 64: Industriegelände Moosbierbaum im Altlastenatlas des Umweltbundesamtes
Einzelnachweise
- Ch. Gruber: Wetzler, Bernhard. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 16, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2019–, S. 164.
- Geschichte der Donau Chemie auf der Website der Donau Chemie AG.
- Fritz Weber: Vor dem großen Krach: Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. Böhlau Verlag Wien, 2016, S. 296.
- Aktie der Skodawerke-Wetzler AG, 1926 auf historische-wertpapiere.de.
- Landtagsprotokoll 1964 NÖ Landtagsprotokoll vom 22. Dezember 1964 mit einem Rednerbeitrag über die Geschichte von Moosbierbaum.
- Hans Schafranek: Widerstand und Verrat. Gestapospitzel im antifaschistischen Untergrund 1938–1945. Czernin, Wien 2017, ISBN 978-3-7076-0622-5, S. 253–255.
- Aufklärungsluftbild der Royal Air Force von der Industrieanlage Pischelsdorf auf der Website von NCAP.
- Aufklärungsluftbild der Royal Air Force vom Hydrierwerk Moosbierbaum (Nord) auf der Website von NCAP.
- Aufklärungsluftbild der Royal Air Force vom westlichen Tullnerfeld auf der Website von NCAP.