RBMK
Ein RBMK (russisch Реактор Большой Мощности Канальный, transkribiert Reaktor Bolschoi Moschtschnosti Kanalny, zu Deutsch etwa Hochleistungs-Reaktor mit Kanälen) ist ein graphitmoderierter wassergekühlter Siedewasser-Druckröhrenreaktor sowjetischer Bauart.
RBMK | |
---|---|
Entwicklungsland: | Sowjetunion |
Reaktordaten | |
Reaktortyp: | Siedewasserreaktor |
Bauart: | Druckröhrenreaktor |
Moderator: | Graphit und (zu einem kleinen Anteil) leichtes Wasser |
Kühlung: | leichtes Wasser |
Brennstoff: | 235Uran |
Anreicherungsgrad: | 1,8 % bis 2,8 % |
Dampfblasenkoeffizient: | Positiv |
Leistungsklassen in MW (Brutto): | 1000, 1500, 2400 MW |
Containment: | Nicht vorhanden |
Gebaute Exemplare: | 17 |
Der Reaktortyp wurde durch die Katastrophe von Tschernobyl, die sich mit einem Reaktor des Typs RBMK-1000 ereignete, weltweit bekannt. Insgesamt sollten 26 dieser Reaktoren gebaut werden, von denen neun aber nicht fertiggestellt wurden. Von den 17 in Betrieb genommenen RBMK-Reaktoren sind 9 noch in Betrieb (Stand Juni 2021). Nach dem Unfall von Tschernobyl wurden Verbesserungen der Sicherheit unternommen. Der letzte RBMK soll 2035 nach planmäßigen 45 Jahren stillgelegt werden.[1][2]
Geschichte
Der Reaktortyp RBMK wurde Mitte der 1960er Jahre in der Sowjetunion unter Federführung des Akademiemitgliedes Nikolai Antonowitsch Dolleschal entwickelt.[3] Dabei konnte man auf Erfahrungen mit den ersten sowjetischen Kernkraftwerken Obninsk und Belojarsk zurückgreifen. Ziel war es, in relativ kurzer Zeit und ohne größere Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien eine größere Anzahl von Leistungsreaktoren zu errichten. Der erste RBMK-Reaktor war Block 1 des Kernkraftwerks Leningrad, der 1973 in Betrieb ging.
Die größten Reaktoren dieses Typs, die RBMK-1500, stehen im mittlerweile stillgelegten litauischen Kernkraftwerk Ignalina nahe Visaginas. Die zwei Blöcke, die 1984 und 1987 in den kommerziellen Betrieb gingen, waren die größten jemals in der Sowjetunion gebauten Reaktoren. Was die elektrische Leistung betrifft, wurde der RBMK-1500 erst 2018 vom EPR übertroffen, der in der Volksrepublik China in Betrieb ging. In Bezug auf die thermische Leistung bleibt der RBMK auch danach noch Rekordhalter.
Aufbau
Beim RBMK handelt es sich um einen graphitmoderierten Siedewasser-Druckröhrenreaktor. Anstelle eines Reaktordruckbehälters enthält er zahlreiche Druckröhren mit einem Durchmesser von 8 cm, in denen sich die Brennelemente befinden. Die Kettenreaktion im Reaktor wird durch Steuerstäbe kontrolliert.[4] Die durch die Kernspaltung entstehende Wärme wird durch Wasser und dessen Verdampfung aufgenommen. Der so entstandene Sattdampf wird durch Dampfabscheider geleitet, um noch flüssiges Wasser in den Reaktor zurückzuführen, und dann in Dampfturbinen genutzt, die Generatoren antreiben und so elektrischen Strom bereitstellen.
Damit die Wärmeübertragung innerhalb des Reaktors zwischen den Graphitblöcken verbessert wird, zirkuliert ein Gasgemisch aus Helium und Stickstoff in den Spalten zwischen den Graphitblöcken. Die Steuerstäbe enthalten Borcarbid (B4C) und können teils von oben, teils von unten in den Reaktorkern eingefahren werden. Zur Leistungsregelung im Betrieb werden die von oben eintauchenden Steuerstäbe genutzt; die von unten einfahrbaren Stäbe dienen zur Einstellung einer gleichmäßigen Leistungsverteilung im Reaktorkern. Die Steuerstäbe werden im Normalfall über Neutronendetektoren des automatischen Steuersystems im Reaktorkern gesteuert. Der Reaktor hat zwei getrennte Kühlsysteme mit jeweils vier Pumpen, welche jeweils eine Hälfte des Reaktorkerns kühlen. Im Normalbetrieb sind drei Pumpen in Betrieb, während eine weitere Pumpe betriebsbereit als Reserve dient. Falls es zu einer Überhitzung des Kernes kommt oder die Stromversorgung unterbrochen ist, wird ein Kern-Notkühlsystem automatisch gestartet.
