Medizin im Alten Ägypten
Der Legende nach soll die Medizin im Alten Ägypten oder Ägyptische Medizin um 2700 v. Chr. von dem Beamten und Hohepriester Imhotep begründet worden sein, der auch als Erfinder der ägyptischen Schrift gilt und in späterer Zeit als Heilgott verehrt wurde. Tatsächlich waren als Schreiber ausgebildete Beamte auch oberste königliche Verwalter und Berater sowie häufig auch Priester und Vertreter der Wissenschaft, aus deren Wissen im Alten Ägypten der Arztberuf und eine sowohl magisch-religiöse als auch empirisch-rationale Elemente enthaltende Heilkunde entstand.[1] In der Spätzeit entwickelte sich ein Imhotep-Kult, der zum Bau zahlreicher Tempel und Kapellen führte. Diese wurden zu Wallfahrtsorten für Kranke und dienten als Vorbilder für die Asklepieions im antiken Griechenland. Als bekannteste schriftliche Quelle der Ägyptischen Medizin gilt der um 1550 v. Chr. entstandene Papyrus Ebers. Eine weitere Quelle zum Arzneimittelschatz der Ägypter ist der um 1300 v. Chr. verfasste Berliner Papyrus Brugsch.[2] In Alexandria, der Hauptstadt des Ptolemäerreiches, erreichte die bis zum Ende des Ptolomäerreiches 30 v. Chr. bestehende altägyptische Medizin ihre letzte Blütephase. Die Stadt galt als Zentrum für Kultur und Wissenschaft der Antike und zugleich als berühmte Ausbildungsstätte für Ärzte. Hier übte sie großen Einfluss auf die Heilkunst im antiken Griechenland, und damit auch auf die Europas aus. In der Bibliothek von Alexandria befanden sich vermutlich zahlreiche ägyptische medizinische Handschriften, die mit der Zerstörung des Gebäudes für immer verloren gingen. Nach dem Ende der Pharaonendynastien setzten sich altägyptische Traditionen in der ab dem 3. Jahrhundert nachweisbaren Medizin der koptischen Kultur frühchristlicher Ägypter[3] fort.
Quellenlage
Neben vielen Ostraka sind bislang insgesamt 13 altägyptisch Papyri mit medizinischen Inhalten bekannt.[4] Diese verfügen über einen strengen Aufbau an Fallbeschreibungen und Rezepten. Unter den Papyri aus Al-Lahun (Kahun, Lahun) befindet sich ebenfalls ein veterinärmedizinischer-Papyrus, der bis heute in der Forschung jedoch umstritten ist.
Lahun-Papyri
Die medizinischen Papyri aus Lahun wurden 1888/89 von dem englischen Archäologen William Flinders Petrie bei Ausgrabungen in der Arbeitersiedlung Medinet-Kahun bei Al-Lahun in der Oase Fajum entdeckt, von Francis Llewellyn Griffith 1898 ins Englische übersetzt und anschließend die wichtigsten Papyri publiziert. Die Papyri befinden sich heute im Petrie Museum of Egyptian Archaeology des University College London. Sie werden in der Medizingeschichte auch oft unter der Bezeichnung Papyrus Kahun geführt. So werden der Medizin-Papyrus Kahun VI.1[5] und der Veterinär-Papyrus Kahun LV.2.[6] beide altägyptischen Ursprungs, zwar zusammengefasst, in der Fachwelt aber dennoch voneinander unterschieden. Sie bestehen aus kleineren Papyrusteilstücken, die mit verschiedenen Aufzeichnungen überladen sind und allem Anschein nach zerrissen und weggeworfen wurden, nachdem man auf ihnen zusätzlich Rechnungen und Alltäglichkeiten notiert hatte.
