Paul Reynaud
Paul Reynaud (* 15. Oktober 1878 in Barcelonnette; † 21. September 1966 in Neuilly-sur-Seine) war ein französischer Politiker (AD) der Dritten Republik in der Zwischenkriegszeit sowie der Vierten Republik.
Leben
Paul Reynaud wurde als zweites von vier Kindern geboren. Sein Vater Alexandre war 1857 als Siebzehnjähriger nach Mexiko ausgewandert und war dort wohlhabend geworden. Nach seiner Rückkehr heiratete Alexandre Amélie Gassier, Tochter eines Bankiers und Lokalpolitikers. Als Reynaud fünf Jahre alt war, zog die Familie dauerhaft nach Paris.[1] Reynaud studierte Rechtswissenschaften (Promotion 1904). 1907 machte er eine Weltreise. Zum 14. August 1908 wurde er in den Rechtsanwaltsstand aufgenommen. Im Februar 1912 heiratete er die Tochter des Juristen Henri-Robert.[2]
Im November 1919 wurde er erstmals für sein Heimat-Departement Basses-Alpes in die Nationalversammlung gewählt. Dort schloss sich der grundsätzlich konservative Reynaud keiner Gruppe fest an; er vertrat eigene Positionen zu zahlreichen Fragen. Bei der Parlamentswahl im Mai 1924 wurde er nicht wiedergewählt. Von außerhalb des Parlaments ging er in den folgenden Jahren mit mehreren Kampagnen scharf gegen sozialistische und kommunistische Kräfte vor. Bei der Parlamentswahl im April 1928 zog er als Abgeordneter für Paris erneut in die Nationalversammlung ein.
In den häufig wechselnden konservativen Kabinetten zur Zeit der Weltwirtschaftskrise von 1930 bis 1932 war er Finanz-, Kolonial- und Justizminister. Seine wichtigsten politischen Ziele dieser Zeit waren eine Abwertung des Francs und – gemeinsam mit Charles de Gaulle – der Ausbau der Panzerstreitkräfte.
Gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland schlug Reynaud einen klaren Konfrontationskurs ein, die britische Appeasement-Politik lehnte er ab. Vom 21. März bis zum 16. Juni 1940 war er der vorletzte Ministerpräsident der Dritten Republik. Nach dem militärischen Zusammenbruch forderte er wie de Gaulle die Fortsetzung des Kampfes und trat zurück, als er dafür keine politische Mehrheit fand. Er versorgte de Gaulle mit Geld aus einem geheimen Fonds. Sein Nachfolger wurde Philippe Pétain, der wenig später das Ende der Dritten Republik besiegelte und als Präsident des Vichy-Regimes die Macht in der „Zone libre“, dem unbesetzten Teil Frankreichs, übernahm.
Am 22. Juni 1940 wurde der deutsch-französische Waffenstillstand von Compiègne geschlossen. Am 28. Juni hatte Reynaud einen Autounfall in Südfrankreich; dabei starb seine Lebensgefährtin, die Comtesse Hélène de Portes.
Reynaud zog sich in ein Haus in Barcelonnette, 15 Kilometer von der französisch-italienischen Demarkationslinie entfernt, zurück. Am 22. Juli wurde er unter Hausarrest gestellt. Am 7. September wurde er festgenommen und im Château de Chazeron im Département Puy-de-Dôme inhaftiert. Nachdem die Wehrmacht die Zone libre besetzt hatte, wurde Reynaud ins KZ Sachsenhausen transportiert.
Am 11. Mai 1943 wurde er u. a. mit Édouard Daladier, Maurice Gamelin und dem Gewerkschafter Léon Jouhaux ins Schloss Itter bei Wörgl in Tirol gebracht. Am 5. Mai 1945 wurden die dort Inhaftierten bei der Schlacht um Schloss Itter von Truppen der Wehrmacht und amerikanischen Armee befreit. Der Major Josef Gangl wurde beim Versuch, Reynaud aus der Schusslinie von Soldaten der 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“ zu bringen, von der Kugel eines Scharfschützen tödlich getroffen.