Brennelemente
Der Brennstoff des RBMK bestand anfänglich aus auf 2 % 235U angereichertem Uran. Nach Tschernobyl wird auf 2,4 % angereichertes Uran verwendet, später 2,6 % und 2,8 %, da höhere Anreicherungsgrade den Reaktorbetrieb stabiler machen. Seit 1996 wird den Brennstäben der Absorber Erbium(III)-oxid zugesetzt. Zuerst 0,41 %, dann 2001 0,6 %.[5] Seit 2010 werden in der Mitte der Brennstäbe 0,8 % und oben sowie unten in den Brennstäben 0,4 % Erbium integriert. Das senkte den Void-Koeffizient praktisch auf Null, also sicherheitstechnisch der entscheidende Fortschritt[6][7]. Der Brennstoff liegt in Form von kleinen Brennstofftabletten aus gesintertem Urandioxid mit einem axial-mittigen Loch vor. Sie sind in Stäben aus Zirkalloy von 13,6 mm Durchmesser und 3,65 m Länge untergebracht. Ein Brennelement besteht aus zwei Bauteilen mit je 18 Stäben, die zylindrisch angeordnet sind. Jeweils zwei der BE-Bauteile befinden sich übereinander in der über sieben Meter langen Druckröhre. Ausgetauscht werden können sie bei laufendem Reaktorbetrieb, da jede einzelne Druckröhre durch Ventile vom Wasserkreislauf getrennt werden kann.[8] Ein Brennelement enthält 114,7 kg Uran; der gesamte Reaktor beinhaltet bis zu 192 Tonnen, wenn alle Kanäle besetzt sind.
Steuerstäbe
RBMK-Steuerstäbe haben unterhalb des Absorbermaterials einen Verdrängungskörper aus Graphit, auch als „Graphitspitze“ bekannt. Dieses Detail dient zur Verringerung der Xenonvergiftung. Das als Neutronengift wirkende Xenon-135 entsteht unvermeidlich im Reaktorbetrieb und wird bei konstanter Reaktorleistung mit gleicher Rate durch Neutroneneinfang abgebaut. Es wird zum Problem, wenn die Steuerstäbe teilweise eingefahren werden und die Leistung später wieder erhöht werden soll. Der Neutronenfluss und damit die Abbaurate des Xenon-135 sind bei gedrosselter Leistung verringert, aber dessen Erzeugung (durch radioaktiven Zerfall eines Spaltprodukts) erfolgt zunächst noch mit der vorherigen Rate, so dass seine Konzentration vorübergehend ansteigt. Das Graphitbauteil an den Steuerstäben bewirkt nun, dass beim Herausziehen der leere Kanal sich nur teilweise mit Wasser füllt. Kohlenstoff absorbiert Neutronen viel schwächer als Wasser. Der Graphitkörper hebt daher lokal den Neutronenfluss an, so dass das Xe-135 schneller abgebaut wird.
Das Leit- und Schutzsystem eines RBMK der 2. Generation kann 211 Steuerstäbe kontrollieren. Sie sind in ausgewählte Kanäle eingelassen, die an einen speziellen Kühlkreislauf angeschlossen sind. Sie werden in 4 Klassen gegliedert.
- Manuelle Steuerstäbe zur Steuerung des radialen Neutronenflusses
- Kurze Steuerstäbe zur Steuerung des axialen Neutronenflusses, die von unten eingefahren werden
- Automatische Steuerstäbe, die von der Leittechnik geregelt werden
- Notfall-Steuerstäbe
Die Steuerstäbe bestehen aus Borcarbid-Elementen von je 967,5 mm Länge. Die kurzen Steuerstäbe bestehen aus 3 solcher Elemente, insgesamt haben sie eine Länge von 3,05 m. Die anderen Stabtypen bestehen aus 5 Elementen und sind 5,12 m lang. Bis auf die Automatik-Steuerstäbe sind alle Steuerstäbe mit den oben beschriebenen Graphit-Verdrängungskörpern ausgestattet.[9]
Reaktorschutzsysteme
Auf der Internetseite des Kernkraftwerks Leningrad (Leningrad Nuclear Power Plant, LNPP) werden mehrere automatische Sicherheitssysteme für die dortigen RBMK-Reaktoren aufgezählt.[10] Die Beschreibung ist allerdings allgemein gehalten und enthält keine Angaben über die Art der verwendeten Messeinrichtungen, Redundanz und Möglichkeiten oder Bedarf an menschlichem Eingreifen.