Sie lassen sich etwa auf die Zeit 1850 v. Chr. datieren. Auf dem einen Papyri sind gynäkologische Rezepte zu finden, auf dem anderen Anweisungen zur Behandlung von Tieren. Dies war eine große Überraschung für die ägyptologische Fachwelt; lange Zeit nahm man an, dass lediglich Opfertiere veterinärmedizinisch behandelt wurden.[7]
Papyrus Ebers
Der Papyrus Ebers ist der umfangreichste medizinische Papyrus. Er enthält 108 Kolumnen auf knapp 19 Metern und behandelt eine Vielzahl von Fallbeispielen diverser heutiger Fachrichtungen wie Gynäkologie, Innere Medizin, Zahnmedizin, Parasitologie, Augenheilkunde und Dermatologie. Des Weiteren führt er Beispiele operativer Behandlung von Abszessen und Tumoren, das Richten (Reposition) von Knochenbrüchen und die Behandlung von Verbrennungen auf und enthält eine Abhandlung über das Herz, die Blutgefäße und ein kurzes Kapitel über klinische Depression. Zudem beinhaltet er eine Sammlung von Rezepten.
Traditionell wurde meist von einer Abfassung im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts v. Chr. ausgegangen. Zwischenzeitliche paläografische Untersuchungen haben ergeben, dass die medizinischen Eintragungen älteren Ursprungs sind und wahrscheinlich in der Regierungszeit von Pharao Ahmose niedergeschrieben wurden und mögliche Abschriften von älteren Vorlagen repräsentieren.
Papyrus Edwin Smith
Der Papyrus Edwin Smith (auch „Wundenbuch“ genannt) ist ein auf Papyrus geschriebener altägyptischer medizinischer Text, der zu den ältesten schriftlichen Dokumenten von medizinischen Heilverfahren gehört. Er zeugt von einem bereits sehr hochentwickelten Stand der Medizin im Alten Ägypten, hier vor allem auf dem Gebiet der Chirurgie. Er wurde 1862 in Theben, wo es wie in Memphis und Sais Tempeln zugeordnete Medizinschulen gab,[8] entdeckt und geht vermutlich auf das Ende der 12. Dynastie (Mittleres Reich) in Ägypten zurück. Möglicherweise handelt es sich bei dem Papyrus um eine Kopie einer Abhandlung, die bereits 600 bis 700 Jahre zuvor zusammengestellt wurde, denn am Ende des Textes sind zahlreiche Glossen mit Worterklärungen enthalten (was man von anderen Medizinischen Papyri nicht kennt).
Papyrus Hearst
Der Papyrus Hearst datiert in die erste Hälfte der 18. Dynastie. Er enthält Rezepte zu eitrigen Entzündungen, zahn- und darmspezifischen Krankheiten und Herzerkrankungen. Viele davon finden sich auch im Papyrus Ebers.
Papyrus London
Der Papyrus London stammt aus der 18. Dynastie und behandelt hauptsächlich Frauenkrankheiten, Geschwülste, Brandwunden und Blindheit. Ein Abschnitt enthält Beschwörungen gegen fremdländische Krankheiten, darunter auch gegen die Asiatenkrankheit. Der Papyrus besitzt einen hohen Anteil an Zaubersprüchen.
Papyrus Brugsch
Auch „Großer Berliner Papyrus“. Hier finden sich z. B. Gefäßerkrankungen. Der Papyrus stammt aus der Zeit der 19. Dynastie (Neues Reich).
Papyrus Carlsberg
Der Papyrus Carlsberg datiert auf etwa 1200 v. Chr., stellt jedoch die Kopie eines Dokumentes aus der 12. Dynastie dar. Der Papyrus enthält Rezepturen zur Behandlung von Augenkrankheiten sowie Hinweise und Prognosen zur Geburt und allgemein gynäkologischen Bereichen. Sein Aufbewahrungsort ist die Universität von Kopenhagen.
Anatomische Konzepte
Zur anatomischen Bezeichnung bei Menschen verwendet die Hieroglyphenschrift menschliche Bildsymbole für die äußeren Körperteile und Bildsymbole tierischer Körperteile für die inneren Organe des Menschen.