Bei den Wahlen am 10. November 1946 wurde Reynaud erneut als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt, der er bis 1962 angehörte. Er blieb ein prominenter Politiker der konservativen Fraktion Républicains indépendants, die dem Centre national des indépendants et paysans (CNIP) nahestand. Von Juli bis September 1948 war er Finanzminister, im Kabinett Laniel I von Juni 1953 bis Januar 1954 stellvertretender Ministerpräsident.
Während des Indochinakriegs war Reynaud ein prominenter Gegner einer Verhandlungslösung, gegen die er sich öffentlich aussprach. Nach einer Reise in die Kolonie 1953 sprach er sich öffentlich für eine Vietnamisierung des Konflikts aus. Privat äußerte er sich ab dieser Reise einer Weiterführung des Krieges kritisch gegenüber.[3]
1958 stand er dem Komitee vor, das die Verfassung der Fünften Republik erarbeitete. Reynaud unterstützte zunächst eine institutionelle Stärkung der Exekutive und die Person de Gaulles, trat aber 1962 in Opposition zu diesem. Grund war die Forderung de Gaulles nach Direktwahl des Präsidenten durch das Volk.
Reynaud unterstützte bei der Präsidentschaftswahl im Dezember 1965 Jean Lecanuet. Für viele überraschend erzielte de Gaulle im ersten Wahlgang mit 44,6 Prozent der Stimmen keine absolute Mehrheit, seine Gegenkandidaten François Mitterrand und Lecanuet erhielten 31,7 Prozent bzw. 15,6 Prozent. Bei der Stichwahl unterstützte Reynaud Mitterrand.
Nach seinem Tod 1966 wurde Reynaud kein Staatsbegräbnis gewährt.
Reynaud hatte aus erster Ehe mit Jeanne Henri-Robert eine Tochter namens Colette. Mit seiner zweiten Ehefrau Christiane Mabire hatte er drei Kinder: Serge, Evelyne und Alexandre.
Literatur
- Stefan Grüner: Paul Reynaud (1878–1966). Biographische Studien zum Liberalismus in Frankreich (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 48). Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-56523-0 (Zugleich: Regensburg, Universität, Dissertation, 1997).
Weblinks
- Literatur von und über Paul Reynaud im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Paul Reynaud in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Martin Krechting: Paul Reynaud. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
Anmerkungen
- Stefan Grüner: Paul Reynaud (1878–1966). Biographische Studien zum Liberalismus in Frankreich. München 2001, S. 11 (eingeschränkte Vorschau bei google books)
- Stefan Grüner: Paul Reynaud (1878–1966). Biographische Studien zum Liberalismus in Frankreich. München 2001, S. 15 (eingeschränkte Vorschau bei google books)
- Jacques Dalloz: Dictionnaire de la Guerre d'Indochine 1945–1954. Armand Colin, Paris 2006, S. 214. ISBN 978-2-20-0269258.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Édouard Daladier | Premierminister von Frankreich 22. März 1940 – 16. Juni 1940 | Philippe Pétain |
Édouard Daladier Édouard Daladier | Außenminister von Frankreich 5. Juni 1940 – 16. Juni 1940 21. März 1940 – 18. Mai 1940 | Paul Baudouin Édouard Daladier |
Charles Dumont René Maier | Finanzminister von Frankreich 2. März 1930 – 13. Dezember 1930 26. Juli 1948 – 5. September 1948 | Louis Germain-Martin Christian Pineau |
Léon Bérard Marc Rucart | Justizminister von Frankreich 20. Februar 1932 – 3. Juni 1932 10. April 1938 – 1. November 1938 | René Renoult Paul Marchandeau |
Édouard Daladier | Kriegsminister von Frankreich 18. Mai 1940 – 16. Juni 1940 | Maxime Weygand (Verteidigungsminister) Louis Colson (Kriegsminister) |