Confinement
Ein Containment, also eine druckdichte Sicherheitshülle um den Reaktor und radioaktive Nebenaggregate, haben RBMK-Reaktoren nicht. Das Confinement von Leichtwasserreaktoren ist ein Schutzsystem, das radioaktive Materialien, wie austretendes Kühlwasser im Falle einer gebrochenen Rohrleitung, davon abhalten soll, aus einer gesicherten Zone zu entweichen. Alle RBMK ab der zweiten Generation besitzen ein solches Confinement.[11]
Zum Strahlenschutz umgeben den Reaktor dicke Stahlbetonwände (biologischer Schild) und mehrere Hohlräume, die als Confinement vorgesehen sind. Die Dampfabscheider haben jeweils eine eigene Strahlenabschirmung.[8][12]
Technische Daten
Technische Daten | RBMK-1000[13][14][15][16] | RBMK-1500[16][17] | RBMKP-2400[18] |
---|---|---|---|
Thermische Leistung | 3200 MWth | 4800 MWth | 6500 MWth |
Elektrische Leistung | 1000 MW | 1500 MW | 2400 MW |
Kühlmitteldruck | 6,9 bis 6,2 MPa | 7,5 bis 7,0 MPa | – |
Kühlmitteldurchsatz | 37.440 t/h | – | 39.300 t/h |
Kühlmitteltemperatur | 284 °C | 277 bis 290 °C | – |
Dampfproduktionskapazität | 5.600 t/h | – | 8.580 t/h |
Brennstoff-Anreicherung | 2,0 % bis 2,4 % | 2,0 % | 1,8 % bis 2,3 % |
Anzahl der Brennelemente | 1.550 bis 1.580 | – | – |
Anzahl Druckröhren | 1661 bis 1693 | 1661 | 1920 (960 zum Dampfüberhitzen) |
Anzahl der Steuerstäbe | 191 bis 211 | 235 | – |
Höhe des Reaktors | 7 Meter | 7 Meter | 7 Meter |
Größe der Grundfläche des Reaktors | Durchmesser 11,8 Meter | Durchmesser 11,8 Meter | 7,5 × 27 Meter |
Vor- und Nachteile
Die RBMK-Linie weist im Vergleich zu anderen Reaktortypen einige Besonderheiten auf.
Vorteile
- Die Anlagen können in Modulbauweise errichtet werden.
- Es gibt keine großen Schmiedestücke wie einen Druckbehälter.
- Dies macht den Bau weniger abhängig von lokalen Gegebenheiten und der vorhandenen Infrastruktur.
- Indem man der Konstruktion weitere kompatible Elemente hinzufügt, besteht die Möglichkeit, die Gesamtleistung zu erhöhen bis hin zu Reaktorleistungen, die (bei RBMK-1500 und 2400) höher sind als bei westlichen Kernreaktoren.[19]
- Auslastung und Verfügbarkeit sollen über dem Durchschnitt anderer Reaktoren in der Sowjetunion gelegen haben. Insofern sollen sich die Anlagen im praktischen Betrieb bewährt haben.
- Graphit als Moderator erlaubt es, Spaltstoffe zu verwenden, die man in leichtwassermoderierten Reaktoren nicht einsetzen kann.
- Der Wechsel von Brennelementen ist während des Betriebes möglich, der Reaktor muss dazu nicht abgeschaltet werden.[20]
- Eine jährliche längere Betriebspause zum Umbeladen des Reaktorkerns kann dadurch entfallen.
- Der Reaktor muss auch nicht mit einem Brennstoffvorrat für z. B. ein ganzes Betriebsjahr beladen werden; dies ist ein Sicherheitsvorteil.
- Der laufende Brennelementwechsel ermöglicht die Gewinnung von Waffenplutonium mit niedrigem 240Pu-Gehalt.