Gefäßsystem
Nach dem Verständnis der Ägypter galt das Herz als zentrales Körperorgan und Sitz des Verstandes. Vom Herz aus führten zu allen anderen Teilen des Körpers Gefäße (metu; mtw = „Kanäle“), die diese mit Luft, Wasser und Blut versorgten. Das Gefäßmodell war am Nil und seinen Seitenkanälen orientiert. Genauso wie der Nil das Land bewässerte und versorgte, existierte nach dem Glauben der Ägypter im Inneren des Körpers ein Gefäßsystem, das die verschiedenen Körperpartien mit lebensnotwendigen Stoffen versorgte und Ausscheidungen abtransportierte. Der Mensch war nur gesund, wenn der innere Strom ungehindert fließen konnte. Stauten sich die „Flussläufe“, war die Versorgung des Körpers gefährdet und es entwickelten sich Krankheiten.[9]
Die Hohlorgane zählten ebenfalls zu den metu-Gefäßen.[10] Sie leiteten Wasser und Luft zu allen Stellen des Körpers. Auch alle Körperausscheidungen wie Kot, Harn, Schleim, Samen und Blut wurden von den Gefäßen abgeleitet.[11] Unter mt verstand man jedoch nicht nur die Begriffe Kanal und Gefäß usw., sondern (nach heutigem Anatomieverständnis) auch anatomische Strukturen wie Muskelstrang, Sehne oder Nerv.[12]
Eine falsche Ernährung galt als eine der Hauptursachen für Erkrankungen des Gefäßsystems. Dem ägyptischen Verständnis zufolge bildeten sich bei nicht ordnungsgemäßer Verdauung sogenannte Schleim- und Schmerzstoffe (wḥdw), die zu einem Stau (einer „Sandbank“) in den Gefäßen führten. Als Abhilfe und zur Bekämpfung solcher „Staus“ verordneten die Ärzte häufig Brechmittel, Abführmittel und Klistiere.[11] Neben „Staus“ konnten auch „Überschwemmungen“ Krankheitsursache sein, z. B. wenn zu viel Blut in die Leber gelangte.[13]
Den Pulsschlag deuteten die Ägypter als „Gehen des Herzes“. Er wurde ihrer Meinung nach durch die „Atemluft“ erzeugt, die nicht nur aus sauerstoffhaltiger Luft bestand, sondern auch aus einer stofflichen Lebenskraft, die die Menschen von den Göttern erhalten haben (pneuma). Die ägyptische Lehre von den Gefäßen und ihren Säften ging später in die Säfte- und Pneumalehre der griechischen Medizin ein.[11]
Krankheiten
Übersicht
Krankheiten wurden oftmals als Nicht-Funktionieren der betroffenen Körperteile empfunden, was in der Regel mit Schmerzen verbunden war. Die beiden häufigsten Ausdrücke für Schmerzen waren meret („(stechende) Schmerzen“) und menet („Leiden“).[14]
Aus den medizinischen Texten sind vielerlei Krankheiten bekannt, die den gesamten Körper betreffen. Viele davon lassen sich nach dem ägyptischen medizinischen Verständnis auf Störungen im Gefäßsystem sowie dem Auftreten und der Verbreitung von Schmerzstoffen zurückführen.[14] Eine Zuordnung und Beschreibung nach heutigen Begrifflichkeiten und Krankheitsvorstellungen ist hierbei nicht in jedem Fall möglich.[15][16]
Man unterschied zwischen äußeren und inneren Krankheiten. Im Bereich des Kopfes waren u. a. Kopfschmerzen und Migräne bekannt. Eine große Aufmerksamkeit galt der Behandlung der Augen (Blindheit), aber auch der Ohren (Taubheit), des Mundes, der Zähne und der Zunge. Bei den Gliedmaßen traten vornehmlich Gelenkversteifungen, Verkrümmungen (wie der Klumpfuß des Königs Siptah[17][18]) und Schwellungen auf, insbesondere als Folge von Arthritis.[19] Die inneren Krankheiten betrafen den Brustraum, innere Organe wie Lunge, Leber, Magen und Herz (ra-ib kann sowohl Magen als auch Herz bedeuten[20]), den Bauch, den Unterleib, den After und die Blase. Besonders häufig traten Verdauungsstörungen auf, aber auch Eingeweidewürmer, Blutungen und sogar Husten werden erwähnt.[21]