Nachteile
- Eine Störung der Kühlung kann zum Anstieg der Wärmeleistung führen.[21] Ursache dafür ist der positive Kühlmittelverlustkoeffizient dieses Reaktortyps. Dies ist ein grundsätzliches Defizit des Reaktordesigns.[20]
- RBMK haben einen deutlich erhöhten Inspektionsbedarf durch die Verwendung von Druckröhren, die viele Schweißverbindungen besitzen.[22]
- RBMK setzen während des Normalbetriebs verglichen mit anderen Konstruktionen wesentlich mehr Radioaktivität frei. Die Emissionen führen zu Äquivalentdosen von bis zu 2,0 mSv pro Jahr.[23] Zum Vergleich: Ein durchschnittliches westliches Kernkraftwerk verursacht pro Jahr Dosen von 0,001 mSv bis 0,01 mSv in der Umgebung.[24] Die Strahlenexposition aus natürlichen Quellen beträgt im Schnitt 2,4 mSv pro Jahr. Bei einer Computertomographie beträgt die Strahlendosis 2 mSv bis 10 mSv.[25]
- Der Reaktor hat kein Containment,[21] sondern stattdessen ein so genanntes Confinement (siehe oben).[11] Die Anlage wird durch Verknüpfung von mehreren Systemen, vor allem des Notkühlsystems, komplexer und störanfälliger. Zudem sind viele Sicherheitssysteme beim RBMK nicht oder mit zu geringer Redundanz vorhanden.[21]
- Der Reaktor enthält viel Graphit. Graphit ist brennbar und bildet bei Kontakt mit Wasserdampf bei Temperaturen über 900 °C brennbare Gase.
- Es fehlt ein echtes Schnellabschaltsystem, da die Steuerstäbe im Ernstfall 12 bis 18 Sekunden brauchen, um vom voll ausgefahrenen zum voll eingefahrenen Zustand zu gelangen und damit die nukleare Kettenreaktion zu unterdrücken, in dieser Zeit kann es bei einem überkritischen Reaktor aufgrund der sehr schnell steigenden Temperatur zu einer Kernschmelze kommen. Der entstehende Wasserstoff kann zu einer Explosion des Reaktors führen.
- Zu den Grundlagen des sowjetischen Reaktorbaus gehörte es, dem menschlichen Operator mehr Kompetenzen zuzuweisen als der automatischen Steuerung, obwohl diese in der Regel weniger Fehler macht.
- Die große Abmessung des Reaktors begünstigt eine inhomogene Leistungsverteilung. Dies stellt besondere Anforderungen an die Regelung, insbesondere bei niedriger Leistung.
- Die Steuerstäbe werden elektrisch bewegt, was bei einem Stromausfall schwerwiegende Folgen haben kann.
- An den Spitzen der Steuerstäbe befinden sich Verdrängungskörper aus Graphit, was beim Einfahren vollausgefahrener Steuerstäbe in die Wasserkanäle die Reaktivität steigert.[26]
- Es gibt bisher keine Lösung für den Rückbau und die Endlagerung des radioaktiven Graphitkerns.[27]
Verbesserung der Anlagen
Nach dem Unfall in Tschernobyl wurden bei zahlreichen RBMK-Reaktoren Verbesserungen durchgeführt, um eine Wiederholung der nuklearen Leistungsexkursion unwahrscheinlicher zu machen. Unter anderem wurde die Betriebsweise so geändert, dass statt einer betrieblichen Reaktivitätsreserve von 30 Steuerstabäquivalenten nunmehr mindestens 45 Stäbe eingefahren sein müssen. Dies wurde erreicht, indem Uran mit einer höheren Brennstoffanreicherung von 2,4 % statt 2,0 % verwendet wird und dies mit dauerhaft installierten Absorberstäben, die nicht bewegbar sind, in 80 Druckröhren kompensiert wird. In manchen RBMK wird sogar auf 2,8 % angereichertes Uran verwendet. Grund dafür ist, dass die Nebenproduktion von anderen Stoffen während des Spaltprozesses so eine erhöhte Neutronenabsorption bewirken soll. Dies macht die Reaktivität weniger abhängig vom Dampfgehalt des Kühlwassers. Nur diese Sofort-Veränderungen senkten den Void-Koeffizient des RBMK von +4,5 % beta auf +0,7 % beta, damit eine Neutronenexkursion leichter unterbunden werden kann.[8][28]
Insgesamt hatten 179 der 211 Steuerstäbe an der Einfahrseite des Reaktors Graphitspitzen, welche das Kühlwasser verdrängten. Die Ausfahrweite der Stäbe wurde als Vorabmaßnahme beschränkt, so dass sie immer mindestens 1,2 m in den Reaktorkern hineinragen und damit der Verdrängungskörper unterhalb des Absorbermaterials den unteren Reaktorbereich abdeckt, so dass im Reaktorkern beim Einfahren kein Wasser mehr durch Graphit ersetzt wird. Später wurden die Steuerstäbe durch solche mit längerer Haltestange zwischen Absorber und Graphitkörper ersetzt, so dass der Verdrängungskörper bei voll herausgefahrenem Steuerstab tiefer hängt und kein Reaktivitätszuwachs beim Einfahren durch Verdrängen von Wasser möglich ist.[28]