Eine große Gruppe in den Quellen bilden die Verletzungen. Knochenbrüche und Wunden erforderten für die Ärzte besondere chirurgische Kenntnisse. Auch Schläge, Bisse und Stiche von Tieren sowie Verbrennungen waren an der Tagesordnung. Ansonsten hatte man mit Geschwüren, Geschwülsten und Schwellungen, sowie Ausschlägen und Entzündungen zu kämpfen.[22]
Bei den Frauen traten speziell Krankheiten an den Genitalien (ḥm.t[23]), unter anderem an der Gebärmutter (Blutungen, Verlagerungen) und an der Scheide, sowie an der Brust auf. Zu den Kinder-Krankheiten zählten Geschrei, Durst, Husten, Schleim und Verdauungsstörungen. Eine Reihe von unlokalisierbaren und nicht identifizierbaren Krankheiten waren vorrangig mit allgemeinem Unwohlsein und Fieber verbunden. Auch das Auftreten von Alterserscheinungen wie Runzeln und Ergrauen wurde als Krankheit angesehen.[22]
Entstehung
Man unterschied zwischen magischen und natürlichen Krankheitsursachen. Als unnatürlicher Verursacher von Krankheiten wurden Götter (vor allem Boten der Sachmet), Dämonen oder spukende Tote angesehen. Sie konnten aber auch mittels Magie durch Menschen angehext werden. In den Menschen drangen sie mittels des „Hauches“ eines Gottes, Dämonen oder Zauberers durch die Öffnungen der linken Körperseite ein, die mit dem Tode gleichgesetzt wurden. Einige Beschwerden an Herz und Bauch wurden durch einen Incubus verursacht, der sein Opfer nachts mit Gift-Samen schwängerte. Krankheiten wurden als Strafe für falsches Verhalten gegen eine Gottheit sowie als Rache oder Missgunst eines verstorbenen oder lebenden Menschen angesehen.[22] Dementsprechend spielten Dämonenbeschwörungen und Gebete bei der Therapie eine bedeutende Rolle.[24]
Bei den natürlichen Ursachen spielten vor allem Störungen im Verdauungszyklus eine Rolle. Nicht ordnungsgemäß verdaute Speisen verwandelten sich in schädliche „Schmerz- oder Schleimstoffe“ und verteilten sich über die Gefäße im gesamten Körper, wo sie lokale Krankheiten wie „Verstopfungen“ (šnc: Verdauungsstörung oder Obstruktion wie bei Magentumoren oder Darmverschluss[25]), Schwellungen, Vereiterungen und Versteifungen verursachten.[22]
Körperliche und seelische Störungen konnten sich wechselseitig bedingen. So führten etwa Ärger und Zorn zu krankhaften Herzzuständen, andererseits konnte eine Magenverstopfung wiederum Angsterscheinungen hervorrufen.[26]
Bekannte Fachrichtungen
Überliefert sind: Gynäkologen und[27] Geburtshelfer, Augenärzte (etwa Irj, der Hofaugenarzt und Magenarzt eines Pharaos der 6. Dynastie[28]), Zahnärzte, der „Arzt des Bauches“, der „Hirt des Afters“, Spezialisten für Vergiftungen („Arzt der Göttin Selket“) sowie der „Arzt und Priester des Heka“ (möglicherweise ein Arzt für „unsichtbare“ Krankheiten). Das Vorhandensein eines speziellen Tierarztes ist noch immer in der Forschung umstritten.
Bei vielen Ärzten ist die genaue Funktion nicht überliefert, andere nennen ihren Titel wie beispielsweise „Oberarzt des Hauses der Königin“, jedoch ist nicht ersichtlich, ob sie für sämtliche Ärzte zuständig sind oder was vor diesem, hohen Amt ihr spezielles Fachgebiet war.