Die Dynamik der Leittechnik des Reaktors wurde ebenfalls verbessert, indem die Antriebe der Steuerstäbe ausgetauscht wurden. Somit konnte die Zeit, die vergeht, bis die Steuerstäbe im Rahmen einer Notabschaltung vollständig in den Reaktorkern gefahren sind, von 18 auf 12 Sekunden reduziert werden. Um die Wirkung der Stäbe zu verbessern, wurden neue Stäbe aus Borcarbid eingebaut. Außerdem wurde ein Schnellabschaltsystem installiert, das 24 Notfallstäbe nicht mehr in wassergefüllte Druckröhren einfahren lässt, sondern in gasgefüllte Röhren. Zur Kühlung werden diese Kanäle mit einem dünnen Wasserfilm benetzt. Mit dieser neuen Mechanik dauert es weniger als 2,5 s, um die Reaktivität um 2β zu verringern.[28]
1995 wurde der Block 1 des Kernkraftwerk Tschernobyl heruntergefahren, um größere Wartungen durchzuführen. Aus dem Reaktorkern wurden dabei einige Druckröhren entfernt, um diese auf Materialstärke wie auch Verschleiß zu untersuchen. Die Überprüfung zeigte, dass die Röhren spröde und verschlissen waren. Um diese Alterungseffekte zu verringern, wurde ein neuer Typ von Druckröhren entwickelt. Diese auszutauschen gehört zu den langfristigen Projekten, unter anderem in Smolensk 3, wie auch das Ersetzen von alten Ventilen, der Einsatz von neuen Sicherheitsventilen und die Verbesserung des vorhandenen Kernnotkühlsystems. Um die Strahlungsabschirmung zu optimieren, werden Verbesserungen des Reaktorgebäudes erwogen.[8]
Weiterentwicklung
Der RBMKP-2000 wie auch der RBMKP-2400 sind Weiterentwicklungen des RBMK mit einer elektrischen Leistung über 2000 MW, die in den 1970er Jahren entwickelt wurden. Jedoch wurde der Entwurf nicht vollendet.[29] In den 1980er Jahren waren Pläne über einen eventuellen Bau eines RBMK-2400 im Gespräch.[30]
Eine bislang noch nicht eingesetzte Weiterentwicklung des RBMK ist der MKER. Dieser Typ basiert auf dem gleichen Grundprinzip, hat jedoch ein verbessertes Sicherheitssystem und wird von einem Containment umschlossen.[31] Mit den bereits entwickelten Sicherheits- und Computersystemen können RBMK-Reaktoren nachgerüstet werden. Dies wurde zur Erhöhung des Sicherheitsstandards bei allen RBMK-Reaktoren in Russland durchgeführt. Die Aufrüstung soll aber nicht nur die Sicherheitsstandards erhöhen, sondern auch die Betriebszeit bestehender RBMK-Anlagen verlängern. Die Aufrüstung lässt eine Gesamtlaufzeit von 45 Jahren zu. Im Jahr 2006 erwog Rosatom, die Aufrüstung aller RBMK-Reaktoren in Russland durchzuführen, um bei ihnen eine Verlängerung der Betriebsdauer um 15 Jahre zu erreichen.[8]
Verwendung in der UdSSR
Kernkraftwerke des Typs RBMK wurden nur auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion errichtet. Ihre Standorte liegen heute in Litauen (Ignalina), Russland (Kursk, Smolensk, Leningrad, Belojarsk) und der Ukraine (Tschernobyl). Noch 1980 wurde in der Oblast Kostroma im heutigen Russland, zehn Kilometer südlich von der Stadt Bui mit dem Bau des Kernkraftwerkes Kostroma mit zwei RBMK-1500-Reaktoren begonnen. Das Projekt wurde jedoch aufgrund von Protesten aufgegeben.[32] Im Jahr 2006 wurde in Russland der Beschluss gefasst, den Bau des RBMK-1000 in Block 5 des Kernkraftwerks Kursk fortzusetzen[33], diese Entscheidung wurde 2012 zugunsten des Neubaus des Kraftwerks Kursk II vom Typ WWER zurückgenommen und die Bautätigkeit eingestellt.[34]
Verwendet wurden die Reaktoren in der UdSSR, weil sie auch in entlegenen Gebieten errichtet werden konnten (kein großer Druckbehälter nötig) und verhältnismäßig preiswert in kurzer Zeit zu erbauen waren. In der Zeit des kalten Krieges war auch die Möglichkeit interessant, zugleich mit der Stromerzeugung relativ reines, für Kernwaffen geeignetes Plutonium-239 zu gewinnen; sie beruht darauf, dass man bei diesem Reaktortyp laufend einzelne Brennelemente nach kurzer Verweilzeit auswechseln kann, ohne den Reaktor abzuschalten. Ob diese Reaktoren wirklich einmal dazu genutzt worden sind, ist allerdings nicht bekannt.
Es gibt insgesamt drei Generationen von RBMK-Reaktoren. Die Reaktoren der ersten Generation (OPB-72) wurden bis etwa Mitte der 1970er Jahre erbaut. Die zweite Generation trägt den Namen OPB-82 und wurde von den späten 1970er bis in die frühen 1980er Jahre gebaut. Der Name OPB-82 rührt daher, dass der Reaktor den Sicherheitsstandards von 1982 entsprach. Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurde die dritte Generation von RBMK-Reaktoren mit dem Namen OPB-88, der den Sicherheitsstandards von 1988 entsprach, entwickelt. Insgesamt gibt es sechs Reaktoren der ersten Generation, von denen drei stillgelegt sind. Außerdem gibt es acht Reaktoren der Generation OPB-82, von denen einer durch den Tschernobyl-Unfall zu Schaden gekommen ist, ein weiterer abgeschaltet und bei zwei Blöcken der Bau eingestellt wurde. Von der Generation OPB-88 gibt es einen fertiggestellten Reaktor. Der Bau dreier weiterer OPB-88 wurde eingestellt.[8]
Die Technik wurde in der UdSSR selbst zum Vorzeigeprojekt der damals neuen Nukleartechnologie der Sowjetunion. Bis 1986 galt das Kernkraftwerk Tschernobyl, das größte der Ukraine, mit seinen vier RBMK-1000 als Musteranlage.[21] Auch die deutsche Fachzeitschrift Atomwirtschaft schrieb im Dezember 1983: „Die Verlässlichkeit von Tschernobyl ist sehr hoch“. Zum Zeitpunkt des Unfalles war Block 4 der neueste Reaktor am Standort, und mit ihm wies das Kraftwerk eine Leistung von 4 GW auf. Der Ausbau auf 6 GW war 1986 schon im Gange. Das Kernkraftwerk war damit eines der jüngsten in der Sowjetunion. Am 26. April 1986 löste das Ausschalten des Blockes 4 nach einem Versuch, der den Spannungsabfall des Generators 8 vom Block 4 nach dessen Spannungsregler-Umstellung infolge neuer 750-kV-Leitungen erfolgreich überprüfte (sekundäre Sicherheitsrelevanz), einen katastrophalen Unfall aus.[35] Der Versuch war für Freitag, dem 25. April 1986, vormittags langfristig geplant mit Auswirkungen auf den internationalen Verbundbetrieb, z. B. Importeinschränkung für die DDR 120 MW.[36][37] Der wegen Ausfall anderweitiger Kraftwerksleistung dann erforderliche Halblastbetrieb des Reaktors 4 Tschernobyl bis in den nächsten Tag hinein führte zu dessen verhängnisvoller Xenonvergiftung.[35] Nach der Havarie stand der Reaktortyp RBMK wegen Sicherheitsbedenken in der Kritik. Das wurde aber mit dem Bericht von der IAEA (Internationale Atomenergiebehörde) 1991 stark relativiert. Es wurden einige Bauvorhaben beendet und Pläne aufgegeben, aber auch noch Reaktoren in Betrieb genommen (Ignalina 1987, Smolensk 3 1990). Die 9 RBMK-Reaktoren in Russland laufen stabil mit Verfügbarkeiten um 75 %, ohne erwähnenswerte Sicherheitsvorfälle und mit ihnen nur möglichen Zusatzfunktionen.[38]
Literatur
- Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit: Tschernobyl – Zehn Jahre danach. Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen. Köln, Februar 1996, (GRS; Bd. 121), ISBN 3-923875-74-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- RBMK Reactors | reactor bolshoy moshchnosty kanalny | Positive void coefficient - World Nuclear Association. Abgerufen am 4. August 2019.