Häufigste Behandlungen
Die mit Sicherheit im Zentrum stehenden Rezepte waren diejenigen zur Behandlung der Augen. Durch Sandstürme, Staubwirbel und Insekten ist Ägypten das klassische Land der Augenkrankheiten. Kosmetische Augenschminke hatte immer auch eine vorbeugende Wirkung. Weiterhin waren die Ägypter große Anhänger von Klistieren. Empfängnisverhütende Mittel oder aber Mittel zur Steigerung der Fruchtbarkeit oder zur Behandlung von Schmerzen im weiblichen Unterleib bilden eine weitere große Klasse. Es ist der Brief eines ausländischen Potentaten erhalten, der um die Entsendung eines ägyptischen Arztes bittet, damit seine Schwester ein Kind empfängt. Der Pharao schreibt jedoch zurück, dass diese das Alter des Kinderkriegens weit überschritten hat und der beste Arzt nichts daran ändern kann. An Mumien lassen sich Amputationen, Prothesen aus Holz, ja sogar Trepanationen (also das Öffnen des Schädels) nachweisen. Anhand der Knochenstruktur an der Wunde ist ersichtlich, dass der Kranke noch mehrere Jahre lebte, die Operation also erfolgreich war.
Instrumente
Die altägyptischen Ärzte verfügten über zahlreiche Instrumente und technische Hilfsmittel. Von den verwendeten Skalpellen, Messern und Zangen ist jedoch nur wenig überliefert. Es existieren keine eindeutigen Funde. Die meisten Informationen stammen aus medizinischen Texten oder von Abbildungen.
Zur Standardausrüstung eines Arztes zählten wahrscheinlich kleine Messer, Salblöffel und Mörser. Für die Behandlung von Augenleiden wurde ein flüssiges Heilmittel mit einer Geierfeder (ähnlich einer Pipette) eingeträufelt. Für das „Eingießen“ eines Mittels in den After (Klistier) wurden eventuell stumpfe Hörner verwendet. Ein notwendiges Hilfsmittel war auch das Räuchergerät, das vermutlich aus zwei aufeinanderpassenden Tongefäßen bestand.[29]
Schneideinstrumente
Schneideinstrumente wurden vorrangig für operative Arbeiten benutzt. Die Messerbehandlung an sich wurde als djua bezeichnet. Als hemem bezeichnete man ein messerähnliches Metallgerät, mit dem ein Geschwulst operativ „aufgestoßen“ wurde. Es ist nur textlich belegt und war vermutlich ein chirurgisches Spezialinstrument.[30] Das des-Messer bestand aus Feuerstein und diente zum allgemeinen Aufschneiden. Es war auch außerhalb der Heilkunde als Gebrauchsgegenstand bekannt. Ein weiteres Messer war das schas, welches eine besondere Form hatte und zum Herausholen von Geschwulsten diente.[29]
Das henuh-Gerät bestand aus Tierhaut oder Leder und war eine Art Pinzette oder Zange. In medizinischen Texten werden auch ein dja-Bohrer und ein chepet-Messer erwähnt. Mit dem chepet-Messer konnte man eine Entzündung am Ohr mittels eines runden Schnittes aufschneiden.