- http://www.atominfo.ru/, A.Slobodcikov "RBMK sicher im Betrieb" 5. August 2020
- Medwedew, Grigori: Verbrannte Seelen - Die Katastrophe von Tschernobyl. Hanser Verlag, 1991 ISBN 3-446-16116-3
- Tschernobyl – Zehn Jahre danach. Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, Köln, Februar 1996, (GRS; Bd. 121), ISBN 3-923875-74-6, Seite 36
- Cernikov O.G. Einführung eines neuen Brennstofftyps mit ausbrennenden Erbiumabsorbern in den Reaktoren RBMK-100 der Leningrader Kernkraftwerkes, 2001, Schriften des Leningrader Kernkraftwerkes.
- Fedosov A.M. Begründung der Nutzung von Uran-Erbium Brennstoff für RBMK-Reaktoren und Begleitung dessen Einführung Habilitation, 2008, Kurtschatow-Institut Moskau
- Patent RU 2372676C1, Petrow I.V. u. a. Erbiumanteil in den Brennstäben von RBMK-1000-Reaktoren in der Mitte 0,6–0,8 % und im unteren und oberen Teil 0,2–0,4 %, 2008
- world-nuclear.org
- Mikhail V. MALKO: The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident. (PDF) In: Recent Research Activities about the Chernobyl NPP Accident in Belarus, Ukraine and Russia. Kyoto University, Juli 2002, abgerufen am 13. Januar 2020.
- LNPP - Emergency reactor protection system. Archiviert vom Original; abgerufen am 22. März 2011 (englisch).
- LNPP - Confinement (englisch)
- AECL - Chernobyl – A Canadian Perspective (Memento vom 4. Februar 2012 im Internet Archive) (PDF).
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- Rosatom-Volgodonsk-Generation (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (englisch).
- LNPP – Design and main characteristics (englisch).
- AECL – Russian Nuclear Power Program (past, present, and future) Dr. IgorPioro, Senior Scientist, CRL AECL (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (englisch).
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- I. S. Zheludev, L.V. Konstantinov: Nuclear power in the USSR. In: IAEA Bulletin. Band 22, Nr. 2, Wien 1980. S. 34–45, iaea.org (PDF; 372 kB).
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- INSP – The RBMK (englisch)
- Der Reaktorunfall in Tschernobyl (PDF; 1,7 MB) auf kernfragen.de.
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- Emissionen des RBMK (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Broschüre - Emissionen aus Kernkraftwerken und Strahlenbelastung; Mai 2008 (Memento vom 6. Februar 2009 im Internet Archive) (PDF).
- Strahlenbesastung durch CT
- Anatoly Dyatlov: How it was: an operator's perspective. In: Nuclear Engineering International. Global Trade Media, November 1991, abgerufen am 13. Januar 2020.
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- Gabaraev, Cherkashov u. a.:Multiloop Pressure Tube Power Reactors (MKER) – Consolidation of Expertise in Design of Domestic Pressure Tube Reactors (Memento des Originals vom 27. September 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Rosenergoatom "Directorate for Construction of Kostroma NPP" (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive) (englisch).
- Kernenergie: Weltreport 2006; atw 52. Jg. (2007) Heft 4 – April (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive) (PDF).
- Vladimir Slivyak: COMMENT: Rosatom scraps ancient Chernobyl reactor project at Kursk: Right decision, wrong message, Bellona, 6. März 2012. Abgerufen am 30. September 2016.
- Bericht der IAEA, Insag-1, Informationen über die Tschernobylhavarie... Atomnaja energija, Band 61, Ausgabe 5, November 1986
- interne Dokumente Zentrale Dispatcherverwaltung Prag, 1986
- interne Dokumente Hauptlastverteilung Berlin, 1986
- АО «Концерн Росэнергоатом». Abgerufen am 9. September 2021.