Der „Instrumentenschrank“
Im Tempel von Kom Ombo aus ptolemäischer Zeit stammt ein Relief, das als „Instrumentenschrank“ bekannt, dessen Deutung als Darstellung medizinischer Instrumente jedoch umstritten ist.[31] Die eindeutige Zuordnung zu den Bezeichnungen und Anwendungsbereichen ist noch nicht vollständig geklärt. Auf dem Relief lassen sich eine Schere, eine Zange, eine Waage, eine Säge, Säckchen, zwei Schröpfköpfe, ein Schwamm, Küretten und ein Bohrer erkennen.[32][33]
Die Schere ähnelt stark einer Schere aus dem Koptischen Museum in Kairo, die von koptischen Ärzten zum Vorbereiten großer Wunden vor dem Nähen und zum Zurechtschneiden von Verbandsmaterial verwendet wurde. Das Säckchen diente vermutlich zur Aufbewahrung von Arzneimitteln. Mit den Küretten wurden große infizierte Wunden im weichen Gewebe oder in den Knochen gereinigt und zum Auftragen von Arzneien vorbereitet.[32]
Ein Gerät[34] soll ein Trepan darstellen, das zur „Schädelbohrung“ verwendet wurde. Dabei wurde jedoch keine wirkliche Bohrung durchgeführt. Zur Öffnung der Schädeldecke entfernte man ein Knochenstück durch Abschaben oder Abmeißelung. Der Vorgang wird in keinem ägyptischen medizinischen Text, sondern erst im Corpus Hippocraticum erwähnt. Trepanationen an lebenden Menschen konnten jedoch durch Schädelfunde aus der Vorgeschichte, dem Neuen Reich und der Spätzeit nachgewiesen werden. Anzeichen für einen Heilungsprozess weisen auf einen erfolgreichen Eingriff hin.[32][35]
Weitere Hilfsmittel
Zum notwendigen Inventar eines Arztes zählten auch Verbandsmittel. Dabei verwendete man Leinenbinden unterschiedlichster Feinheit, Länge und Breite. Ein weiteres Verbandsmittel war ein als fetet bezeichneter pflanzlicher Faserstoff. Er wurde häufig mit Medikamenten wie z. B. Honig, Salbe oder Öl befeuchtet, konnte aber auch trocken angewendet werden. Der Faserstoff diente als Wundauflage und ist mit heutigem Gaze oder Tupfer vergleichbar. Es wurden einfache fetet-Fasern und fetet-en-debit-Fasern der debit-Pflanze unterschieden.[29][36]
Die Ägypter kannten vermutlich auch Inhaliergeräte. Ein Text gibt genaue Anweisungen zur Herstellung eines Gerätes, das aus heißen Steinen, einem Heilmittel, einem Topf und einem Schilfrohr bestand und zur Behandlung von Husten diente.[37]
Medizinische Papyri waren ebenfalls Hilfsmittel und wurden wie die Instrumente in Lederfutteralen aufbewahrt.[38]
Literatur
(chronologisch sortiert)
- Deutsch
- Julia Budka: Heilkunst und Zauberei – Medizin im Alten Ägypten. In: Kemet. Heft 4/2000: Wissenschaft im Alten Ägypten. ISSN 0943-5972, S. 13–19.
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- Hermann Grapow: Grundriß der Medizin der alten Ägypter. Akademie-Verlag, Berlin 1954.
- Hermann Grapow: Kranker, Krankheiten und Arzt. Vom gesunden und kranken Ägypter, von den Krankheiten, vom Arzt und von den ärztlichen Tätigkeit (= Grundriss der Medizin der alten Ägypter. Band 3). Akademie-Verlag, Berlin 1956.
- Peter W. F. Heller: Ärzte, Magier, Pharaonen. Mythos und Realität der altägyptischen Medizin. Selbstpublikation. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2008, ISBN 3-86901-037-1.
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- Doris Schwarzmann-Schafhauser, Kamel Sabril Kolta: Krankheit im Alten Ägypten. Zur Rezeption paläopathologischer Forschungsergebnisse in der Medizingeschichtsschreibung oder die Schwierigkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 17, 1998.
- Wolfhart Westendorf: Grammatik der medizinischen Texte. (= Grundriß der Medizin der Alten Ägypter. Band 8). Akademie-Verlag, Berlin 1962.
- Wolfhart Westendorf: Papyrus Edwin Smith. Ein medizinisches Lehrbuch aus dem Alten Ägypten. Wund- und Unfallchirurgie. Zaubersprüche gegen Seuchen, verschiedene Rezepte. (= Huberts Klassiker der Medizin und Naturwissenschaften. Band 9). H. Huber, Bern/ Stuttgart 1966.
- Wolfhart Westendorf: Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Artemis & Winkler, Zürich 1992, ISBN 978-3-7608-1072-0.
- Wolfhart Westendorf: Handbuch der altägyptischen Medizin. 2 Bände (= Handbuch der Orientalistik. Band 36). Brill, Leiden/ Boston/ Köln 1998, ISBN 978-90-04-10319-1.
- Englisch
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- John F. Nunn: Ancient Egyptian Medicine. British Museum Press, London 1996, ISBN 978-0-7141-0981-7.
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- Französisch
- F. Jonckheere: Les médecins de l’Egypte pharaonique; Essai de prosopographie. Fondation égyptologique reine Elisabeth, Brüssel 1958.
- Ange Pierre Leca: La Médecine égyptienne au temps des Pharaons. Édition Dacosta, Paris 1992, ISBN 2-85128-029-5.
- Thierry Bardinet: Les papyrus médicaux de l'Égypte pharaonique. Édition Fayard, Paris 1995, ISBN 2-213-59280-2.
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- Richard-Alain Jean, Anne-Marie Loyrette: À propos des textes médicaux des Papyrus du Ramesseum nos III et IV, I : la contraception. In: S. H. Aufrère (Hrsg.): Encyclopédie religieuse de l’Univers végétal. (ERUV) Band II, Montpellier 2001, ISBN 2-84269-502-6, S. 564–592.
- Bruno Halioua: La médecine au temps des Pharaons. Édition Liana Levi, collection Histoire lieu, Paris 2002, ISBN 2-86746-306-8.
- Richard-Alain Jean, Anne-Marie Loyrette: À propos des textes médicaux des Papyrus du Ramesseum nos III et IV, I : la gynécologie (1). In: S.H. Aufrère (Hrsg.): Encyclopédie religieuse de l’Univers végétal. (ERUV) Band II, Montpellier 2005, ISBN 2-84269-695-6, S. 351–487.
- Richard-Alain Jean, Anne-Marie Loyrette, S. H. Aufrère (Hrsg.): La mère, l’enfant et le lait en Égypte Ancienne. Traditions médico-religieuses. Une étude de sénologie égyptienne. Édition L’Harmattan, collection Kubaba – Série Antiquité – Université de Paris 1, Panthéon Sorbonne, Paris 2010, ISBN 978-2-296-13096-8.
- Richard-Alain Jean: La chirurgie en Égypte ancienne. À propos des instruments médico-chirurgicaux métalliques égyptiens conservés au musée du Louvre. Édition Cybele, Paris 2012, ISBN 978-2-915840-29-2.
Weblinks
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- Papyrus Edwin Smith. − Kompletter Inhalt des medizinischen Papyrus Edmin Smith Auf: medizinische-papyri.de; zuletzt abgerufen am 19. März 2021.
- Tanja Pommerening: Krankheit und Heilung (Ägypten). In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff., abgerufen am 26. Mai 2012.
- Histoire de la médecine en Egypte ancienne. (Geschichte der Medizin im alten Ägypten auf Französisch) Auf: medecineegypte.canalblog.com; zuletzt abgerufen am 14. Mai 2014.
Einzelnachweise
- D. Schwarzmann-Schafhauser, K. S. Kolta: Ägyptische Medizin (3000–30 v. Chr.). Berlin/ New York 2005, S. 9.
- H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: S. 1.
- Kamal Sabri Kolta: Koptische Medizin. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 779–781.
- W. Westendorf: Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Zürich 1992, S. 12.
- Inventarnummer Petrie Museum of Egyptian Archaeology, University College London 32057.
- Inventarnummer Petrie Museum of Egyptian Archaeology, University College London 32036.
- W. Westendorf: Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Zürich 1992, S. 232.
- Carl Hans Sasse: Geschichte der Augenheilkunde in kurzer Zusammenfassung mit mehreren Abbildung und einer Geschichtstabelle (= Bücherei des Augenarztes. Heft 18). Ferdinand Enke, Stuttgart 1947, S. 11.
- W. Westendorf: Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Zürich 1992, S. 44.
- Kamal Sabri Kolta, Doris Schwarzmann-Schafhauser: Die Heilkunde im Alten Ägypten. Magie und Ratio in der Krankheitsvorstellung und therapeutischen Praxis. Stuttgart 2000.
- G. Höber-Kamel: Medizin und Magie. In: Kemet 2/2005. S. 4–5.
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- Papyrus Ebers, 854 L – Lutz Popko: Papyrus Ebers. In: Science in Ancient Egypt. online: Papyrus Ebers (Eb 854 L). Auf: sae.saw-leipzig.de; zuletzt abgerufen am 19. März 2021.
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- Doris Schwarzmann-Schafhauser, Kamel Sabril Kolta: Krankheit im Alten Ägypten. Zur Rezeption paläopathologischer Forschungsergebnisse in der Medizingeschichtsschreibung oder die Schwierigkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit. 1998, S. 129–141; hier: S. 131–133 („Arthritis“ und Leiden der mt/ mtw).
- Doris Schwarzmann-Schafhauser, Kamel Sabril Kolta: Krankheit im Alten Ägypten. Zur Rezeption paläopathologischer Forschungsergebnisse in der Medizingeschichtsschreibung oder die Schwierigkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit. 1998, S. 133–135 (Gefäßkrankheiten und Leiden des hatj, ib, ra-ib) und S. 146 f.
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- W. Westendorf u. a.: Lexikon der Ägyptologie. Band III, Wiesbaden 2000, S. 758.
- Doris Schwarzmann-Schafhauser, Kamal Sabri Kolta: Leiden des ḥm.t - Leiden der Frau. Die Kategorie Geschlecht in der Heilkunde Altägyptens. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 17, 1998, S. 153–161; insbesondere S. 156 ff.
- D. Schwarzmann-Schafhauser, K. S. Kolta: Ägyptische Medizin (3000–30 v. Chr.). Berlin/ New York 2005, S. 9 f.
- Doris Schwarzmann-Schafhauser, Kamal Sabri Kolta: Krankheit im Alten Ägypten. Zur Rezeption paläopathologischer Forschungsergebnisse in der Medizingeschichtsschreibung oder die Schwierigkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit. 1998, S. 135–138. (Infektionskrankheiten und „Verstopfung“).
- W. Westendorf u. a.: Lexikon der Ägyptologie. Band III, Wiesbaden 2000, S. 759.
- Felix Reinhard: Gynäkologie und Geburtshilfe der altägyptischen Papyri, II. In: Sudhoffs Archiv. Band 10, 1917, S. 124–161.
- Carl Hans Sasse: Geschichte der Augenheilkunde in kurzer Zusammenfassung mit mehreren Abbildung und einer Geschichtstabelle (= Bücherei des Augenarztes. Heft 18). Ferdinand Enke, Stuttgart 1947, S. 11. Siehe auch: Kamal Sabri Kolta, Doris Schwarzmann-Schafhauser: Die Heilkunde im Alten Ägypten. Magie und Ratio in der Krankheitsvorstellung und therapeutischen Praxis. Stuttgart 2000, Abbildung 57.
- J. Budka: Heilkunst und Zauberei – Medizin im Alten Ägypten. In: Kemet 4/2000. S. 17.
- Grapow: Kranker, Krankheiten und Arzt. Berlin 1956, S. 104f.
- J. Budka: Heilkunst und Zauberei – Medizin im Alten Ägypten. In: Kemet 4/2000. S. 17–18.
- G. Höber-Kamel: Medizin und Magie. In: Kemet 2/2005. S. 5–6.
- Kamal Sabri Kolta, Doris Schwarzmann-Schafhauser: Die Heilkunde im alten Ägypten. Magie und Ratio in der Krankheitsvorstellung und therapeutischen Praxis. Stuttgart 2000, S. 126.
- In der Abbildung zweites Gerät von rechts in der zweiten Reihe von oben.
- J. Budka: Heilkunst und Zauberei – Medizin im Alten Ägypten. In: Kemet 4/2000. S. 18.
- G. Höber-Kamel: Medizin und Magie. In: Kemet 2/2005. S. 5.
- G. Höber-Kamel: Medizin und Magie. In: Kemet 2/2005. S. 6.
- Grapow: Kranker, Krankheiten und Arzt. Berlin 1956, S. 100.